Der Chatbot weiß, was Kunden wünschen
Von David Schahinian
Anfang 2015 sorgte eine Studie für gewaltiges Rauschen im (virtuellen) Blätterwald: Anhand der Auswertung von vergleichsweise wenigen Facebook-Likes konnten Forscher ein besseres Charakterbild einer Person zeichnen als Arbeitskollegen, Freunde oder sogar Ehepartner. Die Kollegen hatte der Rechner schon nach zehn Likes überholt, bei der Gattin oder dem Gatten waren immerhin 300 Likes nötig.
Möglich werden solche Dinge zum einen durch die Verfügbarkeit einer Vielzahl an Daten, zum anderen durch die gestiegene Rechenkapazität, die aus ihnen Muster extrahieren kann. Lernt der Rechner stetig hinzu und sammelt er so Erfahrungswissen an, mit dem er eigenständig Entscheidungen treffen kann, spricht man gemeinhin von Machine Learning oder künstlicher Intelligenz/Artificial Intelligence (KI/AI). Der Begriff ist nicht unproblematisch, da Intelligenz unterschiedlich interpretiert wird. Nichtsdestotrotz legte er in den vergangenen Jahren eine erstaunliche Karriere hin.
Maschine-Mensch-Kombi
Umso interessanter – vielleicht für manche auch beängstigender – sind Pilotprojekte wie die drei folgenden. So kann etwa der Algorithmus, der seit einiger Zeit bei der Talanx-Versicherung eingesetzt wird, 42 Dimensionen einer Persönlichkeit erfassen. Die Software Precire habe gelernt, aus Kommunikation die Wirkungsweise, Emotionen und Eigenschaften eines Menschen vorherzusagen, schreiben die Entwickler des Tools. Teilnehmer müssen lediglich zehn bis fünfzehn Minuten von sich erzählen – was, ist egal. Bereits 150 Bewerber für die oberen Führungsebenen haben den Test bei Talanx absolviert. Vier Vorstände gingen vorneweg – und waren erstaunt, wie genau die Software sie „kennengelernt“ hatte.
Während der Test bei Talanx freiwillig ist und am Ende immer noch Menschen entscheiden, ging die japanische Lebensversicherung Fukoku 2017 einen Schritt weiter. Damit befeuerte sie vermutlich auch Ängste, die viele Menschen mit der Technologie verbinden. Sie ersetzte mehr als 30 Mitarbeiter durch ein KI-System, das die Berechnung von Schäden und Kundenansprüchen präziser und günstiger erledigen können soll als der Mensch. Über die Auszahlung wacht aber auch hier am Ende ein Mitarbeiter aus Fleisch und Blut.
Im Marketing geht es seit jeher darum, Kundenbedürfnisse so genau wie möglich zu erfassen. Kein Wunder also, dass KI auch in diesem Bereich ausgiebig angewendet wird. Bei Zalando zum Beispiel: 250 Arbeitsplätze in der Berliner Marketing-Abteilung fielen dort weg, weil Werbe-E-Mails künftig verstärkt von Algorithmen oder KI-Systemen verschickt werden sollen. Gleichzeitig wurden aber neue Stellen für Entwickler und Analysten geschaffen.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologieunternehmen stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Künstliche Intelligenz im Marketing
Richtet man den Blick von diesen Beispielen auf das große Ganze, bleibt die Frage, wie weit KI tatsächlich schon ist, sprich: welchen konkreten Nutzen KI heute zum Beispiel im Marketing bringen kann. Aufschluss darüber gibt unter anderem eine aktuelle Adobe-Studie. Demnach nutzen weltweit bereits 42 % der Marketing-Spezialisten selbstlernende Algorithmen – oder wollen damit in den nächsten Monaten beginnen. Die Datenanalyse ist mit 51 % der häufigste Anwendungsfall, gefolgt vom E-Mail-Marketing (26 %) und Programmatic Advertising (22 %).
Adobe sieht vor allem fünf Einsatzbereiche. Dazu zählen technologiegestützte Personalisierung und ebensolches Content Management, um die richtigen Inhalte zur richtigen Zeit bereitzustellen. Auch im Targeting ist mit KI eine viel genauere Zielgruppenansprache möglich. Auch das Technologie-Unternehmen Quantcast erwähnt das Stichwort „Brand Safety“. Noch immer spielten die meisten Marketing-Fachleute ihre Botschaften nach „vergleichsweise primitiven Prinzipien“ aus. Erscheint die Werbung dann in unseriösen Umfeldern, könne das zu bösen Überraschungen führen. KI dagegen sei in der Lage, den Kontext semantisch zu analysieren und das Werbeumfeld somit zu optimieren.
Momentan dreht sich alles um ChatGTP. Für die Zeit davor gibt eine Einführung einen ersten Überblick über den Stand der Technologien, die Fortsetzungen skizzieren praktische Einsatzgebiete für KI, insbesondere in der Industrie. Für den Lebenslauf könnten die Ratgeber zur KI-Studienstrategie bzw. zum KI-Studium (auch in Kombination mit Robotik) sowie zum Berufsbild Machine Learning Engineer und zum KI-Manager nützlich sein – aber auch die Übersicht zu den Jobs, die KI wohl ersetzen wird.
Extrabeiträge untersuchen, wie erfolgreich Computer Computer hacken, ob und wann Vorbehalte gegen KI begründet sind und warum deshalb die Erklärbarkeit der Ergebnisse (Stichwort: Explainable AI bzw. Erklärbare KI) so wichtig ist. Hierher gehört außerdem der Seitenblick auf Maschinenethik und Münchhausen-Maschinen. Als weitere Aspekte beleuchten wir das Verhältnis von KI und Vorratsdatenspeicherung sowie die Rolle von KI in der IT-Sicherheit (KI-Security), fragen nach, wie Versicherungen mit künstlicher Intelligenz funktionieren, hören uns bei den Münchner KI-Start-ups um und sehen nach, was das AIR-Projekt in Regensburg vorhat. Ein Abstecher führt außerdem zu KI-Unternehmen in Österreich.
Auf der rein technischen Seite gibt es Berichte zu den speziellen Anforderungen an AI Storage und Speicherkonzepte bzw. generell an die IT-Infrastruktur für KI-Anwendungen. Außerdem erklären wir, was es mit AIOps auf sich hat, und im Pressezentrum des MittelstandsWiki gibt es außerdem die komplette KI-Strecke aus dem Heise-Sonderheft c’t innovate 2020 als freies PDF zum Download.
Ein weiterer Bereich, der derzeit intensiv erforscht wird, sind Chatbots. Unterstützen sie heute noch recht einfache Anfragen, werden sogenannte Conversational Chatbots künftig interaktiver und persönlicher, berichtet die Messe Frankfurt. Mit jedem Gespräch lernen sie dazu und liefern bessere Ergebnisse. Verbunden mit Predictive Analytics könnte die Software irgendwann einmal sogar Konsumentenwünsche und -verhalten vorausahnen. Dem steht momentan unter anderem aber noch die Schwierigkeit, menschliche Sprache nachzuahmen, entgegen. Zudem ist offen, ob sich Kunden mit einem Chatbot anfreunden könnten oder gerade bei individuellen Wünschen nicht lieber mit einem persönlichen Kundenbetreuer sprechen wollen.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.
Zusätzliche Fähigkeiten auf Chip
KI kann bereits viel, aber ein vollwertiger Ersatz für menschliche Fähigkeiten ist sie noch lange nicht – und sie wird es vielleicht auch nie sein. Viel wichtiger ist, die Chancen zu sehen, die sie bei der Unterstützung der eigenen Tätigkeit bieten kann. Die Technologie ist da, und sie wird in den nächsten Jahren immer intensiver angewendet werden.