Kleingründer auf der Abschussliste
Von Jeanine Kulhava
Erst die Kürzung des Gründungszuschusses, nun die Aufregung um selbstständige Hartz-IV-Bezieher: Das Gründerklima in Deutschland ist 2011 nachgerade eisig geworden. Kaum setzt Ursula von der Leyen die Sparschraube an der Existenzsicherung für gründungswillige ALG-I-Empfänger an, ziehen die Arbeitsagenturen nach und verkünden aufgeregt, die Zahl der Unternehmer, die ihre Einkünfte mit Hartz IV aufstocken, sei innerhalb der letzten drei Jahre um 50.000 auf rund 125.000 Hilfsbedürftige gestiegen.
Es wird ein Missbrauch des Sozialstaates gefürchtet, denn eine sichere Überprüfung der tatsächlichen Hilfsbedürftigkeit von Selbstständigen liegt für die BA nicht im Bereich des Machbaren. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung bedauert eine Angestellte des Jobcenters, die Selbständigen „kosten besonders viel Zeit“. Wer daran Schuld trägt, scheint klar zu sein – schließlich seien ein großer Teil der deutschen Klein- und Kleinstbetriebe „Kümmerexistenzen, die sich mit ihrem Betrieb gerade so über Wasser halten können.“
Unbeirrt unter Betrugsverdacht
BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt beschwert sich, die Überprüfung der tatsächlichen Hilfsbedürftigkeit sei „eher etwas für steuerfachliche Feinschmecker als für Sachbearbeiter im Jobcenter“. Die Frage ist, in wessen Aufgabenbereich die Behebung dieses Missstandes fällt – in den der Gründer sicherlich nicht.
Die 97,2 % der 4,4 Mio. deutschen Selbstständigen, die keine Sozialhilfe vom Staat in Anspruch nehmen, dafür aber Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Mehrwert schaffen, dürften sich von der Aufregung um die schwarzen Schafe eher unangenehm berührt fühlen. Gerade Klein- und Kleinstgründer aus der Arbeitslosigkeit, die im Rahmen einer Evaluierung der Hartz-Gesetze statistisch als höchst erfolgreich eingeschätzt wurden, werden dem Klischee vom unfähigen (und nun auch kriminellen) Kleingründer, das mittlerweile zum wiederholten Male bedient wird, einiges entgegenzusetzen haben – zum Beispiel die Millionen an Staatsgeldern, die Insolvenzen mittlerer und großer Betriebe jährlich verschlingen.
Wie die Süddeutsche berichtet, „tauchen in den Jobcentern sogar Firmeninhaber mit mehreren Mitarbeitern auf, beantragen Hartz IV – und bekommen es auch.“ Was soll das heißen? Sollte also ein Kleinbetrieb, der rote Zahlen schreibt, als Erstes seine Mitarbeiter entlassen, um vom Eingesparten die Staatskasse zu entlasten?
Fazit: Werten, statt abwerten
Es ist in der Tat mehr als wünschenswert, dass die Agenturen für Arbeit von der selbstmitleidigen Bestandsaufnahme zum Handeln übergehen – mit einer Kürzung der Hartz-IV-Laufzeit für Selbstständige hat BA-Vorstandsmitglied Alt ja bereits eine Richtung angedeutet.
Ob das Verweigern der Aufstockung allerdings die erhoffte Entlastung des Steuerzahlers bringt, bleibt zumindest fraglich. Schließlich kehren die gescheiterten Selbständigen anschließend in die Arbeitslosigkeit zurück – und damit zu Hartz IV. Von der naheliegenden Alternative, nämlich eingehender, strengerer und fachlicher Prüfung der eingereichten Einkommensrechnungen selbständiger Hartz-IV-Antragsteller (hier wäre möglicherweise der Einsatz der „steuerfachlichen Feinschmecker“ gar nicht unangebracht) – spricht der BA-Vorstand nicht, denn zweifelsohne ist dies die teurere Variante als alle hilfsbedürftigen Kleinunternehmer über einen Kamm zu scheren.
Und eine weitere Tatsache bleibt unerwähnt. Die Finanzämter sorgen längst dafür, dass langfristig unrentable Kleinunternehmen sich nicht auszahlen: Steuerlich geltend gemachte Betriebsausgaben können bis zu einer Frist von um die acht Jahre zurückgefordert werden.