Abwerber am Apparat
Von David Schahinian
Ob man den Gesprächspartner am anderen Ende der Telefonleitung nun Personalberater, Executive Search Consultant oder schlicht Headhunter nennen will: Sein Anruf kommt in der Regel überraschend und löst meist zwiespältige Gefühle aus. Einerseits schmeichelt die entgegengebrachte Wertschätzung. Andererseits wird verstohlen nach links und rechts geschaut, ob jemand mithört. Schließlich ist es das erklärte Ziel des Anrufers, einen just von dem Arbeitsplatz, an dem man gerade sitzt, wegzulocken.
Im Grunde spricht nichts dagegen, seinen Marktwert zu testen und die mögliche Chance auf mehr Gehalt oder eine anspruchsvollere Aufgabe, im Idealfall beides, in Betracht zu ziehen. Den Abwerbeversuchen sind allerdings moralische und rechtliche Grenzen gesetzt. Der Umworbene ist deshalb gut beraten, einen klaren Kopf zu behalten, das Angebot genau zu prüfen und dem Headhunter erst einmal auf den Zahn zu fühlen.
Es gelten klare Regeln
Abwerbeversuche sind prinzipiell erlaubt. Wer im Büro ans Telefon oder ans Handy geht und einen Headhunter am anderen Ende der Leitung hat, bricht kein Gesetz. Der Bundesgerichtshof hat das Ausmaß des Erstkontakts mittlerweile aber durch mehrere Urteile recht genau definiert: Es muss sich auf zwingend notwendige Äußerungen beschränken. „Ein solches erstes Kontaktgespräch darf aus rechtlichen Gründen nur wenige Minuten dauern“, berichtet Rainer Steppan, Rechtsanwalt und Betreiber des Branchenportals ConsultingStar.com.
Hält sich der Headhunter nicht daran und führt er das Gespräch beispielsweise mit ausschweifenden und werbenden Aussagen über seinen Auftraggeber fort, obwohl der Angerufene sein Desinteresse signalisiert, überschreitet er seine Grenzen und verstößt gegen die guten Sitten des Wettbewerbs.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT und Karriere“. Einen Überblick mit Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Auch im weiteren Verlauf des Kontakts ist nicht alles erlaubt. So darf der Personalberater den Mitarbeiter nicht zu Handlungen anstiften, die den bisherigen Arbeitgeber schädigen. Er darf ihn auch nicht zum vorsätzlichen Vertragsbruch, etwa durch das absichtliche Abliefern schlechter Arbeit, verleiten. Wer sich als Arbeitnehmer darauf einlässt, riskiert die fristlose Kündigung. Gleiches gilt für die Abwerbung, um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse abzuschöpfen. Natürlich vergisst man bei einem Jobwechsel nicht automatisch sein ganzes Wissen. Erfolgt die Verpflichtung einer Fachkraft aber allein aus diesem Grund, ist sie unlauter und damit verboten.
Souverän reagieren
Auch wenn der Anruf aus heiterem Himmel kommt, sollte der Umworbene gelassen bleiben. Fragen wie „Wie kommen Sie gerade auf mich?“ wirken unprofessionell und unsicher. Das Gegenteil, Prahlerei und Arroganz, ist genauso unangebracht. Der Headhunter ist ja bereits durch gute Leistungen oder durch das Qualifikationsprofil auf den Angerufenen aufmerksam geworden.
Besser ist es, aufmerksam zuzuhören und sich gegebenenfalls Notizen für ein weiteres Kontaktgespräch zu machen. Auch wenn einen die aktuelle Position zufriedenstellt, ist es doch immer interessant, was andere Arbeitgeber zu bieten haben. Die Aussichten sind gut: Steppan zufolge suchen Headhunter hochqualifizierte Spezialisten, erfahrene Führungskräfte und erfolgreiche Topmanager – „und zwar meist solche, die es nicht nötig haben, sich auf Stellenanzeigen in Printmedien oder Job-Postings im Internet zu bewerben.“
Ein paar Gegenfragen sind aber durchaus sinnvoll: Für welche Firma arbeitet der Headhunter, welche Position bekleidet er dort, und unter welcher Nummer ist er außerhalb der Arbeitszeit zu erreichen? „Zumeist kommt der erste Anruf nicht von dem Headhunter selbst, sondern von einem Researcher“, so Steppan. Sie arbeiten oft freiberuflich, „darunter auch manch angelernter Student.“ Wer nachfragt, weiß zumindest, mit wem er es zu tun hat.
Ein ausführliches Telefonat stellt Weichen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen. So verraten die Headhunter in der Regel Fakten wie die Branche, den Aufgabenbereich, die Gehaltsdimension – mehr aber auch nicht. Diskretion spielt eine große Rolle, schließlich beauftragen Unternehmen gerade aus diesem Grund Personalspezialisten. Zu viele Nachfragen bringen an diesem Punkt wenig. Die Informationen sollten aber ausreichen, um entscheiden zu können, ob ein persönliches Gespräch sinnvoll ist oder ob der Kontakt, zumindest zum aktuellen Zeitpunkt, besser beendet wird.
Fallen vermeiden
Nicht immer gibt die Kontaktaufnahme eines Headhunters bedingungslosen Grund zur Freude. In einer aktuellen Marktstudie der Hochschule RheinMain im Auftrag des Bundesverbands der Personalmanager (BPM) berichteten 61 % der teilnehmenden Personalverantwortlichen von „zumindest gelegentlich unseriösen Headhuntern.“
Das kriegen manchmal auch die umworbenen Fachkräfte zu spüren. Grund genug nachzufragen, ob der Headhunter einen konkreten Auftrag hat. Es ist nämlich durchaus möglich, dass die beschriebene Stelle nicht existiert und er lediglich sein eigenes Portfolio auffüllen will. Oder er macht ohne direkten Suchauftrag Kandidaten für eine tatsächlich bestehende, allerdings öffentliche Stellenausschreibung ausfindig. Geht sein Plan auf, kassiert er dafür Provision.
Höchste Vorsicht ist im Umgang mit den eigenen Daten geboten – auf seinen guten Namen sollte man unbedingt achten. Zu schnell ist er verbrannt, wenn vertrauliche Auskünfte breit gestreut werden. Oftmals ist mit den suchenden Unternehmen vereinbart, dass ihnen mehrere Kandidaten vorgeschlagen werden. Die Gefahr besteht, dass der eigene Lebenslauf in verschiedenen Unternehmen präsentiert wird, um die Quote mit wenig Aufwand zu erfüllen. Gerade bei Top-Positionen ist der Markt eng und der Ruf bei unkontrolliertem Herumreichen der persönlichen Daten schnell auf lange Zeit ruiniert.
Eine weitere Falle wird oft unterschätzt: Möglicherweise ist der Kandidat gar nicht erwünscht oder nur Mittel zum Zweck. Manche Manager sehen den Topbewerber als Konkurrenten an, der ihnen früher oder später den Rang streitig macht. Oder sie verfolgen eine Hidden Agenda und haben einen eigenen Aspiranten in der Hinterhand, der aber gerade nicht durchsetzbar ist. Der Neue wird dann verbrannt, um später doch den eigenen Kandidaten durchzudrücken.
Die Jagd auf Alpha
Headhunter zielen neuerdings oft auf mehrere Anwärter zugleich ab, wie eine Studie von Bitkom Research im Auftrag der Personalagentur Profcon ergab. Das Trendwort dazu heißt Teamhunting, die Abwerbung ganzer Gruppen. Jedes sechste IT-Unternehmen gab an, Teamhunting zu diskutieren, konkret zu planen oder zu nutzen. Oftmals ist ein einzelner Umworbener gar nicht das Ziel, sondern nur der einflussreiche Schlüssel, der Teamleader.
Der Studie zufolge werden mit der Methode derzeit insbesondere Gruppen im Software Development sowie im Bereich Forschung und Entwicklung gesucht: „Durch Teamhunting wollen die Unternehmen vor allem die Einarbeitungszeit verkürzen.“ 18 % der Befragten äußerten aber gleichzeitig „ethische oder moralische Vorbehalte.“ Und rechtliche gibt es ebenso. Denn auch hier gilt, dass eine Abwerbung allein aus Gründen der Schädigung des Konkurrenten nicht erlaubt ist.
Der Umworbene trägt Eigenverantwortung: Von seiner Kündigung und dem neuen Arbeitsplatz zu erzählen, ist erlaubt. Auf Kollegen einzureden, es nachzumachen, nicht. Dann drohen der fristlose Rausschmiss sowie Unterlassungs- und Schadenersatzklagen. Für die Unternehmen ist es allerdings schwer nachzuweisen, dass der Angesprochene dem Personalberater Kollegen genannt hat, die dieser daraufhin ebenfalls zum Wechsel bewegte.
Schwarze Schafe erkennen
Fettnäpfchen gibt es also genug. Umso wichtiger ist es, möglichst schnell zu wissen, mit wem man es zu tun hat. Einen Anhaltspunkt liefert die Erfahrung, die der Headhunter vorweisen kann. Trotz Vertraulichkeit sollte er in der Lage sein, Referenzen zu nennen. Auch eine Spezialisierung auf bestimmte Branchen ist ein gutes Zeichen. Ein guter Personalberater gibt spätestens auf Nachfrage Auskunft über den jeweils aktuellen Stand des Verfahrens.
Hellhörig sollte man werden, wenn die angebotene Position gar nicht zur eigenen Branche oder den eigenen Qualifikationen passt, rät Christa Stienen, Vizepräsidentin des BPM. Zum einen sei das für alle Seiten „Geld- und Zeitverschwendung“. Zum anderen bestehe die Gefahr, dass mit dem eigenen Profil schlicht die Shortlist des Personalberaters aufgefüllt werden soll, die er dem Unternehmen präsentieren muss. Auf dieser Liste landen im Übrigen immer mehr Frauen, oftmals sogar ohne ihr Wissen, warnt Stienen. Mit den öffentlichen Diskussionen um die Frauenquote in Unternehmen würden verstärkt weibliche Fachkräfte gesucht.
Für eindeutig unseriös hält sie solche Personalberater, die den Umworbenen nicht einmal grundlegende Informationen mitteilen wollen. Kandidaten sollten sich die Jobspezifikationen, falls sie telefonisch nicht genannt werden können, an ihre private E-Mail-Adresse schicken lassen. Der Verweis auf ein Online-Tool sei ebenfalls kein gutes Zeichen: „Da werden die eigenen Daten schlicht verschenkt.“ Auch vorgeblicher Zeitdruck spreche nicht für die Qualität eines Personalberaters. Letztlich seien seriöse Auftraggeber aus Eigeninteresse darauf bedacht, mit vertrauenswürdigen Headhuntern zusammenzuarbeiten, so Stienen weiter: „Er ist der erste Kontakt, der das Unternehmen gegenüber dem Kandidaten repräsentiert.“
Deshalb fordert der BPM seit geraumer Zeit einen Fachkundenachweis für Headhunter, um Mindeststandards zu sichern. Dazu hat er unter anderem einen Kodex des guten Headhuntings veröffentlicht, in dem grundlegende Qualitätsanforderungen aufgeführt sind. Gute Vertreter ihrer Zunft überzeugten demnach unter anderem mit einem belastbaren Netzwerk im Marktsegment, Kenntnis der Kundenorganisation und ihrer Kultur, der Berücksichtigung auch interner Kandidaten, einer unparteilichen Beratung sowie der Unterstützung auch während der Onboarding-Phase der ausgewählten Kandidaten.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.
Fazit: Soll ich wechseln?
Der Personalberater ist vertrauenserweckend, die neue Aufgabe wirkt reizvoll, die Bereitschaft zu wechseln ist da: Jetzt gilt es, eine Entscheidung zu treffen und abzuwägen, wo die eigenen Ziele und Grenzen liegen. Wer zu hoch pokert, verspielt unter Umständen seine Chance. Auch wenn IT-Fachkräfte gesucht sind, haben Headhunter immer mehrere Eisen im Feuer. Kommt kein Wechsel zustande, kann der Kontakt zum Headhunter bei gegenseitiger Wertschätzung trotzdem aufrechterhalten werden.
„Unerfahrene Fach- oder Führungskräfte machen sich häufig Illusionen über die Rolle, die Headhunter spielen“, weiß Rechtsanwalt Rainer Steppan zu berichten. Sie handeln in erster Linie im Auftrag von Unternehmen, und nicht von Bewerbern, die dringend einen neuen Job suchen: „Jobsuche unter Druck ist das Gegenteil von einer smarten Karrierestrategie.“ Besser sei es, von Beginn der Karriere an Kontakte zu knüpfen, innerhalb und außerhalb der Firma. In Gesprächen mit ehemaligen Kollegen und Vorgesetzten, auf Messen und Fortbildungsveranstaltungen könne man auch danach fragen, welche Headhunter in der eigenen Branche tätig sind.
„Nur die Bequemen verlassen sich auf das Profil, das sie in einem jener sozialen Netzwerke veröffentlicht haben, in denen sich auch immer wieder Headhunter bedienen“, so Steppan. Sie sollten sich dann aber auch nicht wundern, wenn sie nur eher unterinteressante Jobs angeboten bekommen. „Oder gar nur Ersatzkandidaten auf der Longlist eines Headhunters spielen dürfen – ohne je eine echte Chance auf einen Topjob zu erhalten.“