Am Anfang steht die Marktanalyse
Von Matthias Meyer, Meyer Industry Research
„Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert werden.“ Apples bekannter Spruch aus dem Jahr 2009 betrifft längst mehr als Unterhaltungselektronik und IT. Die Arbeitswelt von morgen wird sich durch neue Technologien wie Big Data, Augmented/Virtual Reality und den Einsatz von künstlicher Intelligenz massiv verändern. Große Technologieanbieter wie IBM, Google und Microsoft bieten schon heute Technologien und Lösungen, die Prozesse in Verwaltung, Forschung und Produktion ganz neu strukturieren und ein neues Denken erfordern. In Open-Innovation-Projekten beschreiten große Konsumgüterhersteller ganz neue Wege, um neue Produkte und Services zu entwickeln.
Fach- und Führungskräfte aller Branchen und Personalverantwortliche, die sich jetzt mit den neuen Möglichkeiten innovativer Technologien auseinandersetzen, können für ihr Unternehmen und die Mitarbeiter einen Wettbewerbsvorsprung erreichen. So ergeben sich einerseits Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung durch den intelligenten Einsatz der Technologien, gleichzeitig aber auch neue Absatzmärkte und Entwicklungspotenziale, zum Beispiel für Zulieferer. Erfolgreiche Beispiele, in denen digitalisierte Lösungen bereits heute in Verwaltung, Kundenservice oder der Forschung und Entwicklung zum Einsatz kommen und so unser Arbeitsleben verändern, gibt es bereits.
IBM Watson: KI für bessere Entscheidungen
IBM macht mit seinem Supercomputer Watson vor, welche Möglichkeiten kognitive Systeme fortschrittlichen Unternehmen heute schon bieten können. Vor allem in Bereichen, in denen große Datenmengen anfallen, wie zum Beispiel im Gesundheitsbereich oder der Versicherungs– und Finanzbranche, hilft Watson Entscheidern, die vorhandenen Datenmengen schneller auszuwerten, daraus bessere Schlüsse zu ziehen und Kosten zu sparen:
Der japanische Versicherer Fukoku Mutual Life Insurance setzt Watson zum Beispiel zur Effizienzsteigerung in der Zahlungsabteilung ein: Das System liest medizinische Berichte von Ärzten ein, verschlagwortet diese und sammelt Informationen wie Operationsart oder Länge eines Krankenhausaufenthalts, die für die angeforderte Auszahlung der Krankenkasse relevant sind. Berücksichtigt werden zudem die persönliche Vorgeschichte des Versicherten und weitere Details aus dem Versicherungsvertrag. Andere Versicherer in Japan, zu Beispiel die Dai-ichi Life Insurance die Japan Post Insurance, setzen ebenfalls auf die intelligente Auswertung komplexer Datenmengen durch Watson.
In einem wettbewerbsintensiven Markt mit hohem Kostendruck versuchen die Versicherer, sich mit KI-Unterstützung Luft gegenüber ihren Konkurrenten zu verschaffen. Einsatzpotenziale für das Watson-System sieht IBM zu Beispiel auch im medizinischen Bereich, im HR- und Recruiting-Umfeld oder in der Immobilienwirtschaft: So verkündete 2016 Siemens Building Technologies eine Kooperation mit IBM, um mithilfe von Watson das Potenzial vernetzter Gebäude und der anfallenden großen Datenmengen besser zu nutzen.
Matthias Meyer ist Gründer und Inhaber von Meyer Industry Research in München. Das Unternehmen ist seit mehr als zehn Jahren spezialisiert auf die Erstellung individueller Markt- und Wettbewerbsanalysen für Technologie- und Industrieunternehmen. Zu den Kunden gehören mittelständische und größere Unternehmen aus den Bereichen Automotive, Maschinen- und Anlagenbau sowie Elektro- und Elektronikindustrie. Viele dieser Unternehmen beschäftigen sich aktuell mit den veränderten Marktgegebenheiten und zukünftigen Herausforderungen im Markt aufgrund der schnell voranschreitenden Digitalisierung. Meyer Industry Research unterstützt Unternehmer, Beteiligungsgesellschaften, M&A-Beratungen und weitere Kunden bei der strategischen Bewertung von Marktpotenzialen, Wettbewerbssituation und Kundenanforderungen.
Meyer Industry Research, Kaflerstraße 4, 81241 München, Tel.: 089-820817769, info@meyer-industryresearch.de, www.meyer-industryresearch.de
Augmented Reality: Support in der Industrie
Ein weiteres Anwendungsfeld digitalisierter Lösungen sind die Bereiche Kundenservice, technischer Support und Schulungen. Das mittelständische Automatisierungsunternehmen Essert GmbH im badischen Ubstadt-Weiher ist einer der Vorreiter in diesem Sektor. Typischer Anwendungsfall ist ein technisches Problem an einer Produktionsmaschine im Industrie- und Produktionsbereich, zu Beispiel der Automobilindustrie, wo Anlagenausfälle sehr hohe Kosten nach sich ziehen:
Benötigt ein Techniker für die Anlage vor Ort technische Unterstützung, verbindet er sich über eine spezielle Virtual-Reality-Datenbrille mit dem Kundenservice des Anlagenbauers. Kundendienstmitarbeiter und Techniker schauen über die virtuelle Brille gemeinsam in die Maschine, der Kundendienstmitarbeiter markiert oder beschriftet bestimmte Bauteile virtuell im Sichtfeld des Technikers vor Ort. Auf diese Weise können technische Probleme schneller gelöst werden, ohne dass die persönliche Vor-Ort-Präsenz des Anlagenbauers erforderlich wäre. Essert verspricht 70 % weniger Reiseaufwand im Bereich des technischen Supports im Maschinenbau und 40 % geringeren Support-Aufwand, da die Probleme durch die virtuelle Zusammenarbeit schneller und dauerhafter gelöst werden können.
Eine Einführung macht mit Chancen und Risiken vertraut; dazu gibt es gleich die ersten Beispiele: Otto in Hamburg, Lufthansa Technik und Viessmann in Berlin. Danach geht der Blick Richtung Nordrhein-Westfalen zu Henkel und Grohe, aber auch zu Hidden Champions wie der Harting-Gruppe. In Bayern sind Jungheinrich, die Wenzel Group, Lamilux und natürlich KUKA gute Beispiele, in Baden-Württemberg Firmen wie Festo und Trumpf. Der Blick über den Tellerrand nach Österreich zeigt, dass dort Namen wie Erema, Radel & Hahn und LiSEC, aber auch Red Bull digital erfolgreich unterwegs sind. Auf die Chancen der Digitalisierung geht dann Matthias Meyer genauer ein, der Beispiele aus den Bereichen Big Data, Augmented und Virtual Reality sowie Open Innovation nennt. Eher in Richtung Disruption geht das Digitalisierungsinterview, das wir mit Andreas Franken geführt haben; mit ihm haben wir außerdem über die Folgen für den Arbeitsmarkt gesprochen. Weitere Gastbeiträge behandeln das Thema aus der Perspektive von Marketing und Vertrieb, Kundendienst, Logistik, Baubranche und Gastronomie sowie Kommunikationstechnologie. Nicht zuletzt steht auch die Digitalisierung der Energiewende an.
Open Innovation: Kollaborative Produktentwicklung
Ein weiteres Beispiel für die Nutzung digitaler Technologien in Unternehmen sind Open-Innovation-Plattformen: Dort nutzen Firmen die Ideen und das Wissen von Kunden, Anwendern, Experten und Mitarbeitern, um neue Produkte schneller und marktgerechter zu entwickeln. Anwendungsbeispiele finden sich sowohl bei Dienstleistungsunternehmen als auch im produzierenden Gewerbe:
Die Messe München GmbH als einer der führenden Messegesellschaften weltweit organisiert jährlich rund 40 Messen für Investitionsgüter, Konsumgüter und Innovationen. Im Rahmen der Veranstaltung ISPO, einer der größten internationalen Sportartikelmessen, präsentierte das Unternehmen ein im Messebereich wohl einzigartiges Angebot im Bereich kollaborativer Produktentwicklung: Die ISPO Open Innovation Plattform bietet den Ausstellern der Fachmesse Zugang zur sogenannten Innovation Community, einer über eine Crowd-Plattform rekrutierte Gruppe von sportaffinen Anwendern und Experten. Sportartikelhersteller wie Dachstein, X-Bionic und MIPS nutzen die Plattform, und gemäß dem Open-Innovation-Prinzip Anwender und Experten in die Produktentwicklung miteinzubeziehen und neue Produktideen zu generieren.
Die Messe München plant eine Ausweitung der Open-Innovation-Plattform für weitere Industrie- und auch für Hochtechnologiemessen. Im Wettbewerb um attraktive Aussteller und Besucher will man so gegenüber anderen Messeschauplätzen weiter punkten und sich als Innovationsführer positionieren.
Auch der international tätige Life-Science-Konzern Bayer AG nutzt verschiedene Open-Innovation-Plattformen zur digitalen Zusammenarbeit bei Produktentwicklung beziehungsweise Forschung und Entwicklung: Über das interne Open-Innovation-Programm „We Solve“ macht sich das Unternehmen das Wissen der weltweiten Mitarbeiter entlang der Wertschöpfungskette zunutze.
Digitalisierungsstrategie für den Mittelstand
Die aufgeführten Beispiele zeigen, dass digitale Technologien aus den Bereichen Big Data, Augmented und Virtual Reality sowie Open Innovation bereits heute in Unternehmen verschiedener Branchen Einzug halten. Handelt es sich heute vielfach noch um Pilotprojekte und Branchenvorreiter, ist damit zu rechnen, dass binnen weniger Jahre die Digitalisierung wie kaum ein anderer Trend Einzug in fast alle Branchen und Unternehmen halten wird. Große Konzerne reagieren bereits heute auf diese Entwicklung und entwickeln eine Digitalisierungsstrategie für ihr Geschäft und ihre Absatzmärkte. Bei Mittelständlern und kleineren Unternehmen zeigt sich dagegen momentan noch vielfach Zurückhaltung. Angesichts der angehenden massiven Veränderungen empfiehlt es sich jedoch auch für Führungskräfte des Mittelstands, sich gezielt mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung für das eigene Geschäftsmodell zu beschäftigen.
Neben der Analyse von Effizienzpotenzialen im betrieblichen Ablauf, der Produktion und Verwaltung sollte dabei vor allem die Digitalisierung der am Markt angebotenen Produkte und Services im Mittelpunkt stehen:
- Wie können wir unsere Produkte und Leistungen so verändern, dass wir dem Trend zur Digitalisierung in unseren Kundenbranchen und Anwendungen begegnen?
- Wie sieht unser digitalisierter Markt in zehn Jahren aus?
- Was macht heute bereits der Wettbewerb in Sachen Digitalisierung?
- Welche Anforderungen und Wünsche haben unsere Kunden, die wir mit Digitalisierungslösungen bedienen können?
Das sind typische Überlegungen, die am Anfang einer eigenen Digitalisierungsplanung stehen. Ganz zu Beginn dieser Überlegungen steht eine solide Analyse von Marktsituation, Technologieoptionen, Wettbewerbsaktivitäten und zukünftigen Kundenanforderungen. Über diese systematische Marktanalyse zur Erhebung der relevanten Fakten, Treiber und Einflussfaktoren können dann Zielsetzungen und konkrete Maßnahmen für den eigenen „Digitalisierungspfad“ erarbeitet werden.
Adidas-Chef Kapar Rorsted sieht die Digitalisierung dabei als klare Chance für Unternehmen, warnt aber zugleich, dass die Auswirkungen der Digitalisierung in Deutschland derzeit ganz klar unterschätzt würden. Nach seiner Einschätzung werden Gewinner vor allem die Länder und Unternehmen sein, die ihre digitalen Kompetenzen beständig weiterentwickeln und bereit sind, Risiken einzugehen. Mit seiner im vergangenen Jahr eröffneten Speedfactory, einer digitalen Fabrik in Ansbach bei Nürnberg, zeigt Adidas schon mal, wie die erfolgreiche Umsetzung von Digitalisierung in der deutschen Industrie aussehen kann.