Software-Entwickler zieht es nach Süden
Von Mehmet Toprak
Sollte Angela Merkel demnächst wieder einmal ihrer Heimatstadt Templin in der Uckermark vorbeischauen und sich nach dem Stand der Dinge in Sachen Hightech erkundigen, wird sie wohl wenig Erfreuliches zu hören bekommen. Das zeigt der gerade erschienene Digitalisierungskompass 2018 des Wirtschaftsforschungsunternehmens Prognos. Im bundesweiten Ranking von 401 kreisfreien Städten und Landkreisen liegt die Uckermark bei der Digitalisierung nur auf Platz 377. Merkels Heimat gehört zu den strukturschwächsten Regionen in Deutschland. Böse Zungen würden sagen, dass Internet und Hightech hier wirklich noch „Neuland“ seien.
Augenscheinlich gilt nach wie vor: Die Hightech- und IT-Wirtschaft ist in den großen Städten zu Hause. Dementsprechend zieht es IT-Fachkräfte in die Metropolregionen, und in Bayern ist das allen voran die Landeshauptstadt München. Diese Erkenntnis gilt ganz besonders für Software-Entwickler. Sie gehören bundesweit und quer durch alle Branchen zu den gefragtesten Spezialisten. Das bestätigen alle Experten, die von der Redaktion um ein Statement gebeten wurden. So sagt Dr. Frank Termer, Bereichsleiter Software beim Digitalverband Bitkom: „Knapp zwei Drittel der IT-Unternehmen mit offenen Stellen suchen aktuell Software-Entwickler. Software-Entwickler sind die Berufsgruppe, in der bei Weitem der größte Mangel herrscht.“ Jonas Lünendonk, geschäftsführender Gesellschafter des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Lünendonk & Hossenfelder erklärt im Telefoninterview: „Software-Kompetenz ist derzeit extrem gefragt.“
Vier Zusagen in einer Woche
Dabei ziehen die Software-Experten nicht nur in die Großstädte, sie ziehen vor allem in den Süden der Republik. Ralf Holtzwart, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit, erklärt: „Die Arbeitsmarktlage für Software-Entwicklerinnen und Software-Entwickler ist in Bayern ganz hervorragend. So ist die Beschäftigung in den letzten drei Jahren um 16 % auf aktuell 44.885 Beschäftigte gestiegen.“
Dementsprechend finden die Entwickler in Süddeutschland beste Arbeitsbedingungen. Ein Beispiel ist Danilo Werner (Name geändert). Der gebürtige Augsburger arbeitet bei einem mittelständischen Unternehmen aus der Baubranche nahe bei München. „Als ich mich letztes Jahr bei mehreren Unternehmen beworben habe, habe ich innerhalb einer Woche vier Einladungen zum Vorstellungsgespräch bekommen und danach vier Zusagen. Wenn ich wollte, könnte ich jederzeit wechseln.“ Was für die Unternehmen ein harter Wettbewerb um Mitarbeiter ist, erleben die umworbenen Software-Spezialisten als komfortable Situation – die sich auch im Gehalt widerspiegelt. Laut Holtzwart liegt das monatliche Bruttoentgelt der Software-Spezialisten „mit 5118 Euro in Bayern deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 4771 Euro.“ Was aber sind die genauen Ursachen für den Hype um Software-Spezialisten und den großen Zug nach Süden?
Ralf Holtzwart ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit. Die Regionaldirektion besorgt als das koordinierende Bindeglied zwischen den Agenturen für Arbeit/Jobcentern und der Zentrale u.a. die Abstimmung überregionaler Qualifizierungsprogramme. Mit dem Statistik-Service Südost ist es außerdem kompetenter Auskunftgeber mit aktuelle Zahlen rund um den Arbeitsmarkt in Bayern.
Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit, Thomas-Mann-Straße 50, 90471 Nürnberg, Tel.: 0911-179-4130, bayern.vg@arbeitsagentur.de, www.arbeitsagentur.de/vor-ort/rd-by/startseite
Da wäre zum einen natürlich der deutschlandweite Megatrend Digitalisierung. Er bringt es mit sich, dass auch Unternehmen außerhalb des klassischen IT-Sektors nach Entwicklern suchen. „Viele Unternehmen arbeiten daran, ihre Produkte oder Dienstleistungen mit Software-Tools zu ergänzen und damit einen Mehrwert zu schaffen“, sagt Jonas Lünendonk. „Banken und Versicherungen, Maschinenbauer oder Automobilhersteller stellen ebenfalls längst selbst IT-Spezialisten ein“, ergänzt Bitkom-Experte Termer. Auch Engineering-Dienstleister, die Spezialisten und Ingenieure vermitteln, sind verstärkt auf die Software-Cracks angewiesen.
Jonas Lünendonk ist geschäftsführender Gesellschafter der Lünendonk & Hossenfelder GmbH. Das familiengeführte B2B-Marktforschungsunternehmen erstellt zum einen Branchen- und Unternehmensanalysen, übernimmt zum anderen auch die konkrete Beratung.
Lünendonk & Hossenfelder GmbH, Maximilianstraße 40, 87719 Mindelheim, Tel.: 08261-73140-0, info@luenendonk.de, www.luenendonk.de
Hightech-Regionalmotoren
Süddeutschland – und besonders eine Metropolregion wie München – ist deshalb so attraktiv, weil es hier wirtschaftliche Zentren gibt, in denen Autohersteller, Unternehmen im Bereich Luft- und Raumfahrt oder im Bereich Medizintechnik aktiv sind. Hinzu kommen die jeweiligen Zulieferer. „Darunter sind oftmals Global Player und Weltmarktführer, die in der Lage sind, höhere Gehälter zu bezahlen als ein Mittelständler in Niedersachsen oder Mecklenburg-Vorpommern“, meint Termer. Eine wichtige Rolle spielt auch die Multimediabranche, die beispielsweise im Raum München mit zahlreichen Verlagen, Filmproduktionsfirmen sowie Dienstleistern für Webdesign oder PR präsent ist.
Dr. Frank Termer ist Bereichsleiter Software beim Bundesverband Informationstechnik, Telekomunikation und neue Medien e.V. (Bitkom). Er verantwortet dort die Veranstaltungen der Gremien des Kompetenzbereichs Software ebenso wie die thematische Ausrichtung und Positionierung des Verbands.
Bitkom e.V., Albrechtstraße 10, 10117 Berlin, Tel.: 030-27576-0, Kontaktformular, www.bitkom.org/Themen/Technologien-Software/Software/index.jsp
Zu den größten Treibern der Hightech-Konzentration gehören aber nicht nur die Global Player, sondern auch Start-ups und Neugründer. Überall da, wo junge, hochmotivierte Unternehmer sich ins Zeug legen, entstehen neue Ideen und Geschäftsmodelle. Doch auch die IT-Spezialisten und Software-Entwickler selbst gehören zu den Antreibern. Sie sind nicht nur bestens ausgebildet, sie haben auch hohe Ansprüche an den Job. Der sollte idealerweise nicht nur gut bezahlt sein, sondern auch sinnvoll, herausfordernd und interessant. Außerdem wird das Thema Work-Life-Balance immer wichtiger. Universitätsstädte unter südlicher Sonne mit großem Freizeitangebot und attraktivem Umland wie München oder die Region Nürnberg-Erlangen haben da natürlich gute Karten.
Die Mischung aus ehrgeizigen und zugleich lifestyle-affinen IT-Nerds, expandierender Digitalwirtschaft, Universitäten und Freizeitangeboten bildet ein attraktives Milieu, das einen enormen Sog entwickelt.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazinreihe „IT-Unternehmen stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Das digitale Paradox
Ländliche Regionen geraten da unweigerlich ins Hintertreffen. Die Entwicklung wirkt paradox. Denn gerade die Digitalisierung macht es möglich, Dokumente über weite Entfernungen in Sekundenschnelle hin und her zu schicken, sich in Videokonferenzen auszutauschen oder gemeinsam an Dokumenten zu arbeiten. Rein technisch ist es also gar kein Problem, wenn ein Mitarbeiter auf dem Dorf und der andere in der Stadt sitzt. Dennoch stärkt die Digitalisierung die Großstädte mit ihren Speckgürteln und nicht die ländlichen Gebiete.
Der StepStone-Fachkräfteatlas zeigt auf www.fachkraefteatlas.de die geografische Nachfrage nach IT-Fachkräften auf Basis von Stellenanzeigen. (Bild: StepStone)
Ist vielleicht die viel zitierte mangelnde Breitbandausstattung auf dem Land das Problem? Nicht unbedingt. Laut Prognos-Digitalisierungskompass ist das Thema Breitband keineswegs allein ausschlaggebend für die digitale Karriere einer Region. Ein gutes Beispiel ist Regensburg. Die Universitätsstadt belegt im Ranking der 401 Städte und Landkreise bei der Breitbandinfrastruktur nur Rang 218. Beim Kriterium „digitaler Arbeitsmarkt“ hingegen liegt sie auf Rang 47, beim Thema „IKT-Branche“ sogar auf Rang 16. Das Gegenbeispiel ist Weiden in der Oberpfalz: Breitbandinfrastruktur auf Rang 2 (98,8 von 100 Punkten), im IKT-Branchenranking aber nur auf Rang 85, unter den Aspekt „digitaler Arbeitsmarkt“ gar bis auf Rang 287 eingebrochen. Hier kommen offenbar die erwähnten Faktoren wie Lebensqualität, Hightech-Industrie, Start-ups und Fachkräfte zum Tragen.
Die Einführung beginnt in Berlin und klärt die Rahmenbedingungen in Deutschland. Ein erster Regionalschwerpunkt widmet sich dann dem Westen und Nordrhein-Westfalen. Weitere Regionalreports konzentrieren sich auf den deutschen Südwesten und auf Bayern. Extra-Beiträge berichten außerdem über den Stand der NGA-Netze in Österreich und über die praktische, aber schwierige Mobilfunk-Dominanz in der Alpenrepublik.
Gute Zeiten also für Software-Entwickler im bayerischen Süden. Sie verdienen viel Geld, haben einen interessanten Job, arbeiten bei aufstrebenden Unternehmen, dürfen sich als Hightech-Gurus fühlen und leben in einer Region mit vielen Freizeitmöglichkeiten. Die Augen weiter aufhalten sollten sie trotzdem. So wie Danilo Werner das macht. Beim Gehalt könnte er durchaus mehr rausholen, doch sein Arbeitgeber investiert in den 24-Jährigen. Er darf Fachtagungen und Kongresse besuchen, absolviert Weiterbildungen und darf sich Hoffnungen machen, demnächst einen schönen Karrieresprung hinzulegen. „Meine Firma will mit mir etwas aufbauen, und das ist mir im Moment wichtiger als 100 Euro extra“, sagt Werner. Glaubt man Jonas Lünendonk, ist das eine gute Strategie. „Es gilt die alte Regel, dass Software-Entwickler ihr Know-how ständig weiterentwickeln sollten. Außerdem sollten sie die Augen aufhalten, wie der Markt sich entwickelt und welche Kompetenzen in Zukunft gefragt sein werden.“
Nichts bewegt sich so schnell und dynamisch wie der Software-getriebene IT-Markt. Mit entsprechender Unterstützung der Politik könnten Industrie-4.0-Unternehmen und Hightech-Dienstleister sich in Zukunft in heute noch strukturschwachen Regionen ansiedeln. Nicht ausgeschlossen also, dass die Schar der Software-Entwickler eines Tages wieder in den Norden zieht. Vielleicht sogar in die Uckermark. Angela Merkel würde sich bestimmt freuen.