Stabil in der E-Kurve
Von Dirk Bongardt
So mancher, der sein E-Auto unterwegs nachladen muss, kann sich in dieser Zeit bequem eine ausgiebige Brotzeit gönnen, ein paar Kreuzworträtsel lösen und daran oft auch noch einen mehr oder weniger ausgedehnten Spaziergang anhängen. Aber schon lange nicht mehr jeder – dank dreier Brüder. Johann, Markus und Philipp Kreisel heißen die drei Oberösterreicher aus Rainbach im Mühlkreis, und ihre Akkus laden schneller, fassen mehr Energie und sind wahrscheinlich sogar langlebiger als die des US-Riesen Tesla. In nicht allzu ferner Zukunft wollen sie die 80-Prozent-Ladezeit von derzeit rund 18 auf etwa 5 Minuten reduzieren. Besser als die von Tesla sind ihre Akkus schon jetzt.
Super-Akku aus der Garage
Die Geschichte der Kreisel-Brüder und ihrer Akku-Innovationen beginnt – wie in so vielen Gründungsmythen – tatsächlich in einer Garage, wenn auch in einer ziemlich großen. Als sich ihr Vater 2012 einen Renault Fluence Z. E. zulegte, genügte den dreien eine Probefahrt, um sie für die Elektromobilität zu begeistern. Doch während die Fahreigenschaften, besonders das Drehmoment des elektrischen Franzosen, sie faszinierten, sorgte sein Akku für Frust: Kaum mehr als 50 km schaffte der in der bergigen Region, bis er wieder an die Steckdose musste.
Also begannen die Brüder, eigene Elektroantriebe zu entwickeln. Ihr erstes Feierabendprojekt war ein Audi A2, dessen Verbrenner-Innenleben sie durch einen Stromantrieb ersetzten. Inspiriert von diesem ersten, mäßigen Erfolg (der Audi war mit den seinerzeit erhältlichen Komponenten ziemlich schwer), versuchten sie sich an der Umrüstung eines Porsche Carrera. Und für den entwickelten sie dann auch gleich ein neues Batteriemodul.
Dabei setzten die Kreisel-Brüder auf Rundzellen, wie sie sonst nur Tesla verwendet. Rundzellen gleichen äußerlich den im Handel erhältlichen Mignonzellen, wie sie zum Beispiel in TV-Fernbedienungen stecken, nur dass in einem Batteriemodul für ein E-Auto rund 8000 davon zum Einsatz kommen. Die Energiedichte in Rundzellen ist höher als in flachen Zellen, die von den meisten anderen E-Auto-Herstellern bevorzugt werden, weil sie einfacher zu verbauen sind. Tesla nutzt zwar ebenfalls Rundzellen, verschweißt diese aber konventionell, um sie miteinander zu verbinden. Kreisel stellt die notwendigen Verbindungen dagegen mit einem Laser her, um Energieverluste zwischen den Zellen zu minimieren. Außerdem umspült eine spezielle Kühlflüssigkeit die Zellen im Batteriemodul. Dadurch erwärmen sie sich weniger stark, etwa bei Lastspitzen oder während des Ladevorgangs. 15 % mehr Kapazität im Vergleich zu den Batteriemodulen von Tesla, eine schnellere Ladung und eine Lebensdauer von prognostizierten 400.000 km bietet der Super-Akku von Kreisel Electric.
Die Kreisel-Brüder sind die Shootingstars der Batterieforschung. Für den Fahrzeugtuner ABT Sportsline rüstete Kreisel Electric einen Abt Audi RS6 mit „Magic Button“ aus, der einen zusätzlichen Elektromotor anwirft und als Boost noch einmal 288 PS (213 kW) und 317 Nm zusätzliches Drehmoment dazuschaltet. (Bild: ABT Sportsline)
Auch nach den 400.000 km muss der Energiespeicher übrigens nicht entsorgt werden, sondern hat, mit dann noch 80 % seiner ursprünglichen Kapazität, ein zweites Leben als stationärer Stromspeicher, etwa zur Pufferung einer Fotovoltaikanlage vor sich.
Denn inzwischen hat sich Kreisel längst auch auf diesem Markt eingerichtet: Unter dem Markennamen Mavero entwickelt das Unternehmen auch Energiespeicher-Batteriezellen für den Privatgebrauch. 2017 nahm Kreisel die Produktion in einer neu gebauten Fabrik für die eigene Batteriefertigung mit einer Kapazität von 800.000 kWh auf. Die 7000 m² große Zentrale wurde am 19. September 2017 offiziell eröffnet. Sie umfasst neben einer Prototypenwerkstatt eine komplett automatisierte Fertigungslinie für Batteriespeicher.
Der Einführungsbeitrag beginnt in Berlin – die Bundeshauptstadt ist experimentierfreudiger Vorreiter neuer Mobilitätskonzepte. Gute Beispiele meldet der Report auch aus Hamburg und Dresden. Teil 2 begibt sich dann in den Westen nach Nordrhein-Westfalen; dort hat das Zukunftsnetz Mobilität NRW viele Projektfäden in der Hand. Eine wichtige Rolle spielt hier der öffentliche Personennahverkehr, denn immer mehr Verkehrsbetriebe lassen ihre Busse mit Biogas fahren. Teil 3 geht zu den Ursprüngen der Automobilindustrie und sieht sich an, wie sich Baden-Württemberg und insbesondere Stuttgart die Zukunft der Mobilität vorstellen. Teil 4 berichtet aus dem benachbarten Flächenland Bayern, Teil 5 fährt über die Grenze nach Österreich. Außerdem gibt es bereits einen Report zu mobilen Stauwarnanlagen und intelligentem Verkehrsmanagement sowie zu autonomen Schiffen, Wasserstoffprojekten, Business-Bikes, Stadtseilbahnen sowie Lufttaxis und Urban Air Mobility.
Strom in Salzwasser
Ebenfalls 2012, in demselben Jahr, in dem die Erfolgsgeschichte der Brüder Kreisel ihren Anfang nahm, startete auch BlueSky Energy. Das Start-up aus dem kleinen Ort Vöcklamarkt ist, zumindest auf dem Gebiet der Elektromobilität, kein Wettbewerber. BlueSky Energy legt den Fokus ganz auf stationäre Stromspeicherlösungen.
Das tun inzwischen viele Unternehmen. Was BlueSky Energy vor anderen auszeichnet, war vor einiger Zeit in einem TV-Beitrag zu bewundern, bei dem zu sehen war, wie jemand mit einem Jagdgewehr auf das Speichermodul schoss. Bei konventionellen Speichermodulen hätte das wahrscheinlich zu einer Explosion, sicher aber zu einem Brand geführt. Bei den Akkus von BlueSky entstand lediglich ein Leck, aus dem eine dunkle Flüssigkeit tropfte, von der BlueSky-Geschäftsführer Helmut Mayer einen Schluck nahm, um zu dokumentieren, wie unbedenklich das Speichersystem seines Unternehmens ist.
2020 holte BlueSky Energy die komplette Zellenfertigung seiner Salzwasserbatterien aus China ins oberösterreichische Frankenburg. Möglich wurde das durch die verstärkte Nachfrage – und durch rund 500 Kleininvestoren. Die Serienfertigung soll in Q1/2021 starten. (Bild: BlueSky Energy)
Die meisten konventionellen Stromspeicherlösungen setzen auf Lithium. Das ist jedoch explosiv und entzündet sich an der Luft bereits bei Normaltemperatur. Ein Lithiumbrand kann mit gängigen Feuerlöschmitteln wie Wasser oder Stickstoff nicht gelöscht werden, und bei Hautkontakt führt das Alkalimetall augenblicklich zu schweren Verbrennungen oder Verätzungen. So sinnvoll und notwendig Lithium in vielen Anwendungsszenarien ist, es ist auch brandgefährlich.
Ganz anders die Stromspeicher, die BlueSky Energy unter der Marke Greenrock vertreibt. Was da aus dem durch den Schuss geschlagenen Leck lief, war vergleichsweise harmloses Salzwasser. Dieses Salzwasser umspült in den Greenrock-Energiespeichern aus Edelstahl eine Kathode aus Manganoxid sowie eine Anode aus Kohlenstoff-Titan-Phosphat.
Stationäre Spezialisten
Universell lassen sich die Stromspeicher auf Salzwasserbasis indes nicht einsetzen. So kommen sie etwa für die Elektromobilität gleich aus zwei Gründen nicht infrage: Sie sind größer und schwerer als Lithium-Akkus, und sie laden und entladen erheblich langsamer.
In Gebäuden spielen diese Nachteile aber so gut wie keine Rolle: Fotovoltaikanlagen etwa können die Stromspeicher in aller Ruhe laden, solange die Sonne scheint, und für den haushaltsüblichen Bedarf reicht die Geschwindigkeit der Energieabgabe allemal aus. Das Mehrgewicht ist in Gebäuden unerheblich, und dem etwas größeren Platzbedarf steht ein deutlicher Zugewinn an Brandsicherheit gegenüber.
Für den Einsatz im privaten Heim ist die Kapazität in Schritten von 2,5 kWh bis 30 kWh skalierbar. Eine Gewerbelösung beginnt bei 30 kWh und kann auf bis zu 270 kWh aufgestockt werden, die dann über drei aufeinandergestapelte Blöcke mit Kapazitäten von je 90 kWh erreicht werden. Dies beanspruchen dann gerade einmal 1,3 m² Grundfläche.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen aus Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Innovationsmeister Austria
Kreisel Electric und BlueSky Energy sind zwei bemerkenswerte Beispiele für Unternehmen, deren Innovationen der Energiewende kräftig Schub geben. Aber sie sind längst nicht die einzigen. Das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie listet in seiner Broschüre „Innovative Energiespeichersysteme in und aus Österreich“ eine ganze Reihe weiterer Projekte, Initiativen und Entwicklungen auf.
So testet zum Beispiel das AIT Austrian Institute of Technology zusammen mit einer ganzen Reihe von Projektpartnern in drei Feldversuchen Technologien und Betriebsstrategien für die aktive, netz- und marktgetriebene Steuerung von dezentralen Speichern und flexiblen Lasten. Dazu gehören unter anderem auch wirtschaftliche Anreize wie ein „Sonnenbonus“, über den Verbraucher dafür belohnt werden, wenn sie per Fotovoltaik erzeugten Strom zu Zeiten verbrauchen, in denen viel davon zur Verfügung steht. In Köstendorf bei Salzburg sind die Heimspeicher mit einem Building Energy Agent verbunden, der Verbraucher und Speicher auf Grundlage von Signalen des Netzbetreibers optimal steuert. Und auch das automatische Laden von Elektroautos mit Überschüssen der Stromerzeugung wird derzeit erprobt.
Zu den weiteren Projekten gehören etwa RE²BA, eine Untersuchung zum Recycling und zur Wiederverwertung von Lithium-Ionen-Batterien, oder Wind2Hydrogen, eine Pilotanlage für die Produktion von Wasserstoff mit erneuerbaren Energien, oder HydroMetha, das als Verfahren der „Hochtemperatur-Co-Elektrolyse (Co-SOEC) und der katalytischen Methanisierung“ beschrieben wird.
Insgesamt acht „Vorzeigeinnovationen“ auf dem Gebiet der Energiespeichertechnologien, von klassischen Lösungen wie Pumpspeichersystemen ganz abgesehen; dabei hat Österreich Pumpspeicherkraftwerke mit ca. 5 GW installierter Leistung in Betrieb. Wenn von Systemen zur Speicherung elektrischer Energie die Rede ist, richten sich die Blicke reflexhaft auf die USA und China. Doch erstaunlich viele Innovationen auf diesem Gebiet kommen aus der Mitte Europas – aus Österreich.
Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.
Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de