Neue Abenteuer im Blattgrün
Der deutsche Wald musste schon viele Rollen spielen. Nach einem halben Jahrhundert der Verklärung durch die Künstler der deutschen Romantik wurde aus ihm mit Beginn des 19. Jh. ein geschundener und vom rücksichtslosen Raubbau gezeichneter Rohstofflieferant für zwei Weltkriege.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der anders als der Erste mit einer umfassenden Zerstörung der Infrastruktur Deutschlands endete, half der Wald den Deutschen dann, die ersten Nachkriegswinter zu überleben.
Forstwirtschaft im sauren Regen
Danach verlor heimisches Holz rapide an Bedeutung: Mit Einsetzen des Wirtschaftswunders wurden Möbel immer häufiger aus exotischen Tropenhölzern gefertigt, und in den Öfen brannte zunehmend Öl statt Holz und Kohle. Im Wald aber verdrängten schnell wachsende Fichten langsam wachsende Baumarten. Das minderwertigere Fichtenholz taugte scheinbar nur noch als Bauholz und Zellulosefasern für die Zellstoff- und Papierindustrie.
Bis in den 1980er-Jahren plötzlich das Menetekel eines globalen Waldsterbens auftauchte. Saurer Regen erregte die Gemüter der Republik wie heutzutage die Kernkraft. Schon bald sollte der deutsche Wald tot sein. Und angesichts seines möglichen Verlusts begann mancher die Liebe zum Wald neu zu entdecken.
Holz auf die Tagesordnung
Aber es gibt den deutschen Wald – glücklicherweise und allen Unkenrufen zum Trotz – noch immer. Sein Ansehen und seine Bedeutung haben seitdem sogar noch zugenommen. Der romantisch verklärte Lieblingsschauplatz der Dichter hat sich zum profanen, dafür aber unverzichtbaren Teil unseres täglichen Lebensraums gemausert. Er steht für Lebensqualität, indem er der heimischen Artenvielfalt dient und Abgase abbaut. Wir schätzen seine Kraft, Naturkatastrophen abzumildern, indem er Wasser speichert und damit Überflutungen abpuffert. Er verhindert die Bodenerosion und schützt Menschen in bergigen Regionen vor Lawinen.
In neuester Zeit kommt noch eine weitere – eigentlich uralte – Aufgabe hinzu: die eines Energielieferanten. Noch ist den wenigsten klar, welche großartige Energiequelle der Wald für Deutschland sein kann, wenn er nachhaltig bewirtschaftet und effizient genutzt wird.
Nachhaltige Waldwirtschaft
Die letzte, in den Jahren 2001 bis 2003 in Deutschland durchgeführte Bundeswaldinventur ergab z.B., dass in den deutschen Wäldern (unabhängig von Nutzungsbeschränkungen) insgesamt knapp 3,25 Mrd. Kubikmeter Holz vorhanden sind. Der größte Teil davon wächst in Bayern (knapp 1 Mrd.). Legt man einen ungefähren Heizwert von 1,8 MWh pro Kubikmeter (Raummeter) Holz zugrunde, dann ergibt sich ein Energiegehalt (bei Verbrennung) aller deutschen Wälder von mehr als 5000 GWh. Und wie es aussieht, wird die heuer gestartete aktuelle Bundeswaldinventur eher mehr Waldbestand ausweisen als weniger.
Allzu ernst darf man diese – ohnehin nur sehr grob geschätzten – Zahlen allerdings nicht nehmen, denn erstens käme niemand auf die Idee, den deutschen Wald komplett zu verheizen. Zweitens fällt dabei der eigentliche Vorteil des Waldes als Energiequelle völlig unter den Tisch: Der Energieträger Holz wächst ständig nach. Drittens berücksichtigt diese Rechnung lediglich das Wärmepotenzial, während Holz ja noch in vielerlei anderer Hinsicht nützlich ist, so z.B. als Quelle für chemische Rohstoffe und als Bau- und Werkstoff Holz. Der Wald ist außerdem eine ganz wichtige CO₂-Senke. (Als Senke bezeichnet man das Gegenstück zur Quelle: Eine Senke entzieht der Umwelt Energie oder chemische Stoffe – im Fall einer CO₂-Senke wird CO₂ abgebaut und Sauerstoff freigesetzt.)
Photosynthese im Nutzenvergleich
Das Wirkungsprinzip des Waldes, auf der alle genannten Nutzeffekte letzten Endes aufbauen, ist der chemisch-physikalische Prozess der Photosynthese, bei dem – grob vereinfacht ausgedrückt – der Baum mit Hilfe des Blattgrüns (Chlorophyll) und unter Einwirkung von Sonnenenergie CO₂ in Stärke und Sauerstoff umwandelt. Während der Sauerstoff als Gas abgegeben wird, entsteht aus den Bausteinen der Stärke der Energieträger Holz.
Die Studie „Comparing Photosynthetic and Photovoltaic Efficiencies and Recognizing the Potential for Improvement“ wurde im renommierten Wissenschaftsmagazin Science veröffentlicht (Science, vol. 332 nr. 6031/Mai 2011, S. 805–809). Über die Arbeit und ihre Ergebnisse gibt Robert Blankenship von der Washington Universität in St. Louis, einer der Initiatoren des Projekts, außerdem in einem (englischsprachigen) Podcast-Interview Auskunft.
Bislang war man sich einig, dass dieser natürliche Prozess allen technischen Verfahren zur Umwandlung von Sonnenenergie in Nutzenergie überlegen sei. Zu einem völlig überraschenden Ergebnis kam aber eine erst vor kurzem von einem interdisziplinären Team amerikanischer Forscher durchgeführte wissenschaftliche Studie. Diese behauptet, dass die moderne Photovoltaik der Photosynthese der Pflanzen an Effizienz überlegen ist.
Damit die Effizienz einigermaßen vergleichbar wurde, stellten die Wissenschaftler der Photosynthese eine Kombination aus einer Solarzelle mit einer nachgeschalteten Elektrolyse gegenüber. Hierbei findet nämlich ebenfalls eine chemische Aufspaltung (Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff) statt, die eine ähnliche Menge Energie benötigt, wie der chemische Spaltvorgang in der Photosynthese.
Blattgrün bremst sich
Ursache für die geringere Effizienz der Photosynthese sei ein Selbstschutzmechanismus, der die Pflanzen dazu bringe, den Umwandlungsprozess verhältnismäßig schnell zu drosseln, wenn die Kapazität des Blattgrüns in den Pflanzenzellen zur Umwandlung erschöpft sei und die Freisetzung von Giften in der Zelle drohe. Auf diese Weise müssten Pflanzen bis zu 80 % der Sonnenenergie ungenutzt lassen, so die Wissenschaftler.
Nach Angaben von Robert Blankenship liegt die durchschnittliche Effizienz der photovoltaisch betriebenen Elektrolyse bei rund 10 %, während die Pflanzen nur maximal 2–4 % der Sonnenenergie in chemische Energie umsetzen können.
Fazit: Forschung im Verbund
Diese Studie macht aber nicht nur deutlich, dass wir immer noch viel zu wenig über Art und Umfang der Funktionen natürlicher Großsysteme – wie des Waldes – wissen. Sie ist auch ein deutlicher Fingerzeig, wie wichtig umfassende Forschungen und eine ergebnisoffene Auswertung der Resultate sind. Sowohl die Naturwissenschaften als auch die Forstwissenschaft haben noch viel Arbeit vor sich, die am besten gemeinsam zu bewältigen ist.