Container blockweise an der Kette
Von Roland Freist
Anfangs schien die Blockchain fest mit Kryptowährungen wie Bitcoin verbunden, andere Anwendungen waren kaum in Sicht. In einer zweiten Entwicklungsstufe begannen sich Finanzdienstleister für die Technik (Stichwort: Smart Contracts) zu interessieren. Mittlerweile hat die Entwicklung Stufe 3 erreicht, auf der in rasantem Tempo immer neue Anwendungen der Blockchain erprobt werden.
Auf besonderes Interesse stößt die Blockchain bei Logistikunternehmen. Bei der Organisation der weltweiten Warenströme kämpfen sie mit einem unübersichtlichen Geflecht von Personen, Unternehmen und staatlichen Behörden, durch deren Hände die Produkte gehen. Zudem kommen die unterschiedlichsten Systeme zum Einsatz, vom einfachen Frachtpapier bis hin zu komplexen, weitgehend automatisiert arbeitenden Computerprogrammen. So schleichen sich auch oftmals dubiose Machenschaften in die Lieferketten ein.
Lückenlose Überwachung
Die Logistiker wünschen sich daher eine einheitliche Plattform für ihre Supply Chains. Sie soll nicht nur die Komplexität des derzeitigen Verfahrens reduzieren und damit kostensenkend wirken. Mindestens genauso wichtig ist ihnen, dass sich der Weg beispielsweise eines Containers sowohl während des Transports wie auch noch im Nachhinein jederzeit nachvollziehen lässt. Dabei muss jedoch gewährleistet sein, dass an keiner der Stationen, die der Container durchläuft, die Daten manipuliert werden können. Und dafür ist die Blockchain-Technik ideal geeignet.
Prof. Dr. Michael Henke, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML, erklärt die Vorteile einer Blockchain etwa für die Pharmalogistik an einem Beispiel: Fällt ein Container mit Medikamenten an einer Station der Supply Chain von der Rampe oder steht er zu lange ungekühlt in der Sonne, ist davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der Ware unbrauchbar geworden ist. Das erfährt der Empfänger jedoch nicht erst Wochen später, sondern in Echtzeit, weil ihm der Sensor am Container sofort eine entsprechende Nachricht übermittelt. Da der Sensor in das Blockchain-Netzwerk eingebunden ist, lässt sich der Inhalt der Nachricht auch nicht unbemerkt verändern – sämtliche Datenblöcke, die in der Lieferkette verschickt werden, werden kontinuierlich auf Übereinstimmung und Nachverfolgbarkeit überprüft.
Im Whitepaper „Blockchain und Smart Contracts“ (2018) beschreibt das Fraunhofer IML „effiziente und sichere Wertschöpfungsnetzwerke“. Das Papier gibt es beim Institut kostenfrei als PDF zum Herunterladen. (Bild: Fraunhofer IML)
Mit einer Blockchain könnte die Pharmaindustrie laut Henke aber auch ein anderes Problem lösen: Bei Fälschungen von patentgeschützten Medikamenten lässt sich oft nicht nachvollziehen, woher die Inhaltsstoffe stammen. Mit einem Echtheitszertifikat, das in einer Blockchain hinterlegt ist, ließe sich der Ursprung der Ausgangsstoffe jedoch ermitteln. Der Hersteller des Original-Medikaments könnte auf diese Weise die Produktion der Fälschungen oftmals verhindern.
Vertrauen zurückgewinnen
Die Automobilindustrie hat bereits konkretere Pläne. So arbeiten IBM und Ford derzeit an einer Blockchain-Lösung, um die Lieferungen des für den Bau von Lithium-Ionen-Batterien benötigten Kobalts zu überwachen. Kobalt wird überwiegend in der Demokratischen Republik Kongo gefördert, wo es immer wieder Berichte über Kinder- und Zwangsarbeit gibt. Und die Erlöse aus dem Verkauf landen oftmals in den Taschen von einheimischen Warlords.
Um sicherzustellen, dass das Kobalt unter humanen Bedingungen produziert wird, will Ford die Blockchain-Technik einsetzen. Gemeinsam mit IBM plant der Autobauer ein Netzwerk, über das der Weg der Rohstoffe jederzeit nachverfolgt werden kann. Jeder Teilnehmer an diesem Pilotprojekt soll dabei einen uneingeschränkten Einblick in die Daten bekommen und feststellen können, wo das Kobalt herkommt. Aktuell stammt das Kobalt für die Elektrowagen von Ford größtenteils aus der Mine des chinesischen Konzerns Huayou Cobalt im Kongo. In einem Werk des südkoreanischen Unternehmens LG Chem wird es in Akkus verarbeitet. Ziel ist es, sämtliche Stationen des Lieferwegs bis zum Ford-Werk in den USA über eine Blockchain verfolgen zu können. Sollte sich das Projekt als erfolgreich erweisen, könnte die Technik auch bei der Supply Chain von anderen Rohstoffen eingesetzt werden, bei deren Förderung es ebenfalls immer wieder Klagen über die Arbeitsbedingungen gibt.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologieunternehmen stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Ähnliche Ziele wie Ford verfolgt auch Mercedes-Benz Cars. Die Schwaben haben sich mit der US-Firma Icertis zusammengetan, um eine Blockchain für die durchgängige Dokumentation von Verträgen in der Lieferkette zu entwickeln. Dabei geht es vor allem darum, Standards und vertragliche Verpflichtungen bei Arbeitsbedingungen, Menschenrechten, Umweltschutz, Sicherheit, Geschäftsethik und Compliance zu überwachen. Die direkten Vertragspartner des Konzerns sind verpflichtet, diese Bedingungen wiederum an ihre eigenen Zulieferer weiterzugeben und zu kontrollieren.
Auch der weltgrößte Diamantenhändler De Beers interessiert sich für die Blockchain. Das Unternehmen will die Technik einsetzen, um den Weg seiner Diamanten von ihrem Ursprungsort bis zu den Kunden verfolgen zu können. Auf diese Weise soll verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden, erklärt CEO Bruce Cleaver. Im Januar 2018 startete unter dem Namen Tracr ein Pilotprojekt, an dem neben De Beers zunächst nur eine kleinere Zahl von Partnern aus der Industrie beteiligt war. Doch bereits im Mai konnte Tracr die weltweit größte Juwelierkette Signet Jewelers als weiteres Mitglied präsentieren, im Oktober folgte mit Alrosa der nach De Beers zweitgrößte Diamantenhändler der Welt.
Teil 1 beginnt mit den Anfängen und erklärt, wie Kryptowährungen (Bitcoin etc.) funktionieren. Teil 2 erklärt das technische Prinzip hinter diesen Neuerungen und skizziert erste Anwendungsfälle. Teil 3 geht dann ausführlicher auf die Blockchain in Lieferketten ein, vor allem bei der Logistik. Ein Extrabeitrag widmet sich zuletzt den Jobchancen und den Ausbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich.
Transparente Transportwege
Blockchains sind aber auch für eine ganze Reihe weiterer Industriezweige eine attraktive Möglichkeit, um die Lieferwege ihrer Waren zu kontrollieren. Aus diesem Grund haben IBM und die weltgrößte Container-Reederei Maersk die Gründung eines Joint Ventures beschlossen, das als eigenständiges Unternehmen eine Plattform für den weltweiten Schiffshandel entwickelt. TradeLens soll es anderen Firmen ermöglichen, den Transport ihrer Güter über Landesgrenzen und Handelszonen hinweg transparenter zu gestalten und gleichzeitig die Verwaltung erleichtern. In einer ersten Phase werden dann zunächst zwei Fähigkeiten dieser Plattform vermarktet: Über eine Shipping Information Pipeline soll es allen am Management einer Lieferkette beteiligten Akteuren möglich sein, in Echtzeit sicher und nahtlos Informationen über Lieferereignisse auszutauschen. Parallel dazu ist geplant, die Digitalisierung von Dokumenten voranzutreiben und ihre Einreichung zu automatisieren.
Noch ist nicht alles geklärt
Es gibt allerdings auch warnende Stimmen. Die Unternehmensberatung McKinsey wies im September 2017 darauf hin, dass bis dato noch keine nachprüfbaren Beweise für die tatsächliche Eignung der Blockchain-Technik bei Lieferketten existierten. Auch die Kosten für Entwicklung und Betrieb einer Blockchain lägen noch weitgehend im Dunkeln. Aktuell ist der Einsatz von Blockchains bei der Überwachung von Supply Chains noch im Versuchsstadium, bei nahezu allen praktischen Anwendungen handelt es sich um Pilotprojekte. Es wird spannend zu beobachten sein, wie die Ergebnisse ausfallen werden und in welchen Bereichen sich die Blockchain letztlich gegenüber anderen Monitoring-Verfahren durchsetzen kann.
Roland Freist, Jahrgang 1962, begann nach einem Studium der Kommunikationswissenschaft ein Volontariat beim IWT Verlag in Vaterstetten bei München. Anschließend wechselte er zur Zeitschrift WIN aus dem Vogel Verlag, wo er zum stellvertretenden Chefredakteur aufstieg. Seit 1999 arbeitet er als freier Autor für Computerzeitschriften und PR-Agenturen. Seine Spezialgebiete sind Security, Mobile, Internet-Technologien und Netzwerke, mit Fokus auf Endanwender und KMU.
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