Die digitalen Weltvermesserer
Von Dirk Bongardt
Was haben autonomes Fahren, die Planung von Tiefbauarbeiten und Frühwarnsysteme für Hochwassergebiete gemeinsam? Für alle drei sind umfangreiche Geodaten in großer Menge und hoher Qualität erfolgsentscheidend. Die Aufgabe von Geodatenmanagern ist es, diese Daten zu beschaffen und abhängig von der gestellten Aufgabe zur Verfügung zu stellen.
Wer an Geodaten denkt, verbindet damit zunächst Land- und Grundstückskarten, wie sie nur in Katasterämtern genutzt werden. Fakt ist aber: Rund 80 % aller Daten, die in der öffentlichen Verwaltung anfallen, haben einen Raumbezug. Und diese Daten liegen in den unterschiedlichsten Fachabteilungen, in Landesämtern und bei Kommunalbehörden. Geodatenmanagern obliegt es, diese Daten zusammenzuführen und für den jeweiligen Verwendungszweck aufzubereiten. Bau- und Landschaftsplanung, Infrastrukturprojekte, Umwelt- und Hochwasserschutz sind nur einige der Bereiche, in denen Geodatenmanager gefragt sind. Und „gefragt“ ist hier noch ziemlich zurückhaltend formuliert. Denn trotz des interessanten Fachgebiets herrscht in vielen Kommunen ebenso wie in der Wirtschaft ein eklatanter Fachkräftemangel im Geodatenmanagement.
Herausforderung Datenmenge
Eine besondere Herausforderung im Geodatenmanagement ist wie bei allen Big-Data-Projekten die schiere Datenmenge, die sich von Jahr zu Jahr vervielfacht: Tabellenwerke, Karten und Verzeichnisse früherer Zeiten sind längst nicht mehr ausreichend, um Planern und Entscheidern die benötigten Informationen schnell und unkompliziert zu liefern. Immer häufiger kommen inzwischen KI-Verfahren auf den verschiedenen Anwendungsgebieten zum Einsatz.
So gelang es z.B. bereits, mit Verfahren der künstlichen Intelligenz die bei LiDAR-Scans (siehe Kasten) deutscher Autobahnen angefallenen Punktwolken zu klassifizieren und in Klassen wie Straßen, Straßenmarkierungen, Boden, Schienen, Fahrzeuge und Vegetation zu differenzieren. Aktuelle Systeme sind mithilfe dieser Verfahren in der Lage, daraus etwa Baumarten samt der jeweiligen Höhe und dem Kronenumfang zu extrahieren. Straßenbegrenzungen konnten auf vier Zentimeter genau bestimmt werden, und auch Stromleitungen kann KI inzwischen präzise erkennen.
Kleines geotechnisches Glossar
- BIM steht für „Building Information Modeling“, zu Deutsch Bauwerksdatenmodellierung. Dabei werden alle relevanten Bauwerksdaten digital modelliert, kombiniert und erfasst. Das Bauwerk ist als virtuelles Modell auch geometrisch visualisiert.
- GIS steht für „Geografische Informationssysteme“ und beschreibt Systeme zur Erfassung, Bearbeitung, Organisation, Analyse und Präsentation räumlicher Daten, samt benötigter Hardware, Software, Daten und Anwendungen.
- GNSS steht für „Globales Navigationssatellitensystem“ und dient als Sammelbegriff für die Verwendung bestehender und künftiger globaler Satellitensysteme, wie etwa NAVSTAR GPS oder das europäische Galileo.
- LiDAR steht für „Light Detection and Ranging“ und beschreibt eine lasergestützte Methode zur Umfelderfassung. LiDAR-Sensoren erzeugen präzise, dreidimensionale Informationen über Form und Oberflächeneigenschaften der umgebenden Objekte.
- Orthorektifizierung ist ein Verfahren, bei dem ein zwei- oder dreidimensionaler räumlicher Datensatz vom Modell in Realweltkoordinaten transformiert wird. Bei diesem Verfahren wird durch geometrische Transformation eine Entzerrung erzielt.
- Tachymeter ist ein Geodäsiegerät, mit dem man Horizontalrichtungen, Vertikalwinkel und die schräg gemessene Entfernung zu einem Zielpunkt ermitteln kann. Es dient zur raschen Auf- und Einmessung von Punkten.
Was KI-Verfahren zu leisten imstande sind, steht und fällt natürlich mit der Datenqualität. Für die hat der Geodatenmanager zu sorgen – und zwar erforderlichenfalls mithilfe einer manuellen Qualitätskontrolle und -sicherung der Ergebnisse. In der Praxis bewerten die Fachleute für Geodaten dazu die Ergebnisse stichprobenartig, indem sie sie mit der direkt vor Ort beobachteten Wirklichkeit, der sogenannten „Ground Truth“, abgleichen.
Neben grundsätzlichen Kenntnissen dieser Verfahren benötigen Geodatenmanager auch Verständnis von den Prozessen des Cloud Computing. Sowohl die Menge an Daten als auch die benötigte Rechenleistung übersteigen regelmäßig die Ressourcen, die ein einzelner Computer bereitstellen kann.
Geodatenmanager im Profil
Das Geodatenmanagement verlangt den Verantwortlichen Kompetenzen auf drei Feldern ab: Geokompetenz, IT-Kompetenz und Managementkompetenz.
- Zur Geokompetenz gehört die anwendungsbezogene Erfassung, Qualitätssicherung, Analyse und Präsentation räumlicher Sachverhalte auf Grundlage des geodätischen Raumbezugs nach Lage, Höhe und Schwere.
- Die IT-Kompetenz umfasst Daten- und Systemtechnik mit Konzeption und Implementierung technischer Lösungen mit serviceorientierter Architektur- und Systementwicklung sowie Modellierung, außerdem das Kodieren und Automatisieren der Auswertung von Daten mithilfe unterschiedlicher digitaler Verfahren.
- Zu den verlangten Managementkompetenzen gehören Strategieentwicklung, Strukturierung, Koordination und Steuerung von Prozessen in Kommunikation mit den an den Projekten Beteiligten.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen Bewerber eine Reihe fachlicher Qualifikationen erfüllen. So verfügt ein Geodatenmanager gewöhnlich über ein abgeschlossenes Hochschulstudium der Fachrichtung Geodäsie, Geoinformatik, Geoinformation oder einer vergleichbaren Fachrichtung.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Zu seinen Aufgaben gehört es, Aufbau und Betrieb von Geodateninfrastrukturen zu koordinieren. Dabei gleicht er die Nutzeranforderungen mit den konkreten Anwendungsszenarien ab. Dazu gehört auch, sich einen Überblick über das Angebot an eigenen und am Markt erhältlichen Daten zu verschaffen. In Abstimmung mit den Experten der Fachabteilungen beurteilt er, ob die angebotenen/erhobenen Daten für die angestrebte Anwendung geeignet sind. Er ist auch organisatorisch verantwortlich für den Zukauf von Geodaten aus externen Quellen und das Aushandeln von Konditionen im Hinblick auf Nutzungsrechte, verrechnete Kosten und den konkreten Zugang zu diesen Daten.
Geodatenmanager benötigen einen guten Überblick über die Methoden zur Erfassung der benötigten Daten und wählen die passenden abhängig von den fachlichen Erfordernissen aus. Sie sammeln die vorhandenen Daten, übertragen sie in einheitliche Datenformate, führen sie in einem Geografischen Informationssystem (GIS) zusammen, bereiten sie bedarfsgerecht auf und halten sie aktuell. Sie konzipieren auch neue Datenprodukte für konkrete Anwendungsfälle. Dazu stehen sie im Austausch mit Fachabteilungen und IT-Experten.
In Marketing und Vertrieb können Geodatenmanager ebenfalls zentrale Aufgaben wahrnehmen, wenn es um die Vermarktung geodatenbasierter Lösungen geht. Dazu gehören von der Produktbeschreibung über das Festlegen des präzisen Angebots (eingeschränkt etwa im Hinblick auf Urheberrecht, Sicherheit oder Datenschutz) Entscheidungen bis hin zur Festlegung des Kundenkreises und des Vertriebsweges.
Teil 1 sieht sich um, wo kommunale GIS überall von Nutzen sein können: 80 % aller Verwaltungsvorgänge sind raumbezogen. Teil 2 erklärt, warum Geodaten und Dokumentenmanagement verknüpft sein sollten. Außerdem geht es um den Datenschutz und um die Kostenübernahme. Ein Extrabeitrag widmet sich dem Berufsbild Geodatenmanager.
Spezielle Aufgaben haben Geodatenmanager auch in der IT von Unternehmen und anderen Organisationen, die Geodaten für ihre Tätigkeit nutzen. Dazu gehört das Systemdesign von Netzwerken, Servern, Datenbankmanagement oder Applikationstechnologie. Darüber hinaus trifft ein Geodatenmanager hier Entscheidungen zum Aufbau und Betrieb der erforderlichen Geo-IT wie GIS, Soft-/Hardware sowie weiterer zentraler technischer Komponenten.
Berufsbegleitende Weiterbildung
Die Universität Tübingen bietet ein flexibles Weiterbildungskonzept für alle Berufstätigen, die mit räumlichen Informationen arbeiten oder sich in diesem Bereich qualifizieren möchten. Das Weiterbildungsangebot ist flexibel gestaltet. Der an einer entsprechenden Qualifikation Interessierte kann wahlweise eine der Zertifikatslinien Geografische Informationssysteme, Fernerkundung oder Geodaten belegen, aus diesen auf Wunsch auch nur einzelne Module, oder das Komplettpaket, das nach abgeschlossenen Projektarbeiten zum „Diplom zur Geodatenmanagerin und zum Geodatenmanager“ führt.
Jede Ausbildungslinie besteht aus Seminaren, die Präsenz- und Online-Phasen umfassen. Nach erfolgreichem Abschluss einer Linie erhält der Absolvent jeweils ein Certificate of Advanced Studies (CAS), belegt er alle drei Linien des Weiterbildungsangebotes, so beendet er die Weiterbildung mit einem Diploma of Advanced Studies (DAS).
Die drei Ausbildungslinien zum DAS Geodatenmanager/-in. Weitere Infos über Zugangsvoraussetzungen, Kosten und Fördermöglichkeiten unter https://uni-tuebingen.de/de/46108 (Bild: Universität Tübingen)
Eineinhalb bis zwei Jahre sollte man für den kompletten Durchlauf veranschlagen, meint Jörg Knödler, Koordinator für die Weiterbildung Geodatenmanagement, und: „Außerhalb der Präsenztage müssen drei bis vier Stunden pro Woche für die Weiterbildung eingerechnet werden.“ Theoretisch sei auch eine Parallelbelegung von Modulen möglich, „aber wenn Teilnehmer beruflich stark eingespannt sind, kommen sie an ihre Grenzen.“ Eigenverantwortung und selbstständiges Lernen und Arbeiten seien wichtige Grundvoraussetzungen.
Mit dem Abschluss eröffnen sich den Teilnehmern nicht nur eine Höherqualifizierung, sondern auch die verschiedensten Arbeitsbereiche. „Die Absolventen haben sehr gute Chancen“, sagt Knödler, „auch im öffentlichen Bereich wächst der Bedarf.“
Internationale Projekte
Weltweit kommen Projekte, die auf Geodaten basieren, in den unterschiedlichsten Szenarien zum Einsatz, etwa bei der Schätzung von Wetterindikatoren, der Vorhersage von Überschwemmungen oder der Überwachung von Wäldern und Meeren. So sollen laut Trendanalyse Intergeo 2021 Algorithmen aus den erhobenen Daten etwa herauslesen können, ob Fischer in den Niederlanden ihre Fangquoten um mehr als 50 % überschreiten. Ein anderes Beispiel ist Taiwan, wo KI-Algorithmen Art und Zustand von Nutzpflanzen überwachen.
Die Forscher der Uni Tübingen sind an einem bedeutenden Projekt, das auf Geodaten basiert, beteiligt. Ort und Gegenstand ihrer Forschungsarbeit ist die Mündung des Parfümflusses, wo Vietnams alte Kaiserstadt Huế liegt. Deren Einwohner wurden im November 1999 vom Hochwasser überrascht. Rund 700 Menschen fanden dabei den Tod, weitaus mehr noch verloren ihr Hab und Gut in den Wassern.
Um solche katastrophalen Überraschungen für die Zukunft zu vermeiden, arbeiten die Tübinger Geoinformatiker daran, die Region und ihr Klima möglichst präzise in einem Computermodell abzubilden. Diese sogenannte hydrologische Modellierung soll eine genaue Vorhersage von Wasserhöhen unter verschiedenen Wetterbedingungen erlauben. Dazu hat das Team bereits zehn Wetterstationen nach Vietnam geschickt. Sie sollen im Einzugsgebiet des Parfümflusses Wind und Niederschlag messen.
Auch die Höhenprofile der Region wurden anhand von Karten und Satellitendaten aktualisiert. „Mithilfe der Radarinterferometrie kann man Höhenänderungen sehr genau bestimmen, bis auf wenige Zentimeter pro Jahr“, sagt der am Projekt beteiligte Tübinger Professor für Geografie und Geoinformatik Volker Hochschild. In diesem Bereich spielt sich beispielsweise die sogenannte „Subsidenz“ ab – das allmähliche Absinken küstennaher Landstriche. „Wenn Flüsse aufgestaut werden, sammelt sich in den Staubecken Sediment“, erklärt der Geograf. „Das fehlt dann in den Unterläufen der Flüsse.“
Lawinenprävention in der Schweiz
Lawinen gehören zu den geologischen Risiken im Alpenraum. Gefahren rechtzeitig zu erkennen, zu warnen und nötige Maßnahmen einzuleiten, gehört zu den Aufgaben des eidgenössischen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) im schweizerischen Davos. Dazu setzt das SLF luftgestützte Sensortechnologie ein. Die SLF-Forscher verwenden den Luftbildsensor ADS100 von Leica Geosystems, um hochdetaillierte Aufnahmen großer Schneefelder in den Alpenregionen zu erfassen.
Aus den gesammelten Daten lassen sich genaue digitale Oberflächenmodelle entwickeln. Daraus wiederum können die Forscher das Lawinenvolumen ableiten und diese Lawinen kartieren. So lässt sich feststellen, in welchen Alpenregionen das Risiko für diese Naturkatastrophen am größten ist. Durch den Vergleich von Lawinenwarnungen und erkannten Lawinenereignissen können Forscher die Warnungen bestätigen und laufend verbessern.
Autos, die ihre Parkplätze selbst finden
Auch wenn, anders als bei den zuvor genannten Projekten, nur selten Menschenleben davon abhängen: Die Suche nach einem freien Parkplatz in einer Großstadt kostet zumindest Lebenszeit. Manuela Rasthofer, CEO des Start-ups TerraLoupe, hat dieses Problem erkannt und ein Projekt gestartet, das künstliche Intelligenz und orthorektifizierte Luftbilder kombiniert, um eine exakte Bestandsaufnahme verfügbarer Parkhäuser und ‑plätze in Deutschland durchzuführen.
Über das HxGN Content Program (ein Angebot des schwedischen Konzerns Hexagon, der Muttergesellschaft von Leica Geosystems) erhielt TerraLoupe Zugang zu Orthofotos von Berlin mit einer Auflösung von 15 cm, um seine intern entwickelten Algorithmen zur Objektidentifizierung zu testen. Bei diesem ersten Anlauf dauerte es acht Wochen, bis die Algorithmen so trainiert waren, dass sie Parkplätze präzise identifizieren und kategorisieren konnten. Anschließend brauchte es nur noch weitere drei Tage, um die Daten für ganz Deutschland zu analysieren und daraus Karten zu generieren.
Meine globale Herausforderung
Wer sich für den Karriereweg des Geodatenmanagers entscheidet, dem steht eine breite Auswahl an Aufgabenfeldern offen. In Wissenschaft und Forschung, in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung umfassen immer mehr Aufgaben den richtigen Umgang mit raumbezogenen Daten. Von Smart-City-Konzepten über den Katastrophenschutz bis hin zur Überwachung von Feld und Flur, von der Planung von Tiefbauarbeiten bis zu Konzepten für autonome Mobilität erstrecken sich die Herausforderungen. Und der Bedarf an Fachleuten, die sich diesen Herausforderungen stellen, wächst mit den anfallenden Daten.
Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.
Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de