Kundenklagen sind praktische Produktanalyse
Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
Kundenbeschwerden sind zunächst immer etwas Negatives: Unzufriedene Kunden beanstanden nicht funktionierende Produkte, falsche Rechnungen oder Ähnliches. Doch mit dem richtigen Reklamations- bzw. Feedbackmanagement kann ein Unternehmen nicht nur das unmittelbare Problem des Kunden lösen, sondern auch die Kundenbindung festigen und Ideen zur Produktoptimierung ableiten.
Maßnahmen zur Kundenbindung erfordern ein Denken in Prozessen. Ein Kunde ist mit einem Produkt bzw. einer Dienstleistung erst dann zufrieden, wenn der erlebte Kaufprozess (Erstkauf, Nachkauf und Wiederkauf), die Erwartungen mindestens erfüllt, besser noch übertrifft. Dabei kann man zwischen alltäglichen Situationen und Ausnahmesituationen in der Kundenbeziehung unterscheiden. In kritischen Situationen kommt der Behandlung von Beschwerden eine hohe Bedeutung zu, da Kunden dann besonders sensibel sind und jede Reaktion des Unternehmens mit großer Aufmerksamkeit registrieren. Zugleich sind sie in einer solchen Situation anfällig für einen Anbieterwechsel.
Entscheidend ist daher, dass es dem Kunden in einer Beschwerdesituation möglich ist, seine Kritik oder Verärgerung gegenüber dem Unternehmen zu kommunizieren, so dass überhaupt die Möglichkeit besteht, auf die Beschwerde zu reagieren und den Kunden wieder zufrieden zu stellen. In Untersuchungen hat man herausgefunden, dass ein unzufriedener Kunde seine Kritik acht bis zehn weiteren potenziellen Kunden mitteilt, während ein zufriedener Kunde seine positiven Erfahrungen nur an drei potenzielle Kunden weitergibt. Allein diese Zahlen machen deutlich, wie wichtig es ist, sich als Unternehmen mit Kundenbeschwerden ernsthaft auseinander zu setzen und Beschwerdemanagement als Kundenbindungsmaßnahme zu begreifen.
Beschwerden positiv aufnehmen
Der erste Schritt in Richtung eines funktionierenden Beschwerdemanagements ist häufig ein grundsätzliches Umdenken im Unternehmen und im Customer Relationship Management. Kundenbeschwerden dürfen kein lästiges Ärgernis mehr sein, sondern im Gegenteil: ein willkommener Hinweis auf Verbesserungspotenziale und eine Chance, den Kunden durch hervorragende Leistung stärker an das Unternehmen zu binden. Diese Einstellung muss von allen Mitarbeitern getragen werden und besonders von denjenigen mit Kundenkontakt permanent gelebt werden.
Kundenhotline
Einige Unternehmen – speziell im Dienstleistungsbereich – haben Hotlines, an die sich die Kunden mit allen Anliegen z.T. „rund um die Uhr“ wenden können. Meist stehen dahinter Call Center, die über eine 0800er-Nummer kostenlos für die Kunden erreichbar sind. Diesen Aufwand können sich nicht alle Unternehmen leisten; man sollte den Kunden jedoch die Möglichkeit gegeben werden, dass sie eine Servicenummer zum Ortstarif anrufen können. Damit er die Nummer der Kundenhotline leicht findet, sollte sie möglichst an allen Stellen kommuniziert werden, wo der Kunde mit dem Unternehmen in Kontakt tritt, d.h. auf Produktverpackungen und -beschreibungen, in Informationsschreiben, Kundenmagazinen etc.
Die Organisation der Hotline und die Schulung der Hotline-Mitarbeiter sind zentrale Aufgaben. Vielen Mitarbeitern erscheint diese Tätigkeit zu Anfang eher unangenehm, und die richtige Reaktion auf Kundenbeschwerden muss eingehend trainiert werden. Dabei kommt es insbesondere darauf an, dem Kunden das Gefühl zu geben, dass er mit seinem Problem wirklich ernst genommen wird und dass sich jemand persönlich um eine individuelle und schnelle Lösung für ihn bemüht.
Für den Erfolg einer Kundenhotline müssen neben den kommunikativen und teilweise psychologischen Fähigkeiten der Mitarbeiter eine Reihe grundsätzlicher organisatorischer Faktoren gewährleistet sein.
- Die Hotline muss tatsächlich erreichbar sein. Eine Servicenummer, bei der ständig besetzt ist oder wo niemand abhebt, verkehrt ihre Wirkung ins Gegenteil.
- Die Servicezeiten müssen bekannt sein. Wenn kein 24-Stunden-Service geboten wird, sollten zusammen mit der Telefonnummer die Zeiten angegeben sein, zu denen die Hotline besetzt ist.
- Anfragen und Beschwerden müssen sofort bearbeitet werden. Untersuchungen zufolge würden 95 % der Kunden beim Unternehmen bleiben, wenn ihre Probleme ad hoc gelöst würden. Daher sollte die Reaktion auf Kundenbeschwerden so schnell wie möglich erfolgen. Ein Brief des Unternehmens zwei Wochen nach einem Kundenanruf ist nicht mehr „ad hoc“ und damit als Chance zur Kundenbindung vertan.
- Anrufer dürfen höchstens ein Mal weiter verbunden werden. Kann ein Hotline-Mitarbeiter ein Kundenproblem nicht lösen, ist es akzeptabel, den Anrufer an einen Spezialisten weiter zu vermitteln. Dieser muss das Problem jedoch lösen – oder aber den Kunden kurzfristig zurückrufen. Eine mehrfache telefonische Weitervermittlung provoziert dagegen nur weitere Verärgerung und wirkt wenig professionell.
Realbeispiel: DHL – Track & Trace
Kundenbeschwerden können den positiven Effekt haben, dass sie auf Verbesserungspotenziale im Unternehmen aufmerksam machen. Wie kundenorientierte Unternehmen diese Erkenntnis gezielt zur Optimierung ihres Leistungsangebotes nutzen, beweist das folgende Praxisbeispiel.
Die Versendung von Paketen und Express-Sendungen über die Postorganisationen ist vielen Unternehmen als lästiges Problem bekannt: Man hat ein eiliges Paket aufgegeben und seinem Kunden die Auslieferung zu einem bestimmten Zeitpunkt zugesagt. Zu diesem Zeitpunkt ruft der Kunde an und erklärt, dass er die Sendung noch nicht erhalten habe. Im Postausgang ist eventuell feststellbar, dass das Paket tatsächlich abgeschickt wurde, über den weiteren Verlauf konnte die Post jedoch die längste Zeit nichts mitteilen. Da hieß es abwarten, und das bedeutete weitere Beschwerden des verärgerten Kunden, der in der Regel das Unternehmen für die Verspätung verantwortlich macht.
Vor diesem Hintergrund wurde der DHL-Express-Service gegründet, der sich zum Ziel setzt, den Kunden in den Mittelpunkt aller Serviceleistungen zu stellen und das Leistungsangebot an den Bedürfnissen der Kunden auszurichten. Die Grundidee der besonders schnellen Versendung von Paketen und Briefsendungen wird von DHL unter Einsatz moderner Kommunikations- und IT-Technologien realisiert. Jede Sendung, die ein Kunde an DHL übergibt, wird sofort bei der Auftragsannahme elektronisch erfasst. Ein spezielles Programm übernimmt die elektronische Transportvorbereitung und -verfolgung. Damit ist es DHL jederzeit möglich festzustellen, wo sich eine bestimmte Sendung gerade befindet und wann die Sendung beim Kunden eintreffen wird.
Das DHL-Leistungsangebot geht dabei deutlich über eine verbesserte Basisleistung im Paketdienst hinaus. Man hat sich auch Gedanken gemacht, auf welchem Weg der Kunde am leichtesten mit DHL in Verbindung treten kann. Dazu bietet DHL verschiedene Möglichkeiten: Eine Alternative ist die persönliche Abholung der Sendung beim Kunden. Darüber hinaus wird eine preisgünstigere Möglichkeit geboten, die Abgabe bei einem flächendeckenden Tankstellennetz. An diesen Annahmepunkten wird auch Verpackungsmaterial zur Verfügung gestellt, sofern dies gewünscht wird.
Das Beispiel zeigt, wie man bei DHL den Wünschen der Kunden möglichst flexibel entgegen kommt. Auch hat man dort realisiert, dass jeder Mitarbeiter mit seiner Arbeit, seinem Auftreten und seinen Kenntnissen einen Teil der DHL-Servicequalität repräsentiert. Im Sinne der Kundenorientierung stellt jeder Mitarbeiter Zuverlässigkeit, Sicherheit und Wirtschaftlichkeit des erbrachten Dienstes sicher.
Fazit: Anregungen und Kontakt fördern
Wird der Ablauf um eine Beschwerde entsprechend organisiert, so kann aus dem zunächst negativen Erlebnis des Kontakts mit einem unzufriedenen Kunden das Erfolgserlebnis einer Problemlösung werden. Generell sollte jede Interaktion mit dem Kunden genutzt werden – und die Bearbeitung von Beschwerden ist eine solche Interaktionsgelegenheit.
Die Chancen sind gut, dass ein Kunde, dessen Problem professionell, schnell und entgegenkommend gelöst wird, nicht nur Kunde bleibt und weitere Käufe tätigt, sondern auch mit anderen darüber spricht. Auf diesem Wege können sogar weitere Neukunden gewonnen werden.
Wenn gleichzeitig die Inhalte der Beschwerden und Anfragen regelmäßig systematisch ausgewertet und bei der Produktweiterentwicklung berücksichtigt werden, so ermöglicht dies die Verbesserung der Wettbewerbsposition und den Ausbau des eigenen Marktanteils. In diesem Sinne ersetzt bzw. unterstützt die Auswertung von Beschwerden die Marktforschung zur Verbesserung des Produktangebots. Das Beschwerdemanagement ist als Teil der Kundenbindungsmaßnahmen integraler Bestandteil des Marketings.