Kaffeesatzlesen konkret
Von Eduard Heilmayr, Delphin Consult
Am 12. und 13. Oktober 2017 fand in Hamburg das siebte DATABUND-Forum statt. Über 80 Teilnehmer trafen sich an einem ungewöhnlichen Tagungsort: auf dem Museumsfrachtschiff Cap San Diego an der Überseebrücke im Hamburger Hafen. Auf den ersten Blick war das Thema der Veranstaltung dieses Mal eher unkonkret: „Digitale Kommunen 2020 – wie gestalten wir die Zukunft?“ Der Ersteindruck täuschte. Es war eine spannende Veranstaltung, die in einen tiefen Blick hinter die Kulissen erlaubte.
Dafür gab es mehrere Gründe: aktuelle politische Ereignisse, eine offene Vortrags- und Diskussionsatmosphäre und zuallererst – kompetente Referenten. Diese stellten das Thema digitale Kommune aus verschiedenen Blickwickeln in den Mittelpunkt ihrer Vorträge. Das Ergebnis: eine rundweg interessante und zukunftweisende Vortrags- und Netzwerkveranstaltung.
Detlef Sander ist Vorstandsvorsitzender der net-Com AG und im DATABUND e.V., außerdem im Vorstand des Bundesverbands Deutscher Internet-Portale. Der DATABUND als Verband der mittelständischen IT-Dienstleister und Softwarehersteller für den öffentlichen Sektor begleitet aktiv, fachkompetent und oft auch kritisch die derzeitige Verwaltungsdigitalisierung. Der DATABUND ist zugleich Interessenvertretung für den öffentlichen IT-Sektor und Ansprechpartner für Entscheider aus Politik und Verwaltung.
DATABUND – Bundesverband der mittelständischen IT- Dienstleister und Softwarehersteller für den öffentlichen Sektor e.V., Europaplatz 2, 10557 Berlin, Tel.: 030-220 661 600, info@databund.de, www.databund.de
In seiner Begrüßung stellte Detlef Sander, Vorsitzender des DATABUNDs, die Ausgangssituation klar: Der Staat sei im Rückstand, „was die eigene Digitalisierung betrifft“, aber, so Sander weiter, „er ist erst recht im Rückstand, was die allgemeine Digitalisierung betrifft.“ Sein Vorwurf: Die politischen Entscheider beschäftigten sich zu wenig oder gar nicht mit aktuellen Zukunftsthemen.
Onlinezugangsgesetz und Portalverbund
So richtig widersprechen wollte oder konnte der erste Referent dem DATABUND-Vorsitzenden nicht. Als Stellvertretender Leiter der Abteilung O Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsorganisation im Bundesinnenministerium kennt MinDir. Ernst Bürger die Ausgangssituation genau. „Wir sind im EU-Vergleich im unteren Mittelfeld“, bestätigt er denn auch Sanders Kritik. Prägnantes Beispiel dafür: Im eGovernment Benchmark Report 2016 der EU nimmt Deutschland einen enttäuschenden 18. Platz ein. Bürger, seit einem Jahr in dieser Verantwortung im BMI, will das mit aller Macht ändern. Und er hat auch genaue Vorstellungen, wie: „Meine Aufgabe ist es, mich um die Digitalisierungsprojekte zu kümmern.“ Dazu gehörten als Erstes die Themen „Bundesportal und Portalverbund von Bund Ländern mit Digitaliserungsprogramm“.
Basis für alle weiteren Schritte ist für Bürger das Onlinezugangsgesetz (OZG). Es wurde mit den notwendigen Anpassungen im Grundgesetz am 14. August 2017 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht und ist bereits wirksam. Verbunden ist damit eine Reihe von Verordnungsermächtigungen, welche die Vorgabe von IT-Komponenten bei Verwaltungsdienstleistungen, die Gewährleistungen der IT-Sicherheit im Portalverbund und die technischen Kommunikationsstandards im Portalverbund der genutzten informationstechnischen Systeme regeln sollen.
MinDirig Ernst Bürger leitet die Unterabteilung „Verwaltungsdigitalisierung und Verwaltungsorganisation; Steuerung/Koordination OZG; GS IT-Planungsrat“ im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI).
Die Geschwindigkeit, mit der das OZG durch alle parlamentarischen Gremien gebracht wurde, ist erstaunlich. Und noch etwas war auf dem DATABUND-Forum deutlich zu erkennen. Noch im März zur CeBIT war das Thema Portalverbund und das als gesetzliche Grundlage dazu diskutierte OZG von Verbänden, Länder- und Kommunenvertretern heftig kritisiert worden. Insbesondere irritierten die Vorgehensweise und die Geschwindigkeit des Gesetzgebungsprozesses sowie die, so die Sichtweise der Kritiker, mangelnde Kommunikation und Einbeziehung der Fachleute. Auf dem DATABUND-Forum zeigte sich das Klima deutlich erkennbar gewandelt: Die Parteien gehen aufeinander zu und streben eine konstruktive Zusammenarbeit an. Konkrete Arbeitsfelder wurden angesprochen und erste gemeinsame Arbeitsgruppen sind in der Definitionsphase.
Die verbesserte Kommunikation liegt sicherlich auch daran, dass Bürger in seinem Vortrag wichtige „Botschaften“ aussendete: So sei der Portalverbund „keine Zentralisierungsveranstaltung des Bundes“, sagte er. „Es ist und bleibt ein Partnerschaftsverbund auf Augenhöhe mit gleicher Verantwortung!“ Bürger betonte des Weiteren, dass das Projekt „in Bewegung sei“ und er noch viel Raum für Änderungen, Anpassungen und Optimierungen sehe, die er auch erwarte. Als einen ersten Beitrag habe der Bund die Betaversion eines Serviceportals entwickelt. Dieses werde in naher Zukunft online gestellt.
Zum Abschluss seines Vortrages benennt Bürger klare Zielsetzungen: „Der Portalverbund ist der Einstieg in einen Dienstleistungsverbund der deutschen Verwaltung; Unternehmen und Bürger stehen im Mittelpunkt.“ Und auch das gesamtpolitische Ziel benennt Bürger klar: „In fünf Jahren müssen wir im europäischen Vergleich vorne stehen.“
Serie: DATABUND-Forum
- Teil 1 beginnt 2013 mit den eID-Funktionen des neuen Personalausweises und führt direkt zum Datenschutz. Teil 2 knüpft mit der Frage nach Vertrauen und Sicherheit im Web an und schildert die heftige Diskussion um Standards.
- 2014 ging es in Köln darum, was Bürger und Unternehmen von E-Behörden erwarten und ob die kommunale ITK entsprechend aufgestellt ist.
- 2016 stand die „digitale Gewaltenteilung“ im Fokus, und der DATABUND stellte sein „Hemer Manifest“ vor.
- 2017 fand das Forum in Hamburg statt: Teil 1 des ausführlichen Vortragsberichts beginnt mit dem Onlinezugangsgesetz, in Teil 2 erklärt dann Prof. Dr. Thorsten Siegel die Konditionen des kommenden Portalverbunds. In Teil 3 holt Stephan Hauber zu einem Rundumschlag aus: Er sagt, wie eine vernünftige Aufgabenstelllung aussehen sollte, und skizziert die weitere Entwicklung auf dem Markt für Kommunalsoftware.
- 2019 in München waren das Onlinezugangsgesetz und der anvisierte Portalverbund das Hauptthema. Für die Kommunen wird die Umsetzung nicht ganz einfach werden.
- 2021 ging es bei der virtuellen Veranstaltung in Berlin schwerpunktmäßig um die Digitalisierungsstrategie insgesamt – und darum, wo dabei die Wirtschaft bleibt.
Digitale Daseinsvorsorge auf Kreisebene
Dr. Kay Ruge ist Beigeordneter des Deutschen Landkreistags. In seinem Vortrag „Die Kreisverwaltung als natürlicher Digitalisierungsknotenpunkt der Kommunalverwaltung“ legte er dar, wie sich die Digitalisierung der Verwaltung aus Sicht des Spitzenverbands der Kreise auf Bundesebene darstellt. Dem Landkreistag gehören knapp 300 Landkreise an; er nimmt damit die Interessen von etwa drei Vierteln der kommunalen Aufgabenträger und von rund 58 Millionen Bürgern wahr.
Den Einstieg machte Ruge mit einem Aspekt, der so deutlich von Bürger nicht benannt worden war, wenn es um die Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung geht: „Für uns sind die mittelständischen IT-Dienstleister ganz wichtige Akteure.“ Ruge belegt dies unter anderem mit der Aufgabenvielfalt und den damit verbundenen Handlungsfeldern der kreisbezogenen und kommunalen Verwaltungsarbeit. Beispiele, die er nennt, sind: Breitbandausbau mit flächendeckendem Glasfasernetz, Mobilfunknetz 5G, IT-Sicherheit und Datenschutz, Geodateninfrastruktur. Im Blick habe man dabei, so Ruge, die „digitale Daseinsvorsorge und Lebenswelten“. Die sich daraus ergebende Digitalisierungsstrategie für Kreise, Städte und Gemeinden sei dreigliedrig: Daseinsvorsorge, Wirtschaft und Verwaltung. Alle drei Themenfelder seien gleichrangig zu berücksichtigen.
Dr. Kay Ruge ist Beigeordneter im Deutschen Landkreistag und dort unter anderem für E-Government, Digitalisierung und Verwaltungsreformen zuständig. Er ist beratendes Mitglied im nationalen IT-Planungsrat sowie Fachautor, zuletzt zur Europäischen Dienstleistungsrichtlinie.
Dr. Kay Ruge, Deutscher Landkreistag, Ulrich-von-Hassell-Haus, Lennéstraße 11, 10785 Berlin, Tel.: 0)30-590097-309, kay.ruge@landkreistag.de, www.landkreistag.de
Der Status-quo-Bewertung von Sander und Bürger im Bezug auf die digitale Verwaltung stimmt Ruge zu – und ergänzt, dass es keine echte E-Goverment-Strategie gebe. Es mangele an politischem Willen, Ressourcen und Verbindlichkeit. Auch sei bisher auf diesem Gebiet der Bund kaum aktiv, die Länder nur punktuell, die Kommunen aber regelmäßig, so Ruges kritische Erkenntnisse.
Die beste Digitalisierungsstrategie ist der Zwang
Die Sicht der Kommunen, also der untersten staatlichen Verwaltungsebene in Deutschland, vermittelte Dr. Martin Hagen von der Finanzverwaltung in Bremen. Er überraschte die Zuhörer in seinem Vortrag „Rolle der Städte in der digitalen Verwaltungsgesellschaft“ mit einer Reihe provokanter Thesen. So sei der angestrebte Portalverbund „zu sehr von innen nach außen gedacht“. Konkret zweifelt Hagen, ob die Bürger grundsätzlich digitale Verwaltungsdienste in Anspruch nehmen möchten. Sicherheitsbedenken, zitierte Hagen diesbezügliche Studien, sind unter anderem für die Bürgerskepsis verantwortlich.
Dr. Martin Hagen ist seit 2011 Leiter der Stabsstelle für Zentrales IT-Management und E-Government bei der Senatorin für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen. Er hat dort bereits zum Informationsfreiheitsgesetz gearbeitet, zur Problematik Bürgerportal kann er ein eigenes, vom BMBF ausgezeichnetes Referenzmodell für Online-Transaktionssysteme im E-Government vorlegen.
Dr. Martin Hagen, Die Senatorin für Finanzen, Rudolf-Hilferding-Platz 1, 28195 Bremen, Tel.: 0421-3614746, office-ref02@finanzen.bremen.de, www.finanzen.bremen.de
Trotz der „Digitalisierungseuphorie“ im Lande sei für ihn keine übergreifende Aufbruchstimmung erkennbar, „jedenfalls nicht aus Länder- oder kommunaler Sicht“. Für seinen Geschmack sei auch die aktuelle Gesetzgebung noch viel zu unkonkret. Er stelle sich mit Bezug auf §1 OZG die Frage: „Was heißt eigentlich ‚Portalverbund für digitale Verwaltungsleistungen‘?“
Ausgehend von seiner Akzeptanzanalyse der bestehenden Online-Dienstleistungen in der deutschen Verwaltungslandschaft und anderen europäischen Vorbildern, an erster Stelle Dänemark, legt Hagen eine weitere überraschende These vor. Sein Credo lautet: „Die beste Digitalisierungsstrategie ist der Zwang.“ Er belegt dies mit der Nutzungshäufigkeit von gesetzlich vorgeschriebenen Online-Verwaltungsprozessen, wie Handelsregistereintragungen (95 % Online-Nutzung, in Bremen sind es 13.000 pro Jahr) oder Umsatzsteuervor- und Lohnsteueranmeldungen (98 % Online-Nutzung). So viel zur Pflicht. Ohne rechtlichen Zwang seien selbst positive Zahlen deutlich geringer. Hagen nennt als Beispiel die Online-Steuerklärung ELSTER (60 % Online-Nutzung, bei Unternehmen 80 %). Ernüchternd ist: „80 weitere angebotene Online-Verwaltungsdienste werden fast oder gar nicht genutzt.“
Sein Ansatz sei, so Hagen weiter, ernsthaft den „Wegfall von Anträgen“ zu prüfen. Er nennt diese Denkweise „event-driven“ und führt eindrucksvoll das Beispiel Geburt im Vergleich zur Ist-Situation aus. Für ihn ist klar: „Wir müssen die Digitalisierungsprojekte organisatorisch neu aufstellen.“ Es gehe dabei konkret um „antragslose Verfahren, nicht um digitale Signaturen oder De-Mail etc.“ Bund und Länder sollten die Gesetze entsprechend ändern; Kommunen, Rechenzentren und Softwarehersteller hätten diese dann umzusetzen. Die digitalen Angebote aus dem Steuerbereich (ELSTER) und der Justiz (Einsichtportal) müssten in die gemeinsame Strategie von Bund, Ländern und Kommunen integriert werden, so Hagens Forderung. Eine Änderung der Verfassungsordnung, etwa in Bezug auf den Föderalstaat, oder der kommunalen Selbstverwaltung hält er indes nicht für erforderlich.
- Mit einer Führung durch das Museumsschiff, dem gemeinsamen Abendessen und angeregten Gesprächen bei der Whisky-Verkostung schloss der erste DATABUND-Forumstag in Hamburg. Vom folgenden Tag, an dem Prof. Dr. Thorsten Siegel von der FU Berlin zum Portalverbund sprach, berichtet Teil 2 dieser Serie.
Eduard Heilmayr war acht Jahre lang Chefredakteur bei „Markt & Technik“, anschließend dort im Verlagsmanagement tätig. 1992 gründete er die AWi Aktuelles Wissen Verlagsgesellschaft mbH in München, die IT-Fachmagazine wie „LANline“, „Windows NT“, „Unix Open“, „Inside OS/2“ und „Electronic Embedded Systeme“ publizierte. Nach dem Verkauf des Verlags gründete er 2004 Delphin Consult. Neben meist mehrjährigen Projektarbeiten für renommierte Medienunternehmen wie Heise oder techconsult publiziert Heilmayr für rund 4000 Leser regelmäßig den redaktionellen Newsletter „Kommunale ITK“, der im MittelstandsWiki eine eigene Rubrik hat.