Das können Manager aus der Krise der Big 4 lernen
Von Andreas Franken, Franken-Consulting
Wenn das Verfallsdatum eines Geschäftsmodells erreicht ist, werden die Fehler evident. Eine wichtige Frage bleibt aber, inwieweit das Verfallsdatum absehbar war, denn eine kluge Antwort hierauf könnte viele Manager vor eigenen Krisen bewahren. Der spektakuläre Niedergang der alten Geschäftsmodelle der vier Energieriesen E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW ist geeignet, hieraus wertvolle Schlüsse zu ziehen.
Mit dem Wissen von heute ist doch alles sonnenklar: Die Krise der Energieriesen wäre vermeidbar gewesen. Sie sind es doch selbst schuld, denn sie haben viel zu spät auf die Liberalisierung und die Energiewende reagiert. Aber ganz so einfach ist es dann möglicherweise doch nicht, wenn man die Sachverhalte Revue passieren lässt. Denn nicht alles, was eingetreten ist, war so vorherzusehen. Dennoch – wir müssen doch hieraus lernen können! Wir, das heißt: alle Manager aller Branchen, sollten unseren individuellen Nutzen aus den Geschehnissen ziehen, soweit dies überhaupt möglich ist.
Kurzer Abriss der Krisenentwicklung
Selbst nach der Liberalisierung der Energiemärkte erzielten die Big 4 bis zum Ende der 2000er Jahre extrem hohe Gewinne, sodass das seinerzeitige Management offenbar keine Anreize sah, die damalige Unternehmensstrategie anzupassen. Bei genauerer Betrachtung war allerdings bereits damals absehbar, dass die sich langsam verschärfende Regulierung zu einem ernsthaften Problem werden würde. Es wurde versäumt, in guten Zeiten an schlechte Szenarien zu denken und in ausreichender Größenordnung in erneuerbare Energien zu investieren. Bis zur Fukushima-Katastrophe, die konkret naturgemäß niemand hatte vorhersehen können, war das politische Umfeld pro AKW-Laufzeitverlängerung, sodass die Big 4 keinerlei Leidensdruck verspürten und sich mit ihren Geschäftsmodellen offenbar weitestgehend in Sicherheit wähnten.
Die Fukushima-Katastrophe änderte das alles. Atomenergie war nicht mehr gewollt und erneuerbare Energien wurden stark protegiert, wodurch die alten Strategien der Big 4 plötzlich obsolet wurden. Stillgelegte Kraftwerke, sinkende Marktanteile im Vertrieb, sinkende Strompreise an der Börse und Überkapazitäten sind nur einige Gründe dafür, warum die Big 4 nunmehr mit großer Eile um ihr Überleben kämpfen, indem sie reaktiv und unter hohem Druck neue Strategien entwickeln.
Andreas Franken ist als Unternehmensberater spezialisiert auf die Themen Strategie, Marketing und Vertrieb. Seine Berufserfahrung erstreckt sich über mehr als 30 Jahre, und er veröffentlicht regelmäßig Fachartikel zu Managementthemen. Zur eigenständigen Optimierung von Unternehmen bietet er seinen Neun-Punkte-Plan zum kostenlosen Download.
Andreas Franken, Franken-Consulting, Ortbeckstraße 5, 45894 Gelsenkirchen; Telefon 0209-3187586, Telefax 0209-3187581, af@franken-consulting.org, www.franken-consulting.org
Das Problem eingefahrener Systeme
Meines Erachtens ist es aber viel zu einfach, den verantwortlichen Managern die Schuld für die Misere zu geben, denn sie waren und sind schließlich auch nur Bestandteile in einem eingefahrenen System mit vielen Beteiligten, die jeweils individuelle Interessen haben. Wer glaubt, dass Kollektivinteressen vor den jeweiligen Individualinteressen stehen, der hat unsere Welt offenbar nicht verstanden. Selbstverständlich denken die meisten Menschen in erster Linie an sich. Und deshalb hat auch jede Interessensgruppe ein jeweils eigenes Interesse an bestimmten Szenarien. Am Beispiel eines großen Energieversorgers, der als große Kapitalgesellschaft vielen Aktionären gehört, sind die wichtigsten Interessensgruppen schnell erklärt:
- Die Kunden möchten günstige Energie. Manche legen auch Wert auf Sicherheit, aber wenn man sich das Nachfrageverhalten in den jeweiligen Märkten ansieht, dann ist der Preis jeweils ein wichtiges Kriterium. Energie ist eine Commodity.
- Die Aktionäre möchten im Regelfall eine verlässliche und möglichst hohe Dividende. Andernfalls verkaufen sie ihre Aktien und investieren anderswo.
- Die Politiker möchten eine verlässliche Versorgung sicherstellen und die Kosten niedrig halten. Sie möchten die Wähler zufriedenstellen und wiedergewählt werden.
- Der Vorstand hat einen befristeten Vertrag, den er erfüllt. Üblicherweise werden von Managern von Aktiengesellschaften im Quartalsmodus möglichst hohe Gewinne erwartet. Das jeweilige Incentive des Top-Managers honoriert Gewinne und nicht etwa (unnötige) Gewinn schmälernde Investitionen.
Würde man einen Manager dafür bezahlen, dass er (zulasten des Gewinns) Arbeitsplätze schafft, so würde er dies selbstverständlich tun. Fraglich ist aber, ob dies auch von den Kapitalanlegern gewollt wäre. Viele von ihnen würden sicher in eine andere Aktie investieren, die das eingesetzte Vermögen besser verzinst. Ähnlich war es wohl mit den Investitionen in erneuerbare Energien. Der jeweilige Vorstand hatte doch in Zukunftstechnologien investiert, und das offenbar in einem Umfang, der Aktionäre und Politik zufriedenstellte. Erst mit dem durch Fukushima gewonnenen Rückhalt in der Wählerschaft trauten sich die Politiker einen Systemwechsel, den die Bevölkerung ohne die Katastrophe wahrscheinlich schon aus Kostengründen mit Abwahl abgestraft hätte. Plötzlich waren die Menschen aber bereit, für ihre Sicherheit mehr Geld auszugeben. Und das änderte alles.
Diese veränderten Rahmenbedingungen überraschten die amtierenden Manager, und es wurde unter Klageandrohung und Mitarbeiterentlassungsprognosen um staatliche Zahlungen gerungen. Logisch, denn das Incentive sah ja schließlich vor, den Quartalsertrag zu retten oder zumindest die Verluste zu minimieren.
Was ich damit klarstellen möchte, ist, dass ein Top-Manager immer nur für eine begrenzte Zeit im Amt ist und dass seine Rechte und Pflichten durch den Dienstvertrag definiert sind. Und eine börsennotierte Gesellschaft wählt sich naturgemäß den Manager aus, der für sie das tut, was sie von ihm erwartet, und das ist im Regelfall die Erfüllung des Shareholder-Value-Ansatzes.
Demgegenüber ist das inhabergeführte Unternehmen systembedingt dann im Vorteil, wenn eher mittel- bis langfristige Ausrichtungen existieren und das Incentive des Unternehmenslenkers Gewinn reduzierende Zukunftsinvestitionen nicht abstraft, sondern sogar belohnt.
Nicht jeder Manager kann alles
Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Gesamtbetrachtung sind die sogenannten Übergangsfähigkeiten der jeweiligen Manager. In der Theorie unterscheidet man vier Managertypen, die auch den jeweiligen Unternehmensphasen zuzuordnen sind:
- In der Entstehungsphase eines Unternehmens wird eher der innovative, hemdsärmelige Innovator gesucht,
- in der Wachstumsphase der auf Organisationsaufbau und Vermarktung spezialisierte Stratege,
- wenn „alles gut läuft“, der Administrator
- und in der Krise der Sanierer.
Bei den Big 4 der Energiebranche waren offenbar Manager der Kategorie 3 am Werk, und es stellt sich die Frage, ob ein Administrator überhaupt ein Unternehmen sanieren oder gar neu erfinden kann? Für gewöhnlich hat er doch ein klares Verständnis vom Markt, seinem Wettbewerb und seinem Unternehmen, und er wurde gesucht und beauftragt, den Status quo zu halten bzw. zu verbessern und nicht etwa neu zu erfinden. Wozu auch, ohne Not?
Von einem Administrator zu erwarten, dass er ohne entsprechende Beauftragung einen erheblichen zwischenzeitlichen Ergebnisrückgang verantwortet, wäre damit gleichzusetzen, dass ein Politiker sich ohne Anlass von der Atomenergie verabschiedet oder dass ein Investor ohne Grund einfach auf (fest eingeplante) Gewinne verzichtet.
Andere Branchen, ähnliche Probleme
Wenn wir es wollten, dann könnten wir die Welt besser machen, dann würden keine Menschen oder Tiere ausgebeutet und dann würde unsere Umwelt auch nicht zerstört. Wir könnten viel erreichen, wenn da nicht das vorbezeichnete Problem mit den Individualinteressen bestünde.
Zum Abschluss dieses Kommentars möchte ich noch auf die Automobilindustrie hinweisen, die sich zumindest in Teilbereichen in einer ähnlichen Lage befindet wie die großen Energieversorger vor Fukushima. Daimler-Chef Dieter Zetsche erklärte noch Anfang 2015, dass er keine Angst vor Apple und Google habe, und ergänzte, dass die Konkurrenz die Branche nur stärker machen könne. Der damalige VW-Chef Martin Winterkorn sah das ähnlich. Norbert Reithofer von BMW konstatierte aber, dass die Automobilbranche nicht sicher davor sei, dass andere Spieler auftauchen und dass man sich darauf einstellen müsse, dass Wettbewerber in Zukunft Autos bauen, die bisher nicht am Markt waren. Deshalb müssten die Automobilhersteller innovativ sein.
Tatsächlich befassen sich die meisten Größen der Branche auch mit Elektroautos. Aber passiert dies mit der richtigen Intensität und auf die richtige Art und Weise? Eine wichtige Frage könnte doch auch sein, was aus einer Marke wie BMW wird, wenn beispielsweise das Selbstfahrerprinzip abgelöst wird und sportliche Aspekte unbedeutend werden?
Fazit: Ändere das System!
Seit Albert Einstein wissen wir, dass Probleme niemals mit derselben Denkweise zu lösen sind, durch die sie entstanden sind, und der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass ein proaktives und somit gestaltendes Agieren dem Reagieren vorzuziehen ist. Beim Agieren hat man schließlich noch Spielräume, kann selbst die Weichen stellen und neue Regeln aufstellen, wohingegen die Reaktion zunächst einmal Fakten akzeptieren muss, die andere geschaffen haben.
Meine Meinung ist, dass sich solche Krisen wie die der Big 4 auch zukünftig wiederholen werden und dass letztendlich keine Branche davor sicher ist. Der Erfolg des Alten lässt das Neue nur hineinschnuppern, aber nicht wirklich hinein. Und wenn das Neue von neuen Marktteilnehmern bereits etabliert wurde, dann ist es für die ehemaligen Marktführer oft zu spät.
Solche Krisen wie bei den Energieriesen lassen sich nur dann vermeiden, wenn die etablierten Systeme den eingesetzten Managern Freiräume einräumen und sie auch ermutigen, diese proaktiv zu nutzen. Und das geht naturgemäß nur dann, wenn die wesentlichen Beteiligten auch mitspielen.