Eigeninitiative und -verantwortung: Wie viel Eigeninitiative im Betrieb erwünscht ist

Mitarbeiter, die unternehmerisch denken und handeln – das wünschen sich die meisten Top-Manager. Zumindest sagen sie das. Doch zugleich verhindern sie selbst, dass ihre Untergebenen das gewünschte Verhalten zeigen. Sie müssen lernen, Mitarbeiter eigenverantwortlich denken und handeln zu lassen.

Machen Sie mal! (Aber tun Sie’s bloß nicht.)

Von Dr. Georg Kraus, Dr. Kraus & Partner

„Unsere Mitarbeiter müssen künftig unternehmerischer denken und handeln.“ So etwas hört man oft von Unternehmensführern, wenn man mit ihnen über die Anforderungen an die Mitarbeiter von morgen spricht. Und fragt man nach, was dies bedeutet, dann fallen meist Stichworte wie „Eigeninitiative“ und „Eigenverantwortung“ sowie „Bereitschaft, Risiken zu tragen“. Ist es das, was das obere Management im Tageschäft wirklich will?

Die antrainierte Angst vor Eigeninitiative

Jedenfalls verfügen die Mitarbeiter aus Sicht vieler Top-Manager noch nicht ausreichend über diese Eigenschaften. Entsprechend häufig beklagen sie, die meisten Mitarbeiter würden bei ihrer Arbeit nicht über den Rand ihres Schreibtischs hinaus schauen; außerdem seien sie nicht bereit, das Risiko eventueller Fehlentscheidungen zu tragen. Ihr Engagement richte sich vielmehr primär darauf, sich abzusichern, sodass ja kein Kollege oder gar Vorgesetzter sie kritisieren kann. Von unternehmerischem Denken und Handeln hingegen finde man bei ihnen meist Spur – selbst wenn es sich um mittlere Führungskräfte handelt.

Dass die erwünschten Einschätzung nicht selten zutrifft, ist kein Zufall. Denn viele Betriebe erwarteten jahrzehntelang von ihren Mitarbeitern vor allem, dass sie die ihnen übertragenen Aufgaben erfüllten. Das taten sie auch. Ungewohnt ist es für sie deshalb, am Arbeitsplatz eigenständig Entscheidungen zu treffen. Denn das Entscheiden nahmen ihnen in der Vergangenheit ihre Chefs ab. Entsprechend verunsichert und teils hilflos reagieren sie, wenn von ihnen plötzlich Eigenverantwortung gefordert wird, speziell dann, wenn die Entscheidungen Auswirkungen auf andere Bereiche haben. Denn in der Vergangenheit lautete eine unausgesprochene Vorgabe in zahlreichen Unternehmen: „Erfüllt eure Aufgaben und mischt euch nicht in fremde Angelegenheiten ein!“ Entsprechend groß ist die Angst vieler Mitarbeiter, anzuecken und sanktioniert zu werden, wenn sie mehr Eigeninitiative und -verantwortung zeigen.

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Dr. Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der international agierenden Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal, für die über 100 Berater, Trainer und Projektmanager arbeiten. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence, der St. Galler Business School und der Technischen Universität Clausthal.


Dr. Kraus & Partner, Werner-von-Siemens-Str. 2–6, 76646 Bruchsal, 07251-989034, Fax: 07251-989035, info@krauspartner.de, www.kraus-und-partner.de

Der Nachwuchs passt sich schnell an

Mit einem über Jahrzehnte antrainierten Verhalten lässt sich aber nicht erklären, warum auch viele junge Führungskräfte ein wenig risikobereites Verhalten zeigen. Denn sie sind noch neu in der Organisation. Trotzdem zeigen auch sie meist schnell die Verhaltensmuster der alten Hasen. Denn sobald sie eingestellt sind, sammeln sie rasch die Erfahrung: Ein eigenverantwortliches und eigeninitiatives Verhalten wird zwar propagiert, doch wenn ich zu viel davon zeige, wird es sanktioniert. Und mein berufliches Fortkommen fördert dies nicht. Denn wenn ich mich zu oft in Dinge einmische, die mich nichts angehen, gelte ich als nicht teamfähig und schwer integrierbar. Und treffe ich Fehlentscheidungen? Dann stehe ich am Pranger.

Dass Führungsnachwuchskräfte oft diese Erfahrung machen, liegt auch daran, dass es vielen Top-Managern – entgegen ihren Bekundungen – vor zu vielen „kleinen Unternehmern“ in ihrem Unternehmen graut. Denn sie befürchten, dass sie die Organisation dann nicht mehr kontrollieren und steuern können, unter anderem, weil sie das Denken verinnerlicht haben: Führung fußt auf dem hierarchischen Prinzip. Das heißt: Wer oben ist, führt, und wer unten ist, wird geführt.

Führung ex cathedra
Das Wort „Hierarchie“ stammt aus dem Griechischen und bedeutet: „Heilige Herrschaft“ oder „Herrschaft der Heiligen“. Entsprechend verhalten sich manche Unternehmensführer. Hinterfragt ein Untergebener offen ihre Entscheidungen oder möchte er gar zum Beispiel als Bereichsleiter mitentscheiden, wird er schnell mit heiligem Zorn bestraft. Und wagt es ein Untergebener gar, obwohl der Herrscher bereits sein Urteil gesprochen hat, seine Meinung oder Position weiter zu vertreten, dann reagieren nicht wenige obere Führungskräfte sehr scharf. Denn dann stellt der Untergebene aus ihrer Warte ihre Entscheidungskompetenz und -macht infrage.

Mittlere Manager zeigen zwei Gesichter

Entsprechende Verhaltensmuster registriert man zuweilen auch bei oberen Führungskräften, die für sich in Anspruch nehmen, einen partnerschaftlich-kooperativen Führungsstil zu pflegen und ihre Mitarbeiter, soweit möglich, in ihre Entscheidungen einzubinden. Nicht wenige Top-Manager betrachten es zudem qua Position als ihr Privileg, über die Vergabe von Informationen zu entscheiden. Ebenso sind sie überzeugt, es sei ihr Recht, in das Tagesgeschäft ihrer Untergebenen hineinzuregieren. Dabei müsste die Forderung nach mehr Selbstverantwortung und Eigeninitiative vielmehr mit einem Rückzug der Vorgesetzten aus dem Tagesgeschäft verbunden sein.

Diese Widersprüchlichkeit registrieren auch die Mitarbeiter. Entsprechend schizophren wirkt zuweilen ihr Verhalten. Immer wieder beobachtet man in Unternehmen die folgende Situation: Sitzt man zum Beispiel mit einem Bereichsleiter zusammen und unterhält sich mit ihm unter vier Augen, strahlt er eine sehr große Selbstsicherheit und Dynamik aus. Fast könnte man meinen, ihm gehöre das Unternehmen. Trifft man dieselbe Person jedoch in Anwesenheit des Vorgesetzten, ist der selbstbewusste Entscheider zu einem unterwürfigen Aktentaschenträger mutiert.

Fazit: Obere Führungskräfte müssen umdenken

Wenn unternehmerisches Denken und Handeln in einer Organisation verankert werden soll, ist deshalb in der Regel auch ein partielles Umdenken und Neulernen der oberen Führungskräfte nötig. Doch leider setzen viele Personalentwicklungskonzepte den Fokus einseitig auf die ihnen nachgeordneten Mitarbeiter. Diese sollen ihre Fähigkeit entwickeln, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Übersehen wird dabei, dass auch deren Vorgesetzte die Fähigkeit entwickeln müssen, Mitarbeiter unternehmerisch denken und handeln zu lassen. Deshalb sollten in entsprechende Personal- und Organisationsentwicklungskonzepte zum Beispiel auch Maßnahmen wie Coachings oder Führungsstilanalysen für die oberen Führungskräfte integriert sein, bei denen diese ein Feedback zu ihrem Führungsverhalten und zu dessen Wirkung erhalten.

Übersehen wird beim Versuch, das unternehmerische Denken und Handeln in einer Organisation stärker zu verankern, zudem oft, dass es nicht genügt, das Verhalten einzelner Personen zu ändern und ihnen die nötigen Kompetenzen zu vermitteln. Vielmehr muss sich die Kultur, und zwar insbesondere die Führungskultur, im gesamten Unternehmen wandeln. Deshalb sollten entsprechende Entwicklungskonzepte auch solche Instrumente wie Management-Audits enthalten, die transparent machen, welche Denk- und Verhaltensmuster das Verhalten der oberen Führungskräfte prägen bzw. inwieweit sich dieses wie gewünscht verändert hat.

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