Vom Erfolgsstandort über den Tellerrand
Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
Die Stadt Kaarst ist in Teilen ebenso wie viele andere Kommunen nur unzureichend mit Breitband-Internet versorgt. Die betroffenen Stadtteile verlieren an Attraktivität als Wohn- und Gewerbestandort und es sinken sowohl die Immobilienwerte als auch die erzielbaren Mieten – wenn Wohnungen ohne schnellen Breitbandzugang überhaupt vermietet werden können.
Von den Bürgerinnen und Bürgern ebenso wie von Unternehmern und Gewerbetreibenden aus den Ortsteilen Vorst und Holzbüttgen mit dem Gewerbegebiet Kaarster Kreuz wird schon seit einigen Jahren die Forderung erhoben, schnellere Internet-Geschwindigkeiten zu ermöglichen. Die bisherige Bandbreite liegt hier mehrheitlich unter 2 MBit/s und somit unter der definierten Grenze der Grundversorgung und ist kaum für mehr als Online-Basisanwendungen geeignet.
Bürgerinitiative und erste Anläufe
Folgerichtig gründete sich schon 2008 in der Bürgerschaft eine Breitbandinitiative, um die Verwaltung bei der Umsetzung des Breitbandprojektes zu unterstützen. In der durch die Initiative seit Mitte 2009 durchgeführten Bürgerbefragung wurde von ca. 37 % eine Bandbreite bis 16 MBit/s und von 31 % über 16 MBit/s gewünscht. Insgesamt ergeben sich 1775 unterversorgte Haushalte in Holzbüttgen und 1708 in Vorst, bei einem Durchschnittswert von 2,4 Personen pro Haushalt. Unter Berücksichtigung der in Deutschland durchschnittlichen Breitbanddurchdringung von über 58 % ergibt sich ein Wechsler- oder Upgrader-Potenzial von zusammen gut 2000 Anschlüssen.
Um die Attraktivität der Stadtteile aufrechtzuerhalten, den Wegzug von Bürgern und Unternehmen zu verhindern und im Gegenteil Anreize für den Zuzug zu geben, war die Stadt bereit, zum zukunftssicheren Ausbau der Breitbandinfrastruktur beizutragen. Dies ist für Kaarst allerdings schwieriger als für andere Kommunen: Da Kaarst nicht in der für Nordrhein-Westfalen festgelegten Förderkulisse liegt, kann es keine Fördermittel aus dem GAK-Programm (Gemeinschaftsaufgabe Agrarentwicklung und Küstenschutz) nutzen, mit dem bis Ende 2013 immerhin 75 % der Wirtschaftlichkeitslücke abgedeckt werden können (bei einem Gesamtvolumen von 200.000 Euro). Auch der Versuch im Jahr 2010, den Ausbau mit Mitteln aus dem Zukunftssicherungsgesetz (Konjunkturpaket II) zu finanzieren, scheiterte an einer im Vergleich zu den verfügbaren Mitteln zu hohen Deckungslücke. Auf die bis zum 31. Oktober 2010 durchgeführte Markterkundung meldete sich erwartungsgemäß kein Netzbetreiber, der in den folgenden drei Jahren einen Ausbau ohne Zuwendungen der Stadt geplant hätte.
Eigener Breitbandausbau nach Förderleitfaden
Um die vorhandenen Möglichkeiten zu prüfen, wurden Gespräche mit verschiedenen Netzbetreibern geführt. Zu einer Ausschusssitzung Anfang 2012 wurden dann Michael Fromm von BreitbandConsulting.NRW und Dr. Jürgen Kaack von der STZ-Consulting Group als Breitbandexperten eingeladen, um technische Alternativen und beihilferechtliche Rahmenbedingungen zu erläutern.
Dr. Jürgen Kaack hat eine Reihe von Projekten als Berater begleitet. Einige aus der Region Nordrhein-Westfalen stellt er ausführlicher als Best-Practice-Beispiele vor: Arnsberg, Ennepetal, Erftstadt, Erkelenz und Wegberg sowie die Lage im gesamten Kreis Heinsberg, ferner Geilenkirchen, Haltern am See, Kaarst, Nettetal und Rheurdt. Außerdem berichtet er von der T-City Friedrichshafen, erläutert die möglichen Geschäftsmodelle im kommunalen Breitbandausbau sowie die Optionen der NGA-Rahmenregelung und setzt auseinander, wo Vectoring seine Haken hat. Nicht zuletzt skizziert er die Prinzipien einer Breitbandstrategie NRW und macht handfeste Vorschläge für eine umfassende Breitbandstrategie.
Seine gesammelten Erfahrungen sind 2016 in der Reihe MittelstandsWiki bei Books on Demand erschienen: „Schnelles Internet in Deutschland“ (Paperback, 220 Seiten, ISBN 978-3-946487-00-5, 9,99 Euro).
Dabei erwies sich als wichtig, dass als langfristig nachhaltige Lösung in erster Linie Glasfaserhausanschlüsse zu sehen sind. Aufgrund der hierfür erforderlichen Tiefbauarbeiten und deren Kosten ist die Umsetzung allerdings nur über ca. zehn Jahre möglich. So bleibt für die schnelle Umsetzung in erster Linie der bewährte Ausbau mit Fiber to the Curb (FTTC) als Brückentechnologie, bei der Glasfaser bis an die Kabelverzweiger in den Ortsteilen verlegt und für die „letzte Meile“ weiter die vorhandene Kupferdoppelader genutzt wird.
Der Kaarster Stadtrat ist dem Vorschlag gefolgt, entsprechend dem europäischen Beihilferecht den Ausbau auf die unterversorgten Gebiete zu beschränken und die Vergabe nach einem transparenten und technologieneutral durchgeführten Auswahlverfahren vorzunehmen. Dr. Kaack unterstützte die Verwaltung im Auswahlverfahren, das in der Zeit vom 6. Februar bis 10. April 2012 durchgeführt wurde. Im Sinne einer mittelfristigen Zukunftssicherung verfolgt es die Zielsetzung, in beiden Ortsteilen eine zukunftssichere Übertragungsrate von mindestens 16 MBit/s für die Mehrzahl der Haushalte und Betriebe zu ermöglichen. Als Kriterien für die Bewertung der Angebote wurden festgelegt:
- Wirtschaftlichkeitslücke
- Zukunftssicherheit und Nachhaltigkeit
- Kundenkonditionen (Monatskosten und Einmalpreise)
- Leistungsmerkmale aus Kundensicht
Überdurchschnittliche Ergebnisse
STZ-Consulting analysierte dann die zum Submissionstermin eingegangenen Angebote und empfahl in einem Vergabegutachten die Annahme des Angebots der Deutschen Telekom, die den Ausbau nach dem FTTC-Konzept in den Varianten ADSL-/VDSL-Mischbestückung und VDSL-only anbot. (Nur bei 3 % der Anschlüsse in Ortsrandlagen kann der Wert von 2 MBit/s aufgrund von Leitungslängen unterschritten werden; dieser Wert erfüllt aber die gestellten Anforderungen.)
Mit VDSL steht unmittelbar nach dem Ausbau je nach Entfernung eine Downstream-Bandbreite von bis zu 50 MBit/s für über 40 % der Anschlüsse zur Verfügung. Mit dem VDSL-only-Angebot für Holzbüttgen wird die Verfügbarkeit der Bandbreite weiter verbessert, sodass nur 3 % der Anschlüsse weniger als 16 MBit/s nutzen können. Damit übererfüllt diese Variante die Anforderungen der Ausschreibung und schafft zusätzliche Zukunftssicherheit.
Je nach Länge und Qualität der verlegten Kupferdoppelader vom Kabelverzweiger bis zum Haushalt (TAL) und der damit verbundenen Signaldämpfung nimmt die Bandbreite mit zunehmender Entfernung vom Kabelverzweiger ab. Die Anbindung an das Backbone-Netz erfolgt ausschließlich über Glasfaserstrecken, auf den Einsatz von Richtfunk wird verzichtet.
Kaarst ist damit FTTB-ready
Für die Leerrohrverlegung waren in Holzbüttgen Tiefbauarbeiten über 190 m erforderlich, alle mit versiegelten Oberflächen. In die Leerrohre wurden 1370 m Lichtwellenleiterkabel eingezogen. In Vorst wurden 5740 m Lichtwellenleiterkabel und 480 m Tiefbauarbeiten benötigt. In Holzbüttgen wurden mit den Glasfasertrassen sechs Kabelverzweiger angebunden und mit Multifunktionsgehäusen überbaut. In Vorst sind es bei der ausgewählten Variante mit Mischbestückung (ADSL und VDSL) zehn Kabelverzweiger, die mit Glasfaser angebunden und überbaut wurden.
Nach der Vergabeentscheidung des Stadtrates wurde ein Kooperationsvertrag mit der Telekom ausgehandelt, sodass nun seit Juli 2013 in Holzbüttgen und Vorst eine zeitgemäß schnelle Internet-Nutzung möglich ist.
Das Beispiel von Kaarst zeigt, dass ein Ausbau auch ohne Fördermittel grundsätzlich möglich ist, wenn der kommunale Haushalt entsprechend geplant wird und die beihilferechtlichen Randbedingungen eingehalten werden. Mit einem FTTC-Konzept ist der spätere Ausbau mit Glasfaserhausanschlüssen nicht verbaut, da Glasfaser jetzt immerhin schon an 16 Stellen in den beiden Ortsteilen liegt. Werden zukünftig Microduct-Leerrohre in Verbindung mit Sanierungsmaßnahmen im Beilauf bis zu den Hausanschlüssen verlegt, kann man in etwa zehn Jahren von der FTTC-Versorgung auf „echte“ FTTB-Glasfaserhausanschlüsse (Fiber to the Building) umrüsten. Dann sind mit steigendem Bedarf auch Bandbreiten von 1 GBit/s möglich.
Masterplan für Glasfaserhausanschlüsse
Nach dem Ausbau in Holzbüttgen und Vorst und zusammen mit dem in Kaarst gut ausgebauten Kabelnetz von Unitymedia, über das ca. 80 % der Haushalte Geschwindigkeiten von 150 MBit/s im Downstream nutzen können, stehen an 85 % der Anschlüsse Bandbreiten von mindestens 25 MBit/s zur Verfügung. Für eine Mittelstadt ist das heute ein sehr guter Wert; mit der gegebenen Versorgung werden die Ziele der Bundesregierung für 2014 bereits im Sommer 2013 erfüllt.
Trotzdem möchte der Kaarster Stadtrat auch zukünftig eine schnelle Datenkommunikation absichern. Daher wurde die Verwaltung mit der Erstellung eines Erfahrungsberichts beauftragt, der die Handhabung von Aufgaben im Zusammenhang mit dem Breitbandausbau in Städten dargestellt wird, die in ihrer Struktur und ihren Merkmalen der Stadt Kaarst ähnlich sind. Auf dieser Basis sollte die Aufgabe „Erstellen und Betrieb eines Telekommunikationsleitungsnetzes“ näher beschrieben werden. Die Verwaltung beauftragte damit Dr. Jürgen Kaack von STZ-Consulting.
Erfahrungen und Möglichkeiten
Der Bericht analysiert zunächst grob die aktuelle Versorgungssituation im Stadtgebiet und beschreibt die zu erwartende Entwicklung des zukünftigen Bedarfs. Selbst mit einem heute (nach Abschluss Ausbauarbeiten in Holzbüttgen und Vorst) sehr guten Versorgungstand sieht er aufgrund der technologischen Entwicklung einen weiteren Ausbaubedarf in den nächsten Jahren. Er schätzt die Kosten für einen Ausbau ab und stellt anhand von Aktivitäten anderer Kommunen verschiedene Geschäftsmodelle dar, die auch in Kaarst zur Anwendung kommen können. Das Fazit enthält Vorschläge, was in Kaarst veranlasst werden könnte, damit die Stadt auch in Zukunft breitbandtechnisch gut aufgestellt ist.
Die STZ-Consulting Group ist eine Unternehmensberatung, die Unternehmen und Kommunen bei der Bewältigung von Veränderungsprozessen unterstützt, von der Entwicklung tragfähiger Konzepte bis zur Umsetzung. Die Partner der STZ-Consulting Group haben langjährige Erfahrungen aus eigener operativer Führungstätigkeit in Unternehmen, aus der Gründung und dem Aufbau von Unternehmen sowie in der Beratung. Ein Branchenschwerpunkt liegt in der Telekommunikation.
Dr. Jürgen Kaack – STZ-Consulting Group, Kolibristr. 37, 50374 Erftstadt, Tel. 02235-988776, info@stz-consulting.de, www.stz-consulting.de.
Die Beratung schlägt konkret vor:
- Eine effiziente Umsetzung des Breitbandausbaus setzt die langfristige Beschäftigung mit dem Breitbandausbau voraus. Die Versorgungssituation ist in den meisten Gebieten von Kaarst für den heutigen Bedarf auskömmlich, mit dem absehbar weiter steigenden Datenvolumen können heute ausreichend versorgte Gebiete in fünf Jahren wieder schwach versorgt sein. Mit einer vorausschauenden Planung und dem Aufbau eines Leerrohranschlussnetzes in Verbindung mit Sanierungsarbeiten kann verhindert werden, dass die Stadt in ca. zehn Jahren unverhältnismäßig hohe Investitionen in Breitband-Infrastrukturen tätigen muss.
- Schaffung eines Koordinators für Breitbandaufgaben
- Analyse der vorhandenen Infrastrukturen und der Versorgung in den verbleibenden schwach versorgten Wohnvierteln und Gewerbegebieten
- Festlegung von Zielen für Kaarst und Ausgestaltung eines Geschäfts- und Kooperationsmodells für die Umsetzung
- Ermittlung des derzeitigen und absehbaren Bedarfs
- Erstellung eines Masterplans (im Sinne einer technischen Netzplanung auf Straßenzugebene)
- Mittelfristiger Ausbau im Rahmen von Sanierungsarbeiten gemäß Masterplan
Im Zuge der konsequenten Umsetzung der Vorschläge wird die Erstellung eines Masterplans für das gesamte Stadtgebiet geprüft. Als kurzfristige Maßnahme wird eine Betriebsbefragung im Gewerbegebiet Kaarster See durchgeführt, das derzeit noch mit einer schwachen Internet-Versorgung auskommen muss.
Fazit: Vorbildlich vorausschauend
Das Vorgehen der Stadt Kaarst kann als vorbildlich eingestuft werden, da ergänzend zu der kurzfristigen Verbesserung der Internet-Anbindung mit VDSL als Brückentechnologie der Aufbau einer langfristig zukunftssicheren Infrastruktur mit Glasfaseranschlüssen nicht vernachlässigt wird. Der Aufbau eines Glasfaseranschlussnetzes kann zehn bis 15 Jahre dauern, aber damit ist sichergestellt, dass Kaarst auch langfristig seinem eigenen Anspruch als Erfolgsstandort gerecht wird! Wenn alle Kommunen mit den Herausforderungen zur Schaffung nachhaltiger Breitbandinfrastrukturen ähnlich umgehen würden wie Kaarst, gäbe es für den Standort Deutschland zukünftig keine Infrastrukturnachteile aufgrund fehlender Glasfasernetze.