Die Stromkunden möchten sicher sein
Das Digitalisierungsgesetz läutet eine neue Energie-Ära ein, so der Digitalverband Bitkom anlässlich der Verabschiedung des Gesetzes zur Digitalisierung der Energiewende am 23. Juni 2016. Das Bundeswirtschaftsministerium spricht von der „größte[n] Reform des Strommarktes seit der Liberalisierung in den 90er Jahren“. Bei all der Begeisterung scheint der Blick auf den Kunden verloren gegangen zu sein.
Energiewende als wichtiger Wirtschaftsfaktor
Die Energiewende sei unser Weg in eine sichere, umweltverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft, erklärt das BMWi. Allein im Bereich der erneuerbaren Energien sollen bis 2050 beachtliche 230.000 neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze entstehen. Eine besondere Bedeutung bei der Energiewende hat die Digitalisierung. „Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende macht den Stromsektor zum Vorreiter, denn es ermöglicht neue, innovative Geschäftsmodelle, z.B. durch die Verknüpfung erneuerbarer Stromerzeugung mit Verbrauchern“, so das BMWi.
„Endlich können wir das hochsichere Energiesystem aufbauen, das klimafreundlichem Strom aus Sonne und Wind zum Durchbruch verhelfen wird“, jubelte Dr. Bernhard Rohleder, Bitkom-Hauptgeschäftsführer. Das Digitalisierungsgesetz sieht vor, das Energiesystem zum sogenannten Smart Grid umzubauen, also mit einer digitalen Infrastruktur, die es allen Beteiligten im Energiesystem ermöglicht, miteinander zu kommunizieren, vom Stromerzeuger über die Netze und Speicher bis hin zum Verbraucher. Wie der Bitkom erläutert, könnten so die wetterabhängige Stromproduktion aus erneuerbaren Energien und der schwankende Verbrauch der Kunden miteinander in Einklang gebracht werden.
Teil 1 fängt dort an, wo derzeit der Schuh drückt: Der Umstieg auf erneuerbare Energien macht bei vielen dezentralen Erzeugern die Netzstabilität zu einem schwierigen Balanceakt. Die erste Aufmerksamkeit gilt darum (Puffer-)Speichern, Smart Metern – und eben flexiblen Netzen. Das Schüsselstichwort hierzu lautet „Sektorenkopplung“. Teil 2 berichtet aus Nordrhein-Westfalen, welche konkreten Lösungen für Smart Grids dort bereits im Einsatz sind. Teil 3 geht in den Süden und berichtet, wie Bayern bis 2050 seine Energie CO₂-neutral erzeugen will. Ein Extrabeitrag berichtet vom Neubau des 50Hertz-Rechenzentrums, außerdem gibt es einen Smart-Grid-Report aus Österreich. Weitere Regionalreports sind in Vorbereitung. (Bild: EMH metering)
Verbrauchsdaten aus dem Stromzähler
Viele Fortschritte können erst durch die Digitalisierung erreicht werden. Aber die Digitalisierung ist nicht automatisch Fortschritt, zumindest nicht für alle. Dies gilt ohne Zweifel auch für die Energiewirtschaft. „Die Zukunft der Energiewelt ist digital und sie umfasst die unterschiedlichsten Sektoren. Ähnlich wie in anderen Bereichen wird die Digitalisierung der Energiewelt von disruptiven Entwicklungen begleitet werden, die das Potenzial haben, unser heutiges Bild von Energiewende komplett zu verändern“, meint Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der dena-Geschäftsführung (Deutsche Energie-Agentur GmbH).
Neben den Unternehmen der Energiebranche sollen auch die Verbraucher von der Digitalisierung profitieren. Hierzu erklärt der Bitkom: „Für den Verbraucher bringt die neue Kommunikationsinfrastruktur ein Höchstmaß an Transparenz, sodass beispielsweise Stromfresser im Haushalt identifiziert und durch energieeffiziente Geräte ersetzt werden können. Zudem kann der Kunde von flexiblen Stromtarifen profitieren.“
Das gefällt den Verbrauchern. Was ihnen aber gar nicht gefällt, ist eine zu große Transparenz ihrer Verbrauchsdaten. Aktuelle Umfragen wie die Deloitte-Studie „Smart Grid 2016 – Die Digitalisierung der Energiewende“ zeigen, dass bei der Einführung der intelligenten Messstellen (Smart Meter) vor allem wegen Datenerhebung und Datensicherheit in der Bevölkerung Skepsis herrscht.
Eine Umfrage im Auftrag von Kaspersky Lab zeigt, was die deutschen Nutzer über den Einsatz von Smart Metern denken. Dabei stimmten 37 % der folgenden Aussage zu: „Ich vertraue sogenannten Smart Metern (intelligenten Zählern) zur digitalen Erfassung und Abrechnung meiner Verbrauchsdaten über intelligente Stromzähler oder Wasseruhren.“ 32 % lehnten diese Aussage aber ab, und 31 % waren unentschlossen. Befragt nach dem persönlichen Empfinden von Datenschutz und Cybersicherheit, zeigte die Umfrage, dass sich 71 % der deutschen Nutzer Sorgen machen, wenn große Unternehmen für Internet-Dienstleistungen persönliche Daten sammeln, und mehr als zwei Drittel (69 %) gehen davon aus, dass die zunehmende Digitalisierung das digitale Leben „gläsern“ macht.
Eine Einführung macht mit Chancen und Risiken vertraut; dazu gibt es gleich die ersten Beispiele: Otto in Hamburg, Lufthansa Technik und Viessmann in Berlin. Danach geht der Blick Richtung Nordrhein-Westfalen zu Henkel und Grohe, aber auch zu Hidden Champions wie der Harting-Gruppe. In Bayern sind Jungheinrich, die Wenzel Group, Lamilux und natürlich KUKA gute Beispiele, in Baden-Württemberg Firmen wie Festo und Trumpf. Der Blick über den Tellerrand nach Österreich zeigt, dass dort Namen wie Erema, Radel & Hahn und LiSEC, aber auch Red Bull digital erfolgreich unterwegs sind. Auf die Chancen der Digitalisierung geht dann Matthias Meyer genauer ein, der Beispiele aus den Bereichen Big Data, Augmented und Virtual Reality sowie Open Innovation nennt. Eher in Richtung Disruption geht das Digitalisierungsinterview, das wir mit Andreas Franken geführt haben; mit ihm haben wir außerdem über die Folgen für den Arbeitsmarkt gesprochen. Weitere Gastbeiträge behandeln das Thema aus der Perspektive von Marketing und Vertrieb, Kundendienst, Logistik, Baubranche und Gastronomie sowie Kommunikationstechnologie. Nicht zuletzt steht auch die Digitalisierung der Energiewende an.
Fazit: Bitte mehr Verbraucheraufklärung!
70 % der befragten Verbraucher halten eine Zwangsdigitalisierung durch den Einbau intelligenter Stromzähler für falsch, wie eine Umfrage im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) ergeben hat. Offensichtlich besteht hoher Bedarf an Aufklärung, wie die Daten der Verbraucher geschützt werden sollen. Eine Orientierungshilfe zum Datenschutz bei Smart Metern haben die Aufsichtsbehörden für den Datenschutz bereits vor Jahren veröffentlicht. Hier ist die Energiebranche gefordert: Sie muss deutlicher machen, wie sie die Forderungen der Datenschützer genau umsetzen will. Sonst wird die Digitalisierung der Energiewende zu einem (mindestens: gefühlten) Datenschutzproblem wird.
Die Digitalisierung und die neuen direkten Datenschnittstellen mit den Kunden verlangen nach neuen Kompetenzen, folgert auch die Oliver-Wyman-Studie „Netzkompass“. Demnach werden Datenschutz und Datensicherheit in zehn Jahren die Top-Themen im Netzgeschäft sein. Für Netzbetreiber gelte es also, sich für die wichtigen technologischen Trends zu rüsten und der digitalen Revolution Rechnung zu tragen. Besonders dem Thema Daten- und IT-Sicherheit sollte hohe strategische Bedeutung zugemessen werden, so die Studie.
Das aktuelle Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende ist ein gutes Beispiel, dass jede Digitalisierung immer auch an Kunden und Verbraucher denken muss – und das heißt: an den Schutz der Kunden- und Verbraucherdaten. Anders können Digitalisierungsvorhaben keinen Erfolg haben, bei allen wirtschaftlichen Vorteilen. Nicht nur diese Vorteile sollten verstärkt kommuniziert werden, sondern eben auch das, was Politik und Unternehmen dabei für den Datenschutz tun. Energiewende, Digitalisierung und Datenschutz gehören zusammen.
Oliver Schonschek bewertet als News Analyst auf MittelstandsWiki.de aktuelle Vorfälle und Entwicklungen. Der Fokus liegt auf den wirtschaftlichen Aspekten von Datenschutz und IT-Sicherheit aus dem Blickwinkel des Mittelstands. Er ist Herausgeber und Fachautor zahlreicher Fachpublikationen, insbesondere in seinem Spezialgebiet Datenschutz und Datensicherheit.
Oliver Schonschek, Tel.: 02603-936116, www.schonschek.de