Mobilitätskonzepte für Nordrhein-Westfalen: Wo Carsharing und E-Roller die City entlasten

Fahrverbote für Diesel stehen im Raum, Busse und Bahnen nähern sich ihren Kapazitäts­grenzen: Von 2011 bis 2017 ist die Zahl der Berufs­pendler in Nord­rhein-West­falen um eine halbe Million gestiegen. Neue Konzepte müssen her, und zwar rasch. Umwelt, Energie und Lebens­raum lauten die Rahmenparameter.

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Von Dirk Bongardt

Mehr Straßen sind keine Lösung. Das Auto, über viele Jahre der Mittelpunkt allen verkehrspolitischen Handelns, ist nach wie vor ein wichtiges Transportmittel, aber längst nicht mehr das einzige. Und es hat viel von seiner Funktion als Statussymbol eingebüßt: Gerade in den Ballungsräumen verzichten viele auf ein eigenes Kraftfahrzeug und nutzen öffentliche Verkehrsmittel. Wer dann doch einmal auf ein Individualfahrzeug angewiesen ist, greift auf ein Car- oder Bikesharing-Angebot zurück.

Apropos Bike: Während die Elektrifizierung der Automobile nur langsam vorankommt, boomt das E-Bike: Knapp eine Million davon wurde 2018 in Deutschland verkauft, Experten prognostizieren, in Zukunft werde eines von drei verkauften Fahrrädern elektrische Trittkraftunterstützung bieten. Parallel dazu etablieren sich E-Roller als parkfreundliche Transportmöglichkeiten für die City – die Energieversorgung Oberhausen mit evo und die Düsseldorfer Stadtwerke mit eddy zeigen, dass das auch im Sharing-Modus funktioniert.

Kommunenübergreifende Zusammenarbeit

Das Zukunftsnetz Mobilität NRW geht auf eine Initiative des Landesverkehrsministeriums zurück. Damit will die Landesregierung Städte, Gemeinden und Kreise für die Herausforderungen moderner Mobilität rüsten und miteinander vernetzen. „Mehr Mobilität mit weniger Kfz-Verkehr“ benennt die Landesregierung die Herausforderung, der sie mit dieser Initiative begegnen will. Das Zukunftsnetz soll Kommunen bei der Initiierung und dem Betrieb eines kommunalen Mobilitäts­managements unterstützen. Konkret gehören dazu die Förderung von öffentlichem Nahverkehr, Angebote für das Carsharing, sowie Initiativen und Anreize, die Verkehrs­teilnehmer dazu bewegen sollen, Fahrgemeinschaften zu bilden, auf das Rad umzusteigen oder gleich zu Fuß zu gehen.

Vier Koordinierungsstellen – Ostwestfalen-Lippe, Rheinland, Rhein-Ruhr und Westfalen – bedienen innerhalb des Zukunftsnetzes inzwischen 163 Städte, Gemeinden und Kreise. Nicht zuletzt sollen diese Koordinierungsstellen für den erforderlichen Wissenstransfer sorgen: Gemeinden können darüber auf einen Pool an kommunalen Mobilitätskonzepten zugreifen, die sich anderenorts bereits bewährt haben, und diese, angepasst an die örtlichen Gegebenheiten, für sich nutzbar machen.

Weiterbildung in der Verwaltung: Lehrgang Kommunales Mobilitäts­management
Die Geschäftsstelle des Zukunfts­netzes Mobilität NRW bietet für alle Gebiets­körperschaften in NRW den Lehr­gang Kommunales Mobilitäts­management für kommunale Verwaltungs­mitarbeiter und -mitarbeiterinnen an.

In dieser Weiterbildung vermitteln die Ausbilder wichtige Elemente einer nachhaltigen Mobilitäts­entwicklung. Dabei können die Teilnehmer z.B. Werkzeuge zur Umsetzung und Steuerung erproben. Neben den fachlichen Aspekten stehen insbesondere auch kommunikative Handlungs­felder im Fokus. Im Verlauf des Lehrgangs erarbeiten die Teilnehmer gemeinsam und unter fachlicher Begleitung der Experten, wie ein kommunales Mobilitäts­management in ihren Kommunen konkret umgesetzt werden kann. Eine rechtzeitige Anmeldung ist ratsam – die Lehrgänge sind meist rasch ausgebucht.

Mehr Carsharing für in Köln

Bis Anfang 2019 konnten die Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen Anbietern von Carsharing nur Stellflächen an Bundesstraßen zur Verfügung stellen. Relevant für derartige Angebote sind aber überwiegend Flächen an kommunalen Straßen oder Landesstraßen. Erst seit einer Änderung des Straßen- und Wegegesetzes Ende Februar 2019 haben Gemeinden nun die Möglichkeit, solche Parkplätze auf den innerstädtischen Straßen auszuweisen.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen bereits verfügbaren Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Die Stadt Köln etwa will Carsharing-Anbietern die Möglichkeit einräumen, weitere feste Sharing-Stationen zu eröffnen oder vorhandene Stationen zu erweitern. Künftig sollen dort 25 statt wie bisher 15 % der mit einem Verbrennungsmotor ausgestatteten Fahrzeuge eines Carsharing-Anbieters an festen Stationen im öffentlichen Straßenraum platziert werden dürfen.

Förderung für E-Lastenräder

„NRW ist das Fahrradland Nr. 1 in Deutschland“, so ist es auf www.radverkehrsnetz.nrw.de zu lesen. Das Radwegenetz verbindet alle Städte und Gemeinden des Landes mit einer einheitlichen Wegweisung für den Radverkehr. Es verknüpft die Zentren der Kommunen sowie die Bahnhöfe auf kurzen und direkten Wegen miteinander und bietet dabei auch eine Reihe hochwertiger touristischer Ziele.

Nicht ganz so gut ausgebaut ist das Netz an Fahrradstationen, wo beispielsweise Pendler ihre Fahrräder tagsüber überdacht und diebstahlsicher abstellen können: Seit 1995 gibt es das Programm „100 Fahrradstationen in NRW“, mit dem die Landesregierung den Bau solcher sicheren Häfen fördern will, doch bis heute existieren gerade einmal 61 solcher Stationen im „Fahrradland Nr. 1“.

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Sowohl an Pendler als auch an Freizeitradler richtet sich der Online-Routenplaner, den NRW unter www.radroutenplaner.nrw.de zur Verfügung stellt. (Bild: Ministerium für Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen)

Das Fahrrad ist, wie gesagt, auch der Fahrzeugtyp, bei dem sich die Elektromobilität bereits sichtbar durchsetzt. Dem tragen viele Regierungsbezirke in NRW mit entsprechenden Fördermitteln Rechnung. Die Förderung für E-Lastenfahrräder kann fast jeder beantragen, der in einer Stadt mit hoher Feinstaubbelastung lebt. Die Landesregierung fördert im Fall einer Zusage einen Neukauf mit bis zu 30 %, höchstens aber mit 1000 Euro. Noch bis September 2023 soll dieses Förderprogramm laufen.

Ladestationen und Umweltfahrspuren

Natürlich fördert Nordrhein-Westfalen nicht nur den Kauf von (Lasten-)Fahrrädern. Zusätzlich zu den vom Bund ausgelobten Fördermitteln können Unternehmen, Gewerbetreibende, Vereine und Verbände eine Kaufprämie für die Anschaffung von Elektrokraftfahrzeugen erhalten – unter einigen Voraussetzungen: Die geförderten Fahrzeuge dürfen maximal eine Laufleistung von 1000 km aufweisen und dürfen keine Standschäden aufweisen. Darüber hinaus müssen die Fahrzeuge zu mindestens 80 % in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werden, die Verantwortlichen müssen das auf Verlangen auch über ein Fahrtenbuch nachweisen. Die Fördersummen liegen bei 4000 Euro für Pkw und Transporter unter 2,3 t, respektive 8000 Euro für Transporter bis unter 7,5 t. Bei Leasing oder Langzeitmiete gewährleistet das Land einen Zuschuss maximal bis zur Höhe der Anzahlung.

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Unternehmen, Gewerbetreibende, Vereine und Verbände mit Standort in Nordrhein-Westfalen können zusätzlich um Umweltbonus des Bundes eine NRW-Förderung für Elektro- und Brennstoffzellenfahrzeuge bekommen. Wichtig: vor Vertragsabschluss beantragen!). Den Antrag kann man auf elektromobilitaet.nrw online stellen. (Bild: Land Nordrhein-Westfalen)

Eine der größeren Herausforderungen der Elektromobilität ist jedoch die Ladeinfrastruktur: In den vergangenen zwei Jahren wurden zwar 3841 Förderanträge bewilligt, landesweit aber nur 171 Ladepunkte auch tatsächlich gebaut und in Betrieb genommen, darunter ganze 17 Schnellladepunkte. Dabei fördert das Land den Aufbau von (öffentlichen) Ladesäulen mit bis zu 5000 Euro, maximal 50 % der Investitionssumme. Hier gilt als Voraussetzung: Die Ladesäule muss sich aus erneuerbaren Energien oder aus vor Ort eigenerzeugtem regenerativem Strom speisen.

Mit einer ganz anderen Art von Förderung experimentiert Düsseldorf: Seit April 2019 führen auf einigen Straßen Extrafahrspuren für umweltfreundlichere Fahrzeuge an den zu Stoßzeiten unvermeidlichen Staus vorbei. In Anspruch nehmen dürfen diese Spuren neben Taxis und Bussen auch Elektroautos und eben Fahrräder. Das Experiment ist aber zunächst auf ein Jahr beschränkt, bis dahin wird sich zeigen, ob sich der Verkehr auf diese Weise entlasten und die Verkehrsteilnehmer zum Umstieg auf umweltfreundlichere Transportmittel bewegen lassen. In einem Interview mit dem ZDF schätzt der Verkehrsexperte Prof. Ferdinand Dudenhöffer diese Maßnahme allerdings eher kritisch ein: „Die Staus werden nach meiner Einschätzung eher länger, die Wartezeiten werden länger, die Luft in Düsseldorf wird eher schlechter“, prognostiziert der Experte.

Serie: Mobilität 4.0
Der Einführungsbeitrag beginnt in Berlin – die Bundeshauptstadt ist experimentierfreudiger Vorreiter neuer Mobilitätskonzepte. Gute Beispiele meldet der Report auch aus Hamburg und Dresden. Teil 2 begibt sich dann in den Westen nach Nordrhein-Westfalen; dort hat das Zukunftsnetz Mobilität NRW viele Projektfäden in der Hand. Eine wichtige Rolle spielt hier der öffentliche Personennahverkehr, denn immer mehr Verkehrsbetriebe lassen ihre Busse mit Biogas fahren. Teil 3 geht zu den Ursprüngen der Automobilindustrie und sieht sich an, wie sich Baden-Württemberg und insbesondere Stuttgart die Zukunft der Mobilität vorstellen. Teil 4 berichtet aus dem benachbarten Flächenland Bayern, Teil 5 fährt über die Grenze nach Österreich. Außerdem gibt es bereits einen Report zu mobilen Stauwarnanlagen und intelligentem Verkehrsmanagement sowie zu autonomen Schiffen, Wasserstoffprojekten, Business-Bikes, Stadtseilbahnen sowie Lufttaxis und Urban Air Mobility.

Der ÖPNV setzt auf Digitalisierung

Im öffentlichen Personennahverkehr setzen die Verantwortlichen große Hoffnungen in die Digitalisierung. So hat der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) im Zeitraum von März bis August 2018 erstmals das nextTicket, ein App-basiertes Abrechnungsverfahren, getestet. Den Passagieren bot das System ungekannte Flexibilität: Sie konnten spontan ein- und aussteigen, ohne sich vorher über den benötigten Tarif Gedanken machen zu müssen. Abgerechnet wurde auf Basis der gefahrenen Kilometer. Bei einer Mehrheit der Tester kamen sowohl das Verfahren als auch die Art der Abrechnung gut an.

Ein anderes Projekt, dessen konkrete Umsetzung allerdings noch aussteht, hat die digitale Verknüpfung aller Auskunftssysteme zum Thema. ÖPNV-Nutzer sollen sich dann über ein einheitliches System landesweit über Fahrpläne, aber auch über Verspätungen und Ausfälle, informieren können.

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Im November 2018 kam der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr auf der hypermotion in Frankfurt mit seinem nextTicket auf den 3. Platz des NUMBR1-Awards. (Bild: Verkehrsverbund Rhein-Ruhr – Messe Frankfurt Exhibition GmbH)

Teststrecken für autonome Fahrzeuge

Zu den Mobilitätsthemen, die vor allem mit der Digitalisierung in Verbindung gebracht werden, gehört das autonome Fahren. Projekte, die sich damit beschäftigen, existieren, sie bewegen sich aber eher im Bereich der Forschung: auf 5G-Teststrecken zwischen Edge Computing, Machine Vision und künstlicher Intelligenz.

So erproben 16 Partner aus den Bereichen Verkehrstechnik, Telekommunikation zusammen mit Automobil- und Systemherstellern im Programm Kooperative Mobilität im digitalen Testfeld Düsseldorf (KoMo:D) auf einer 20 km langen Teststrecke vernetztes und hochautomatisiertes Fahren unter realen Bedingungen. Auch in Aachen wird an dieser Thematik geforscht, dort allerdings auf einem reinen Testgelände. Auf dem Gelände in Aldenhoven bei Aachen gibt es Kreuzungen, Parkbereiche, Haltestellen, Kreisverkehr, Zebrastreifen und Gebäudeattrappen. Dort sollen Forschungsfahrzeuge und Prototypen in komplexen Verkehrssituationen getestet werden. Federführend ist hier das RWTH-Institut für Kraftfahrzeuge.

Dem Wandel die Bremse lösen

Dass die Herausforderungen – aber auch die Möglichkeiten – der zukünftigen Mobilität ein Umdenken in der traditionellen Verkehrspolitik erfordern, scheint bei den Verantwortlichen in NRW angekommen: Carsharing-Parkplätze in Innenstädten, Ökofahrspuren für umweltschonende Fahrzeuge, Förderungen für Fahrräder und Elektrokraftfahrzeuge zeigen das. Doch vieles braucht Zeit. Beim Aufbau einer Ladeinfrastruktur etwa sollte besser nicht so viel Zeit vergehen wie bei der Errichtung von Fahrradstationen.

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Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.


Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de

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