Praktische Lösungswege im Dauerstreit
Von Sabine Prohaska, seminar consult prohaska
Zwischenmenschliche Konflikte empfinden Menschen als unangenehm und energieraubend, sie sind ein häufiger Anlass, warum Frauen und Männer einen Coach aufsuchen. Im Coaching geben die Coachees allerdings meist dem Konfliktpartner die Hauptschuld an der Situation. Deshalb ist ihr häufigstes Einstiegsziel: Der Konfliktpartner soll sich oder sein Verhalten ändern. Gute Coaches jedoch wissen, dass dies selten realistisch ist. Sie konzentrieren die Arbeit im Konfliktcoaching auf Ziele, die man tatsächlich erreichen kann, und darauf, wie man sie erreicht.
Ein realistisches Ziel formulieren
Ein systemisches Coaching kennt die Kategorie „schuldig“ nicht, ebenso wenig wie „richtig“ und „falsch“. Denn Konflikte werden als eine Verflechtung von Gegebenheiten im System (z.B. Familie oder Organisation) gesehen. Und Verhaltensweisen? Sie werden als durch Situationen und Verhaltensweisen von Systempartnern bedingt erachtet.
Deshalb lauten die zentralen Fragen beim lösungsorientierten Arbeiten eines systemischen Coachs:
- „Was können Sie tun, damit es künftig nicht mehr zum Konflikt kommt?“
- „Was können Sie tun, damit Sie die Situation nicht mehr so belastet?“
Denn unrealistisch ist (meist) das Ziel, den Konfliktpartner zu ändern. Es gilt stattdessen herauszufinden, was genau den Coachee an der aktuellen Situation stört und welche Veränderungen er sich wünscht. Je präziser er dies benennen kann, umso leichter kann er mögliche Lösungswege ermitteln.
Bei vielen Konflikten ist keine direkte Lösung der Situation möglich. Der Coachee kann zum Beispiel seinen Kollegen nicht entlassen oder in der Firma alles hinschmeißen. Schließlich muss er seine Familie ernähren. Er kann aber an einer Lösung zweiter Ordnung arbeiten – nämlich an seiner Einstellung zu den Dingen:
- „Was kann ich tun, um die Situation bestmöglich auszuhalten?“
- „Was kann ich unternehmen, damit es nicht schlimmer wird?“
Übungen im Konfliktcoaching
Also sollte sich der Coach mit dem Coachee auf die Suche nach Ressourcen begeben, die diesem hierbei helfen. Beim Konfliktcoaching haben sich unter anderem die folgenden Übungen bewährt.
Sabine Prohaska ist Inhaberin des Trainings- und Beratungsunternehmens seminar consult prohaska, Wien. Sie ist u.a. Autorin der Bücher „Erfolgreich im Training – Praxishandbuch“ und „Coaching in der Praxis: Tipps, Übungen und Methoden für unterschiedliche Coaching-Anlässe“. Auf der Webseite ihres Unternehmens können Interessierte ein kostenloses E-Book zum Thema Anker-Strategie anfordern.
seminar consult prohaska e.U., Märzstraße 55/13, A-1150 Wien, Tel. +43 664-3851767, prohaska@seminarconsult.at, www.seminarconsult.at
Intervention: Mit Metaphern und Bildern arbeiten
Vermutlich kennen Sie sogenannte Umspring- oder Kippbilder, bei denen man je nach Perspektive ein anderes Motiv sieht.
Ziel: Den Coachee dazu motivieren, eine andere Perspektive einzunehmen, damit sich eventuell neue Lösungswege zeigen.
Dauer: 10 bis 15 Minuten
Vorgehen: Ein sehr bekanntes Kippbild ist z.B. die Grafik, bei der man abhängig von der Perspektive eine junge oder alte Frau sieht; es gibt sie vielfach im Internet. Fragen Sie den Coachee, was er z.B. auf diesem Bild sieht, und bitten Sie ihn, die jeweils andere Frau zu sehen. Das ist erfahrungsgemäß schwierig und dauert meist einige Zeit. (Tipp: Das Kinn der alten Frau ist der Hals der jungen Frau; die Nase der alten Frau ist das sich abwendende Profil der jungen.)
Diese Erfahrung funktioniert als Metapher und ist auf die Konfliktsituation übertragbar: Als Coach können Sie anschließend den Coachee zur Reflexion anregen, z.B. mit folgenden Fragen:
- „Was bedeutet die Erfahrung mit dem Kippbild für Ihre aktuelle Konfliktsituation?“
- „Welche Seite sehen Sie gerade in dem Konflikt?“
- „Wie könnte eine andere Seite aussehen?“
Menschen in Konflikten tendieren zur Schwarzweißmalerei. Es gibt immer eine andere Sichtweise der Dinge. Man muss sich aber, wie bei dem Kippbild, bemühen, die andere Seite zu sehen. Dann zeigen sich auch neue Lösungen.
Intervention: Unruhe per „Drehschalter“ regeln
Ziel: Reduktion von Unruhe, Zorn, Ärger; Hilfe zur Selbsthilfe. Zu starke Emotionen machen ein lösungsorientiertes Vorgehen meist unmöglich – im Coaching und im Alltag. Deshalb hilft diese Übung den Coachees auch im täglichen Leben.
Dauer: 5 bis 10 Minuten
Vorgehen: Der Coach bittet den emotional stark aufgewühlten Coachee, seine Aufmerksamkeit auf seinen Körper zu lenken (Atemfluss beobachten, die Sitzunterlage spüren usw.). Der Coachee soll sich dann bildlich einen Drehschalter vorstellen, mit dem er seine Unruhe regulieren kann: von 0 (= ganz entspannt) bis 10 (= sehr aufgeregt). Der Coachee soll nun einschätzen, auf welcher Stufe seine Unruhe sich im Moment befindet (z.B. bei 8). Danach bittet der Coach ihn, den Schalter vor seinem inneren Auge langsam auf eine niedrigere Stufe zu drehen – soweit möglich. Anschließend soll der Coachee berichten, auf welcher Stufe er sich jetzt befindet und wie er sich nun fühlt.
Der Coach ermutigt den Coachee, diese Übung auch im Alltag anzuwenden, sobald er starke Emotionen spürt, die ihm einen konstruktiven Umgang mit Konflikten erschweren.
Intervention: Muster erkennen und durchbrechen
Ziel: Unterbrechung/Veränderung komplexer Verhaltensmuster – z.B. solcher, die mit zwei oder mehr anderen Menschen zusammenhängen.
Dauer: 45 bis 60 Minuten
Benötigtes Material: Papierbogen, vier verschiedenfarbige Stifte
Vorgehen: Der Coachee schildert belastende Situationen, in denen er regelmäßig dieselben Verhaltensmuster zeigt. Der Coachee sagt außerdem, was er bezüglich dieser Situationen erreichen möchte. Was nun folgt, ist eine verschriftlichte Analyse des Verhaltensmusters und der möglichen Lösungen.
Zuerst notiert der Coach mit dem ersten Farbstift das Muster als Liste (am besten in Form von Ich-Aussagen des Coachees): Er fragt nach dem typischen Beginn solcher Situationen und schreibt ihn in die erste Zeile des Papierbogens. Der Coach fragt dann nach dem typischen Ende solcher Situationen und notiert es in der letzten Zeile des Blatts. Der Coach erarbeitet nun mit dem Coachee systematisch die Entwicklung des Musters (vom Beginn bis zum Ende der Situation) und notiert die einzelnen Schritte in jeweils einer Zeile.
Als Nächstes werden die Schritte (Zeilen) identifiziert und markiert, bei denen eine Veränderung durch den Coachee möglich wäre – sofern er dies möchte. Dafür brauchen wir die zweite Stiftfarbe.
Danach werden mit dem dritten Farbstift jene Schritte (Zeilen) markiert, bei denen der Coachee tatsächlich etwas ändern möchte.
Die vierte Farbe brauchen wir für die gemeinsame Suche nach Verhaltensalternativen, um das skizzierte Ziel zu erreichen.
Erst wenn dies abgeschlossen ist, geht es daran, die nächsten Schritte zu erarbeiten, z.B. mit folgenden Fragen:
- „Welche Alternativen erscheinen Ihnen persönlich am sinnvollsten und machbarsten?“
- „Was werden konkrete nächste Schritte Ihrerseits sein?“
- „Welche Hindernisse könnten auftreten?“
- „Wer/was unterstützt Sie bei der Umsetzung?“
- „Wann beginnen Sie mit der Umsetzung?
Intervention: Mit Tierfiguren identifizieren
Ziel: Bei Konflikten mit einer anderen Person sollen starre Rollenmuster und Befindlichkeiten des Coachees – z.B. Angst, Wut, Ohnmacht, (versteckte) Überlegenheit – auf intuitivem Weg erschlossen werden. Danach soll ein empfundenes „Machtgefälle“ durch ein anderes kommunikatives Verhalten oder durch einen Zugriff auf eigene Ressourcen ausgeglichen werden.
Dauer: 20 bis 50 Minuten
Benötigtes Material: verschiedene Tierfiguren aus dem Spielwarenhandel; ersatzweise Bilder oder Illustrationen von Tieren.
Vorgehen: Zunächst lädt der Coach den Coachee ein, sich kurz in die Tierwelt zu versetzen:
- „Welches dieser Tiere wäre Ihr Konfliktpartner?“
- „Welches Tier wären Sie?“
Der Coachee platziert dann die entsprechenden Tiere auf dem Tisch. Die Wahl wird nun reflektiert: Welche Eigenschaften, welches Verhalten assoziiert der Coachee mit den beiden Tieren? Welches Verhältnis zwischen ihnen resultiert aus ihren Unterschieden? Im nächsten Schritt fragt der Coach den Coachee, welches Tier er stattdessen gerne wäre. Der Coachee wählt das entsprechende Tier und setzt es an die Stelle des vorigen Repräsentanten. Anschließend folgt eine Reflexion, was nun anders wäre und was der Coachee stattdessen tun oder sagen würde. Zum Schluss wird erarbeitet, wer oder was den Coachee dabei unterstützen kann, diese Eigenschaften zu entwickeln; was ihn dazu ermutigen kann, das entsprechende Verhalten zu zeigen (zum Beispiel innere/äußere Ressourcen, Vorbilder, „Belohnungen“, konkrete Ziele).
Fazit: Das ändern, was sich ändern lässt
Von allen genannten Interventionen gibt es Varianten. Als Coach kann man sie auch selbst modifizieren und man sollte dies sogar situationsabhängig und je nach Gegenüber tun. Denn je größer das Repertoire an möglichen Interventionen ist, umso flexibler lässt sich in der Arbeit an der Konfliktsituation und -konstellation agieren.
Jammern kann zu Beginn eines Coachings zwar hilfreich sein, doch die Kunst besteht darin, den Coachee in Richtung Lösungsorientierung zu bringen. Finden Sie gemeinsam heraus, worum es wirklich geht: Was genau stört den Coachee? Welche Veränderung hätte er gerne? Lässt sich die Situation selbst nicht ändern, gibt es immer noch die Möglichkeit, die eigene Einstellung dazu zu ändern.
Ein guter Coach wird darum selbst keine Ratschläge geben. Er kann aber mit dem Coachee alle Lösungsmöglichkeiten auflisten, die beiden einfallen.
Das Verändern von anderen Personen ist kein Coaching-Ziel. Ein Coach kann mit seinem Coachee nur an dessen Verhalten arbeiten. Dabei sind Perspektivenwechsel wichtig und erfahrungsgemäß wirksam.