Greentech aus Österreich: Wer Marktführer im Klimaschutz wird

Österreichs Greentech-Branche ist weltweit erfolgreich. Der Wasserkraftpionier hat sich still und leise zum Exportmeister in Sachen Umwelttechnik gemausert. Trotz Corona-Pandemie und innenpolitischer Turbulenzen sind einige Unternehmen und Forschungsinstitute sogar zu Marktführern aufgestiegen.

Erfolgsmodell Klimaschutz

Von Friedrich List

Unter „Greentech“ versteht man üblicherweise technische Lösungen und Verfahren aus den Bereichen erneuerbare Energie, Energieeffizienz, klimaneutrale Verteilung und Speicherung von Energie, Recycling und sogenannte Kreislaufwirtschaft. Österreich nimmt hier schon seit Langem eine führende Rolle ein. Seit den 1990er Jahren haben sich Warmwasser-Solaranlagen so stark wie in keinem anderen Land verbreitet. Auch bei Recycling-Technologien, der Energieerzeugung aus Wasserkraft oder Biogas sowie innovativen Wasserstofftechnologien konnte das Land früh Erfolge verzeichnen.

Zudem strahlen die Erfolge der Greentech-Industrie auf den Rest der Wirtschaft des Landes aus. Laut einer Studie des Industriewissenschaftlichen Instituts, die im Auftrag des Wirtschaftsministeriums durchgeführt wurde, erreichen Greentech-Firmen eine durchschnittliche Exportquote von rund 78 %. Damit liegen sie deutlich vor den Unternehmen der Sachgüterindustrie.

Der Start-up-Standort boomt

Die frühen Erfolge bilden die Grundlage für die heutige Stärke der Branche. Im Frühjahr und Herbst 2020 wurden für die aktuelle Umwelttechnikerhebung über 2700 Unternehmen aus der Umwelttechnikbranche zu ihren Ergebnissen befragt. Danach erzielten sie 2019 rund 15,24 Milliarden Euro Umsatzerlöse und unterhielten 51.500 Arbeitsplätze. Das entspricht einem jährlichen Wachstum von 6 % pro Jahr seit 2015. Davon entfielen 11,94 Milliarden Euro Umsatz und 37.800 Arbeitsplätze auf das produzierende Gewerbe im Bereich Umwelttechnik.

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Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen in Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.

Auch zahlreiche Unternehmensgründungen sind zu verzeichnen. Die österreichische Climate-Tech-Branche ist in den letzten Jahren um 150 Start-ups angewachsen. Nach der vom Wiener Start-up Glacier und dem Green Tech Cluster herausgegebenen Climate-Tech-Landscape-Untersuchung wurden 70 von ihnen in den letzten drei Jahren gegründet. Die meisten neu gegründeten Firmen, nämlich 40 %, haben sich in der Hauptstadt und im Bundesland Wien angesiedelt.

Doch ein Viertel der Neugründungen wählte die sogenannte grüne Mark, die Steiermark, als Standort. In der Steiermark findet sich auch die höchste Dichte von Start-ups. Hier gab es in jüngster Zeit doppelt so viele Unternehmensgründungen in der Greentech-Branche wie in allen anderen Bereichen. Weitere 14 % der Neugründungen im Bereich Klimatechnologien konzentrieren sich auf das Bundesland Niederösterreich. Und auch Oberösterreich hat sich einen Ruf als „grüner“ Standort erarbeitet. Dort haben sich um die 250 Unternehmen, die auf Umwelttechnik spezialisiert sind, angesiedelt. Sie arbeiten in Bereichen wie Abwasser und Recycling, Ressourcen- und Energieeffizienz, Lärmschutz oder Luftreinhaltung.

Kernland der Austria-Greentech

Standort zahlreicher Anbieter von Lösungen für den Klimaschutz und die Kreislaufwirtschaft ist das sogenannte Green Tech Valley im südlichen Österreich. Das grüne Tal zieht sich durch die Bundesländer Kärnten und Steiermark. Hier arbeiten rund 250 Unternehmen aus der Branche. Hinzu kommen 15 Kompetenzzentren und rund 1800 Wissenschaftler, die an Universitäten wie der in Graz zu grünen Technologien forschen. Die Forschung an Wasserstofftechnologien umfasst 18 Institute mit 310 Wissenschaftlern. Die meisten davon arbeiten wiederum in der Steiermark an der TU Graz, die Österreichs größtes Zentrum für Wasserstoffforschung beherbergt.

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Der bereits vielfach ausgezeichnete Green Tech Cluster bekam 2021 noch den ersten österreichischen Clusterpreis, den Geschäftsführer Bernhard Puttinger (links) entgegennahm. Das Start-up-Ökosystem werde „immer mehr zu einem globalen Innovations-Hotspot“, sagte Standortministerin Margarete Schramböck bei der Preisverleihung. Rechts im Bild: Die Vorzeigegründer Jan Senn und Christoph Grimmer des Grazer Start-ups Efficient Energy Technology (EET). (Bild: BMDW Hartberger)

Rund um Graz als Zentrum hat sich der Green Tech Cluster etabliert. Dieser erhielt im Frühjahr 2021 den im Vorjahr erstmals ausgeschriebenen Österreichischen Clusterpreis. Vergeben wird der Preis vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW). Mit der Vergabe würdigte das BMDW speziell die Leistungen des Clusters bei der Förderung von Start-ups, bei Forschung und Innovation sowie bei der Ausbildung und Beschäftigung von Fachkräften.

Gegründet wurde der Green Tech Cluster im Jahr 2005. Damals schlossen sich 80 Unternehmen und verschiedene Forschungseinrichtungen zusammen. Unter den Mitgliedern sind z.B. Hersteller von Solartechnologie, Wasserkraftwerken, Biomasseanlagen oder Recycling-Lösungen. Heute gehören dem Cluster 250 Unternehmen an. Finanziert wird der Zusammenschluss zu rund 60 % aus öffentlichen Mitteln.

Im vergangenen Jahr erreichten die Mitgliedsunternehmen einen Gesamtumsatz von 5,6 Milliarden Euro. Sie schufen für 24.400 Menschen gut bezahlte Jobs im Sektor Umwelttechnik. Das strahlt auch auf andere Bereiche der Wirtschaft aus. Bezieht man die Arbeitsplätze und den Umsatz bei Lieferanten und B2B-Kunden ein, ergibt sich in etwa der doppelte Gesamtumsatz und die dreifache Zahl an Beschäftigten.

Die grüne Technologie hat gerade in der Steiermark Tradition. In den 1970er-Jahren machten sich dortige Hersteller mit Solarkraftanlagen zur Selbstmontage weltweit einen Namen. Das seinerzeit gegründete AEE Intec avancierte zu einem der führenden Forschungsinstitute für nachhaltige Technologien. 1992 gründete Robert Kanduth hier sein Unternehmen GREENoneTEC, das zum weltweit größten Hersteller von thermischen Flachkollektoren aufstieg. Auch das moderne Recycling nahm hier seine Anfänge. Die ersten Sammlungen von wiederverwertbaren Abfallstoffen fanden in den 1980ern in der Steiermark statt. Und auch Hersteller von Sortieranlagen wie Binder+Co oder Redwave haben ihren Sitz in der grünen Mark.

Biogas aus Wien

Das Wiener Unternehmen Biogest hat sich auf Biogas- und Biomethan-Anlagen spezialisiert. Diese Anlagen produzieren aus landwirtschaftlichen Abfällen Strom oder Biomethan, das z.B. genutzt wird, um Fahrzeuge anzutreiben. Biogest erreicht eine Exportquote von beinahe 100 %. Zurzeit sind die USA der Markt mit dem größten Potenzial.

Nicht zuletzt deshalb stellt Biogest auf einer Milchfarm in Idaho gerade seine erste Anlage fertig. In den USA steigt derzeit die Nachfrage nach Biotreibstoffen stark an, was für landwirtschaftliche Betriebe interessant ist, die mit einer Biogas- oder Biomethananlage ihre Abfälle verwerten möchten. Außerdem produzieren diese Anlagen als Nebenprodukt Dünger, der wiederum der landwirtschaftlichen Produktion zugutekommt. Auch in Europa zieht die Nachfrage nach Biogasen aus Übersee spürbar an, denn fast alle europäischen Länder haben die Verwendung von Lebens- oder Futtermitteln zur Biogasproduktion verboten.

Unter südösterreichischer Sonne

Der Kärntner Fotovoltaikhersteller Sonnenkraft nimmt Österreichs größtes Solarflugdach in Betrieb. Der Grund: Das Unternehmen erweitert seine Produktion am Standort St. Veit an der Glan. Dort sollen in Zukunft doppelt so viele PV-Module wie bisher gefertigt werden. Dazu errichtete man eine neue Lagerhalle und überdachte diese mit 800 Doppelglas-PV-Modulen. Das neue Solarflugdach erzeugt rund drei Viertel der Energie, die das Unternehmen benötigt, um seine Produkte, nämlich ebensolche PV-Module, aber auch Frischwasserstationen, zu produzieren.

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Lagerfläche, die sich selbst finanziert: Sonnenkraft erweitert seine Produktion und hat 2021 am Standort St. Veit eine neue Lagerhalle errichtet – und darüber Österreichs größtes Flugdach, mit hocheffizienten Fotovoltaikmodulen, die einen Jahresertrag von 325.000 kWh bringen. Allein dadurch soll sich die Konstruktion in acht Jahren amortisiert haben. (Bild: Sonnenkraft)

Sonnenkraft installiert Module mit bifazialer Zelltechnologie auf seinem Flugdach. Sie liefern mehr Strom als herkömmliche Module, weil sie Sonnenlicht von beiden Seiten aufnehmen. Abhängig vom Standort und von der Lichtsituation zeigen beidseitige Solarzellen um die 30 % höhere Wirkungsgrade, benötigen zugleich aber weniger Platz und Material. Das neue Dach wird voraussichtlich um die 325.000 kWh jährlich liefern.

Die größte Solaranlage, die je auf einer Luxusjacht eingebaut wurde, kommt ebenfalls aus dem Green Tech Valley. Der steierische PV-Hersteller Solbian liefert für die Superjacht Baltic 146 Path eine Kollektoranlage, die pro Tag bis zu 50 kWh Strom für Navigation, Unterhaltungselektronik und Beleuchtung produziert. Die Solarpaneele sind unter dem Hauptsegel auf dem Kabinendach eingebaut. Sie sind so geschaltet, dass immer die Paneele überbrückt werden, auf die gerade der Schatten des Segels fällt. In Verbindung mit einer Speicherbatterie reicht der Solarstrom an Bord für 18 Stunden Betrieb.

Grüne Lösungen für die Industrie

Viele Unternehmen aus der IT-Branche investieren mittlerweile in Greentech. So will zum Beispiel der Halbleiterhersteller Infineon in die Produktion von grünem Wasserstoff einsteigen. Zusammen mit dem Gasunternehmen Linde soll in Kärnten eine Produktionsanlage entstehen, die bis zu 800 kg hochreinen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien erzeugt. Linde liefert dabei die erforderliche Elektrolyseanlage. Der grüne Wasserstoff soll als Prozessgas in der Chipfertigung im neuen Infineon-Werk in Villach dienen. Bislang muss der hochreine Wasserstoff per Lkw aus Deutschland angeliefert werden.

Die bis dato weltgrößte Anlage zur klimaschonenden Herstellung von Epichlorhydrin liefert das Grazer Verfahrenstechnikunternehmen Kanzler nach China. Epichlorhydrin wird als Komponente zur Herstellung von Epoxidharzen genutzt, die wiederum als Nassfestmittel in der Papierproduktion, etwa bei Krepp oder Teebeuteln, verwendet werden. Außerdem ist Epichlorhydrin wichtig als Bestandteil künstlicher Elastomere oder Textilhilfsstoffe wie dem Polymer Hercosett. Letzteres verhindert das Einschrumpfen von Textilien. Epichlorhydrin selbst ist eine krebserregende Flüssigkeit, die mit Luft oder Dampf ein leicht entflammbares Gemisch bildet. Herstellung, Lagerung und Verarbeitung erfordern diffizile Verfahren, die höchste Anforderungen erfüllen müssen.

Die Produktionsanlage wird in der chinesischen Provinz Shandong errichtet und soll jährlich 150.000 t der chemischen Verbindung liefern. Üblicherweise stellt man die Chemikalie aus Glycerin, Salzsäure und Natriumhydroxid her. Kanzler hat den Herstellungsprozess so weit modifiziert, dass 50 % erneuerbare Rohstoffe genutzt werden und ein großer Teil des Abfalls wiederverwendet wird. Außerdem verursacht das modifizierte Verfahren wesentlich weniger Abwasser und geringere CO₂-Emissionen.

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Friedrich List ist Journalist und Buch­autor in Hamburg. Seit Anfang des Jahr­hunderts schreibt er über Themen aus Computer­welt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raum­fahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Inter­nationalen Raum­station. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.

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