Die zweite deutsche Hyperinflation von 1943 bis 1948
Die zweite deutsche Hyperinflation entwickelte sich zwischen 1943 und 1948 als Folge des Zweiten Weltkriegs. Wie schon im Fall der ersten deutschen Hyperinflation waren es die voraussichtlichen Kriegskosten, die in der Regierung den Plan einer Vermögensabschöpfung über finanzpolitische Maßnahmen zur „Vorfinanzierung“ reifen ließen. Angesichts der 1924 wertlos gewordenen Kriegsanleihen aus dem Ersten Weltkrieg war die Mehrheit der Deutschen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs jedoch nicht mehr bereit, solche Anleihen mit Blick auf den kommenden Krieg zu zeichnen. Deshalb suchte die Reichsregierung eine andere Lösung und erfand die „geräuschlose Kriegsfinanzierung“.
Die geräuschlose Kriegsfinanzierung, eine konspirative Volksenteignung
Durch die in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft erfolgreich durchgeführte Gleichschaltung von Wirtschaft, Finanzmarkt und Presse war es ab ca. 1934 möglich geworden, im Finanzsektor staatlich-konspirative Aktionen durchzuführen, ohne das Misstrauen der Öffentlichkeit zu erregen. Damit zeichnete sich eine bestechend einfache Lösung ab: Die deutschen Finanzinstitute – in erster Linie Banken, Sparkassen und Versicherungen – wurden gezwungen, große Teile der Einlagen ihrer Kunden stillschweigend dem Staat als Kredite zur Verfügung zu stellen bzw. mit ihnen Staatsanleihen zu zeichnen.
Um den typischen Teuerungseffekt einer beginnenden Inflation für die Bevölkerung zu verschleiern, wurde parallel dazu ein Preisstopp für Waren und Dienstleistungen angeordnet. Die einfache Rechnung: ohne Teuerung kein Misstrauen, ohne Misstrauen keine Panikrückforderungen bei den Finanzinstituten, die die stille Enteignung der Bevölkerung ans Tageslicht hätten bringen können.
Zusätzliche Ressourcen für die Rüstung dank Rationierung
Doch damit noch nicht genug: Schon Monate vor Kriegsbeginn führte die Reichsregierung Lebensmittelmarken und Bezugsscheine für Dienstleistungen ein. Entgegen der landläufigen Meinung waren diese Rationierungsmaßnahmen zum Zeitpunkt ihrer Einführung nur zum Teil Reaktionen auf eine durch die Wirtschaftsleistung und Importengpässe objektiv erzwungene Mangelsituation. Der Mangel war vielmehr vor allem durch den staatlich verordneten Preisstopp hervorgerufen worden, durch den sich die Produktion vieler Waren für den privaten Bedarf nicht mehr lohnte, denn den fixen Abgabepreisen standen ständig steigende Rohstoffpreise im Einkauf gegenüber.
Der mit der Rationierung verbundene Rückgang des privaten Konsums hatte im Wesentlichen drei – seitens der Reichsregierung erwünschte – Effekte zur Folge: Erstens stand durch den geringeren Konsum ein größerer Teil der Importe für die Aufrüstung zur Verfügung. Gleiches galt für Arbeitskräfte. Zweitens stiegen gleichzeitig die Geldeinlagen in den Banken und Sparkassen. Drittens konnten mit den steigenden Einlagen wiederum weitere Staatskredite für die Aufrüstung zur Verfügung gestellt werden.
Aus einem Geldsystem, das als Transmissionsriemen zwischen Angebot und Nachfrage dienen sollte, war ein staatliches Instrument zur Abschöpfung der privaten Vermögen für die Finanzierung eines Eroberungskriegs geworden.
Dieses scheinbar perfekte System hatte aber einen gravierenden Fehler: Da mit dem abgeschöpften privaten Vermögenswerten keine produktiven Güter finanziert wurden, sondern unproduktives Kriegsgerät, waren der Abschöpfung enge Grenzen gesetzt. Außerdem entstanden so stetig wachsende gigantische Staatsschulden. Diese hätte die Reichsregierung nur im Falle eines Sieges unter Einbeziehen der Kriegsbeute und der Reparationszahlungen der Besiegten zurückzahlen können. Nach einem Sieg hätte das Deutsche Reich zudem alle seine Verpflichtungen gegenüber den Nachbarländern annullieren lassen können. Wie wir wissen, endete dieses Finanzpoker der Nationalsozialisten jedoch anders.
Mit den Niederlagen kam das Misstrauen
Als 1943 die ersten schweren militärischen Rückschläge eintraten (z.B. die Schlacht von Stalingrad), stieg die Zahl jener Deutschen, die eine Niederlage für möglich hielten, drastisch an. Ab Mitte des Jahres 43 nahm die Zahl der Auszahlungsanträge bei den Finanzdienstleistern deshalb kräftig zu. Da die Kundeneinlagen aber längst über die Staatskredite in die Kriegsmaschinerie geflossen waren, konnten die Institute den Rückforderungen nicht mehr nachkommen. Um eine Panik zu verhindern, ließ die Reichsregierung die Gelddruckpresse anwerfen und die Finanzinstitute mit dem frisch gedruckten Geld ausstatten. Weil der Nachdruck aber lediglich die Geldmenge erhöhte, ohne dass dem ein realer Wertzuwachs entsprochen hätte, setzte die Druckerpresse die Hyperinflation endgültig in Gang.
Mit dem Fortgang des Krieges verlor das Geld zunehmend an Bedeutung. Zusätzlich zur staatlich rationierten Verteilung von Gütern über Berechtigungsscheine entstand daher ein von seinem ökonomischen Wesen her archaischer Tauschhandel.
Als unmittelbar nach Kriegsende die Alliierten die Rationierungen aufhoben, Löhne und Preise wieder freigaben und einen festen Wechselkurs der Reichsmark zur Ankerwährung US-Dollar festlegten, wurden für die deutsche Bevölkerung das ganze Ausmaß der Inflation und die Notwendigkeit einer Währungsreform sichtbar. Letzteres führte allerdings auch dazu, dass Teile der Agrarwirtschaft, die produzierende Industrie und der Handel noch vorhandene Ressourcen und Waren zu horten begannen, in der Hoffnung, sie nach der Reform gegen eine stabile Währung vermarkten zu können.
Die Vorbereitungen für eine Währungsreform begannen 1946
Zwar legten die amerikanischen Ökonomen Gerhard Colm, Joseph Morrell Dodge und Raymond W. Goldsmith bereits 1946 einen Währungsreformplan vor, doch eine solche Reform braucht seine Zeit, zumal sich die Westalliierten darauf einigten, eine zonenübergreifende Reform in allen drei Westzonen durchzuführen. In den drei Jahren Vorbereitungszeit zwischen Kriegsende und Währungsreform entwickelte sich im Nachkriegsdeutschland eine ausgedehnte Schattenwirtschaft aus Schwarzmarkt und „Zigarettenwährung“. Befördert wurde diese Schattenwirtschaft u.a. durch Besatzungsgeld, das von den Besatzungsmächten in ihren Zonen ausgegeben wurde, ohne das Warenangebot zu steigern.
Um den Geldüberhang zu beseitigen, hatten Colm, Dodge und Goldsmith 1946 vorgeschlagen, die Reichsmark im Verhältnis 10:1 in eine neue Mark umzuwandeln. Gleichzeitig sollten Bevölkerungsgruppen, die durch den Krieg in besonderem Maß geschädigt worden waren, durch einen Lastenausgleich vor ungerechtfertigter Härte bewahrt werden. Während die Neubewertung der Reichsmark im Verhältnis 10:1 in der Währungsreform tatsächlich weitgehend umgesetzt wurde, mussten Geschädigte bis 1952 auf einen gesetzlichen Lastenausgleich warten.
60 D-Mark Handgeld pro Kopf als Startguthaben
Mit der Gründung einer Zentralbank, dem Druck neuer Banknoten in New York und einem detaillierten Verteilungsplan startete im Herbst 1947 schließlich die konkrete Währungsreform. Der Nennwert der für die drei Westsektoren bestimmten neuen Banknoten betrug 5,7 Mrd. D-Mark. Auf mehreren geheimen Wegen wurden die Banknoten nach Deutschland gebracht und auf die Ausgabestellen verteilt. Der Stichtag für den Umtausch der alten Währung in die neue D-Mark, der 21. Juni 1948, wurde geheim gehalten, um Spekulationen jeglicher Art zu verhindern.
Der Umtausch des Papiergelds war allerdings nur der erste Schritt der Reform. Um die Zeit bis zur kompletten Umstellung der alten Reichsmarkguthaben und -bestände in D-Mark-Guthaben und -bestände zu überbrücken, erhielten die Bewohner der drei westlichen Besatzungszonen am Stichtag 40 D-Mark pro Kopf als Erstausstattung, einen Monat später weitere 20 D-Mark. Unternehmen erhielten pro Mitarbeiter einen sogenannten Geschäftsbetrag von ebenfalls 60 D-Mark. Alle diese Beträge sollten später auf die in D-Mark umgewandelten privaten und geschäftlichen Vermögen angerechnet werden.
Die ostdeutsche Währungsreform und der Sonderfall Berlin
Die Umstellung auf die D-Mark erfolgte nur in den drei westlichen Besatzungszonen. Um eine Flucht alter Reichsmarkvermögen in die sowjetische Besatzungszone (SBZ) zu verhindern, führte die sowjetische Besatzungsmacht deshalb in ihrer Zone noch am 23. Juni 1948 eine ähnliche Währungsreform durch. Statt einer Erstausstattung konnten die Bewohner der SBZ pro Kopf einmalig 70 Reichsmark 1:1 in neue Ostmark umtauschen.
Der besondere Status Berlins erlaubte keine direkte Einführung der D-Mark in den Westsektoren der Stadt. Deshalb war ursprünglich von allen vier Alliierten gemeinsam beschlossen worden, in Berlin eine einheitliche Sonderwährung einzuführen. Als die Sowjets angesichts steigender Spannungen zwischen ihnen und den Westalliierten ihre eigene Währungsreform auf ganz Berlin auszudehnen versuchten, verweigerten sich dem die drei Stadtkommandanten der Westsektoren. Daraufhin begannen die Sowjets, Westberlin durch Streitkräfte abzuriegeln und von den Versorgungswegen abzuschneiden. Dank der amerikanischen Luftbrücke konnte diese Blockade jedoch gebrochen werden.
Was sich in der Zusammenfassung einfach anhört, war in Wirklichkeit ein hochkomplexer Prozess in vielen komplizierten Einzelschritten. Letzte größere Korrekturen und Ergänzungen der Reform wurden erst 1952 vorgenommen, Lastenausgleichszahlungen werden sogar heute noch geleistet.
Von vielen als ungerecht empfunden
Auch fand die Währungsreform keineswegs ungeteilte Zustimmung in der Bevölkerung. Vor allem ärmere Schichten und Menschen ohne Grundbesitz fühlten sich benachteiligt. Durchaus nicht grundlos, denn von der 1:10-Reduzierung der Reichsmarkbeträge waren neben den Löhnen auch Renten, Pensionen, Pachten und Mieten ausgenommen. Wer seinen Lebensunterhalt mit Erträgen aus Aktien oder Immobilien bestritt, blieb daher von einem Vermögensverlust weitgehend verschont. Den höchsten Verlust erlitten ausgerechnet die ärmeren Schichten, die bestenfalls etwas Barvermögen (Bargeld und Sparbuchguthaben) besaßen. Diese Barvermögen wurden nämlich lediglich im Verhältnis 10:0,65 umgetauscht, also deutlich unter dem durchschnittlichen Umtauschverhältnis von 10:1.
Zusätzlicher Unmut entstand, als sich nach der Ausgabe des neuen Geldes die Schaufenster des Handels buchstäblich über Nacht mit gehorteten Waren füllten.
Blick über den Tellerrand: Propaganda und Enteignung
Die Wirtschaftsgeschichte des Dritten Reichs ist ein Musterbeispiel dafür, dass ökonomische Analysen den Blick für die allgemeine Geschichte schärfen, eventuell sogar korrigieren können. Um so bedauerlicher ist es, dass in den Medien und in den Schulen zwar die nationalsozialistische Propaganda und Ideologie ausführlich vermittelt wird, nicht aber die Wirtschaftsstrategie und Finanzpolitik.
Wer nämlich die deutsche Wirtschaftspolitik zwischen 1933 und 1945 genauer untersucht, entdeckt, dass es neben der allgemein bekannten gigantischen Propagandamaschinerie ein mindestens ebenso raffiniertes, hochkomplexes und zudem sorgfältig getarntes Räderwerk finanzpolitischer Aktivitäten gab. Dieses hatte zum Ziel, den Eroberungsfeldzug nicht nur durch die vollständige Enteignung und Ausbeutung der Juden, sondern auch durch eine gezielte Enteignung der nicht-jüdischen Bevölkerung zu finanzieren. Diese Finanzstrategie endlich der breiten Öffentlichkeit und besonders den Jugendlichen zu vermitteln, ist längst überfällig, denn die wirtschaftliche Analyse enttarnt Hitlers Zweites Gesicht, das eines berechnenden, skrupellosen Wirtschaftskriminellen.
Weiterführende Literatur
- Gerhard Colm, Joseph M. Dodge, Raymond W. Goldsmith: A Plan for the Liquidation of War Finance and the Financial Rehabilitation of Germany [1946]. CreateSpace (Amazon): 2010, ISBN 978-1-450-52190-1, ca. 17 Euro (Tb).
- Martin Broszat, Klaus-Dietmar Henke u. Hans Woller (Hgg.): Von Stalingrad zur Währungsreform: Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. 3. Aufl. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 1990 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; 26), ISBN 978-3-486-54133-5, ca. 35 Euro (gebundene Ausg.).
- Bernd Brandscheid: Ursachen, Verlauf und Folgen der Berlin-Blockade. München: GRIN Verlag 2010, ISBN 978-3-640- 61894-1, ca. 14 Euro (Tb)/ca. 13 Euro (E-Book).