Roter Teppich für IT-Experten
Von David Schahinian
Die Zahlendes Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) sprechen für sich: 87 % der offenen Stellen für IT-Fachkräfte können derzeit nicht oder nur schwer besetzt werden. Die grenzüberschreitende Suche hilft – zwar nur bedingt, aber immerhin: Bereits 2019 hatte mehr als jeder zehnte der knapp 820.000 Beschäftigten in IT-Berufen eine ausländische Staatsangehörigkeit. Zu den Kernergebnissen der IW-Studie zählt, dass Quereinsteiger und informell erworbene Kompetenzen im IT-Bereich eine große Rolle spielen.
Nicht zuletzt aus Mangel an Alternativen sind Unternehmen in dieser Branche eher bereit, Fachkräfte mit passenden Arbeitserfahrungen zu beschäftigen und nicht allein auf Zeugnisse und Zertifikate zu schauen. Die Autoren kommen zum einen zu dem Schluss, dass Potenziale der Zuwanderung im Bereich der Berufsausbildung „noch nicht umfassend ausgeschöpft“ sind. Zum anderen fehlen vor allem Akademiker, für knapp die Hälfte aller gemeldeten Stellen werden Experten gesucht.
IT-Fachkräfte genießen Vorteile
Der Gesetzgeber hat den Bedarf erkannt und gegengesteuert. Beispielsweise mit dem 2020 in Kraft getretenen Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Es hat die Einwanderung sowohl von Fachkräften mit beruflicher, nichtakademischer Ausbildung zu Arbeitszwecken als auch für Fachkräfte mit Hochschulabschluss erleichtert. Bereits seit 2012 haben alle Personen mit einem ausländischen Berufsabschluss einen Rechtsanspruch darauf, ihre Berufsqualifikation auf Gleichwertigkeit mit einem deutschen Referenzberuf prüfen zu lassen – unabhängig von der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus. Das umfasst rund 600 deutsche Aus- und Fortbildungsberufe.
Das Entgegenkommen des deutschen Staates ist bei IT-Fachkräften aber besonders groß. So müssen Fachkräfte aus Drittstaaten – also solche, die nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum zählen – normalerweise für die Einreise die Anerkennung ihrer Berufsqualifikation oder einen als vergleichbar anerkannten Hochschulabschluss vorweisen. IT-Fachkräfte sind derzeit die einzige Ausnahme: Sie können auch ohne Anerkennung einreisen und in Deutschland ihren Beruf ausüben, wenn sie „ausgeprägte berufspraktische Kenntnisse“ haben und ein Mindestgehalt vorweisen können. Hinzu kommt, dass eine Anerkennung in sogenannten nicht reglementierten Berufen nicht vorgeschrieben ist. Dazu zählen beispielsweise Informatiker und Mechatroniker.
Ohne IT-Experten aus dem Ausland lässt sich der Fachkräftemangel in Deutschland nicht bewältigen. (Bild: Statista)
Anerkennung ist keine Pflicht, aber hilfreich
Da eine Anerkennung Geld kostet, etwa für Übersetzungen und Beglaubigungen, scheint sie für IT-Abschlüsse wie Certified IT Technical Engineer, also geprüfte Informatiker, zunächst überflüssig. Dem ist aber nicht so. Die Bundesregierung betont auf „Make it in Germany“, ihrem Portal für Fachkräfte aus dem Ausland, dass eine freiwillige Anerkennung die Chancen auf eine qualifikationsadäquate Beschäftigung oder einen beruflichen Aufstieg erhöht. Qualifikationsadäquat, also den eigenen Fähigkeiten entsprechend. Wer nicht zweifelsfrei nachweisen kann, was er schon alles gelernt und geleistet hat, kann folglich in Gefahr geraten, einen Neustart unter seinem Niveau angehen zu müssen. Kommen dann noch anfängliche Verständigungsschwierigkeiten dazu, wird es von Beginn an für beide Seiten schwierig, die gegenseitigen Erwartungen erfüllen zu können.
Dass man genauer einschätzen kann, welche Fähigkeiten und Qualifikationen ein Bewerber aus dem Ausland hat, ist nur ein Vorteil, den insbesondere Arbeitgeber von der Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen haben. Das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung (KOFA) kennt weitere. Denn sie gibt auch Aufschluss darüber, wie ein ausländischer Abschluss im Vergleich zu einem deutschen einzuordnen ist. Die Vielzahl unterschiedlicher Bildungssysteme auf dieser Welt kann zum Labyrinth werden, von den Unmengen an unterschiedlichen Abschlüssen ganz zu schweigen.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Ein weiterer Vorteil der Anerkennung sei, dass sie zeige, wie Arbeitgeber internationale Mitarbeiter und Bewerber passgenauer auswählen und einsetzen können: So schaffe sie beispielsweise die formale Voraussetzung für eine Höherqualifizierung, etwa für Aufstiegsfortbildungen mit Meister– oder Technikerabschluss. Abseits davon gibt es einen weiteren Pluspunkt, der insbesondere bei der täglichen Arbeit vielleicht sogar der wichtigste ist. Wer als Arbeitgeber seine Unterstützung bei der Anerkennung beruflicher Qualifikationen anbietet, zeigt seine persönliche Wertschätzung gegenüber den (potenziellen) neuen Mitarbeitern. Das trägt zu einer höheren Zufriedenheit und einem höheren Engagement von ihnen bei.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) betont darüber hinaus, dass eine freiwillige Anerkennung einen offiziellen Bescheid von der zuständigen Stelle in Deutschland mit sich bringt. Das sei hilfreich bei einer Bewerbung. Und könnte auch in anderen Kontexten nützen – etwa, wenn der Mitarbeiter weiterzieht in ein anderes Land oder dort für seinen deutschen Arbeitgeber tätig werden soll. Auch bei Gehaltsgesprächen kann der Bescheid nutzen, heißt es weiter. Wer Schwarz auf Weiß und bestätigt Kenntnisse nachweisen kann, tritt selbstbewusster auf und startet von einer besseren Verhandlungsposition aus.
Erste Anlaufstellen
Also los: Unterstützung bietet neben „Make it in Germany“ das Online-Portal „Anerkennung in Deutschland“ des BIBB. Mittels Berufseingabe und einfacher Fragen ermittelt es, ob und welche Anerkennung nötig ist. Auch Interessierte, die keine benötigen, erhalten hier Informationen zu den jeweils für sie zuständigen Institutionen, wenn sie sich beraten lassen wollen oder trotzdem eine formale Bewertung oder Anerkennung anstreben.
Für die ist, nomen est omen, im Regelfall die Zentralstelle für ausländisches Bildungswesen (ZAB) zuständig. Nach eigenen Angaben bearbeitet die bei der Kultusministerkonferenz angesiedelte Abteilung jedes Jahr mehr als 80.000 Anfragen. Sie ist Anlaufstelle sowohl für schulische als auch für berufliche und Hochschulqualifikationen. Für Inhaber eines ausländischen Hochschulabschlusses stellt sie auf Antrag eine individuelle Zeugnisbewertung aus.
Wer einen ausländischen Berufsabschluss in der Tasche hat, kann sich die Gleichwertigkeit bescheinigen lassen, wenn dieser einer zweijährigen schulischen Berufsausbildung in Deutschland entspricht. Weitere ausländische Qualifikationen können durch ein Gutachten im konkreten Einzelfall bewertet werden. Es wird von unterschiedlichen Stellen angefordert, die in den Ländern jeweils für die Anerkennung ausländischer Qualifikationen zuständig sind.
Eine gute und sehr umfangreiche Übersicht bietet die Datenbank Anabin der ZAB. Sie stellt Informationen zur Bewertung ausländischer Bildungsnachweise bereit und unterstützt Behörden, Arbeitgeber und Privatpersonen, eine ausländische Qualifikation in das deutsche Bildungssystem einzustufen. Eine ähnliche Zielrichtung verfolgt das BQ-Portal des Bundeswirtschaftsministeriums, ein Informationsportal für ausländische Berufsqualifikationen. Es stellt die Berufsbildungssysteme und Abschlüsse weltweit vor, die sich bequem über eine Weltkarte anklicken lassen. Schon das Schmökern lohnt sich, zeigt es doch die Vielfalt, mit der die verschiedenen Staaten ihre Nachwuchstalente ausbilden.
Weitere helfende Hände
Nun kann man nicht erwarten, dass jeder Arbeitgeber immer und aktuell über die neuesten Bestimmungen bei der Rekrutierung ausländischer IT-Kräfte informiert ist. Grund genug für Dienstleister, stärker in diese Bresche zu springen. Die Dekra beispielsweise wirbt auf ihrer Website damit, ausländische IT-Security-Fachkräfte selbst auszubilden und sie an Unternehmen zu vermitteln. Das strukturierte Rekrutierungs- und Weiterbildungsmodell ermögliche internationalem IT-Personal formal und rechtssicher einen Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Neben den berufsbegleitenden täglichen Unterrichtseinheiten mit Fachinhalten erlernen sie auch die deutsche Sprache. Die Organisation kümmert sich außerdem um die Berufsanerkennung und die Arbeitserlaubnis.
Wer als ausländische IT-Fachkraft noch gar keine Stelle in Deutschland in Aussicht hat, aber seine berufliche Zukunft hier sieht, findet in der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit einen Partner. Sie wirbt aktiv und englischsprachig um Softwareentwickler und ICT Experts, also Fachkräfte der Informations- und Kommunikationstechnologie. Bestandteil des Angebots sind unter anderem Online-Recruiting-Events. Der Fokus des Teams liege zwar auf Berlin und Brandenburg, doch könne es bundesweit vermitteln. Die ZAV hebt zudem hervor, dass ihr Service kostenfrei ist, weil es sich um eine staatliche Einrichtung handelt.
Mein Traumziel: Germany
IT-Fachkräfte, die in Deutschland arbeiten möchten, haben dazu viele Möglichkeiten. Dass die Bundesregierung die Einstiegshürden für sie sehr niedrig angesetzt hat, ist lobenswert: Es erleichtert den Arbeitgebern und potenziellen Arbeitnehmern das Matching und hilft zumindest ein wenig dabei, die ungebrochene Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt zu befriedigen. Die Anerkennung ausländischer IT-Abschlüsse ist dabei zwar keine Pflicht, aber eine Kür, die sich lohnt. So können beide Seiten viel besser und schneller einschätzen, worauf sie sich einlassen. Mehr noch: Wer als ausländischer IT-Spezialist weiß und beweisen kann, wo er in Deutschland steht, kann den nächsten Karriereschritt schneller gehen. Von einer individuell passenden Weiterbildung oder Spezialisierung profitieren am Ende beide Seiten.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.