In den Kommunen erreicht das OZG die Menschen
Von David Schahinian und Eduard Heilmayr
Das Onlinezugangsgesetz (OZG) ist ein Bundesgesetz. Es sind aber in der Regel die Kommunen, die als direkte Schnittstelle zum Staat fungieren. Das Rathaus ist Bürgerinnen und Bürgern buchstäblich näher als der Berliner Reichspalast. Insofern war es besonders interessant, beim 9. Fachkongress des IT-Planungsrates auch Einblicke in ihre Arbeit mit der OZG-Umsetzung zu erhalten.
Vom Online-Fachkongress am 17. und 18. März 2021 aus Dresden berichtet ein Mehrteiler im MittelstandsWiki: Teil 1 geht mit den Positionen von Ernst Bürger, Jan Pörksen und Dr. Markus Richter das Onlinezugangsgesetz von politischer Seite an. Der Folgebeitrag dreht sich um die konkrete OZG-Umsetzung in den Kommunen. Teil 3 berichtet schließlich von einzelnen Themenfeldern, auf denen bereits Erfolge zu verzeichnen sind.
„Die ersten Schritte sind gemacht, aber wir haben noch viel Weg vor uns“, sagte der Wurzener Oberbürgermeister Jörg Röglin. Er skizzierte den Weg der Stadt zur kommunalen Verwaltung 4.0. Nicht selten stehen die Kommunen im Spannungsfeld von örtlichem Bedarf und übergreifenden Vorgaben: Einerseits wollen sie die Bedürfnisse ihrer Einwohnerinnen und Einwohner genau kennen, andererseits müssen sie aber bundesweite Regelungen umsetzen. Hier ist Spielraum wichtig. „Wir haben für uns Lösungen entwickelt, von denen wir glauben, dass sie tragfähig sind. Das kann aber in anderen Städten, Gemeinden, Ländern und im Bund ganz anders aussehen“, schickte Röglin denn auch vorweg.
Die Aufgaben sind keineswegs trivial, auch wenn sie sich manchmal, wie etwa die Hundesteueranmeldung, so anhören. Seit 2005 gibt es in Sachsen bereits das verwaltungsübergreifende Serviceportal Amt24 mit Servicekonten und Antragsmanagement. Um einen SEPA-Lastschriftauftrag anzugeben, musste jedoch die Webseite gewechselt, ein Formular ausgefüllt, eingescannt und wieder hochgeladen werden. In der Verwaltung wurde es wieder ausgedruckt und weiterbearbeitet. Ein medienbruchfreier und rein digitaler Prozess sieht anders aus. Neben dem Aufwand bedeutete das vor allem auch lange Bearbeitungszeiten.
Ein anderes Mindset muss her
Das technische Know-how ist dabei eine Sache. Röglin hob, wie einige andere Vortragende, auf dem Kongress in Dresden hervor, dass mit der Digitalisierung auch ein Bewusstseinswandel in den Verwaltungen einhergehen müsse: „Die heutzutage hochgradig agilen Prozesse setzen voraus, dass wir eine ganz andere Fehlerkultur an den Tag legen als bisher. Es geht nicht darum, nicht zu scheitern, sondern darum, aus Fehlern zu lernen.“
Das Ziel war also klar: Die Verarbeitung von den Eingangs- bis zu den Ausgangsdaten sollte künftig möglichst automatisiert ablaufen. So könnten nicht nur die Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen zeit- und ortsunabhängig erledigen. Auch die Verwaltung könnte unabhängiger und weniger prozessgetrieben agieren. Die Corona-Krise mit dem massenhaften Umzug ins Homeoffice hat gezeigt, wozu das gut sein kann. In Wurzen soll das mit einem integrierten, interkommunalen Dienstleistungszentrum, das rein IT-basiert ist, erreicht werden.
Vortragsfolien zum Download: Das Material zum Vortrag „Der Weg zur kommunalen Verwaltung 4.0. Vorstellung des Projektes ‚RathausCloud‘“ von Jörg Röglin gibt es – ebenso wie weitere Vorträge – beim IT-Planungsrat als PDF zum Herunterladen. (Bild: Jörg Röglin/Stadtverwaltung Wurzen – IT-Planungsrat)
Immer mehr Projektpartner
Gestartet ist das konkrete Projekt mit zwei Verfahren: der Gewerbeanmeldung und den verkehrsrechtlichen Anordnungen. Und mit Partnern. Ausgangspunkt war ein Aktionsrahmen des Wurzener Landes, ein Zusammenschluss aus zunächst vier Kommunen. Mittlerweile sind es in ganz Sachsen 18 Projektpartner. Praktisch wurde zunächst analysiert, welcher Nutzen im Vordergrund stehen soll – für die Bürgerinnen und Bürger und für die Verwaltung.
Bei der Umsetzung kommen agile Arbeitsmethoden zum Einsatz. „Konkret sind wir vom Großen ins Kleine gegangen: Wir haben unsere Prozesse innerhalb der einzelnen Kommunen standardisiert und eine Produktvision aufgestellt. Dann haben wir sogenannte Personas entwickelt.“ Das sind Modelle, die Personen einer Gruppe und ihre Merkmale charakterisieren. So wurden Anja Antrag und Gabi Gewerbeanmeldung geboren. Schließlich wurden Use Cases und Leistungsbeschreibungen entwickelt, die das alte Lastenheft ersetzten. Sie ermöglichten es, die Aufgaben nach Bedarf zu priorisieren.
Noch ist man in Sachsen auf dem Weg. Die benötigte Software wurde ausgeschrieben, nun steht die Infrastruktur auf der Agenda: „Wir brauchen einen Dienstleister, der uns die entsprechende Rechentechnik zur Verfügung stellt.“ Danach sollen die Dienste entworfen werden. Man versteht sich nicht als geschlossene Gruppe, im Gegenteil: „Wer Interesse hat, an dem Projekt mitzuarbeiten, ist herzlich eingeladen“, so Röglin. Weitere Informationen dazu sind auf rathaus-cloud.de abrufbar.
Kommunen sollen mitreden
„Bislang waren OZG-Umsetzung und Digitalisierung eher Dinge, die auf Bundes- bzw. auf Landesebene gestaltet wurden“, stieg Dr. Philipp Willer in seinen Vortrag ein. Er ist für den IT-Verbund Schleswig-Holstein (ITV.SH) tätig, der sich als Partner der Kommunalverwaltungen in Schleswig-Holstein versteht. Dass diese ein „gewichtiges Wörtchen“ bei der Gestaltung der Digitalisierung mitreden sollten, ist für ihn wichtig: „Schließlich werden 70 bis 80 % der Dienstleistungen der öffentlichen Hand auf kommunaler Ebene vollzogen.“ Der ITV.SH sieht sich als kommunales Kompetenzzentrum für die Kommunen im Bundesland, als Koordinator und Treiber, als Kommunikator und Coach. Er sorge dafür, so Willer, dass die OZG- und Digitalisierungsprojekte „zielorientiert und kraftvoll nach vorne getrieben werden“.
Vortragsfolien zum Download: Das Material zum Vortrag „OZG-Umsetzung auf kommunaler Ebene“ von Philipp Willer gibt es – ebenso wie weitere Vorträge – beim IT-Planungsrat als PDF zum Herunterladen. (Bild: ITV.SH – IT-Planungsrat)
Wie Röglin hob auch Willer hervor, dass mit dem OZG nur dann viel gewonnen sei, wenn Anträge nicht nur digital gestellt, sondern auch in den Verwaltungen digital bis zum Bescheid weiterbearbeitet werden können. „Zu diesem Zweck betreiben wir ein Portal im Namen der Kommunen in Schleswig-Holstein.“ Es soll nicht nur weiteren Kommunen angeboten werden. Der ITV.SH werde auch die Institution sein, die die EfA-Dienstleistungen („Einer für Alle“), die von den Themenfeldführern entwickelt werden, nach Schleswig-Holstein importieren werden, so Willer.
Strategische Ziele für das laufende Jahr seien die Umsetzung der wichtigsten OZG-Leistungen pro Fachbereich sowie die Organisation des Roll-outs in den Kommunalverwaltungen. Zudem soll deren Stand bezüglich der Digitalisierung und OZG-Umsetzung festgestellt und es sollen entsprechende Maßnahmen abgeleitet werden. Die Arbeit geht voran: „Wir haben zusammen mit dem Land einen Prozess entwickelt, wie konkret Online-Dienste in Schleswig-Holstein umgesetzt und von den Kommunen nachgenutzt werden sollen.“
Dieser Prozess besteht laut Willer aus insgesamt sechs Schritten, von der Auswahl neuer Online-Dienste über die Informationsbeschaffung und Anforderungsanalyse bis hin zum Roll-out. Das Ganze wird von einem Monitoring begleitet, sodass jede Verwaltung jederzeit erkennen kann, welcher Dienst sich aktuell in welcher Phase befindet. Damit ist der Status eines jeden Einzelprojekts transparent abrufbar.
Kongressdokumentation
Die meisten Folien zu den Vorträgen der beiden Kongresstage gibt es online als PDF-Downloads beim IT-Planungsrat. Auf YouTube findet man außerdem eine Videozusammenfassung. (Bild: IT-Planungsrat)
Kommunikation ist wichtig
Um die Information in die Kommunen zu bekommen, wurde ein sogenanntes OZG-Update initiiert. Denn für die Verwaltungen in Kreisen, Städten und Gemeinden ist es sehr wichtig, zu wissen, wo welche Projekte gerade stehen. Sie müssen ihrerseits sicherstellen, dass sie entsprechende Vorbereitungsarbeiten termingerecht abschließen. Das Update ist ein Dialogformat, das interaktiv über ein digitales Whiteboard durchgeführt wird. Dort können Verwaltungen auch Rückmeldung etwa dazu geben, wie die Arbeit des ITV.SH und die Projekte beurteilt werden oder welche Wünsche noch berücksichtigt werden sollten. Zur Ermittlung des Digitalisierungsstandes einer Kommune hat der ITV.SH einen Schnelltest entwickelt, in dem auch analysiert wird, welcher Input vor Ort noch benötigt wird und wo eventuell auch Erfahrungen von anderen Kommunen weiterhelfen können.
Bei aller nötigen Standardisierung sollen die Kommunen ihre Eigenständigkeit behalten, betonte Willer. Als Beispiel nannte er das Bürgerportal, das jeweils auf sie zugeschnitten werden kann. „Das halte ich auch für sehr wichtig, weil jede Kommune anders tickt und wir die kommunale Identität nicht nur nach außen, sondern auch nach innen bewahren wollen.“ Schnittstellen wie das von Dataport entwickelte OSI-Plugin könnten die Brücke schlagen zwischen zentralen EfA-Diensten und der nach wie vor heterogenen IT-Landschaften in den Kommunen.
Kleine Stadt, großes Herz
Welche Herausforderungen die OZG-Umsetzung in einer kleinen und finanzschwachen Stadt wie Wermelskirchen mit sich bringt, berichtete Beate Wichmann. Sie koordiniert dort das E-Government. Mit inzwischen rund 40 Online-Dienstleistungen kann sich die Bilanz auf den ersten Blick sehen lassen. Möglich wurde das nicht zuletzt „mit einer großen Portion Herz“. Dennoch sagte Wichmann, dass die Stadt, die rund 35.000 Einwohner hat und sich seit 2012 im Haushaltssicherungskonzept befindet, in puncto Digitalisierung noch am Anfang stehe.
Vortragsvideo: Den Vortrag „Mit Herz und Verstand Digitalisierung gestalten“ von Beate Wichmann gibt es als Videoaufzeichnung auf Vimeo.(Bild: Beate Wichmann/sinopsis AG – Vimeo)
„Wir hatten von Anfang an ein klares Ziel vor Augen: Wir möchten die digitale Transformation aktiv gestalten und nicht darauf warten, dass gesetzliche Vorgaben umzusetzen sind.“ Daraus ergab sich ein ganzheitliches Vorgehen. Dazu zählen die Qualitätsverbesserung und Effizienzsteigerung der Leistungen sowie ein zeitgemäßer Kundenservice. Dazu zählt aber auch, zu wissen, warum man das Ganze macht. Hier spielt nicht nur die Erwartungshaltung der Bürgerinnen und Bürger eine große Rolle, sondern auch die Positionierung der Stadt als attraktiver Arbeitgeber: „Wir konkurrieren mit umliegenden großen Städten um Arbeitskräfte.“
Als „Herzstück“ für die Digitalisierung der Prozesse wählte man ein DMS (Dokumentenmanagementsystem). Damit soll – auch in Wermelskirchen – erreicht werden, dass alles, was digital in der Verwaltung eingeht, dort auch digital bearbeitet wird. „Es muss eine Durchgängigkeit der Informationen geben“, so Wichmann. „Dafür ist es wichtig, dass das Bürgerportal, die Fachverfahren und das DMS miteinander verbunden sind.“
Zeit- und ortsunabhängige Verwaltungsarbeit
Beim DMS gehe es in erster Linie um Wissens- und Informationsmanagement: „Jede Mitarbeiterin, jeder Mitarbeiter soll von überall und zu jeder Zeit Zugriff auf die vorhandenen Informationen haben.“ Bei der Umsetzung sei auch ein professionelles Veränderungsmanagement notwendig. Jede Verwaltung habe eine eigene, besondere Ausgangslage und müsse daher auch einen individuellen Veränderungsprozess anstoßen – „dafür gibt es keine Standardlösung“. Organisatorisch wurde die digitale Transformation in mehrere Schritte zerlegt: eine Umfeldanalyse, die Festlegung eines Zielbildes, die Definition konkreter Handlungsfelder sowie die Umsetzung in Etappenzielen. Parallel dazu werden selbstredend auch die OZG-Entwicklungen verfolgt: „Wir wollen dann entscheiden, welche Leistungen wir im nächsten Jahr durchgängig anbieten können.“
Wichmann weiß, dass nicht jede kommunale Verwaltung geeignetes und ausreichendes Personal zur Verfügung stehen hat, um einen solch umfassenden Prozess durchzuführen. „Aus unserer Erfahrung kann ich Ihnen nur raten: Lassen Sie sich auf Ihrem Weg extern unterstützen.“ Ein weiterer Tipp von ihr: „Sie müssen alle mitnehmen und begeistern.“ Fehlende Akzeptanz ist ihrer Meinung nach sogar der entscheidende Stolperstein, den es aus dem Weg zu räumen gilt. Wenn alle Beteiligten gemeinsame Ziele verfolgen, dann sei auch das Durchsetzen von Budgets und mehr Personal einfacher. Ein weiteres Learning aus der digitalen Transformation in Wermelskirchen: „Wir brauchen den Mut, auch einmal hierarchische Strukturen zu verlassen und die Arbeit in kleinen Projektteams erledigen zu lassen.“
Bei allem eingesetzten „Herz und Verstand“ gibt es in den Augen von Wichmann aber auch einen Kritikpunkt: „Es fehlt aktuell an Basisförderung für kleine Kommunen, damit diese sich intern digitalisieren können.“ Immerhin biete interkommunale Zusammenarbeit die Möglichkeit, Synergieeffekte zu heben. Dazu hätte sich die Stadt mit anderen Kommunen im Kreis verbunden, um voneinander und miteinander zu lernen und wertvolle Ressourcen besser zu nutzen.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.
Eduard Heilmayr war acht Jahre lang Chefredakteur bei „Markt & Technik“, anschließend dort im Verlagsmanagement tätig. 1992 gründete er die AWi Aktuelles Wissen Verlagsgesellschaft mbH in München, die IT-Fachmagazine wie „LANline“, „Windows NT“, „Unix Open“, „Inside OS/2“ und „Electronic Embedded Systeme“ publizierte. Nach dem Verkauf des Verlags gründete er 2004 Delphin Consult. Neben meist mehrjährigen Projektarbeiten für renommierte Medienunternehmen wie Heise oder techconsult publiziert Heilmayr für rund 4000 Leser regelmäßig den redaktionellen Newsletter „Kommunale ITK“, der im MittelstandsWiki eine eigene Rubrik hat.