Dresscode: Was IT-Profis im Schrank haben sollten

Die IT-Branche gilt ja als ziemlich cool. Männer mit Laborkitteln über weißen Hemden mit Krawatten sah man doch zuletzt, als sich bratpfannengroße Magnetbänder in den Rechnerschränken drehten. Müssen sich IT-Fachkräfte heute noch den Kopf zerbrechen, in welchem Aufzug sie zur Bewerbung erscheinen?

Was soll ich nur anziehen?

Von Michael Praschma

Die Frage, ob es in der IT-Arbeitswelt noch Dresscodes gibt, ist mitnichten abwegig. Zum Suchbegriff „Dresscode IT-Branche“ spuckt Google über 100.000 Ergebnisse aus. Eine kleine Legion von Job-Beratern erklärt frischgebackenen Einsteigern, worauf es bei den vermeintlichen Äußerlichkeiten ankommt. Spoileralarm: Den einen Dresscode für IT-Fachkräfte gibt es definitiv nicht.

Die Antwort: je nachdem

Diversität breitet sich fast überall aus: in der Personalpolitik (langsam, aber sicher), bei angemessener Sprache (Vorsicht: vermintes Gelände), in Social Media (jetzt sind schon wieder alle woanders) – und ebenso beim äußeren Erscheinungsbild, Outfit und persönlichen Auftreten. In der Freizeit gibt es nur noch wenige Bastionen mit verbindlichen Kleidungsvorschriften. In der Berufswelt hat sich das zwar auch gelockert, aber: längst nicht überall; „locker“ heißt noch lange nicht, dass man nicht auch hier falsch angezogen sein kann.

Die Sache wird nicht einfacher dadurch, dass IT-Fachkräfte in den verschiedensten Branchen tätig sind und innerhalb dieser Branchen wiederum in Firmen mit unterschiedlichen Unternehmenskulturen. Das Gefälle von förmlich zu lässig verläuft etwa in der Linie traditionelles Bank-, Beratungs- oder Versicherungsunternehmen – große Agentur – Medienhaus/Verlag – mittelständischer Betrieb – Start-up, Softwareschmiede.

Damit nicht genug! Zum Bewerbungsgespräch wird man anders gekleidet erscheinen als im beruflichen Alltag, im Backoffice anders als im Kundenkontakt und als Junior Assistant besser nicht formeller als die Geschäftsleitung, denn: Die Position spielt eine gewichtige Rolle.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Kurzer Styleguide für das Outfit

Ein Klischee über Digitalnerds ist ja, dass Garderobenfragen völlige Nebensache sind. Wer sich also bisher nicht für Mode und Kleidungsstile interessiert hat, sollte sich zunächst mit einigen neuen Begriffen auseinandersetzen.

  • Casual: Eigentlich Freizeitkleidung, aber abgehoben von einem Schlabberlook à la Jogginghose; also Jeans ja, aber nicht abgewetzt; saubere Sneakers in gutem Zustand, T-Shirts, aber ohne provokanten Aufdruck; Röcke und (nicht zu freizügige) Oberteile, farbige Blusen und Oberhemden.
  • Business Casual: Dieser Stil drückt Lässigkeit, Bequemlichkeit und eine gewisse Nonchalance aus, aber bereits mit einem Hauch von Eleganz und gehobenem Niveau. Jeans gehen hier noch, sollten aber makellos und gepflegt sein. Hemden und Shirts werden gerne gebügelt gesehen, jedenfalls nicht zerknittert. Farben ja, aber reduziert; Schuhe (gepflegt!) dürfen bequem und bis zu einem gewissen Grad sportlich sein. Pullover und Freizeitjacken gehören bei Männern wie Frauen durchaus in den erlaubten Spielraum.
  • Smart Casual/Casual Schick/Business Attire: Diese Dresscodes werden uneinheitlich und oft überlappend verwendet. Sie gelten als Vorstufe zum formellen Business-Dress. Es handelt sich hier immer noch um legere Kleidung. Faustregel: Man wäre damit tagsüber auch in besseren Restaurants gern gesehen, würde aber schon vorsichtshalber keinesfalls mit Kindern auf den Spielplatz gehen. Konkret: Lederschuhe; gedeckte Farben, miteinander und mit Accessoires wie Gürtel, Tasche etc. abgestimmt, Blazer, Sakko und helle, höchstens dezent gemusterte Hemden bzw. Blusen.
  • Business Formal: An der Spitze der Pyramide wird der Dresscode wieder übersichtlich. Zwei- oder dreiteilige Anzüge (mit geschlossenem Hemd und Krawatte) bzw. Kostüm/Hosenanzug, meist in Schwarz, Grau, Dunkelblau; die Schuhe oder Pumps geschlossen und aus feinem Leder. Vereinzelt anzufindende Extravaganzen wie etwa helle Anzüge mit farbenfrohen Einstecktüchern, Socken und Krawatten oder hochmodische Damenkleidung, britischer Landhaus-Stil etc. erlauben sich fast ausschließlich Inhaber und Vorstände.
  • Overdressed, underdressed und No-Gos: Ausnahmen bestätigen die Regel, aber: Fast immer unangebracht sind zum Einstieg Outfits wie High Heels, abgewetzte Sneakers, aufgerissene Jeans, kurze Hosen und Miniröcke, Springerstiefel, aber auch „Abendgarderobe“, Fliege, auffälliger Schmuck, Lederkluft etc. auf der nach oben offenen Extravaganz-Skala.

Bewerbung, Vorstellung, Pitch

Unsicherheit über die richtige Kleidung dürfte bei Berufsanfängern vor allem beim Bewerbungsgespräch auftreten, zusätzlich zum ohnehin verständlichen Lampenfieber – auch wenn am IT-Stellenmarkt der Fachkräftemangel Bewerber oft in eine komfortablere Situation bringt als die Firmen.

Dennoch, wie immer der Dresscode in der angestrebten Position aussieht: Es ist auch wichtig, sich in einer solchen Situation nicht derart ungewohnt zu „verkleiden“, dass man sich unwohl fühlt, denn das würde sich wiederum negativ auf den Eindruck beim Personaler niederschlagen. Das gilt sinngemäß auch für den Fall, dass es einen Erstkontakt per Videocall gibt. Und es gilt erst recht, wenn man sich als Freelancer einem potenziellen Auftraggeber vorstellt oder auf eine Projektausschreibung pitcht bzw. im Unternehmensauftrag eine Präsentation bei einem Kunden abliefert.

Dresscode-Recherche

Für IT-Kräfte wird eine bestimmte Arbeitskleidung bzw. ein Kleidungsstil nur selten durch den Arbeitsvertrag oder eine Anweisung vorgegeben sein. Und dann liegt der Fall sowieso klar. Meist gilt ansonsten: Ist man einmal eingestellt, klärt sich die Frage des angemessenen Outfits rasch von alleine. Oder sie lässt sich bei Unsicherheiten im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen klären.

Und vorher? Wer eine Firma noch nicht selbst von innen gesehen und einen Eindruck vom Kleidungsstil dort bekommen hat, sollte im Vorfeld die Unternehmenswebsite auf verwertbare Informationen durchkämmen. Auf Seiten wie „Über uns“ oder „Unser Team“ sind zumindest Führungspersonal und einige Verantwortliche abgebildet. Auch Karriere- oder Job-Seiten des Unternehmens und eine Seite mit Presseinformationen können Hinweise liefern.

Fehlen solche Quellen, könnte die Erkundung mit einer Suchmaschine oder auf Social-Media-Kanälen der Firma Fotos zutage fördern, wo Beschäftigte des jeweiligen Unternehmens bei unterschiedlichen Gelegenheiten abgebildet sind. Dabei kann es eine Rolle spielen, ob es sich um Führungspersonal oder einfache Mitarbeiter handelt – muss aber nicht sein.

Für Bewerbungsgespräche – immer die heikelste Situation in diesem Zusammenhang – gilt jedenfalls, dass man möglichst nicht overdressed erscheint, also „vornehmer“ gekleidet als das Gegenüber. Ganz allgemein empfiehlt es sich, Extreme und Extravaganzen zu vermeiden. Niemand braucht als graue Maus aufzutreten, aber grelle Farben und Kombinationen wirken ebenso wie kuriose oder sehr „offenherzige“ Kleidungsstücke oder großformatiger auffälliger Schmuck in der Regel unangebracht und lenken auch von der Person ab.

Ich kann auch anders

Höfliche Offenheit hat noch selten geschadet. Da kaum ein Unternehmen explizit beschreibt, wie man zum Bewerbungsgespräch erscheinen soll (und wenn es nicht gelingt, das selbst herauszufinden), ist eine höfliche Anfrage in der Personalabteilung oder bei dem Ansprechpartner für das Bewerbungsgespräch legitim – und jedenfalls besser als ein peinlicher Auftritt.

Sollte sich aber erst beim Gespräch herausstellen, dass man kleidungsmäßig falschliegt, kann man immer noch das Beste daraus machen, indem man das Thema selbst anspricht, signalisiert, dass man sich der Situation bewusst ist und ganz unverkrampft fragt, wie es denn mit dem Dresscode aussieht – man ist ja lernfähig!

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Michael Praschma ist Texter, Lektor und Redakteur. Er beherrscht so unterschiedliche Gattungen wie Werbetext, Direct Marketing, Claims, Webtext, Ghostwriting, Manuals oder PR. Außerdem treibt er sich – schreibend und anderweitig engagiert – in Journalistik, Non-profit-Organisationen und Kulturwesen herum. Seine Kunden kommen aus verschiedensten Branchen. Am MittelstandsWiki schätzt er die Möglichkeit, mit eigenen Recherchen auf den Punkt zu bringen, was Verantwortliche in Unternehmen interessiert. → https://praschma.com/

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