Im Technologiemix sind bis zu 10 GBit/s drin
Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
Die Stadt Nettetal im niederrheinischen Kreis Viersen hat bei gut 41.400 Einwohnern eine für den ländlichen Raum typische schwache Internet-Versorgung: Die Download-Geschwindigkeit liegt bei mehrheitlich weniger als 16 MBit/s. Höhere Geschwindigkeiten durch das DSL-Netz der Deutschen Telekom haben derzeit nur kleine, zentrale Teile von Kaldenkirchen, Lobberich und Breyell. Das Kabelnetz der PrimaCom Berlin GmbH ist (noch) nicht rückkanalfähig und LTE aufgrund der unmittelbaren Grenzlage zu den Niederlanden nur sehr unzureichend ausgebaut. Daneben sind über den Ka-Band-Satelliten DSL-Dienste mit bis zu 16 MBit/s verfügbar und über Mobilfunk UMTS-Anschlüsse von mehrheitlich deutlich unter 6 MBit/s. Insgesamt ist die Versorgung sowohl für die Haushalte als auch für die Betriebe nicht zufriedenstellend und auf keinen Fall zukunftssicher.
Die Stadtwerke Nettetal sehen in der Versorgung der Bürger, der Unternehmen sowie der freiberuflich und gewerblich Tätigen mit ausreichend schnellen Breitbandanschlüssen und Breitbanddiensten einen wichtigen Auftrag im Sinne der Daseinsvorsorge. Für ihren Geschäftsführer war die Versorgungslage schon seit Längerem nicht mehr akzeptabel und er startete Anfang 2012 ein Breitbandprojekt.
Mit der Begleitung des Vorhabens wurde STZ-Consulting Group aus Erftstadt beauftragt. STZ analysierte daraufhin die Versorgungssituation in den Wohn- und Gewerbegebieten und erarbeitete ein stufenweises Ausbaukonzept, auf dessen Basis Verhandlungen mit potentiellen Netzbetreibern aufgenommen wurden. Für die Umsetzung bereitete STZ die beihilferechtlich erforderlichen Markterkundungs- und Auswahlverfahren vor und wertete sie aus.
16 MBit/s erreichen in Nettetal nur die Kernbereiche von Kaldenkirchen, Lobberich und Breyell. (Bild: BMWI-Breitbandatlas)
Knapp daneben ist auch vorbei: Der LTE-Ausbau reicht gerade noch ins Gemeindegebiet herein, ist aber alles andere als verlässlich. (Bild: BMWI-Breitbandatlas)
Ausbau in den Wohngebieten
Im Stadtgebiet von Nettetal ist nur die Deutsche Telekom als Netzbetreiber flächendeckend vertreten, mit Bandbreiten von 2 bis 16 MBit/s. Der Kabelnetzbetreiber PrimaCom versorgt einen Großteil der Haushalte mit einem derzeit noch nicht rückkanalfähig ausgebauten Kabel-TV. Nicht versorgt sind die Außengebiete sowie Teile der größeren Stadtteile Kaldenkirchen und Lobberich.
Zur Verbesserung der Versorgungslage in den Wohngebieten nahmen die Stadtwerke Nettetal Verhandlungen mit Unitymedia auf. Im Ergebnis werden rechtzeitig vor Jahresende 2013 auf der Basis eines noch 2012 geschlossenen Kooperationsvertrages die mit Kabel-TV versorgten Teile von Nettetal mit DOCSIS 3.0 ausgebaut, sodass nach dem Ausbau alle Haushalte im Versorgungsgebiet 150 MBit/s nutzen können. Eine Voraussetzung ist der Aufbau der aktiven Netzkomponenten und eine Anbindung an das Backbone von Unitymedia. Hierzu wird eine neue Kabeltrasse für einen Lichtwellenleiter benötigt, deren Bau die Stadtwerke in der Zwischenzeit vorantreiben.
Versorgung der Gewerbegebiete
Alle Gewerbegebiete in Nettetal benötigen – mit unterschiedlicher Dringlichkeit – eine schnellere Breitbandanbindung. Der Ausbau der bestehenden Kabelnetze bringt für sie keine Verbesserung, da die Kabelnetzbetreiber in der Vergangenheit keine Kabelnetze in Gewerbegebieten verlegt hatten. Viele Unternehmen richteten bereits schriftliche Anforderungen an die Stadt, für eine schnellere Internet-Anbindung mit mehr als 25 MBit/s zu sorgen. Auch im neuen interkommunalen Erschließungsgebiet VeNeTe wird für die erfolgreiche Vermarktung der freien Flächen eine zukunftssichere Breitbandversorgung als notwendig angesehen. In allen Gewerbegebieten mit derzeit ca. 445 Unternehmen findet sich eine bunte Mischung von Branchen (Handwerk, Einzelhandel, Baugewerbe, produzierende Unternehmen, Nahrungsmittelhersteller und Maschinenbauunternehmen sowie Dienstleistungsbetriebe mit unterschiedlichen Schwerpunkten) und eine überwiegend mittelständische Unternehmensstruktur.
Die STZ-Consulting Group ist eine Unternehmensberatung, die Unternehmen und Kommunen bei der Bewältigung von Veränderungsprozessen unterstützt, von der Entwicklung tragfähiger Konzepte bis zur Umsetzung. Die Partner der STZ-Consulting Group haben langjährige Erfahrungen aus eigener operativer Führungstätigkeit in Unternehmen, aus der Gründung und dem Aufbau von Unternehmen sowie in der Beratung. Ein Branchenschwerpunkt liegt in der Telekommunikation.
Dr. Jürgen Kaack – STZ-Consulting Group, Kolibristr. 37, 50374 Erftstadt, Tel. 02235-988776, info@stz-consulting.de, www.stz-consulting.de.
Vorsorgliches Leerrohrsystem
Die Stadtwerke Nettetal verlegen und betreiben bereits seit einer Reihe von Jahren zur Eigennutzung Kabelschutzrohre im Stadtgebiet oder haben im Rahmen von Tiefbauarbeiten vorsorglich Leerrohre mitverlegt. Somit erfüllen die Stadtwerke die Voraussetzung, um Infrastrukturen auf der Basis von Kabelschutzrohren und Dark-Fibre-Trassen zu betreiben. Aufgrund der vorhandenen Kompetenzen und im Sinne einer zukunftssicheren Umsetzung lag es nahe, für den Ausbau in den Gewerbegebieten direkt auf Glasfaserhausanschlüsse zu setzen.
Da sich der Betrieb aktiver Netze von den Kernaktivitäten eines Stadtwerks unterscheidet und zur Umsetzung Kooperationen mit erfahrenen Breitbandunternehmen erforderlich sind, scheint die Ausgrenzung der breitbandnahen Aktivitäten in eine Tochtergesellschaft sinnvoll. Dabei verbleibt das Eigentum an den Schutzrohren bei den Stadtwerken.
Um in allen Gewerbegebieten von Nettetal ein Glasfasernetz bis zum Hausanschluss zu schaffen (FTTB oder FTTH), wird ein Netz passiver Kabelschutzrohre benötigt, in die die Lichtwellenleiterfasern vom Netzknoten (PoP) bis zum Hausanschluss eingeblasen werden. Damit die einzelnen über einen längeren Zeitpunkt verlegten Schutzrohre zu einem zusammenhängenden Netz werden, ist zwingend vor der Verlegung ein Masterplan für das gesamte Stadtgebiet zu erstellen.
Dr. Jürgen Kaack hat eine Reihe von Projekten als Berater begleitet. Einige aus der Region Nordrhein-Westfalen stellt er ausführlicher als Best-Practice-Beispiele vor: Arnsberg, Ennepetal, Erftstadt, Erkelenz und Wegberg sowie die Lage im gesamten Kreis Heinsberg, ferner Geilenkirchen, Haltern am See, Kaarst, Nettetal und Rheurdt. Außerdem berichtet er von der T-City Friedrichshafen, erläutert die möglichen Geschäftsmodelle im kommunalen Breitbandausbau sowie die Optionen der NGA-Rahmenregelung und setzt auseinander, wo Vectoring seine Haken hat. Nicht zuletzt skizziert er die Prinzipien einer Breitbandstrategie NRW und macht handfeste Vorschläge für eine umfassende Breitbandstrategie.
Seine gesammelten Erfahrungen sind 2016 in der Reihe MittelstandsWiki bei Books on Demand erschienen: „Schnelles Internet in Deutschland“ (Paperback, 220 Seiten, ISBN 978-3-946487-00-5, 9,99 Euro).
Masterplan für die Zielnetztopologie
Der Masterplan berücksichtigt vorhandene Leerrohre und gestaltet die Zielnetztopologie mit einer Anbindung an zwei redundante PoPs (Points of Presence), an denen die einzelnen Fasern gebündelt und an ein Backbone angeschlossen werden. Der Masterplan beschreibt den genauen Trassenverlauf vom PoP bis zum einzelnen Hausanschluss mit einem (weitgehend) durchgängigen Schutzrohr in Form eines Microducts. Die einzelnen Microducts werden auf dem Weg vom Hausanschluss mit anderen Microducts in Bündel zusammengeführt, die von einem äußeren Schutzrohr umgeben werden. Der Masterplan berücksichtigt ebenfalls die zukünftigen Positionen der innerhalb der Trassenführung erforderlichen Muffen und Schächte, damit später Abzweige und einzelne Anschlüsse realisiert werden können.
Infrastruktur als Beihilfe
Ein Markterkundungsverfahren vom 30. November 2012 bis zum 8. Januar 2013 ergab, dass kein Anbieter eine flächendeckende und zukunftssichere Breitbandversorgung ohne Beihilfe aufbauen würde. Aus diesem Grund waren die Stadtwerke Nettetal bereit, eine Beihilfe in Form der Bereitstellung des Leerrohrnetzes zu gewähren. Die Nutzung der Leerrohre wird technologieneutral für alle Nutzer leitungsgebundener Übertragungstechnologien gewährt, sodass je nach Bedarf und eingesetzter Technologie symmetrische Bandbreiten von über 25 MBit/s und mit Point-to-Point-Ethernet auch über 1 GBit/s bereitgestellt werden können.
Das Leerrohrnetz wird interessierten Netzbetreibern im Rahmen eines Mietvertrages überlassen. Die öffentliche Ausschreibung erfolgte auf der Grundlage der „Rahmenregelung der Bundesregierung zur Bereitstellung von Leerrohren durch die öffentliche Hand zur Herstellung einer flächendeckenden Breitbandversorgung“ (Bundesrahmenregelung Leerrohre).
Ausgründung zur Beleuchtung
Die NettCom GmbH legte zum Submissionstermin am 21. August 2013 ein Angebot für den Ausbau in den Gewerbegebieten mit ultraschnellen Breitbanddiensten vor. NettCom ist ein speziell für den Betrieb von Glasfaseranschlussnetzen gegründetes Unternehmen mit den Gesellschaftern Detel B.V. und Stadtwerke Nettetal GmbH.
Der Aufbau der Infrastrukturen für den aktiven Netzbetrieb erfolgt durch die NettCom unter Anmietung der von den Stadtwerken Nettetal geplanten und zu bauenden passiven Anschlussinfrastruktur auf der Basis von Microduct-Leerrohren zwischen dem Standort des Glasfaserknotens (PoP) und bis in die Gebäude der Betriebe in den ausgewählten Gewerbegebieten. Im vorgestellten Geschäftsmodell wird NettCom die Beleuchtung der Fasern übernehmen und den Datenverkehr über ein Backbone-Netz ermöglichen. Im geschützten Bereich des Glasfaserknotens wird eine technische Plattform betrieben, die Diensteanbietern einen diskriminierungsfreien Zugang ermöglicht.
Offene Diensteplattform
NettCom bietet zur Vermeidung von Wettbewerb keine eigenen Dienste an und schließt keine Verträge mit Kunden. Dienstebetreiber können eine Vereinbarung mit NettCom schließen, um an die Diensteplattform angebunden zu werden und die Vermarktung auf eigenen Namen zu betreiben. Als erster Dienstebetreiber wird die Systemec GmbH an die Diensteplattform angebunden. Sie ist die deutsche Schwestergesellschaft der Systemec B.V., die in den Niederlanden erfolgreich Breitbandnetze betreibt und Geschäftskundendienste vermarktet.
NettCom verpflichtet sich in dem Angebot zur Sicherstellung eines offenen Zugangs für andere technisch geeignete und qualifizierte Dienstebetreiber und erfüllt damit die Anforderung der Bundesrahmenregelung Leerrohre, die von den Stadtwerken Nettetal im Auswahlverfahren verbindlich gefordert wurde. Die Leistungsbeschreibung und eine Übersicht über die Sicherheitsmaßnahmen lassen erkennen, dass bei entsprechender Umsetzung die Anforderungen an einen ausreichenden Standard für Datensicherheit und Datenschutz eingehalten werden.
Aufrüsten mit Vectoring
Unabhängig vom rückkanalfähigen Ausbau des PrimaCom-Kabelnetzes wird die Deutsche Telekom in den nächsten Jahren Teile von Nettetal mit dem neuen VDSL-Vectoring-Verfahren auf der Basis der vorhandenen Kupferdoppelader ausbauen. Damit werden in einem Umkreis von ca. 600 m um die Outdoor-DSLAMs Downstream-Geschwindigkeiten von 100 MBit/s erreicht. Bei der Vectoring-Technik müssen nahezu alle Kabelverzweiger mit Glasfaser angebunden und zu einem Outdoor-DSLAM überbaut werden, sodass auch die Randgebiete von einem Ausbau profitieren.
Im Vergleich zum Ausbau der Kabelnetze erreicht Vectoring eine größerflächige Versorgung. Dies kann in Nettetal insbesondere den nicht von PrimaCom erreichten Teilen zugutekommen. Allerdings bleibt es auch bei einem Vectoring-Ausbau bei einer zunehmenden Dämpfung der Signale in Abhängigkeit von der Länge der Kupferdoppelader zwischen Outdoor-DSLAM und Hausanschluss. Ab einer Entfernung von ca. 3 km vom Outdoor-DSLAM bleibt an Geschwindigkeit nicht viel mehr als die Grundversorgung mit 2 MBit/s.
Mit dem Vectoring Ausbau erhält die Bevölkerung von Nettetal eine leistungsfähige alternative Breitbandinfrastruktur mit vergleichbaren Leistungswerten wie im Kabelnetz, sodass die Interessierten das für sie am besten geeignete Angebot auswählen können.
Fazit: Brückenschlag in die Zukunft
Ende 2013 wird sich an der Versorgung von Nettetal vieles zum Besseren ändern: Mit dem rückkanalfähigen Ausbau des PrimaCom-Netzes durch Unitymedia erhalten ca. 90 % der Haushalte sofort die Möglichkeit, 150 MBit/s zu nutzen. Durch den dann etwas später erfolgenden Vectoring-Ausbau durch die Deutsche Telekom werden einige zusätzliche Gebiete mitversorgt und in den Kernbereichen gibt es einen Wettbewerb auf der Basis unabhängiger Infrastrukturen, wie er eigentlich sonst nur in Großstädten zu finden ist.
Durch den Ausbau der Kabel- und Kupferdoppeladernetze wird für Nettetal ein guter Zwischenstand erreicht, mit Geschwindigkeiten, die deutlich über den bisherigen Werten liegen und den durchschnittlichen Bedarf für die nächsten fünf bis zehn Jahre gut decken werden. Allerdings steigt das übertragene Datenvolumen seit Jahren ständig an, in Deutschland aktuell um jährlich 18 %. Gleichzeitig erfordern neue Anwendungen schnellere Zugänge und Cloud-Lösungen für Betriebe und Haushalte funktionieren am besten mit schnellen Upstream-Anschlüssen.
Langfristig führt somit nichts an Glasfaserhausanschlüssen vorbei, die nahezu unbegrenzte Datenmengen fast verlustfrei transportieren können. Kein Medium ermöglicht physikalisch eine schnellere Übertragung als das Licht. Glasfaseranschlussnetze benötigen jedoch eine Infrastruktur aus Microduct-Leerrohren und erfordern somit Tiefbauarbeiten in allen Straßen bis zum Hausanschluss. Aufgrund der hiermit verbundenen Investitionskosten kann der Aufbau nur über Jahre verteilt und möglichst gemeinsam mit anderen Tiefbaumaßnahmen erfolgen. Die beiden aktuellen Ausbauvorhaben für die Wohngebiete sind daher ideale Brückentechnologien bis zur Schaffung von Glasfaseranschlussnetzen in vielleicht zehn Jahren.
In den Gewerbegebieten wurden in der Vergangenheit keine Kabelnetze verlegt, sodass die Betriebe nicht von der Aufrüstung der Kabelnetze profitieren. Es war daher nur folgerichtig, dass die Stadtwerke Nettetal sich direkt für den sukzessiven Ausbau aller Gewerbegebiete mit Glasfaseranschlussnetzen entschieden. Hierdurch wird auch über einen langen Zeitraum Zukunftssicherheit geschaffen und bereits zum Start sind symmetrische Bandbreiten von 2 bis 100 MBit/s verfügbar; auf Anfrage können auch Anschlüsse bis 10 GBit/s eingerichtet werden. Der Ausbau der Infrastrukturen wurde noch im Sommer begonnen und bereits im Spätherbst 2013 werden die ersten Betriebe an das ultraschnelle Netz angeschlossen.