Der Zahlenflüsterer
Von Bernhard Schoon
Für die riesigen, großteils unstrukturierten Datenbestände in Wirtschaft und öffentlicher Hand hat sich in den letzten Jahren ein Fachbegriff etabliert: Big Data. Doch kaum macht er die Runde, da wächst uns das Phänomen schon über den Kopf – nicht technologisch, sondern personell. Es gibt einfach nicht genug gelernte Statistiker und Mathematiker auf dem Arbeitsmarkt, die Zahlen in Erkenntnisse übersetzen können. Die neue Spezies der Data Scientists, die über Expertenwissen aus unterschiedlichen Disziplinen verfügt, kann sich über Angebote aus den verschiedensten Wirtschaftsbereichen freuen.
Datendetektive im Bankenauftrag
Wie ein GFT Blue Paper von 2014 zeigt, wird im Finanzsektor kräftig in neue Technologien wie Big Data investiert. Man erhofft sich klare Effizienzsteigerungen, wenn etwa Investmentbanken mit umfangreichen Datenanalysen ein gezielteres Kundenmarketing umsetzen, Handelsdaten konsolidieren und Risiken besser einschätzen könnten. Für Versicherungen ließen sich durch eine datengestützte Prüfung der Risikoträger Prämien genauer kalkulieren, typische Betrugsszenarien würden schneller Alarm auslösen.
Medizinische Früherkennung
Auch in der medizinischen Versorgung entstehen gewaltige, äußerst heterogene Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen. Big-Data-Technologien könnten bisher kaum beachtete Zusammenhänge in diesen unstrukturierten Daten finden. So blieben Patienten durch statistische Fallanalysen unnötige Therapien und Medikationen erspart. Bereits in der Früherkennung ließen sich Falschdiagnosen minimieren – und damit nicht zuletzt auch die Kosten senken.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT und Karriere“. Einen Überblick mit Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Verknüpfte Kundenprofile
In der Automobilindustrie gewinnt Big Data besonders in der Fahrzeugentwicklung, der Produktionsplanung und beim Qualitätsmanagement an Relevanz. Bislang hatten die Hersteller kaum Kontakt zum Endkunden, das übernahmen meist Fachhändler und Werkstattbetriebe. In Zukunft kommen die Daten immer öfter direkt aus den Fahrzeugen selbst, aus sozialen Netzwerken, Online-Portalen, den eigenen Showrooms und von Messen. Aus dem Datenpool lassen sich dann Nutzungsgewohnheiten und Vorlieben ableiten und frühzeitig neue Trends erkennen. Auch markenübergreifende Vorhaben wie das ENX-Projekt Entourage gehören hierher.
Berufsbild: Data Scientist
Natürlich finden Informatiker auch gut dotierte Jobs im Wissenschaftsbetrieb. So baut etwa das Bundesministerium für Bildung und Forschung zwei Big-Data-Kompetenzzentren auf: das Berlin Big Data Center (BBDC) unter der Leitung der TU Berlin und das Competence Center for Scalable Data Services (ScaDS) an der TU Dresden. Auch andere Hochschulen planen verstärkt, IT-Spezialisten auszubilden, doch Skeptiker befürchten eine allzu überstürzte Entwicklung. Der Fachkräftemangel für Big Data hat immerhin ein neues Berufsbild aus der Taufe gehoben, den Data Scientist, eine Kombination aus Statistiker, Software-Entwickler und Datenanalyst.
Vorhersagen, die eintreffen
Die Herausforderungen von Big Data werden gerne mit den drei Vs (Volume, Variety und Velocity) zusammengefasst: große Datenvolumen aus diversen Quellen, die mit hoher Geschwindigkeit zu verarbeiten sind. Technische Messwerte fallen dabei ebenso an wie Inhalte aus sozialen Medien oder der M2M-Kommunikation. Doch welchen Wert diese Informationen haben und ob sich die Kosten für eine langfristige Speicherung rechnen, weiß kaum jemand.
Deshalb sind Experten gesucht, die in unstrukturierten Daten bislang verborgene Muster erkennen, Wahrscheinlichkeiten berechnen, aber ebenso die konventionelle Datenanalyse beherrschen. Mit einer differenzierten Inferenzanalyse lassen sich weitere Beziehungen zwischen den Daten herstellen und in praxistaugliche Antworten verwandeln.
Neben Big Data geht es aber auch um Business Intelligence (BI), wobei Daten aus mehreren Quellen gesammelt, zusammengeführt und in einem zentralen Data Warehouse gesichert werden. BI-Anwärter müssen traditionelle und relationale Datenbanken beherrschen, während Kandidaten für Big-Data-Projekte fit mit NoSQL-Datenbanken oder dem Hadoop Framework sein sollten.
Teil 1 beginnt mit den sprunghaft ansteigenden Datenströmen – dem Rohstoff der Informationswirtschaft von morgen. Teil 2 schildert Szenarien, in denen Big-Data-Analyse bereits handfeste Ergebnisse in Echtzeit bringt. Teil 3 geht noch einen Schritt weiter und folgt dem Apache-Hadoop-Framework ein Stück in die Zukunft. Ein Extrabeitrag warnt vor Abwarten im Angesicht der Datenlawine. Gerade der Mittelstand könnte Flexibilität als Trumpf ausspielen.
Statistiker auf der Goldwaage
Laut einer Studie des Branchenverbands BITKOM waren 2015 insgesamt 17.500 Stellen an qualifizierte IT-Fachkräfte zu vergeben. Für 45 % dieser Positionen werden ausdrücklich Kenntnisse in Big Data vorausgesetzt. Informatiker mit diesem Hintergrund können mit relativ hohen Einstiegsgehältern rechnen, je nach Ausbildungslevel, Unternehmensgröße und Aufgabenbereich.
Hochschulabsolventen beginnen im Schnitt mit 45.000 Euro brutto pro Jahr, während dual ausgebildete Fachinformatiker sich anfangs mit 27.000 Euro begnügen müssen. Wer eine Hochschule besucht hat und bei einem kleineren Unternehmen einsteigt, kommt auf etwa 41.000 Euro jährlich, größere Betriebe zahlen bis zu 47.000 Euro.
Steigern lassen sich diese Einkommen mit Berufserfahrung, Weiterbildung oder Personalverantwortung. So können IT-Führungskräfte durchaus mit einem sechsstelligen Jahresverdienst rechnen. Die Branche entscheidet ebenfalls über die Höhe des Einkommens. Überdurchschnittlich viel zahlen Finanzdienstleister, Energiewirtschaft und Automobilindustrie, also jene Branchen, die auf Big Data am meisten angewiesen sind.
Fazit: Big ist mir nicht smart genug
Einerseits herrscht derzeit ein enormer Mangel an Big-Data-Spezialisten. Zum anderen wird bereits der Nachfolgetrend gehandelt: Smart Data. Eine Publikation von Roland Berger Strategy sieht denn auch den Hype um Big Data langsam abflachen: „Weniger Daten bringen mehr, wenn es die richtigen sind.“ Die Kernfrage lautet also: Welche Daten sind für welche Analysen wirklich von Nutzen? Statt möglichst große Datenmengen zu verarbeiten, soll Smart Data die relevanten Daten bereits am Ort der Entstehung erkennen und einer Auswertung zuführen.
Als neuer Hoffnungsträger könnte Smart Data neue Geschäftsmodelle etablieren, ohne fragwürdige Datenberge auf gut Glück vorzuhalten. Doch einerlei ob Smart oder Big: Unternehmen brauchen IT-Mitarbeiter mit analytischer Kompetenz – sonst werden sie früher oder später vom Markt verschwinden.