Internet, Demokratie und Politik
Von Dr. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
Das Internet verändert in zunehmendem Maße Lebensgewohnheiten im beruflichen und privaten Umfeld. Dabei sind die Einstellung und der Abruf von Informationen zu jeder Zeit und an nahezu jedem Ort nur eine Facette. E-Mails verdrängen Briefe und Faxe, selbst für rechtssichere Kommunikation, die bislang Papierform erforderte, entstehen z.B. mit der De-Mail Alternativen im Online-Bereich. Die De-Mail soll insbesondere die Kommunikation zwischen Bürgern und der öffentlichen Verwaltung erleichtern und Medienbrüche beseitigen, aber auch Verträge können auf diesem Wege rechtsverbindlich geschlossen werden.
In ähnlicher Weise wie die rechtssichere Kommunikation sind andere Anwendungen aus dem Bereich des E-Government über das Medium Internet zu werten, als Mittel zur Effizienzsteigerung und der Erleichterung. Mit dem eigentlichen politischen Handeln haben diese Anwendungen allerdings so gut wie nichts zu tun.
Social Networks am Start
In diesen Bereich stoßen allerdings mit zunehmender Kraft die sozialen Netzwerke, die erstmals 1997 auf den Markt kamen. Anfangs war die Anwendung zu komplex und der Nutzen war zu wenig transparent. Außerdem war die Breitbandinfrastruktur zu diesem Zeitpunkt noch nicht gut genug ausgebaut und mit Analoganschluss und Modem dauert der Seitenaufbau meist inakzeptabel lange. Ein weiteres Hindernis für die Massenanwendung war sicher auch die geringe Verfügbarkeit von Digitalfotos.
Ab 2004 waren viele Voraussetzungen für eine Verbreitung von sozialen Netzwerken wesentlich besser. Die Breitbandinfrastruktur über ADSL oder Kabelmodem war in den Ballungsgebieten schon ausgebaut und Digitalkameras verdrängten die analoge Fotografie. Mit der Verfügbarkeit von Open-Source-Softwaretools wie dem Datenbankprogramm MySQL konnten ohne die Barriere hoher Lizenzgebühren Anwendungen programmiert werden.
Global und persönlich: die Communities
Konsequenterweise entstanden mehr oder weniger zeitgleich eine Reihe von sozialen Netzwerken für unterschiedliche Zielgruppen und mit teils unterschiedlicher Funktionalität, von denen einige auch heute noch online sind, z.B. Facebook, MySpace, orkut oder LinkedIn. Zunächst hatte MySpace die größeren Nutzerzahlen als Facebook. Durch intelligente und anwendungsgerechte Produktgestaltung hat Facebook dann aber alle anderen Netzwerke weit überholt, so dass mittlerweile mehr als 600 Mio. Nutzer regelmäßig das Netzwerk nutzen; bei MySpace sind immerhin ca. 300 Mio. Nutzer registriert.
Teil 1 wirft einen Blick auf den Globus und deutet, wo soziale Netzwerke in der Politik mitmischen. Teil 2 sichtet die Online-Meinungsbildung nach Teilhabe, Verfahren und Risiken.
Die sozialen Netzwerke profitieren von der Bereitschaft insbesondere der jüngeren Bevölkerung, nicht nur vorhandene Inhalte zu konsumieren, sondern selber eigene Inhalte zu generieren und dabei auch persönliche Informationen online zu stellen. Ein Kernnutzen ist sicher die Pflege von Kontakten und die Gewinnung neuer Bekanntschaften.
Die Kommunikation zwischen Bekannten über die Netzwerke verdrängt dabei sogar den Austausch über das „klassische“ Medium E-Mail. Die Möglichkeit, eigene Inhalte einzustellen und diese schnell im Kreis der Bekannten zu verteilen, schafft die Voraussetzung dafür, schnell auf Ereignisse zu reagieren und Meinungen online zu diskutieren.
Pop, Partys und Politik
Die diskutierten Inhalte können ein breites Spektrum abdecken, z.B. Musik oder Filme, aber auch politische Themen.
US-Wahlkampf
Auffällig war der Einfluss der sozialen Netzwerke und insbesondere von Facebook im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfes von Barack Obama Ende 2008. Auf diesem Wege konnten erstaunlich viele Wahlhelfer motiviert und Wahlkampfspenden eingesammelt werden. Seither versuchen viele Politiker, diesen Erfolg zu kopieren, und man findet die meisten Politiker mit einer eigenen Seite bei Facebook.
Kolumbien contra FARC
Ebenfalls im Jahr 2008 wurde in Kolumbien über Facebook eine umfassende Protestaktion gegen die kolumbianische Guerilla-Organisation FARC organisiert, die eine Million Menschen auf die Straße gebracht hat. Eine Aktion über soziale Netzwerke kann offensichtlich dann besonders effizient erfolgen, wenn die die Nutzer emotional betroffen sind, wie dies wohl in Kolumbien nach langen Jahren des Terrors der Fall war.
Plagiatsaffäre Guttenberg
Ein interessantes Beispiel für die Rolle der sozialen Netzwerke ist der Fall des ehemaligen Bundesverteidigungsministers zu Guttenberg. Nachdem es immer offenkundiger geworden war, dass der Ex-Verteidigungsminister seinen Doktortitel mit nicht legalen Mitteln erschlichen hatte, das Krisenmanagement eher stümperhaft erfolgte und die Regierung offenbar wieder zur Tagesordnung übergehen wollte, bildete sich Widerstand aus dem akademischen Umfeld. Hierfür war das Netzwerk Facebook eine ideale Basis.
Erstaunlich ist, dass innerhalb kurzer Zeit über Facebook ein offener Brief von über 60.000 Akademikern und Unterstützern mit vollem Namen unterschrieben wurde. Für diese eher zurückhaltende Zielgruppe ist das eine erstaunlich hohe Zahl. Ob der offene Brief eine Rolle bei dem kurz darauf erfolgenden Rücktritt spielte, ist natürlich nicht festzustellen. Parallel zu der Bewegung der betroffenen Akademiker hatten sich auch die Unterstützer von zu Guttenberg bei Facebook organisiert.
Der Fall zeigt, wie ein Vorfall polarisierend wirken kann und in der Wirkung durch die sozialen Netzwerke und die Rückwirkung aus dem Kreis der Bekannten verstärkend wirkt.
Tunesien und die Folgen
Bei den aktuellen Revolutionen in Nordafrika hat das Internet und insbesondere wieder Facebook bei fehlender freier Presse für einen unzensierten Informationsaustausch gesorgt und gleichzeitig die Organisation von räumlich getrennten Gruppen ermöglicht. So spielt das Internet in allen Regionen mit zensiertem und begrenztem Informationszugang eine Alternative, die sich einer staatlichen Kontrolle weitgehend entzieht. Auch in China hat die Regierung schon mehrfach Aktionen gegen das Internet mit seiner selbstorganisierenden, dezentralen Struktur durchgeführt und versucht, das Internet zu kontrollieren. Auf Dauer werden solche Aktionen aber vermutlich nicht erfolgreich sein.
Zielgruppen, die sich selbst bilden
Über das Medium Internet und die sozialen Netzwerke werden somit Kommunikations- und Vernetzungsplattformen geschaffen, die räumliche, zeitliche und soziale Grenzen sprengen und eine unmittelbare Verbindung mit vielen anderen ermöglichen, die sich großteils nicht einmal persönlich kennen. Der Erfolgsfaktor einer einfachen und intuitiven Benutzeroberfläche hilft dabei, die Nutzung in einem weiten Kreis der Bevölkerung und über unterschiedliche Kulturkreise hinweg zu ermöglichen.
- Einen Ausblick auf die politische Willensbildung der Online-Zukunft gibt Teil 2 dieser Serie.