Erfolgreiche Prozesse sind flexibel genug
Von Christoph Witte, Wittcomm
Was halten Mittelständler von Geschäftsprozessen? Wie stark stützen sie ihre Prozesse mit IT ab und welchen Beitrag leisten Prozesse zum Unternehmenserfolg? Diese und andere Fragen diskutierten vier Vertreter mittelständischer Unternehmen während des ersten Anwender-Roundtables, zu dem der Business Performance Index (BPI) Mittelstand und der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) Ende September 2013 nach München luden.
Das Wichtigste vorab: Prozessorientierung, Standardisierung und die angemessene IT-Unterstützung der Geschäftsprozesse spielen im Mittelstand bereits heute eine wichtige Rolle und werden noch weiter an Bedeutung gewinnen. Als wesentliche Vorteile standardisierter Prozesse nennen die Unternehmensvertreter bessere Qualität, höhere Geschwindigkeit und niedrigere Kosten.
Das bestätigt auch der Business Performance Index Mittelstand, eine Langzeitstudie, die das Kasseler Analystenhaus techconsult nunmehr bereits im dritten Jahr für die Branchen Dienstleistung, Handel und Fertigung durchführt. Für die Studie werden pro Jahr Geschäftsführer und leitende Angestellte in über 1000 Unternehmen zu den vier Themen Prozessrelevanz, IT-Unterstützung, innovative IT-Lösungen sowie Unternehmens-/Prozesserfolg befragt.
Die Antworten der Unternehmen werden in vier Indizes zusammengefasst. Gemeinsam ergeben sie ein umfassendes Bild der unternehmerischen Leistungsfähigkeit. Auf einer Punkteskala von 1 bis 100 drücken sie aus, wie einzelne Branchen und Branchensubsegmente in wichtigen Hauptprozessen abschneiden. Außerdem werden aktuelle Trends wie Software as a Service, Mobility und Outsourcing sowie die größten Herausforderungen untersucht, vor denen Mittelständler in Deutschland, Schweiz und Österreich stehen.
Jeder Mittelständler kann den BPI für sein Unternehmen als Benchmark-Werkzeug nutzen. Dazu muss man lediglich den Fragebogen unter www.business-performance-index.de ausfüllen. Die Antworten werden ausgewertet und zeigen, wo das Unternehmen im Vergleich zum unmittelbaren Wettbewerb (Branche, Subbranche, Größenklasse) steht. Damit lassen sich eigene Stärken und Schwächen analysieren. Die Unternehmensdaten bleiben selbstverständlich anonym.
Eingehende Einzeldarstellungen gibt es im MittelstandsWiki zu den folgenden Ausgaben:
- BPI Fertigung 2012
- BPI Dienstleistung 2012
- BPI Handel 2012
- BPI Gesamtbericht 2012
- BPI Fertigung 2013
- BPI Dienstleistung 2013
Weitere Informationen zum BPI insgesamt und zu den Einzelberichten BPI Fertigung, BPI-Dienstleistung und BPI-Handel findet man unter www.business-performance-index.de. Dort stehen alle Berichte auch zum kostenfreien Download bereit.
Prozessqualität ist Key Performance Indicator
Peter Burghardt, Managing Director von techconsult, bestätigte anlässlich des Roundtables den Zusammenhang von Unternehmenserfolg und Prozessqualität:
- „Über alle Branchen hinweg zeigt sich eine positive Gewinnentwicklung der Unternehmen, die in ihrer Prozessqualität einen bestimmten Schwellenwert erreichen. Unternehmen, die unter diesem Schwellenwert liegen, weisen nur selten eine positive Gewinnentwicklung auf.“
Voraussetzung dafür, dass sich die Prozessvorteile auch realisieren lassen, sei allerdings, so der Tenor der Teilnehmer des etwa zweistündigen Roundtables, dass Prozesse den Geschäften und Abläufen der Unternehmen zwar ausreichend Struktur geben, sie aber nicht einengen dürfen.
Die Einigkeit in diesem Punkt war durchaus ungewöhnlich, weil die Diskutanten nicht nur verschiedene Funktionen ausübten, sondern weil sie auch unterschiedliche Branchen repräsentierten und ihre Unternehmen verschieden groß sind:
Heide Duckert, Country Managerin des 220 Mitarbeiter starken und global tätigen Übersetzungsunternehmens Multiling folgte der Einladung des Business Performance Index genauso wie Jürgen Elsner, CIO des Schmiermittelherstellers Klüber Lubrication mit Hauptsitz in München. Klüber ist mit 1980 Mitarbeitern ein großer Mittelständler (das Unternehmen gehört zur Freudenberg Gruppe, die insgesamt über 37.000 Mitarbeiter zählt). Außerdem diskutierte Dr. Andreas Tremel, Mitbegründer und Geschäftsführer des Softwareherstellers InLoox GmbH, der zurzeit 20 festangestellte Mitarbeiter an Standorten in München und San Francisco beschäftigt. Last, but not least trug Dr. Johannes Lorenz, CIO der Messe München, eines mit über 760 Mitarbeitern in 64 Ländern agierenden Messeveranstalters seine Sicht auf Geschäftsprozesse und IT bei.
Balance zwischen Steuerung und Freiräumen
Auf Shared Services setzt z.B. Klüber Lubrication. „Mit Shared Services sind wir derzeit dabei, innerhalb der Geschäftsgruppe Freudenberg Chemical Specialities die Geschäftsprozesse zu standardisieren und mit gleichen Systemen zu bedienen“, erklärt Jürgen Elsner. Denn nur damit könne man Skaleneffekte erzielen. Dies sei deshalb eine Herausforderung, weil zwar alle Mitglieder der Freudenberg SE im Bereich Spezialchemie tätig sind, das aber mit unterschiedlichen Ansätzen. Klüber z.B. produziere nach dem Verfahren Make to Stock, andere Unternehmen der Gruppe arbeiten dagegen nach dem Prinzip Make to Order. „Doch wir haben es geschafft, in den ERP-Systemen gemeinsame Templates zu entwickeln, die beides berücksichtigen, viel gemeinsam haben und an der entscheidenden Stelle Individualität zulassen.“ Bezogen werden die Shared Services jeweils regional aus einem der fünf IT-Hubs (Rechenzentren) weltweit.
Teil 1 stellt die Teilnehmer vor und unterstreicht die Relevanz der Prozessqualität für den Unternehmenserfolg. Teil 2 geht genauer auf die schwierige Balance zwischen Standardisierung und Offenheit ein. Die Ansätze sind vielversprechend.
Auf ein streng zentrales Konzept setzt dagegen der Übersetzungsdienstleister Mulitling: „Wir arbeiteten früher dezentral, doch jetzt nutzen wir weltweit die gleiche Software und die gleichen Prozesse“, erklärt Heide Duckert. Der Vorteil: Durch die Konsolidierung und ein einheitliches Projektmanagement kann das Unternehmen die weltweit verstreuten Übersetzungsteams besser koordinieren und die Fehlerrate senken. Dieses zentralisierte Modell verschlanke den Übersetzungsprozess und schone das Budget, indem mehr qualitativ hochwertige Übersetzungen durch weniger interne und freie Mitarbeiter erstellt werden. „Für uns ist Qualität ein absolut zentrales Thema. Damit unterscheiden wir uns zum einen von anderen Übersetzungsanbietern und zum andern verlangen unsere Klienten schon wegen der speziellen Textarten eine sehr hohe Genauigkeit. Zum Beispiel dürfen in Börsenprospekten oder Patentanmeldungen absolut keine Übersetzungsfehler gemacht werden“, berichtet Duckert.
Standardprozesse sind also wichtig, um ein qualitativ hochwertiges Produkt anzubieten. Ebenso wichtig ist jedoch eine gewisse Flexibilität und Varianz in den Prozessen, betont Dr. Johannes Lorenz von der Messe München. Das Unternehmen expandiert mit seinen Weltleitmessen wie der Internationalen Sportartikelmesse ISPO nach China und Südamerika. „Hier arbeiten wir dezentral und beachten die landesspezifischen Abläufe, andererseits müssen wir konsolidieren und standardisieren, damit wir nicht zu viele Prozesse und IT-Lösungen unterstützen müssen. Das lässt sich von der Kostenseite nicht rechtfertigen“, erklärt Lorenz.
- Wie die Gratwanderung zwischen Standardisierung und Improvisation ohne Absturz zu schaffen ist und warum es wichtig ist, dass IT und Business eine gemeinsame Sprache finden, ist das Thema im zweiten Teil dieser Serie.