Im Algorithmenviertel
Von Friedrich List
Die Smart City ist leise, sicher, sauber und grün, digital vernetzt, verfügt über intelligente Verkehrsleitsysteme und ein umweltfreundliches Ressourcen- und Energiemanagement. Verkehrsmittel sind überwiegend elektrisch betrieben und als ÖPNV am besten gleich vollautomatisiert. Die öffentliche Verwaltung hat dank Digitalisierung immer geöffnet und ermöglicht den Bürgern außerdem zuvor ungekannte Mitwirkungsmöglichkeiten. – Smart City ist kein fixer Plan, sondern ein ganzes Bündel von Konzepten, das von technologischen Entwicklungen getrieben wird und diese selbst wieder antreibt.
Deutsche Städte liegen im Mittelfeld
In einer Studie von 2017 untersuchte die Unternehmensberatung Roland Berger 87 Großstädte auf der ganzen Welt mit Blick darauf, welche Strategien sie auf dem Weg zur Smart City verwenden und wie erfolgreich sie mit ihren Bemühungen sind. Im Ranking schnitten Wien, Chicago und Singapur am besten ab, deutsche Städte landeten Mittelfeld. Für Smart-City-Dienstleistungen und -Lösungen sahen die Autoren der Studie gleichwohl großes Potenzial, wobei sie die meisten Zuwächse in Asien und Europa erwarteten. Der globale Markt für Smart-City-Lösungen lag laut Studie 2017 bei 13 Milliarden US-Dollar. Er soll auf 28 Milliarden Dollar im Jahr 2030 wachsen. Dabei liegt die Asien-Pazifik-Region mit 16 % Wachstum bis 2023 vorne, Europa bringt es auf 16 %, der amerikanische Doppelkontinent dagegen auf 11 %.
Auf europäischer Ebene gibt es bereits entsprechende Förderprogramme, etwa die European Initiative on Smart Cities, die sich die stadtweite Reduktion von Treibhausgasen um rund 40 % auf die Fahnen geschrieben hat. Die European Innovation Partnership for Smart Cities and Communities (EIP-SCC) startete im Juli 2012 und hat zwischen 2014 und 2020 ein Budget von 960 Millionen Euro, um Partnerschaften zwischen Industrie und europäischen Städten zu fördern, aus denen die moderne Metropole von Morgen entstehen soll. Hinzu kommen Fördermaßnahmen im Rahmen des EU-Programms Horizon 2020, die ebenfalls den Umbau europäischer Städte zu Smart Cities vorantreiben sollen.
Teil 1 gibt eine erste Einführung und stellt als Beispiele die Konzepte in Hamburg, Berlin und Göttingen vor. Teil 2 geht nach Bayern und berichtet, was sich in den Münchner Modellvierteln tut. Teil 3 wechselt über die Grenze nach Österreich – dort hat man nämlich bereits eine nationale Smart-City-Strategie und ist führend im Passivhausbau. Teil 4 stürzt sich dann mitten in die Metropolregion Ruhrgebiet und berichtet unter anderem von der digitalsten Stadt Deutschlands. Den deutschen Südwesten nimmt sich zuletzt Teil 5 dieser Serie vor. Ein Extrabeitrag hat außerdem Beispiele dafür zusammengetragen, was Green IT zur Smart City beitragen kann. (Bild: zapp2photo – Fotolia)
Regionale und kommunale Initiativen
Auf deutscher Ebene fehlen dagegen derartige Programme. Eine Empfehlung des BMVI-Beirats für Raumentwicklung von 2017 sieht den Handlungsbedarf zuerst bei den Kommunen selbst. Tatsächlich gibt es in Deutschland Städte und Metropolen, die schon seit Jahren daran arbeiten, eine Smart City zu werden. Recht weit sind große urbane Zentren wie Hamburg oder Berlin. Aber auch in Mittelstädten gibt es Vernetzungsplattformen und Pilotprojekte. Hamburg schloss 2014 ein Memorandum of Understanding mit Cisco Systems ab. Kern der Vereinbarung war damals die Entwicklung einer ganzen Reihe von Projekten: zum intelligenten Verkehr, im Bereich des Hafens, zur Verkehrslenkung und digitale Bürgerdienstleistungen. Technologiefirmen wie AGT International, Philips, T-Systems oder Streetline arbeiteten an den ersten Projekten mit.
In der Senatskanzlei wurde eine „Leitstelle digitale Stadt“ eingerichtet, deren Mitarbeiter ressortübergreifend digitale Projekte koordinieren und an der Gesamtstrategie für die Elbmetropole arbeiten. Viele Ziele von 2014 sind mittlerweile realisiert. So verfügt die Stadt über eine intelligente Straßenbeleuchtung, die heller wird, wenn Radfahrer vorbeifahren. Das Leitsystem der Ampeln registriert, wenn sich Busse oder Lkw nähern, und gibt ihnen längere Grünphasen. Der Hamburger Hafen wird – trotz einiger Rückschläge – zum Smart Port umgebaut, dessen intelligente Infrastruktur Waren- und Verkehrsströme möglichst optimal leiten und Pendler idealerweise per E-Mobilität zur Arbeit und wieder nach Hause bringen soll. Es gibt ein Transparenzportal sowie die Möglichkeit, ein Baumkataster oder Daten zur Luftreinheit abzurufen. Außerdem können Bürger Gutachten einsehen, auf deren Grundlage die Verantwortlichen der Hansestadt ihre politischen Entscheidungen fällen.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazinreihe „IT-Unternehmen stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Mobility-Spitzenreiter Hamburg
Im Juni 2018 schloss sich Hamburg eine der ersten Städte der Urban Air Mobility (UAM) der European Innovation Partnership for Smart Cities and Communities an. Die Hansestadt wird damit zur Modellregion für die Integration von Drohnen und anderen neuartigen Fluggeräten in den Luftraum über der Stadt. Ziel sind Lösungen, wie speziell Drohnen für Vermessungs- und Überwachungsaufgaben oder zum schnellen Transport von medizinischen Gütern sicher im Luftverkehr über der Stadt eingesetzt werden können.
Auf dem Gebiet der urbanen Mobilität ist die Hansestadt insgesamt gut aufgestellt. Dabei spielt nicht nur der Hamburger Verkehrsverbund, der das Nahverkehrsnetz betreibt, sondern auch zahlreiche Unternehmen mit. Zu den angewendeten Konzepten gehören Sharing, Elektromobilität, Big-Data-Verkehrsanalysen und der Ausbau der digitalen Vernetzung. StadtRAD stellt an zahlreichen Punkten Leihfahrräder zur Verfügung. Die Daimler-Tochter Mytaxi testet seit Ende 2017 den Dienst mytaximatch in Hamburg. Wer den Dienst nutzt, teilt das Taxi mit anderen Fahrgästen, die die gleiche oder eine ähnliche Strecke fahren wollen. Dazu stellt der Nutzer über eine App eine Anfrage, die ihm dann eine geeignete Mitfahrt vermittelt. T-Systems wiederum bietet über seine App Park and Joy einen Marktplatz für freie Parkplätze an.Rund 12.000 Parkplätze sind mit Sensoren ausgestattet und vernetzt, sodass Nutzer der App sehen können, wo in ihrer Nähe freie Parklücken zur Verfügung stehen.
Zudem stellt Hamburg erste Versuche mit autonomen E-Bussen an. Das Projekt HEAT (Hamburg Electric Autonomous Transportation) soll zeigen, dass autonome Kleinbusse mit Elektroantrieb sinnvoll als Teil des öffentlichen Nahverkehrs genutzt werden können. Allerdings wird das erste Versuchsfahrzeug ab 2019 zunächst nur auf einem Rundkurs in der HafenCity verkehren. Der Testbetrieb wird am Anfang ohne Fahrgäste und überwacht durch Begleitpersonal durchgeführt. Etwas später, wahrscheinlich im Frühjahr 2019 dürfen dann auch Passagiere zusteigen. Ab 2021, zum ITS-Weltkongress (Intelligent Transport Systems) soll das Kleinbussystem dann komplett einsatzbereit sein. Das von der Firma IAV entwickelte Fahrzeug bietet maximal Platz für 16 Fahrgäste, es orientiert sich mit eigenen Sensoren und einem entlang der Strecke installierten Leitsystem. HEAT soll zu einer Lösung führen, die den Individualverkehr komplett aus der Innenstadt verbannt.
Zukunftsquartiere und Zusammenarbeit
Das von der EU unterstützte Projekt mySMARTLife beschäftigt sich mit den Problemen, die das erwartete Wachstum der Stadt, der Klimawandel und die nötigen CO₂-Einsparungen mit sich bringen. Dabei sollen die Bürger und andere Akteure vor Ort in den Wandlungsprozess einbezogen werden. Hamburg arbeitet hier gemeinsam mit Helsinki und der französischen Hafenstadt Nantes. Außerdem sind Rijeka in Kroatien, das bulgarische Varna sowie Palencia in Spanien und Bydgoszcz in Polen beteiligt. Modellbezirk für Hamburg ist der Bezirk Bergedorf.
Bergedorf arbeitet schon seit einigen Jahren an der Modernisierung und Aufwertung des Schleusengrabens und des angrenzenden Quartiers Bergedorf-Süd. Der Schleusengraben verbindet das Bergedorfer Zentrum und den früheren Hafen mit der Elbe. Mit mySMARTLife sollen jetzt zusammen mit den Anwohnern zeitgemäße Lösungen für die urbane Zukunft entwickelt werden.
Ab Herbst 2018 soll dann das Projekt Digital First Behördendienstleistungen online zugänglich machen. Die Hansestadt will sich damit eine bundesweite Führungsposition bei der digitalen Verwaltung sichern. Als Erstes können Bürger ihre Anwohnerparkausweise online beantragen. Bauunternehmen bekommen die Möglichkeit, Asbestfunde übers Netz zu melden. Ab 2022 sollen Bürger dann online auf die wichtigsten Behördenverfahren zugreifen können.
Das Smart Grid Hamburg spricht LTE
In Zukunft sollen mehr und mehr Elektroautos durch die Straßen der hanseatischen Innenstadt rollen. Derzeit entsteht in Hamburg die dafür notwendige Ladeinfrastruktur und es rollen diverse E-Mobility-Projekte an, unter anderem das HEAT-Pilotprojekt autonom fahrender elektrischer Kleinbusse im öffentlichen Nahverkehr. Zugleich soll das Stromnetz gründlich digitalisiert werden. Dazu verbaut die Stromnetz Hamburg GmbH nun rund 200.000 intelligente Steuerungen, darunter über 105.000 Smart-Meter-Systeme und über 85.000 Ladeinfrastruktur-Applikationen für Elektrofahrzeuge.
Hamburg schafft eine Ladeinfrastruktur für Elektroautos. (Bild: Thorsten Kollmer – Stromnetz Hamburg)
Bei der zugehörigen Kommunikationsinfrastruktur setzt die Stromnetz Hamburg GmbH auf den öffentlichen Mobilfunk und LTE. Für Christian Heine, Geschäftsführer der Stromnetz Hamburg GmbH, ist das „das leistungsfähigste und wirtschaftlichste Konzept“. Dabei kann er sich auf eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik ESK berufen, in der die Möglichkeiten von echtzeitvernetztem Fahren mit LTE und Mobile Edge Computing untersucht werden. Dementsprechend wird die Zahl der LTE-Basisstationen in Hamburg auf über 1000 steigen. Beim Ausbau kooperiert die Stromnetz Hamburg GmbH mit der Deutschen Telekom und Vodafone. Beide Anbieter bauen derzeit in Hamburg ihre Mobilfunknetze aus. (red)
Schwieriger Start in Berlin
In der Bundeshauptstadt verlief der Start in die urbane Zukunft eher schleppend. Zwar verabschiedete der Berliner Senat 2015 eine Smart-City-Strategie, auf die ein Umsetzungsplan folgen sollte. Aber der nach der Wahl kam eine neue Koalition, die diesen Plan kippte. Außerdem entzog man der Stadtentwicklungsverwaltung die Verantwortung für die Smart City Berlin. Die liegt nun zwar theoretisch beim Regierenden Bürgermeister, faktisch ist es aber so, dass sich drei Ressorts mit dem Thema beschäftigen.
Treibende Kraft in der Bundeshauptstadt ist mittlerweile das Netzwerk Smart City Berlin, eine von Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie und der Technologiestiftung Berlin geführte Taskforce, die über 100 Unternehmen und Forschungseinrichtungen versammelt. (Bild: Berlin Partner für Wirtschaft und Technologie)
Auf der anderen Seite verfügt Berlin sehr wohl über zukunftsweisende Lösungen. Die Stadt ist Leitregion für Elektromobilität und führend beim Carsharing. In Berlin-Adlershof errichtet der japanische Elektronikkonzern Panasonic das Modellquartier Future Living Berlin. Es besteht aus 69 Wohneinheiten, dessen Strom- und Wärmefluss sich in einem Kreislaufsystem selbst regulieren soll. Und während der Umgang mit der öffentlichen Verwaltung oder die Suche nach WLAN-Zugängen für die Berliner oft ein Geduldsspiel ist, tun Initiativen aus Forschung und Industrie einiges dafür, dass die Hauptstadt mit dem Rest des Landes mithält.
So programmierten Forscher des Fraunhofer-Instituts für offene Kommunikationssysteme FOKUS ein Navigationssystem, das Sehbehinderte dabei unterstützt, sich in Bahnhöfen oder Einkaufszentren zurechtzufinden. Im Smart Cities Lab des Instituts arbeiten die Wissenschaftler an Lösungen für die zukünftige Stadt. Zu den Projekten gehört das Anfang 2018 gestartete Testfeld 5G für den neuen Mobilfunkstandard. Zum Testfeld des Innovationsclusters gehört nicht nur die Infrastruktur, sondern auch ein 5G Center, das die am Testfeld beteiligten Firmen und Institutionen besser miteinander vernetzen soll. Außerdem betreibt das Smart Cities Lab eine offene Plattform zur Maschinenkommunikation und Ökosystem für zukünftige Internet- bzw. Streaming-Technologien.
Smart-City-Strategien vor Ort
Die bestplatzierte Stadt Deutschlands im EU-Ranking von Smart Cities ist jedoch keine Metropole, obwohl die Vermutung naheliegt. Tatsächlich ist es Göttingen, das zwar Hochschulstandort und Industriestadt ist, aber von der Größe her eher zu den Mittelstädten als zu den Großstädten gehört. Göttingen ist Zentrum des IT-Innovationsclusters Göttingen/Südniedersachsen und liegt im EU-Ranking auf Platz 22. Die Stadt ist dabei, eine eigene Digitalisierungsstrategie zu formulieren. Im Moment wird das WLAN-Netz ausgebaut.
Zudem hat der Stadtrat jüngst beschlossen, die digitale Ratsarbeit auszubauen, indem Tischvorlagen oder schriftliche Antworten der Stadt auf Anfragen von Fraktionen oder Gruppen im digitalen Informationssystem bereitgestellt werden. Auch Protokolle von Ratssitzungen sollen zukünftig dort hinterlegt werden. Auch E-Mobilität spielt eine wichtige Rolle. So fahren seit einem Jahr die ersten elektrischen Busse durch die Stadt. Den Fahrstrom liefern leistungsstarke Akkus, keine Oberleitungen. Außerdem erprobte Hermes 2017 Lastentrikes mit elektrischem Antrieb für Zustellungen im engen Innenstadtbereich.
Vergleichbare Strategien sind bei zahlreichen Mittelstädten zu beobachten, und selbst kleine Gemeinden versuchen sich an Konzepten wie intelligenter Straßenbeleuchtung, in denen sie großes Energie- und Kostensparpotenzial sehen – der Telekom zufolge können die klassischen Laternen über 40 % der städtischen Energiekosten ausmachen. Andere Orte schaffen sich beherzt eine eigene Infrastruktur, um zur Smart City zu werden.
IoT-Netze für Städte und Maschinen
Hinzu kommen Smart-City- und IoT-Projekte der Netzbetreiber: Vodafone etwa errichtet in Städten wie Osnabrück, Walsrode, Uelzen, Celle oder Bernau bei Berlin ein NarrowBand-IoT-Maschinennetz für das Internet der Dinge. Mehr und mehr Geräte sollen ihre Daten über das Internet senden Daten, die es Unternehmen und städtischen Dienstleistern ermöglichen, ihre Arbeit besser zu tun. Über dieses Netz können Strom- und Wasserzähler ihre Daten kontinuierlich übermitteln und so die Besuche von Ablesern überflüssig machen. Vernetzte Mülleimer könnten ihren Füllstand melden und so die Routenplanung für die Müllabfuhr erleichtern. Sensoren in Lagerhallen oder auf dem Bahnhof können Frachtgut überwachen und beispielsweise Alarm geben, wenn Unbefugte auf das Grundstück wollen. Das Maschinennetz ermöglicht auch eine Überwachung freier Parkplätze in der Innenstadt. Ähnlich wie in Hamburg könnten diese Daten über eine App verbreitet werden und den Nutzern bei der Parkplatzsuche helfen.
Vodafone hat mit dem Ausbau des Maschinennetzes Anfang des Jahres begonnen und will es bis September auf ganz Deutschland ausgedehnt haben. Das Rennen gegen die Telekom ist damit in vollem Gange, denn auch diese rollt derzeit ein eigenes NarrowBand-IoT-Netz aus. Im Januar wurde die Versorgung von 600 deutschen Orten gemeldet, darunter Berlin und Potsdam. Und noch jemand mischt in der Smart-City-Vernetzung mit: Der französische Anbieter Sigfox, der seit Kurzem mit der Telefónica-Tochter Telxius kooperiert, will eine vollständige Netzabdeckung in Deutschland noch 2018 schaffen. Dafür braucht er nach eigenen Angaben landesweit lediglich 2500 Basisstationen.
Friedrich List ist Journalist und Buchautor in Hamburg. Seit Anfang des Jahrhunderts schreibt er über Themen aus Computerwelt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raumfahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Internationalen Raumstation. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.