Dann eben obenrum!
Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
In jeder Kommune finden sich im Hinblick auf den Breitbandausbau unterschiedliche Voraussetzungen vor. Dies betrifft sowohl die Topografie und Besiedlungsstrukturen als auch die Entfernungen zu Datenkommunikationsbackbones und die Situation der derzeitigen Netzbetreiber. Manche Kommunen verfügen über Infrastrukturen, die zum Aufbau von Breitbandnetzen geeignet sind, andere haben eigene Stadtwerke, die ein Eigeninteresse daran haben. Die Analyse der bestehenden Versorgungssituation und die Identifikation von Infrastrukturen stellen daher immer einen wichtigen Teil in jedem Breitbandprojekt dar. Das Beispiel der nordrhein-westfälischen Gemeinde Rheurdt zeigt, dass mit Initiative oft doch noch mehr möglich ist.
Rheurdt gehört als kreisangehörige Gemeinde zum Kreis Kleve im Regierungsbezirk Düsseldorf und hat 6650 Einwohner. Die gesamte Gemeindefläche beträgt 30,01 km², über 87 % des Gemeindegebietes sind Grünflächen, Wald und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Neben landwirtschaftlichen Betrieben ist hier auch eine Reihe von Gewerbetrieben angesiedelt. Rheurdt hat die Vorwahlen 02845 und 02833. Mit einer gelungenen Synthese aus Lebensqualität und Wirtschaftskraft kann die Kommune Rheurdt Unternehmern und Arbeitnehmern eine Vielfalt an Chancen und Möglichkeiten bieten.
Kabel oder (fast) gar nichts
Eigentlich ist die Breitbandversorgung in der Gemeinde Rheurdt in einigen Teilen gar nicht so schlecht. Immerhin sind in der Kerngemeinde sowohl die Deutsche Telekom als auch Unitymedia mit Breitbandanschlüssen vertreten, sodass bis zu 128 MBit/s im Downstream zur Verfügung stehen. Dies setzt allerdings voraus, dass in der jeweiligen Straße Kabel-TV verlegt worden ist. Während es bei Breitband über das Kabel-TV-Netz eine „digitale“ Aussage zur Verfügbarkeit gibt, hat die entfernungsabhängige Dämpfung in der Kupferdoppelader bei DSL eine langsame Abnahme der Bandbreite zur Folge. In einigen Teilen der Gemeinde sinkt die verfügbare Bandbreite dadurch auf DSL-light-Niveau, womit eine effiziente Internet-Nutzung nicht mehr möglich ist.
Dr. Jürgen Kaack hat eine Reihe von Projekten als Berater begleitet. Einige aus der Region Nordrhein-Westfalen stellt er ausführlicher als Best-Practice-Beispiele vor: Arnsberg, Ennepetal, Erftstadt, Erkelenz und Wegberg sowie die Lage im gesamten Kreis Heinsberg, ferner Geilenkirchen, Haltern am See, Kaarst, Nettetal und Rheurdt. Außerdem berichtet er von der T-City Friedrichshafen, erläutert die möglichen Geschäftsmodelle im kommunalen Breitbandausbau sowie die Optionen der NGA-Rahmenregelung und setzt auseinander, wo Vectoring seine Haken hat. Nicht zuletzt skizziert er die Prinzipien einer Breitbandstrategie NRW und macht handfeste Vorschläge für eine umfassende Breitbandstrategie.
Seine gesammelten Erfahrungen sind 2016 in der Reihe MittelstandsWiki bei Books on Demand erschienen: „Schnelles Internet in Deutschland“ (Paperback, 220 Seiten, ISBN 978-3-946487-00-5, 9,99 Euro).
In Rheurdt waren zu Beginn des Projektes 355 Haushalte und Betriebe in den nördlichen und östlichen Teilen der Kerngemeinde sowie weitere 271 in den westlich gelegenen Bauernschaften Kengenen, Finkenberg und Saelhuysen mehrheitlich mit weniger als 2 MBit/s unterversorgt. Die durchschnittlich verfügbare Bandbreite lag anhand der Ergebnisse einer Befragung bei allen Haushalten und Betrieben in den nördlichen und östlichen Gemeindeteilen knapp unter 1 MBit/s, in den Bauernschaften bei immerhin 1,5 MBit/s.
Auch das Gewerbe sitzt mehrheitlich in den Bauernschaften. (Bild: STZ-Consulting)
Ein Ausbau des vorhandenen Kabel-TV-Netzes wäre aufgrund der erforderlichen Tiefbauarbeiten viel zu teuer geworden. Für einen nachhaltigen leitungsgebundenen Ausbau blieb daher nur die Verlegung von Glasfaser bis zu den Kabelverzweigern in den unterversorgten Gebieten und der Überbau mit Multifunktionsgehäusen (Outdoor-DSLAMs) nach dem Fiber-to-the-Curb-Konzept (FTTC). Dies stellte sich für die nördlichen und östlichen Gebiete noch als eine Maßnahme mit vertretbarer Deckungslücke dar, wenn man die durch die Kerngemeinde verlaufende Haupttrasse verlängerte.
Anforderungen aus der Befragung
Bei den privaten Nutzern sind aufgrund der veränderten Arbeitsbedingungen üblicherweise viele dabei, die als Selbstständige oder Angestellte auch von zu Hause berufsbedingte Arbeiten erledigen müssen, dies mit den zur Verfügung stehenden Bandbreiten aber oft nicht zufriedenstellend können. Auch die Bedürfnisse von Schülern und Studierenden führen bei unzureichender Versorgung mit Sicherheit zu Problemen.
Neben privater und gewerbliche Nutzung gewinnt die Home-Office-Anwendung mit über 40 % an Bedeutung. (Bild: STZ-Consulting)
In der Befragung spiegelt sich der Mix der Anwendungen mit 21 % gewerblichen Nutzern in den Bauernschaften (gegenüber 7 % in den nördlichen und östlichen Gemeindeteilen) und 48 % Home-Office-Nutzern in den Bauernschaften (44 % in den nördlichen und östlichen Gemeindeteilen). Die Differenzen der beiden Untersuchungsgebiete lassen sich vermutlich aus strukturellen Unterschieden und insbesondere dem mit 29 % höheren Anteil von (landwirtschaftlichen) Betrieben in den Bauernschaften begründen (in den nördlichen und östlichen Gemeindeteilen liegt das Verhältnis von Betrieben zu Haushalten bei 11 %).
Die Telekom ist in Rheurdt der mit Abstand wichtigste Anbieter; andere Technologien sind eher unbedeutend. (Bild: STZ-Consulting)
Aufgrund fehlender technologischer Alternativen ist DSL die führende Technologie. Hier ist die Deutsche Telekom zusammen mit Resellern der führende Anbieter in den beiden unterversorgten Ortsteilen. Satelliten-DSL, Mobilfunkanbindung und regionale Funklösungen sind weitgehend unbedeutend. Kabel-TV, Satelliten-DSL und regionale Funklösungen wurden in beiden Gebieten nicht genannt. Mobilfunk wurde nur mit 6 bzw. 14 % (Bauernschaften) als Zugangstechnologie genannt.
18 % der Befragten aus den nördlichen und östlichen Ortsteilen machten keine Angabe zur Zugangstechnologie. Es ist zu vermuten, dass eine Reihe dieser Befragten aufgrund der fehlenden Breitbandverfügbarkeit tatsächlich keinen Breitbandvertrag hatten. In den Bauernschaften lagen der Anteil der unversorgten Anschlüsse bei ca. 3 % und der Anteil ohne Angabe zum Anbieter bei 10 %.
Die zu Projektbeginn verfügbare Bandbreite lag auf der Basis der Antworten bei durchschnittlich 0,926 MBit/s in den nördlichen und östlichen Gemeindeteilen und bei 1,567 MBit/s in den Bauernschaften. Dies steht in Übereinstimmung mit den Versorgungsangaben der Deutschen Telekom. Die schlechte Versorgungslage dokumentiert sich auch in der hohen Unzufriedenheit mit der derzeitigen Versorgung und einer hohen Wechselbereitschaft von 72 bis 78 %.
Trotz besserer Versorgung ist der Bandbreitenbedarf in den Bauernschaften höher. (Bild: STZ-Consulting)
Über 90 % der Befragten gaben an, dass sie eine höhere Bandbreite benötigen. Dabei lag der Bedarf in den Bauernschaften trotz der etwas besseren Versorgung mit 97 % leicht höher. Die gewünschte Bandbreite lag bei allen Befragten zwischen 1 und über 50 MBit/s. Vermutlich mangels eigener Erfahrungen war die Nachfrage nach hohen Bandbreiten (> 26 MBit/s) mit ca. 13 % eher gering. Es ist zu vermuten, dass auf der Basis von Erfahrungen mit einer besseren Versorgung auch die Nachfrage nach höheren Bandbreiten steigt. Dies entspricht der Erfahrung in „entwickelten“ Breitbandmärkten, z.B. in Skandinavien oder in Ballungsgebieten.
Die gewünschten Bandbreiten liegen in den Bauernschaften deutlich höher als in den anderen unterversorgten Bereichen. (Bild: STZ-Consulting)
Weil die Menschen in den nördlichen und östlichen Gemeindeteilen keine oder nur geringe eigene Breitbanderfahrungen hatten, ist es nicht erstaunlich, dass ein recht hoher Anteil von 43 % sich eine Bandbreite von „nur“ 6 bis 15 MBit/s wünschte. In den Bauernschaften mit ihrer heute vergleichsweise besseren Versorgung wären nur 25 % der Befragten mit einer Bandbreite von 6 bis 15 MBit/s zufrieden gewesen. Die größte Gruppe der Befragten in den Bauernschaften mit 56 % der Antworten wünschte sich 16 bis 25 MBit/s. Eine signifikante Anzahl der Antworten (ca. 13 %) aus beiden Bereichen gab eine Wunschbandbreite von über 26 MBit/s an, wie sie in größeren Städten und Ballungsgebieten heute dem Standard entspricht.
Die „Wunschbandbreite“ von knapp 16 MBit/s liegt in einem üblichen Rahmen bei realistischen Preisvorstellungen. (Bild: STZ-Consulting)
Die vergleichsweise bessere Versorgung in den Bauernschaften zeigte sich auch in der höheren Quote von Antworten, die nur eventuell (3 %) oder eher nicht (14 %) an höheren Bandbreiten interessiert sind. In den nördlichen und östlichen Gebieten können sich 4 % der Befragten einen höheren Bedarf nur „eventuell“ vorstellen; ausschließen will das gar keiner.
Die durchschnittliche Wunschbandbreite betrug in beiden Bereichen über 15 MBit/s und lag somit in einem marktüblichen Rahmen. Auch die Angaben zur durchschnittlichen monatlichen Zahlungsbereitschaft spiegelten mit durchschnittlich 30 bis 35 Euro eine realistische Einschätzung des Marktpreises wider.
Schwierige Ausgangslage
Die Gemeinde wird aufgrund ihrer Lage aus getrennten Versorgungsrichtungen angebunden, die zwei unterschiedliche Vorwahlnummern zur Folge haben. Daher sollte auch der Ausbau diesen Versorgungsrichtungen folgen. Die ersten Kalkulationen im Rahmen der Markterkundung führten für die Bauernschaften zu einer Deckungslücke von deutlich über 300.000 Euro, mit voraussichtlich mindestens 150.000 Euro Eigenanteil – zu viel für den Haushalt der Gemeinde. Auch eine Reduzierung der gewünschten 16 MBit/s hätte keine deutliche Reduktion der Investitionskosten gebracht. Auch konnte man nicht auf den Überbau eines der vier Kabelverzweiger verzichten, ohne die Leistung erheblich zu reduzieren.
Ohne eine Alternative hätte Rheurdt also auf den Ausbau in zwei der Bauernschaften verzichten oder statt einer leitungsgebundenen Lösung auf eine Funklösung als Brückentechnologie setzen müssen. Da aber gerade in den drei Bauernschaften neben 210 Haushalten auch 61 Betriebe dringend auf eine nachhaltige Verbesserung der Breitbandversorgung warteten, waren diese Alternativen auch für Herrn Kleinenkuhnen, den Bürgermeister der Gemeinde, nicht erstrebenswert.
Die STZ-Consulting Group ist eine Unternehmensberatung, die Unternehmen und Kommunen bei der Bewältigung von Veränderungsprozessen unterstützt, von der Entwicklung tragfähiger Konzepte bis zur Umsetzung. Die Partner der STZ-Consulting Group haben langjährige Erfahrungen aus eigener operativer Führungstätigkeit in Unternehmen, aus der Gründung und dem Aufbau von Unternehmen sowie in der Beratung. Ein Branchenschwerpunkt liegt in der Telekommunikation.
Dr. Jürgen Kaack – STZ-Consulting Group, Kolibristr. 37, 50374 Erftstadt, Tel. 02235-988776, info@stz-consulting.de, www.stz-consulting.de.
Lichtwellenmasten statt Tiefbaukosten
In der von der Gemeinde in Auftrag gegebenen Kostenanalyse konnten schnell zwei Leerrohrtrassen für den Anlauf als Treiber identifiziert werden. Zum Ausbau der drei Bauernschaften hätten über 4 km Leerrohre verlegt werden müssen. Selbst unter Nutzung kostengünstiger Verlegungstechniken wie Einpflügen wären dadurch unverhältnismäßig hohe Kosten entstanden. Da zwei Versorgungsrichtungen ausgebaut werden mussten, wäre auch eine Richtfunkversorgung aufwendig geworden.
Als sparsame Verlegungstechnik blieb noch die oberirdische Verlegung von Lichtwellenleitern mithilfe von Masten. Auf diesem Weg konnte Rheurdt die Kosten von ca. 50 Euro bei unterirdischer Verlegung auf unter 10 Euro senken. Die oberirdische Verlegung ist zwar nicht die bevorzugte Variante und je nach Zuordnung der Straßen mit aufwendigen Genehmigungsverfahren verbunden. Da aber im Falle von Rheurdt die betreffenden Straßen der Gemeinde gehören und man keine wesentliche optische Beeinträchtigung erwartete, konnte dieser Weg eingeschlagen werden.
Die sich nun ergebende Deckungslücke war nur noch halb so hoch wie bei der Variante mit unterirdischer Verlegung; der Eigenanteil der Gemeinde sank auf gut 40.000 Euro. Auf dieser Basis war ein Ausbau möglich. Dabei entstand im Hinblick auf die Leistungen an den Anschlüssen keine Beeinträchtigung und das leicht erhöhte Risiko einer Unterbrechung der Leitung war auch akzeptabel.
Fazit: Inbetriebnahme ist im Herbst 2013
Nach Abschluss der Projektarbeiten und einer vorläufigen Vergabeentscheidung im Gemeinderat wurde der Förderantrag fertiggestellt und an die Bezirksregierung weitergeleitet. Aufgrund der Landtagswahlen in NRW hatte sich die Vergabeentscheidung zuerst bis Mitte 2012 verzögert. Mit einer Bindefristverlängerung durch den Netzbetreiber konnte der Kooperationsvertrag geschlossen werden. Ab Herbst 2013 wird nun die Internet-Geschwindigkeit im Gemeindegebiet deutlich steigen.
Ein positiver Nebeneffekt hat sich in der Zwischenzeit durch bürgerschaftliches Engagement in den Bauernschaften ergeben. Die oberirdisch geplanten Anlauftrassen wurden in Eigenleistung nun doch unterirdisch in Leerrohren verlegt. Bei einer Verlegung durch den Netzbetreiber wäre das aufgrund der Mehrkosten nicht möglich gewesen. So haben die Bemühungen der Gemeinde, die Bereitstellung von Haushaltsmitteln für den Eigenanteil, die Fördermittel aus dem GAK-Programm und das bürgerschaftliche Engagement insgesamt zu einem guten Ergebnis geführt.
Die Projektumsetzung für Rheurdt zeigt, dass man oft auch in kleinen Gemeinden mit einer verteilten Siedlungsstruktur – hier noch mit dem zusätzlichen Erschwernis von drei unterschiedlichen Breitbandversorgungsrichtungen – noch eine Lösung finden kann. Zum anderen wird deutlich, dass ohne eine aktive Rolle der Verwaltung eine Umsetzung nicht funktioniert.