Der enttarnte Kunde
Von Andreas Franken, Franken-Consulting
„Der Kunde ist König“ ist eine geläufige Floskel, über deren Richtigkeit die wenigsten nachdenken. Schließlich verhält sich nicht jeder Kunde „königlich“. Und betrachtet man den Aufwand, den einzelne Kunden verursachen, steht er oft in keinem Verhältnis zum Ertrag. Hohe Rabattforderungen, schleppende Zahlungen und Vertragsuntreue sind nur einige Beispiele dafür, weshalb man das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Kunden untersuchen sollte, bevor man auf die jeweilige Kundenbeziehung Mühen ver(sch)wendet.
Ein Kundenverlust ist oft ein Gewinn
Im Privaten weiß man schon lange, dass einseitige Beziehungen von kurzer Dauer sind. Wer jemanden mehrfach zum eigenen Geburtstag einlädt, aber nie eine Gegeneinladung erhält, wird dies früher oder später zum Anlass nehmen, die Beziehung zu dieser Person zu überdenken. Im Geschäftsleben sollte dies ähnlich sein, denn kaum eine Geschäftsbeziehung ist damit umfassend beschrieben, dass jemand kauft, was ein anderer anbietet. Von besonderer Relevanz sind die Details der Geschäftsbeziehung und auch das jeweilige Verhalten von Anbieter und Nachfrager.
Ein Kleinbeispiel, das für Schlagzeilen gesorgt hat, ist der Riedenburger Fliesenleger Michael Schmiedl, der sich entschlossen hat „Ingenieure, Doktoranden, Professoren der Firmen Audi und Siemens“ als Problemkunden kategorisch aus seinem Kundenkreis auszuschließen. Der Handwerksmeister ist damit auf viel Verständnis gestoßen. Und als Kaufland erklärte, dass man die Produkte von Unilever auslisten werde, konnten wahrscheinlich viele den Reflex nicht unterdrücken, Unilever als Opfer dieses Vorgangs zu identifizieren, denn der Konzern verliert mit Kaufland schließlich einen (wichtigen) Kunden. Nachdem allerdings Unilever erwiderte, dass Kaufland trotz sinkender Absatzzahlen immer günstigere Einkaufspreise fordere und der Konzern diesen Forderungen nicht weiter nachkommen wolle, relativierte sich die Sichtweise. Unilever wird wahrscheinlich eine Kundenwertanalyse durchgeführt und einen Grenzwert ermittelt haben, ab dem Kaufland als Kunde deutlich an Wert verliert. Ist der Grenzwert erst einmal erreicht, wird ein Kunde nämlich teuer. Speziell in diesem Fall drängt sich die Frage auf, ob die Machtdemonstration von Kaufland nicht eher ein Eigentor war. Schließlich erfreuen sich die Unilever-Produkte reger Nachfrage, und es bleibt abzuwarten, ob Kaufland früher oder später nicht doch einlenken wird.
Kennen Sie den jeweiligen CLV Ihrer Kunden?
Seit geraumer Zeit wird der Kundenwert im B2C als Kundenlebenszeitwert mit der Kennzahl CLV (Customer Livetime Value) gemessen. Dieses machtvolle Marketing-Instrument ist den Verbraucherschützern zwar ein Dorn im Auge, aber durch die fachgerechte Berechnung von Kundendaten ist es den Unternehmen möglich, ihre Aufwendungen zielgenau dort zu investieren, wo sich diese auch maximal lohnen. Der CLV ermittelt sich aus bis zu Tausenden persönlichen Daten und gibt Auskunft darüber, welche Erträge ein bestimmter Kunde dem Unternehmen wahrscheinlich bescheren wird – und zwar über sein gesamtes Kundenleben.
Kunden mit einem hohen CLV sind aus Unternehmenssicht besonders attraktiv und werden deshalb auch besonders umworben und gepflegt. Sie verbringen nur wenig Zeit in der Telefonwarteschleife, erhalten die besten Konditionen und werden mit vielen Premiumleistungen gebunden.
Mobilfunk- und Kreditkartenunternehmen, Hotelketten, Fluggesellschaften, Autohändler und viele weitere Firmen ermitteln höchst professionell, wer in den vergangenen Jahren was genau wann, wo und wie oft gekauft oder gebucht hat. Zudem bieten Datenbroker an, weitere Informationen über einzelne Kunden zu beschaffen sowie die Vielzahl an Daten zu gewichten und daraus individuelle Kundenlebenszeitwerte zu berechnen. Die Datenexperten kennen die Zahl der Facebook-Freunde und das Klickverhalten, aus dem sich Vorlieben und Persönlichkeitsmerkmale ableiten lassen. Es bleibt auch nicht unberücksichtigt, welcher Verbraucher wie oft bei Hotlines anruft, Waren reklamiert und online seinen Unmut äußert. Hobbys, Lieblingsrestaurants und -geschäfte sowie das jeweilige Google-Suchverhalten inklusive der Webseitenbesuche beim Mitbewerb sind ebenfalls keine Geheimnisse. Alter, Geschlecht, Beruf, Familien- und Wohnungsgröße, die Wohngegend, Hautfarbe, politische und religiöse Ansichten, Finanzen, Behinderungen, Erkrankungen und vieles mehr ist von Bedeutung, um den CLV zu berechnen.
Andreas Franken ist als Unternehmensberater spezialisiert auf die Themen Strategie, Marketing und Vertrieb. Seine Berufserfahrung erstreckt sich über mehr als 30 Jahre, und er veröffentlicht regelmäßig Fachartikel zu Managementthemen. Zur eigenständigen Optimierung von Unternehmen bietet er seinen Neun-Punkte-Plan zum kostenlosen Download.
Andreas Franken, Franken-Consulting, Ortbeckstraße 5, 45894 Gelsenkirchen; Telefon 0209-3187586, Telefax 0209-3187581, af@franken-consulting.org, www.franken-consulting.org
Es sind nicht alle Kunden gleich
Aus alledem resultiert, dass eben nicht jeder Kunde gleich (wertvoll) ist und dass sich dieser Erkenntnis folgend Unternehmen nicht nur in ihrem jeweiligen Betreuungsverhalten pro Kunde auf die neuen Möglichkeiten der Datennutzung einstellen, sondern auch bereits bei der Produkt- und Dienstleistungsentwicklung. Wenn die Zukunftsaussichten eines Unternehmens bislang aus den Bilanzen und der Aktienkursentwicklung abgeleitet wurden, so könnte zukünftig die Summe der Lebenszeitwerte aller Kunden ebenfalls von allerhöchstem Interesse sein.
Aufgrund anderer Datenschutzgesetze ist das Erstellen von CLVs in den USA noch leichter als in Europa, aber auch bei uns arbeiten Data Scientists eifrig an gesetzeskonformen Konzepten. Zu Beginn der 2000er Jahre glaubten noch viele an die Anonymität im Internet, aber mittlerweile dürfte jedem klar geworden sein, dass wir in keinem Absatzkanal transparenter sind, als im digitalen.
Kundenwertanalyse: Kür und Pflicht
Nun mag man sich über so viel Transparenz und Möglichkeiten des Missbrauchs echauffieren, aber wer möchte es den Unternehmen verübeln, dass sie die für sie besten Kunden identifizieren und an sich binden wollen? Viel wichtiger ist doch die Frage danach, welche Wertkriterien in welcher Gewichtung zur Anwendung kommen sollten, um die „besten Kunden“ zu ermitteln?
Wenn man unterstellt, dass es für ein Unternehmen unwirtschaftlich ist, alle Kunden gleich gut oder schlecht zu bedienen, muss folgerichtig eine Aufteilung der vorhandenen Kapazitäten erfolgen. Diese Priorisierung bedeutet eine individuell am jeweiligen Kundenwert angepasste Behandlung. Hierbei bilden bereits gemachte Erfahrungen nicht die alleinige Bewertungsgrundlage – viel wichtiger sind die zukünftiger Potenziale und das Wissen darüber, wie diese für ein Unternehmen erschlossen werden können.
Jedes Unternehmen sollte eine individuelle Bewertungsmatrix entwickeln, die die relevanten Werttreiber listet und priorisiert. Mit solch einem Instrument lassen sich dann Kunden mit Blick auf harte und weiche Faktoren klassifizieren. Beispielsweise könnten die mit einem Kunden erzielten Umsätze und Margen positiv sein, aber nach Berücksichtigung von Betreuungskosten, Retouren, Werbekostenzuschüssen und Jahresboni etc. wäre es dennoch möglich, dass sich die Rentabilität der Geschäftsbeziehung als negativ entpuppt. Aber auch weiche Faktoren wie die Imagewirkung der Kundenbeziehung oder eine eventuelle strategische Bedeutung könnten wichtig sein. Ein Kunde kann auch Ideengeber oder Kreativpartner oder Ähnliches sein. Worauf es im Detail ankommt, dürfte wohl je nach Unternehmen bzw. Geschäftsmodell unterschiedlich sein.
Entscheidungskriterien in der Geschäftsbeziehung
Der Wert eines Kunden ist von den meisten Unternehmen bzw. von deren Vertrieblern und sonstigen Vertretern eigentlich schon immer irgendwie bestimmt worden. Dies geschah aber oft entweder eher emotional oder auf der Grundlage nicht umfassender Daten.
Mit den jetzt und zukünftig zur Verfügung stehenden Instrumenten aus den Bereichen Big Data und Advanced Analytics wird es möglich, die Zuverlässigkeit der zu gewinnenden Aussagen zu maximieren, um die Rentabilität und das Erlebnis für die – im Sinne des Unternehmens – wirklich guten Kunden zu maximieren.
Natürlich wird sich so mancher ungerecht behandelt fühlen, aber auch bei Geschäftsbeziehungen ist zu beachten, dass diese nur dann zukunftsfähig sein können, wenn sie ausgewogen sind. Wenn eine Seite ihre Vorteile durch gezielt verursachte Nachteile beim Geschäftspartner „verdient“, so bildet dieses Verhalten keine Basis für ein gedeihliches Miteinander. Wen wundert es, wenn der übervorteilte Geschäftspartner dann die Geschäftsbeziehung verlässt oder zumindest neu definiert?