Bio-Verpackung: Wie Erfinder den Verpackungs­müll kleinkriegen

Ein zentrales Thema in der Dis­kussion um nach­haltiges Wirt­schaften sind die viel­fältigen Ver­packungen und ihre Aus­wir­kungen auf die Um­welt. Obwohl das Be­wusst­sein für Um­welt­belastung und Ressourcen­verbrauch in den letzten Jahren ge­wachsen ist, nimmt der Ver­brauch eben dieser Verpackungen zu.

Fruchtsaft in Seetangflaschen

Von Friedrich List

Nach einer Untersuchung der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) in Mainz verbrauchte jeder Deutsche 1995 um die 170 kg Packmaterial. In den folgenden zehn Jahren wuchs diese Menge auf 223 kg und bestand u.a. aus 96 kg Papier, 37 kg Plastikabfall und rund 33 kg Glas. Dieser Verbrauch steigt immer noch, wofür es vielerlei Gründe gibt. Dazu gehören die Beliebtheit von Snacks oder ganzen Mahlzeiten zum Mitnehmen, der inzwischen fast überall angebotene Coffee to go oder der wachsende Online-Handel.

Aber mittlerweile machen nicht nur die ökologisch bewusster werdenden Verbraucher Druck. Auch der Gesetzgeber hat Regeln auf den Weg gebracht, um die Menge an verbrauchten Verpackungen zu senken. Bei der Verpackungsindustrie ist dieser Wandel durchaus angekommen. Mehr und mehr Unternehmen bieten Materialien an, die aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden und sich leichter recyceln lassen als herkömmliche Kunststoffe.

Druck durch den Gesetzgeber

Am 1. Januar 2019 trat in Deutschland ein neues Verpackungsgesetz in Kraft. Online-Händler etwa müssen ihre Verpackungen nun registrieren lassen und an einem dualen System zur Entsorgung teilnehmen. Das neue VerpackG soll auch eine höhere Recycling-Quote sicherstellen. Gleichzeitig wurden auf EU-, Bundes- und Länderebene weitere Strategien auf den Weg gebracht. Die EU-Kommission verbietet Einweg-Plastikverpackungen. Das Bundesinnenministerium beschloss einen 5-Punkte-Plan „für weniger Plastik und mehr Recycling“.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologie­unternehmen stellen sich vor“. Einen Über­blick mit freien Downl­oad-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Auch im bayerischen Koalitionsvertrag schlug sich das Verpackungsproblem nieder. Er sieht einen Pakt mit der Wirtschaft zur Verringerung von Mikroplastik, ein Bündel von Maßnahmen gegen Kunststoffabfälle und die Unterstützung der Initiative zum Verbot von Mikroplastik in Kosmetikartikeln vor. Die Unternehmen, die den Verpackungsabfall einsammeln und weiter verarbeiten, müssen sich nicht nur an die vorgegebenen Recycling-Quoten halten; sie müssen auch ihre Gebührensysteme anpassen, sodass recyclingfähige Verpackungen billiger werden.

Plastik aus Milch

Die Industrie arbeitet seit vielen Jahren an nachhaltigen Alternativen zum konventionellen Plastik, das sich in der Natur so gut wie gar nicht zersetzt und das sich auch kaum wiederverwenden lässt. Besonders dringend wäre der Ersatz von Styropor, das biologisch nicht abbaubar, besonders ressourcenintensiv und gleichzeitig das am weitesten verbreitete Verpackungsmaterial ist. Das US-amerikanische Unternehmen Ecovative produziert bereits eine Alternative, die aus Pilzkulturen und biologischen Abfällen erzeugt wird. Der Pilz nutzt die Abfälle als Nahrung. Anschließend gibt man dem Pilzmyzel ein paar Tage Zeit zum Wachsen. Dann schreddert man die Mischung erneut und bringt sie in die gewünschte Form. Nach fünf Tagen hat die Masse die Form ausgefüllt. Sie wird kurz erhitzt, um das Wachstum zu beenden und Keime abzutöten. Das Material eignet sich für den Postversand, aber auch für viele andere Anwendungen.

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Kein Styropor, sondern geformte Pilzkulturen: Ecovative ist der Mushroom-Packaging-Pionier. Lizenznehmer des Verfahrens sind u.a. Krown und Symbiotec, Ecovative selbst hat seine Kapazitäten erweitert, indem es sich mit Paradise Packaging zusammengetan hat. (Bild: Ecovative Design)

Polyethylen (PE), der Stoff, aus dem Plastiktüten, Etiketten, aber auch Plastikröhren sind, lässt sich nicht nur aus Erdöl herstellen. Das Unternehmen Avery Dennison produziert eine PE-Folie aus Zuckerrohr-Ethanol, aus der wiederum Etiketten hergestellt werden. Auch Tetra Pak nutzt neuerdings Verpackungen, die auf Zuckerrohr basieren. Ein weiterer Plastikersatz kommt aus der Milch. Grundlage ist dabei das Milchprotein Casein. Die US-amerikanische Unternehmerin Peggy Tomasula hat daraus eine Verpackungsfolie entwickelt, in der sich nicht nur Nahrungsmittel sicher aufbewahren lassen. Die Folie ist zudem essbar. Man könnte also Suppe darin verpacken und die Suppe dann mitsamt der Tüte in heißem Wasser auflösen.

Die ganze Flasche aus Milchsäure kommt aus Österreich. Die Firma NaKu (Natürlicher Kunststoff) stellt kompostierbare Flaschen her. Dabei wird die Milchsäure aus Zucker und Stärke erzeugt. Das Material ist für den menschlichen Organismus und das enthaltene Getränk unbedenklich, da es keine der Weichmacher enthält, die sich sonst in Plastikflaschen finden. Milchprodukte, Smoothies, Fruchtsäfte, aber auch feste Nahrungsmittel wie Süßigkeiten oder Gemüse bekommen so eine umweltverträgliche Hülle. Neben ihrer Kompostierbarkeit hat die organische Kunststoffflasche weitere Vorteile. Sie ist 20-mal leichter als Glas und kostet zehnmal weniger als herkömmliches Plastik.

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NaKu macht natürlichen Kunststoff der komplett kompostierbar ist, Flaschen ebenso wie diverse Beutel. Sogar eine einfache Anleitung, wie man Biokunststoff am eigenen Herd selbst herstellen kann, gibt es. (Bild: NaKu)

Eine weitere Alternative zu den allgemein gebräuchlichen PET-Flaschen sind Flaschen aus Polyethylenfuran (PEF). Das besteht komplett aus pflanzlichem Rohmaterial und ist zu 100 % recycelbar. Zudem kann man aus PEF leichtere oder dünnere Flaschen herstellen als aus PET, die jedoch hitzebeständiger sind. PEF wird gemeinsam von mehreren international agierenden Unternehmen entwickelt. Beteiligt sind der österreichische Verpackungskonzern Alpla, Coca Cola, Danone, Swire Pacific und die niederländische Firma Avantium. Avantium hat PEF entwickelt; Alpla steuert seine Erfahrungen bei der Weiterverarbeitung von Kunststoffen bei. BASF war zwischenzeitlich mit im Boot, stieg aber 2018 wieder aus.

Papier von der Wiese

Auch Algen können Behältnisse speziell für flüssige Nahrung liefern. Das britische Start-up Skipping Rocks Lab, 2019 umbenannt in Notpla, produziert unter dem Label Ooho Verpackungen aus Seetang. Dabei liegt die Besonderheit der Seetangbehälter in ihrer Form, die realen Früchten nachgebildet ist. Während der Herstellung bildet sich eine wasserdichte Haut um die Flüssigkeit herum, etwa wie die Haut einer Traube. Säfte und andere Getränke könnten also ähnlich portioniert und verkauft werden wie echtes Obst.

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Biologisch abbaubar und sogar essbar: Ooho aus Seetang könnte eine Menge Flüssigkeits- und Soßenverpackungen aus Plastik einsparen. (Bild: Notpla)

Das Hamburger Unternehmen Bio-Lutions wiederum greift auf Pflanzenfasern zurück, die bei der Ernte anfallen. Allerdings beliefert das Unternehmen zurzeit noch keine Bioverpackungen für den E-Commerce, sondern Schalenverpackungen und Wegwerfgeschirr. Storopack aus Metzingen stellt nicht nur Verpackungen, sondern auch Papierpolster zum Verfüllen von Hohlräumen her. Dabei nutzt das Unternehmen Papier, das etwa zur Hälfte aus trockenem Gras besteht. Damit lässt sich ein Großteil des Wassers und der Energie einsparen, die die traditionelle Papierproduktion erfordert. Und das Gras stammt von den Wiesen und Weiden der nahen Schwäbischen Alb.

Komplett aus recyceltem Material hergestellte Verpackungen sind ein weiterer Weg, um Rohstoffe nachhaltiger zu nutzen. So verschickt Zalando nur noch Pakete, die zu 100 % aus wiederverwendeten Stoffen bestehen. Die Firma Karopack macht aus Altpapier Polsterkissen. An den Rohstoff kommt das Unternehmen aus Baden-Württemberg, indem es seinen Kunden Sammelcontainer vor die Tür stellt. Die so gesammelten Abfälle werden geschreddert und in widerstandsfähige Papierbeutel gefüllt. Die wiederum liefert Karopack dann an seine Kunden, wo sie im Versand als Füllmaterial genutzt werden.

Unterschiedliche Interessen

Diese Vielzahl ökologisch ausgerichteter Produkte zeigt, dass die Verpackungsindustrie auf das veränderte Umfeld reagiert. Nachhaltigkeit kann sogar als einer von mehreren Megatrends in der Branche betrachtet werden. LOHAS-Konsumenten (Lifestyle of Health and Sustainability, zu deutsch etwa „gesunder und nachhaltiger Lebensstil“) entwickeln sich mehr und mehr zu einer wichtigen und vor allem prägenden Käufergruppe. Das liegt vor allem daran, dass sie über ein überdurchschnittlich hohes Einkommen verfügen. Sie treffen ihre Entscheidungen aufgrund einer ökologisch ausgerichteten Werteorientierung. Wenn umweltfreundliche Verpackungen die Produkte nicht unverhältnismäßig stark verteuern, achtet diese Käufergruppe sehr genau auf Umweltverträglichkeit und Mehrwegmöglichkeiten.

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Das Start-up Bio-Lutions fertigt Kartonagen aus Agrarabfall, z.B. Tomatenverpackungen aus Tomatenpflanzen (Bild: Bio-Lutions International)

In die Frage der Umweltverträglichkeit spielt auch die Produktsicherheit hinein. Gerade Lebensmittel müssen vor dem Eindringen nicht bestimmungsgemäßer Stoffe geschützt werden. Das kann nicht nur bei PET-Flaschen passieren, sondern auch bei bedruckten Lebensmittelverpackungen. Hier können nicht nur Weichmacher aus dem Plastik in Lebensmittel wandern, sondern auch etwaige Mineralölrückstände. Der Handel hat hier bereits reagiert. So erwartet der Discounter Aldi-Süd von den Produzenten seiner Eigenmarken, nur noch Produkte und Verpackungen anzuliefern, die frei von Rückständen sind.

Allerdings kann es hier auch zu Interessenkonflikten zwischen Konsumenten und Produzenten kommen. Die Verbraucher fordern mehr und mehr recycelte, nachhaltige und wiederverwendbare Materialien. Dagegen konzentrieren sich etwa Lebensmittelhersteller auf Geschmackstreue und Haltbarkeit. Auch haben Produzenten und Lieferanten von Rohstoffen, Zulieferer und Recycling-Unternehmen unterschiedliche Interessen. Für den Abfüller stellt sich die Frage, ob das umweltgerechte Material von seinen Maschinen verarbeitet werden kann. So könnte es bei Heißabfüllung aufweichen und den Inhalt verunreinigen. Zudem unterscheiden sich Naturmaterialien oft von bislang verwendeten Stoffen in Sachen Färbung, Etikettierung und Beschriftung. Das kann dazu führen, dass Kleber oder Farbe nicht angenommen werden oder die Verpackung verändern.

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Intelligent recyceln, direkt vor Ort: Die Kreiter GmbH aus dem baden-württembergischen Kirchardt macht aus Altkartonagen saubere karopack-Polsterkissen – und ermöglicht obendrein Inklusion. (Bild: Kreiter GmbH)

Den Umstieg managen

Der Wechsel von herkömmlichen Verpackungen zu nachhaltigen Materialien erfordert mehrere Schritte. Sie hängen davon ab, ob es sich um eine Neuentwicklung, ein Produkt in der Einführungs- und Wachstumsphase oder ein bereits am Markt etabliertes Produkt handelt. Bei Neuentwicklungen kann man von vornherein eine recycelbare oder wiederverwendbare Verpackung konzipieren. Ist das Produkt gerade neu am Markt, lohnt sich eine Umstellung eher dann, wenn der Absatz steigt oder stabil ist. Ein eingeführtes Produkt braucht allerdings einen Relaunch mit einer neuen Verpackung, kann aber so auch für neue Zielgruppen interessant werden, die sich vorher nicht angesprochen fühlten.

Zudem sind interne und externe Faktoren zu berücksichtigen. Intern wäre zu klären, ob das Unternehmen bereits ein Umwelt- oder Nachhaltigkeitskonzept hat. Besonders wichtig sind die erforderlichen Investitionen, etwa in Personal oder Maschinen, aber auch die Frage, welche Wettbewerbsvorteile nachhaltige Verpackungen bieten würden. Idealerweise sollten die auch ein Alleinstellungsmerkmal entweder neu etablieren oder unterstreichen. Externe Faktoren wären etwa der zu erwartende Nutzen für den Kunden und die Anforderungen des Handels. Hinzu kommen die gesetzlich geforderten Recycling-Quoten und die Auswirkungen auf die gesamte Wertschöpfungskette.

Die Recycling-Fähigkeit der neuen Verpackung hängt von der Auswahl des Verpackungsmaterials oder einer Kombination Materialien ab. Nutzt man eines der gängigen Materialien wie Papier, Kunststoff, Glas, ein Verbundmaterial oder einen neuen Werkstoff aus nachwachsenden Rohstoffen? Die vielen neuartigen Materialien machen einen Umstieg leichter, noch vor wenigen Jahren wäre der Ersatz von petrochemisch erzeugten Verpackungsmaterialien ungleich schwieriger gewesen. Wenn ein ganzheitliches Konzept für den Wechsel zu umweltgerechten Verpackungen steht, kann die Umstellung auch gut bewältigt werden – zum Nutzen aller und zum Schutz unserer Umwelt.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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