Smart Meter: Warum die Wende am Messgerät hängt

Energiepolitisch ist im Frühjahr 2022 auf einmal eine gründliche Neupositionierung erforderlich. Eines aber muss so oder so kommen: eine flexible Infrastruktur mit intelligenten Netzen und digitalen Stromzählern. Die Versorger und Stadtwerke arbeiten derzeit auf Hochtouren – und auf gut Glück.

Energiewende aus der Steckdose

Von Dirk Bongardt

Die Energiewende ist vor allem eine Stromwende. Das betrifft zum einen dem Umstieg auf erneuerbare Energien bei der Stromerzeugung: Die Energie von Wind, Sonne, Wasserkraft zu bändigen und in elektrische Energie zu verwandeln, erfordert enorme Anpassungen an die Infrastruktur. Zum anderen betrifft es aber auch den Mehrverbrauch an Strom.

Da wäre die Digitalisierung: Vom Rechenzentrum bis zum Endgerät ist digitale Technologie auf Strom angewiesen, E-Government, digitaler Nachrichtentransfer und Videokonferenzen ersparen den Nutzern Wege und reduzieren damit den Bedarf an Energie für den Verkehr – brauchen aber eben auch Strom. Kryptowährungen sind gewaltige Stromfresser. Maschinelles Lernen setzt riesige Datenmengen voraus, die ebenfalls mit elektrischem Strom bewegt und verarbeitet werden müssen. Und während Zeitungen und Bücher noch bei Kerzenschein gelesen werden konnten, brauchen auch Tablets, Smartphones und E-Book-Reader elektrische Energie – als einzelne nicht besonders viel, aber wie überall macht es auch hier die Masse. Einen entscheidenden Beitrag zum Mehrverbrauch liefern Elektromobilität und Wärmepumpen. Im Verkehr wie beim Heizen soll Strom die Energiegewinnung durch Verbrennung ablösen.

Nach einer Schätzung des Wirtschaftsministeriums von Juli 2021 wird der Stromverbrauch deshalb bis 2030 auf eine Größenordnung von 645 bis 665 TWh anwachsen: Zum Vergleich: 2020 waren es noch 488 TWh.

Mehr Strom, mehr Stromerzeuger

Der erwartete Mehrverbrauch ist aber nicht die größte Herausforderung. Die Art, wie künftig Strom erzeugt werden soll – und dazu gehört vor allem die Frage, auf welche Weise Strom nicht mehr erzeugt werden soll –, stellt die Energiewirtschaft vor erheblich größere Probleme. Sonnenschein, die Windstärke, der Seegang, selbst der Füllstand von Talsperren unterliegen erheblichen Schwankungen, und das hat Auswirkungen auf die Strommenge, die auf Basis dieser Energieträger erzeugt wird. Während Braunkohle mit einer verlässlichen Energieabgabe verbrennt und sich die von einem Atomkraftwerk erzeugte elektrische Energie im Prinzip per Schieberegler erhöhen und senken lässt, kann die von Hunderttausenden privater Fotovoltaikanlagen erzeugte Strommenge von einer Minute auf die andere steil abfallen oder ansteigen.

Das ist in beide Richtungen ein Problem: Wird weniger Strom erzeugt als benötigt, führt das unweigerlich zu Stromausfällen – wird mehr Strom erzeugt als aktuell verbraucht, unter Umständen ebenso. Denn das Netz kann Strom nur sehr begrenzt speichern.

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Beim Komplettanbieter SachsenEnergie sieht man sich auch angesichts der zusätzlichen Lasten durch Elektromobilität gut aufgestellt. Allerdings sagt Steffen Klinger, Leiter der Netzplanung für die Ebenen der Mittel- und Niederspannung, im Interview: „Uns hilft es sehr, wenn der Kunde uns erlaubt, die Ladeeinrichtung seines Elektroautos zu steuern.“ (Bild: SachsenEnergie)

Eine zentrale Herausforderung der Energiewende ist es also, auch in Zukunft Stromverbrauch und Stromerzeugung deckungsgleich zu halten. Das Stromnetz, wie wir es kennen, ist darauf ausgelegt, den von wenigen Hundert Erzeugern produzierten Strom über ein Übertragungsnetz an regionale Verteilnetze zu übertragen, die ihn wiederum an die Stromverbraucher verteilen. Damit es in einem solchen Netz nicht zu einem Überschuss kommt, genügt es, zu wissen, zu welchen Zeiten welche Strommengen insgesamt benötigt werden, und die Leistung der Kraftwerke entsprechend anzupassen.

Bei einer Stromerzeugung mit Wind-, Sonnen- oder Gezeitenenergie lässt sich die abgegebene Leistung aber weit schwerer dem erwarteten Bedarf anpassen. Und die meist auf den Dächern von Privathäusern verbauten Fotovoltaikanlagen speisen den Strom nicht ins Übertragungsnetz, sondern direkt in die regionalen Verteilnetze. Bei der Energieversorgung durch diese dezentralen „Kleinkraftwerke“ genügen verlässliche Prognosen zum bundesweiten Stromverbrauch also nicht mehr. Unter- oder Überkapazitäten lassen sich in den Verteilnetzen der Zukunft nur noch abfangen, wenn klar ist, wie viel Strom zu welchem Zeitpunkt in der Region verbraucht wird.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Über­blick mit freien Down­load-Links zu sämt­lichen bereits verfügbaren Einzel­heften bekommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Eine Lösung und ein Problem

Dieses Problem sollen Smart Meter lösen, intelligente Stromzähler, die den Verbrauch nicht nur protokollieren, sondern auch über ein sogenanntes Smart Meter Gateway quasi in Echtzeit zurückmelden, sodass man Lasten oder Überkapazitäten im Netz intelligent ausgleichen kann. Den Einbau von Smart Metern schreibt schon seit 2016 das Messstellenbetriebsgesetz zwingend vor – für Haushalte und andere Verbraucher ab 6000 kWh/a Stromverbrauch sowie Erneuerbare-Energien- und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen ab 7 kW Leistung, sobald technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar.

Die ersten Smart Meter kamen dann Anfang 2020 auf den Markt. Die Verbraucher standen der neuen Technologie anfänglich allerdings mit erheblicher Skepsis gegenüber: Nach einer Umfrage des Branchenverbands bitkom standen anfänglich nur gut ein Drittel der Bundesbürger dieser Technologie offen gegenüber. Inzwischen ist der Anteil allerdings auf immerhin 57 % gestiegen, wohl auch, weil Stromkunden darauf hoffen, dass ihnen die intelligenten Stromzähler Einsparpotenziale aufzeigen.

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Das Stromnetz Hamburg baut derzeit fieberhaft sein Online-Portal, das Stromkunden dann einen detaillierten Überblick über den Stromverbrauch geben wird. Auch sonst informiert der stadteigene Versorger mustergültig über seine smarten Messsysteme. Der Datendeal: Kunden finden heraus, wo bei ihnen Einsparpotenziale liegen, der Netzbetreiber kann die Netzauslastung optimieren. (Bild: Stromnetz Hamburg – Michael Amme)

Deutschland hinkt im Hinblick auf diese Technologie im europäischen Vergleich allerdings weit hinterher: Während die meisten europäischen Staaten inzwischen alle oder einen Großteil ihrer Haushalte mit intelligenten Stromzählern ausgestattet haben, waren in Deutschland Anfang 2022 nur rund 150.000 intelligente Messsysteme mit dem Smart Meter Gateway als Kommunikationsmodul ausgestattet.

Ein Grund für diese langsame Umsetzung ist der Datenschutz, dem die Bürger hierzulande einen sehr hohen Stellenwert beimessen. Smart Meter Gateways werden entsprechend vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik zertifiziert. Verbraucher und Unternehmen, die Smart Meter einsetzen, können sich deshalb heute darauf verlassen, dass die von den Systemen übertragenen Daten sicher und für Dritte unerreichbar sind.

Serie: Smart Grids

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Teil 1 fängt dort an, wo derzeit der Schuh drückt: Der Umstieg auf erneuerbare Energien macht bei vielen dezentralen Erzeugern die Netzstabilität zu einem schwierigen Balanceakt. Die erste Aufmerksamkeit gilt darum (Puffer-)Speichern, Smart Metern – und eben flexiblen Netzen. Das Schüsselstichwort hierzu lautet „Sektorenkopplung“. Teil 2 berichtet aus Nordrhein-Westfalen, welche konkreten Lösungen für Smart Grids dort bereits im Einsatz sind. Teil 3 geht in den Süden und berichtet, wie Bayern bis 2050 seine Energie CO₂-neutral erzeugen will. Ein Extrabeitrag berichtet vom Neubau des 50Hertz-Rechenzentrums, außerdem gibt es einen Smart-Grid-Report aus Österreich. Weitere Regionalreports sind in Vorbereitung. (Bild: EMH metering)

Keine steuerbaren Verbrauchseinrichtungen

Damit intelligente Stromnetze (Smart Grids) die skizzierten Herausforderungen meistern können, müssen sie faktisch in der Lage sein, die Lasten entsprechend zu verteilen. Einen großen Beitrag zur Stabilisierung des Netzes etwa könnten Elektroautos leisten, wenn man sie denn ließe: Etwa, wenn Smart Meter den Ladevorgang bei Lastspitzen für einige Minuten unterbrechen könnten. Autofahrer, die ihre Fahrzeuge über Nacht an der heimischen Wallbox aufladen, bekämen eine solche kurze Unterbrechung überhaupt nicht mit. Oder wenn die Smart Meter Elektroautos bevorzugt zu Zeiten von Überkapazitäten laden würden.

Sind die Stromzähler wirklich intelligent, dann können sie mit einiger Sicherheit vorhersagen, wann die Fahrzeugbesitzer ihre Elektroautos voll geladen benötigen, und könnten den Ladevorgang entsprechend steuern. Die Betonung liegt allerdings auf „könnten“. Denn ein „Steuerbare-Verbrauchseinrichtungen-Gesetz“, das genau solche Szenarien regeln sollte, kassierte der damalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier 2021.

Serie: Green Energy studieren
Mehmet Toprak hat recherchiert, welche Hochschulen Studiengänge für angehende Smart Energy Manager, Umwelt­techniker etc. anbieten. Nach einer ersten Übersicht konzentriert sich Teil 1 dieser Serie auf Nordrhein-Westfalen und den Westen Deutschlands. Teil 2 nimmt sich dann die Studiengänge in Süddeutschland vor.

Auch auf der anderen Seite – bei der Einspeisung von Strom in die Verteilnetze – fehlen bislang weniger die technischen als die rechtlichen Möglichkeiten. Größere konventionelle Kraftwerke müssen auch jetzt schon die eingespeiste Leistung drosseln, wenn zu viel Strom im Netz ist. Auf Windparks und Solaranlagen erstreckt sich die Regelung aber noch nicht. Wenn deren Zahl – wie von der Bundesregierung erhofft und gefördert – in Zukunft deutlich ansteigt, muss auch deren Leistungsabgabe je nach der Last im Stromnetz bedarfsweise gedrosselt werden. Eine entsprechende rechtliche Grundlage ist unabdingbar.

Und noch viel zu tun

Im europäischen Vergleich hinkt Deutschland hinterher: Smart Meter samt Datenübertragung an das Smart Meter Gateway sind selten, die technischen Möglichkeiten eingeschränkt und die rechtlichen Rahmenbedingungen noch nicht zu Ende gedacht. Mit einer wachsenden Zahl dezentraler Stromerzeuger, deren Output stark schwankt, wird das zunehmend zum Problem: Zu viel Strom im Netz ist genauso problematisch wie zu wenig. Nur wirklich smarte Stromnetze können dann noch für Ausgleich sorgen.

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Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.


Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de

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