Presidents Diagnosis

Das Top­management in die Strategie­umsetzung einbinden

Von Dr. Daniela Kudernatsch, Kudernatsch Consulting & Solutions

Wenn Unternehmen herausfordernde strategische Ziele erreichen möchten, benötigen sie ein Review-System, das sicherstellt, dass die beschlossenen Maßnahmen konsequent umgesetzt werden und die definierten Ziele erreicht werden. Hierfür hält das auch Policy Deployment genannte Managementsystem Hoshin Kanri in Ergänzung zu den traditionellen Methoden eine neuartige Review-Methode bereit: die sogenannte Presidents Diagnosis. Sie wird so genannt, weil bei ihr der Präsident (bzw. das Topmanagement) persönlich alle Werke, Standorte und/oder Bereiche des Unternehmens besucht. So besucht z.B. der Präsident von Toyota einmal pro Jahr alle Werke, um deren Fitness zu beurteilen. Die Presidents Diagnosis bindet also das Topmanagement an ein systematisches Review, das die Umsetzung der Strategie überprüft.

Die Presidents Diagnosis, die zu den Hoshin-Kanri-Standardtools zählt, eignet sich vorzüglich, um strategische Veränderungen voranzutreiben. Sie ist außerdem ein bewährtes Frühwarnsystem. Während beim Shopfloor Management (SFM) der Fokus darauf liegt, die Ursachen kurzfristiger Abweichungen oder Fehler zu entdecken und zu beseitigen, konzentriert sich die Presidents Diagnosis auf die Überprüfung der Entwicklung des Unternehmens und seiner Bereiche.

Shopfloor Management: Der Begriff bezeichnet die konsequente und nachhaltige Entwickelung der Prozesse und Abläufe am Ort des Geschehens – also dort, wo die eigentliche Wertschöpfung erfolgt. Durch eine regelmäßige Präsenz der Führungskräfte z.B. in der Produktion und die Fokussierung auf Standardabweichungen sollten Entscheidungen beschleunigt und die Mitarbeiter zu Verbesserungsmanagern entwickelt werden. Insofern ist ein erfolgreich praktiziertes Shopfloor Management auch Ausdruck einer auf kontinuierliche Verbesserung ausgerichteten Unternehmens- und Führungskultur.

Bei der Presidents Diagnosis wird der Fortschritt des Unternehmens anhand folgender elf Kategorien gemessen: 1. Management, 2. Finanzmanagement, 3. Human Resources, 4. Supply Chain Management, 5. IT, 6. Qualität, 7. Vertrieb und Marketing, 8. Engineering, 9. Herstellung, 10. Instandhaltung sowie 11. Material und Logistik.

Jede Kategorie wird dabei entsprechend ihres aktuellen Stands in den Phasen des PDCA-Zyklus bewertet (Plan, Do, Control, Act). Zusätzlich wird eine fünfte Phase, die Scan-Phase, hinzugefügt, die dem eigentlichen PDCA-Zyklus vorgelagert ist und besagt: Ein Problem (oder eine Soll-Ist-Abweichung) wurde erkannt und seine Ursache ist bereits analysiert. Es wurde aber noch kein Plan zur Beseitigung erstellt.

PDCA-Zyklus: Die PDCA-Methode ist eine beim Lean Management bewährte Methode zur Qualitätssicherung. Der PDCA-Zyklus beschreibt den immerwährenden Kreislauf von planen, handeln, kontrollieren und reagieren, um ein immer höheres Qualitätsniveau sowie eine höhere Effizienz und Kunden-/Mitarbeiterzufriedenheit zu erreichen. Die Plan-Phase steht für das Sammeln der nötigen Informationen und die Analyse der Situation sowie die Zielbestimmung und das Planen der erforderlichen Maßnahmen. In der Do-Phase werden die Maßnahmen umgesetzt. Beim Check werden die Ergebnisse der Maßnahmen mit geplanten Messgrößen bewertet. Und in der Act-Phase werden die formulierten Ziele und/oder Maßnahmen, sofern nötig, z.B. den zwischenzeitlich veränderten Rahmenbedingungen angepasst, was wiederum zum Start eines neuen PDCA-Zyklus führt.

Die Presidents Diagnosis besteht aus drei Phasen: 1. der Selbst-Diagnose der Bereiche/Werke (durch die Hoshin-Teams), 2. der eigentlichen Presidents Diagnosis durch das Topmanagement und 3. der Anerkennung der Zielerreichung durch das Topmanagement.

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Dr. Daniela Kudernatsch ist Inhaberin der Unternehmensberatung Kudernatsch Consulting & Solutions in Straßlach bei München, die Unternehmen beim Umsetzen ihrer Strategie im Betriebsalltag unterstützt. Sie ist Autorin des Buches Hoshin Kanri – Unternehmensweite Strategieumsetzung mit Lean-Management-Tools (Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2013).


Kudernatsch Consulting & Solutions, Fußsteinerstraße 3, 82064 Straßlach bei München, Tel.: 08170-92233, Fax: 08170-92234, info@kudernatsch.com, www.kudernatsch.com

Phase 1: Selbstdiagnose der Bereiche/Werke

Anders als der Name nahelegt, ist an der Presidents Diagnosis nicht nur das Topmanagement beteiligt. Es handelt sich vielmehr um ein unternehmensweites System zur Selbstbewertung durch alle Prozessbeteiligte. Alle Bereiche bzw. Hoshin-Teams nehmen einmal jährlich eine Selbstdiagnose der Entwicklung ihres PDCA-Zyklus vor. Hiermit sind folgende Teilaufgaben verbunden:

  • Performance-Kennzahlen zusammenstellen: Für das Review werden Informationen über die Performance benötigt. Sind ein Shopfloor Management und Hoshin-Boards installiert, stehen diese Informationen automatisch zur Verfügung.
  • Hoshin-Teams vorbereiten: In der Vorbereitung auf die Selbstdiagnose überprüft jedes Hoshin-Team die Zielerreichung sowie ihre A3-Reports. Außerdem stellen sie sicher, dass alle Teammitglieder die Kategorien der Presidents Diagnosis sowie die damit verbundene PDCA-Logik kennen. Mit einer sogenannten Diagnostic-Scorecard werden die elf Kategorien bewertet und den fünf Phasen zugeordnet. Dabei wird für Scan 1 Punkt vergeben und für Plan 2 Punkte, für Do 3 Punkte, für Check 4 Punkte und für Act 5 Punkte (siehe Abb. 1).

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Abb. 1: Diagnostic-Scorecard (Bild: Kudernatsch Consulting)

A3-Report: Der Wirtschaftsingenieur Joseph M. Juran empfahl vor ca. 60 Jahren japanischen Managern, Problemlösungen, Entscheidungsgrundlagen und Strategien nur auf einem Blatt Papier darzustellen. Toyota folgte diesem Rat und wählte hierfür Papier im DIN-A3-Format. Der seitdem so genannte A3-Report ist ein Instrument zur Problemlösung. Er soll zugleich den nötigen Denkprozess für die Mitarbeiter transparent machen und ihnen sozusagen eine Schablone an die Hand geben, welche Schritte beim Lösen eines Problems zu durchschreiten sind. Zudem soll das Arbeiten mit dem A3-Report Lernprozesse bei ihnen anstoßen, die zu einem tieferen Verständnis der Probleme führen und ihnen die Kompetenz vermitteln, nachhaltige Lösungen zu entwerfen und zu realisieren. Der A3-Report basiert auf dem aus dem Lean Management bekannten PDCA-Zyklus.

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Abb. 2: Diagnoseformular (Bild: Kudernatsch Consulting)

  • Diagnoseformular vorbereiten: Bei der geplanten Begehung des eigenen Bereichs sollen alle Teammitglieder für jede zu bewertende Kategorie und/oder Unterkategorie ein Diagnoseformular ausfüllen. Dieses gilt es, zu erstellen. Ganz oben werden die relevanten Kategorien, die untersuchte Einheit und das Diagnoseteam benannt. Außerdem formuliert das Hoshin-Team Diagnosefragen, auf deren Basis die Bewertung und die Zuordnung zur PDCA-Phase erfolgen (siehe Abb. 2).
  • Bereichsbegehung: Bei der Bereichsbegehung überprüfen die Teammitglieder, inwieweit seit der letzten Diagnose Verbesserungen erzielt wurden. Die Begehung sollte außer den produktiven Bereichen auch die Service- und die administrativen Bereiche umfassen.
  • Beobachtungen dokumentieren: Während der Begehung notieren die Teammitglieder auf ihren Diagnoseformularen Beobachtungen, die ihre Einschätzungen und Bewertungen unterstützen.
  • Analysieren, Entwicklung bewerten, Radar-Chart erstellen: Im Anschluss an die Begehung trifft sich das Hoshin-Team, um die Bewertung für ihren Bereich vorzunehmen. Die Bewertungstabelle (siehe Abb. 1) erleichtert es, sich im Team auf einen Score zu einigen. Nach der Bewertung wird ein Radar-Chart erstellt, damit man den Entwicklungsverlauf der einzelnen Kriterien besser erkennen kann (siehe Abb. 3).

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Abb. 3: Radar-Chart Selbstbewertung HR-Bereich (Bild: Kudernatsch Consulting)

Phase 2: Presidents Diagnosis

In Vorbereitung auf die jährliche Presidents Diagnosis überprüft und interpretiert das Topmanagement die Ergebnisse der Selbstdiagnosen der Hoshin-Teams. Es formuliert Fragen und Anmerkungen hierzu und lässt diese den Teams vor dem Besuch zukommen. Nach den Besuchen nimmt das Management eine Gesamtbewertung des Unternehmens vor und teilt diese inklusive schriftlicher Empfehlungen den Hoshin-Teams mit. Die einzelnen Schritte der Presidents Diagnosis sind:

  • Vorbereitung des zu besuchenden Bereichs: Vor der Begehung schickt das Topmanagement seine Fragen und Anmerkungen aufgrund der Selbstdiagnose des Bereichs sowie die Agenda an das zu besuchende Team.
  • Hoshin-Teams erstellen einen Vorbesuchsbericht: Anhand der Fragen und Anmerkungen verfasst das Hoshin-Team vor dem Besuch einen Bericht und schickt diesen an das Topmanagement. Dieser Bericht sollte konkret und nicht länger als zwei Seiten sein. Er kann jedoch A3-Reports im Anhang enthalten.
  • Das Topmanagement bereitet das Diagnoseformular vor: Für die unternehmensweite Diagnose formuliert das Topmanagement Fragen für jedes Kriterium. Sie sind weiter gefasst als die Fragen bei der Selbstdiagnose durch die Hoshin-Teams. Das Diagnoseformular des Topmanagements sollte z.B. auch Fragen enthalten, die den Strategieumsetzungsprozess betreffen.
  • Das Topmanagement besucht das Werk/den Bereich: Der Besuch eines Werkes oder eines Standortes durch das Topmanagement dauert ca. einen Tag; bei Bereichen ist er meist kürzer. Die Diagnose durch das Topmanagement verläuft wie die Selbstdiagnose. Der Fokus der Presidents Diagnosis liegt jedoch auf der Integration und der Umsetzung von Methoden, Systemen usw. sowie der Entwicklung von Ressourcen und Fähigkeiten. Zweck des Besuchs ist es, wettbewerbsfähige Ressourcen zu entwickeln – und nicht Schuldzuweisungen z.B. bei einer [[Low_Performer|schlechten Performance] vorzunehmen. Entsprechend sollte das Topmanagement auftreten.
  • Das Topmanagement nimmt eine unternehmensweite Bewertung vor: Wie bei der Selbstdiagnose der Hoshin-Teams trifft sich das Topmanagement im Anschluss an den Besuch, um die Bewertung des besuchten Werks oder Bereichs bzw. Gesamtunternehmens vorzunehmen. Das Ergebnis wird ebenfalls mit Radar-Charts, die die Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr sichtbar machen, visualisiert (siehe Abb. 4).
  • Das Topmanagement gibt schriftliches Feedback: Um das verbale Coaching und Mentoring während der Diagnose zu verfestigen, verfasst das Topmanagement ein schriftliches Gastbeitrag:Feedback mit den Beobachtungen beim Besuch und stellt es als Bericht mit der Bewertung den betreffenden Standorten oder Bereichen zur Verfügung. Dieses Feedback enthält u.a.
    • positive Ergebnisse,
    • identifizierte Verbesserungsbereiche,
    • empfohlene kurz- und langfristige Maßnahmen sowie die
    • Notwendigkeit von Schulungen und Trainings.

Wichtig ist, dass das Positive bestärkt wird und Wege zur Optimierung empfohlen werden.

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Abb. 4: Radar-Chart Presidents Diagnosis: Bewertung durch das Topmanagement (Bild: Kudernatsch Consulting)

Schritt 3: Anerkennung der Zielerreichung

Nach der Presidents Diagnosis sollte man die Zielerreichung jedes Teams würdigen und den Erfolg feiern. Feiern ist der beste Weg, um Geleistetes anzuerkennen und die Teams, Einheiten und Bereiche noch stärker zusammenzubringen. Dieses Feiern kann im Rahmen einer Veranstaltung erfolgen, bei der das Topmanagement wichtige Ergebnisse und Erkenntnisse der Presidents Diagnosis vorstellt und die Leistung der Mitarbeiter würdigt.

Die Presidents Diagnosis hat sich bei Strategieumsetzungsprojekten als Review- und Steuerungsinstrument bewährt – nicht nur, weil sie den Review-Prozess ausgehend von den Zielen sehr stark systematisiert und operationalisiert. Weit entscheidender ist: Das Topmanagement wird hierdurch aktiv in den Umsetzungsprozess einbezogen und kommuniziert mit den Umsetzungsverantwortlichen auf der operativen Ebene über das (Noch-nicht-)Erreichte. Das schärft das Bewusstsein des Topmanagements für die Herausforderungen, vor denen die Werke und Bereiche im Alltag stehen.

Zudem wird hierdurch an die Bereiche das Signal gesandt: Das Topmanagement misst einer konsequenten und nachhaltigen Umsetzung der vereinbarten Maßnahmen eine sehr hohe Bedeutung bei. Das erhöht die Verbindlichkeit in der gesamten Organisation. Insofern ist die Presidents Diagnosis auch ein kulturveränderndes Instrument – u.a., weil das Topmanagement auch eine Vorbildfunktion vor allem für die Führungsmannschaft im Unternehmen hat.

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