Helmpflicht für kreative Köpfe
Von David Schahinian
IP-Management? – In den meisten Start-ups wird das Kürzel eher mit Internet Protocol als mit Intellectual Property in Verbindung gebracht. Überhaupt klingt das Schlagwort „geistiges Eigentum“ ziemlich antiquiert und scheint dem freien Austausch von Ideen diametral gegenüberzustehen. Patentämter sind uncool, außerdem lässt sich Software ohnehin nicht patentieren, und die eigene Lösung ist sowieso die beste.
Die ersten beiden Behauptungen stimmen so schon einmal nicht, und auf die dritte sollte sich auch niemand verlassen. Was man selbst entwickelt hat, sollte man vor dreisten Nachahmern schützen. Welcher Schutz der richtige ist, hängt von der Art der Erfindung ab, sagt Rechtsanwalt Dr. Bahne Sievers von der Kanzlei Fieldfisher: „Einige Ergebnisse sind bereits durch das Urheberrecht hinreichend abgesichert, ohne dass es einer gesonderten Registrierung bedarf.“ Vor allem bei technischen Erfindungen, etwa innovativen Produkten oder Verfahren, werde man jedoch häufig nicht um eine Patentierung herumkommen.
Zu viel Zeit und Geld?
Gerade für Start-ups ist das aber nicht zuletzt eine Frage der Finanzen. Vor allem, wenn sie (noch) keine potenten Investoren für sich gewonnen haben. „Wie viel eine Patentanmeldung am Ende kostet, hängt insbesondere davon ab, in welchen Ländern man seine Erfindung schützen lassen will und inwieweit eine Begleitung der Anmeldung durch einen Patent- oder Rechtsanwalt benötigt wird“, so Rechtsanwalt Sievers weiter.
Axel Karl, Patentanwalt und Ingenieur bei X-IP, hebt hervor, dass insbesondere das Geschäftsmodell abgesichert werden sollte – also diejenigen technischen Merkmale, die den Kunden einen klaren Mehrwert bieten. Sein Tipp: Diese Merkmale identifizieren, dann gezielt weiterentwickeln und schnellstmöglich als Patent anmelden. Start-ups könnten vor allem bei der Erweiterung klassischer Lösungen durch digitale Features punkten. Insbesondere für viele Mittelständler seien Digitalpatente aber oftmals noch Neuland. Und ebenso der umgekehrte Fall, die Nutzung fremder Produkte, kann heikel sein. Auch wer selbst nicht anmeldet, sollte trotzdem die Patente der Konkurrenz im Auge behalten. Mögliche Verletzungen können teuer werden, warnt Axel Karl, doch „dies kann im Rahmen einer Freedom-to-Operate-Analyse ermittelt werden.“
Ein wichtiger Punkt, den auch Truong Le vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hervorhebt. Zum einen vernachlässigten Start-ups entsprechende Patent- und Markenrecherchen allzu häufig. Zum anderen ist der richtige Umgang mit Open-Source-Lizenzen ein zusätzliches Problem. Ihre Bedingungen müssten sorgfältig analysiert werden, empfiehlt Truong Le: „Auch das ist sehr zeitintensiv. Diese Hausaufgabe muss aber leider gemacht werden, bevor man die nächsten Schritte des IP-Managements angehen kann.“
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologieunternehmen stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Open Source heißt nicht „ohne Rechte“
Anwälte schauen sich im Rahmen einer Unternehmensbewertung genau an, inwieweit Komponenten einer entwickelten Anwendung auf Open Source beruhen, und ob die hierfür geltenden Lizenzbedingungen eingehalten wurden, bestätigt Dr. Nico Brunotte von der Kanzlei DLA Piper. „Open-Source-Software führt oft zu einem sogenannten Copyleft-Effekt. Das heißt, dass wenn man solche Komponenten in seine Entwicklungen einfügt, auch der eigene Code ‚infiziert‘ werden kann.“ Die mögliche Folge kann wohl kaum einem gewinnorientierten Start-up gefallen: Es müssen dann auch die eigenen Entwicklungen unter die Open-Source-Lizenz und der Community zur Verfügung gestellt werden. „Der Wert eines Unternehmens kann davon maßgeblich beeinflusst werden“, hebt der Rechtsanwalt hervor.
Die Überwachung der Patentaktivitäten des Wettbewerbs und der Schutz der eigenen Ideen gehen Hand in Hand. „Wenn Start-ups ihre Ideen nicht schützen, dann können Wettbewerber dies machen und die eigene Entwicklung stören“, sagt Truong Le. Aber lässt sich Software patentieren? „Software ist nur dann vom Patentschutz ausgeschlossen, wenn es um den reinen Code als abstraktes Gebilde geht“, erklärt Axel Karl. Wenn allerdings die Software in einem technischen Kontext beansprucht wird, also beispielsweise im Zusammenspiel mit Sensoren oder Geräten, stünden die Chancen für Patentschutz durchaus gut.
Die Kooperation mit großen Unternehmen bietet eine Möglichkeit, die Kosten für Patente oder andere Schutzrechte zu stemmen. An einer selbst initiierten genauen Prüfung der Schutzrechte kommen Start-ups aber auch dann nicht vorbei: „Große Unternehmen wollen nicht nur gute Ideen, sondern auch Freedom-to-Operate, falls sie in Start-ups investieren“, weiß Truong Le. Zur Kontaktanbahnung kann es auch nicht schaden, den Bekanntheitsgrad seiner Technologie zuvor zu steigern. Sein Arbeitgeber, die Fraunhofer-Gesellschaft, hat dafür ein Musterbeispiel geliefert: Die Wissenschaftler entwickelten das MP3-Format und stellten die Technologie den privaten Nutzern kostenlos zur Verfügung, wodurch ein faktischer Standard entstand. „Daraufhin kam die Industrie auf Fraunhofer zu.“
Wer hat das Sagen?
Die Erfindung ist geprüft, sie „fliegt“, wie man heutzutage sagt – aber wer ist eigentlich zur Verwertung berechtigt? Den einsamen Wolf, der sich nachts die Hände wund programmiert, dürfte es mittlerweile wohl kaum noch geben. „Bei Software ist immer die Frage zu stellen, ob das, was einzelne Programmierer geschaffen haben, eigenständig verwertbar ist“, sagt Dr. Nico Brunotte. Bei arbeitsteiliger Organisation sei das eher nicht der Fall – und dann liegt eine Miturheberschaft vor. „Die Verwertung kann dann immer nur gemeinsam erfolgen, wobei die anderen Beteiligten etwaige Zustimmungen nicht treuwidrig verweigern dürfen.“ Idealerweise sollte schon vorher vertraglich geregelt werden, was mit der gemeinsamen Entwicklung gemacht wird.
Es kommt jedoch auch auf die Organisation in dem Unternehmen an, unterstreicht Rechtsanwalt Sievers: „Wurde die Software im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erstellt, sieht das Gesetz vor, dass der Arbeitgeber allein das Recht an der Software verwerten darf, sofern zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nichts anderes vereinbart wurde.“ Das gilt jedoch nicht für Freelancer. Der Anwalt rät Start-ups, sowohl in den Arbeitsverträgen mit den Mitarbeitern als auch in den Verträgen mit Freelancern klare und eindeutige IP-Regelungen aufzunehmen. Diese können etwa so aussehen, dass die freien Kräfte dem Start-up alle notwendigen Rechte an Entwicklungen einräumen, so Dr. Nico Brunotte: „Sonst können wir als Anwälte am Ende nicht beurteilen, ob das Start-up überhaupt zur Verwertung einer Entwicklung am Markt berechtigt ist.“
Für Start-ups, die bereits erste Erfahrungen durch eigene Patentanmeldungen sammeln konnten und nun eine professionelle IP-Strategie entwickeln möchten, hat das Fraunhofer IAO den Digital-IP-Navigator entwickelt. Basis ist ein Forschungsprojekt, für das 1000 Patentfamilien mit Anmeldungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz analysiert wurden. Der Navigator in Form einer Excel-Checkliste ist in der Basisausführung kostenfrei und enthält acht vorgegebene digitale IP-Strategien, aus denen Unternehmen selbstständig eine eigene digitale IP-Strategie entwickeln können. Die kostenpflichtige Plus-Version bietet insgesamt 64 digitale Strategien.
„Das Tool zeigt zunächst im Warm-up-Modul, dass gute Patente für digitale Innovationsideen sehr einfach sind: Sie kombinieren nur vorhandene Ideen beziehungsweise Technologien und bieten dadurch den Nutzern eine Erleichterung im täglichen Leben“, sagt Truong Le. Im Modul „Interne Analyse“ gehe es dann darum, die eigenen Kernkompetenzen mit den Anforderungen des Marktes zu matchen. Hier werden unter anderem die Funktionen der Erfindung, seine USPs und Schwächen aufgelistet und Verbesserungsvorschläge priorisiert. Im dritten Modul geht es um die Generierung neuer Ideen und die Einschätzung ihres realistischen Potenzials. „Start-ups können mit dem IP-Navigator recht weit kommen“, glaubt Truong Le, der Interessierten gerne weitere Auskünfte darüber gibt.
Auch Dr. Bahne Sievers von Fieldfisher rät Start-ups zu einer individuellen, frühzeitigen und detaillierten Herangehensweise beim IP-Management. „Es ist zu beachten, dass bei sogenannten Registerrechten wie Marken und Patenten ‚first come, first served‘ gilt.“ Wer zuerst kommt, mahlt zuerst – und in der Regel auch alleine, weil das gleiche Zeichen danach nicht mehr registriert werden kann. Ferner gelte der Grundsatz der Territorialität: „Habe ich eine Marke in Deutschland angemeldet, schützt diese mich nur in Deutschland vor Nachahmern, nicht aber im Ausland.“ Ein Sprung über die Grenzen ist jedoch oftmals in der Gründungsphase noch gar nicht abzusehen.
Das Ganze kostet natürlich Zeit und Geld. Daher sollte über die eigenen Kern-Assets Klarheit herrschen. „So kann zum Beispiel für ein Start-up die markenmäßige Absicherung der Unternehmens- oder Produktbezeichnung wesentlich sein, etwa, weil die Bezeichnung aufwendig beworben wird und mit Domains und Social Media Accounts verknüpft ist.“ Für andere könne dagegen der Markenschutz weniger zentral sein und der Fokus stattdessen auf der Patentierung der technischen Erfindungen liegen.
Teil 1 sagt, womit Mittelständler rechnen müssen, die ihre Patente widerrechtlich genutzt finden: mit einer Retourkutsche von Konzernseite. Teil 2 sieht sich um, wann eine Patentklage Erfolg verspricht, und schildert zwei Realbeispiele aus dem Wirtschaftsleben. Teil 3 zeigt Alternativen zum Prozessmarathon auf. Welches Vorgehen am besten ist, müssen am Ende nüchterne betriebswirtschaftliche Erwägungen zeigen.
Verkauf oder Eigenvermarktung?
Ist die eigene Erfindung in trockenen Tüchern und ausreichend geschützt, stellt sich früher oder später in vielen Jungunternehmen die Frage, ob man sie selbst weiterentwickeln und vermarkten oder sie verkaufen will. Ein Verkauf hat Vor- und Nachteile, erklärt Sievers: „Das Start-up erhält einmalig eine (in der Regel höhere) Zahlung vom Käufer, ist das Patent danach aber los.“ Für die meisten dürfte ein Verkauf daher nur als Teil eines Exits in Betracht kommen. „Dagegen kann eine Lizenzierung einem Start-up langfristige, kontinuierliche Lizenzeinnahmen sichern.“ Zudem ermöglicht es den Gründern, mehreren Lizenznehmern eine Lizenz am Patent einzuräumen.
Axel Karl von X-IP gibt zu bedenken, dass der zeitliche und administrative Aufwand beim Verkauf eines Schutzrechtes häufig unterschätzt wird. „Auch die Erlöse bleiben in vielen Fällen hinter den Erwartungen zurück.“ Die Lizenzierung sei eine attraktive Variante, wenngleich auch hier erst Lizenznehmer gefunden und detaillierte Verträge ausgearbeitet werden müssen. So oder so: Für Investoren bieten die richtigen Patente oder Patentanmeldungen Schutz und Chancen zugleich, denn sie erschweren Imitationen und können Wettbewerber auf Abstand halten.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.
IP-Themen früh angehen!
Das Resümee kann nur lauten: Besser früher an später denken. „Wir sehen es in Unternehmenstransaktionen – beispielsweise, wenn ein Start-up den Exit sucht, immer wieder, dass viele IP-Themen gerade in der turbulenten Startphase vernachlässigt werden“, berichtet Dr. Nico Brunotte von DLA Piper. Das könne am Ende böse Überraschungen geben, wenn sich Anwälte den Unternehmenswert anschauen und dann sehen, dass in diesem Bereich große Risiken schlummern.