Zwischen Uni und Industrie
Von David Schahinian
Eine abwechslungsreiche Umgebung, zahlreiche Möglichkeiten zum kreativen Rückzug oder angeregten Austausch, ob mit firmeneigenen Mitarbeitern oder mit Gleichgesinnten aus anderen Unternehmen: Die jungen Generationen machen sich, frei nach Pippi Langstrumpf, ihre Arbeitswelt, wie sie ihnen gefällt. Dazu trägt zum einen bei, dass die Grenzen zwischen Privat- und Berufsleben zunehmend aufweichen. Das gilt umso mehr für Beschäftigte in Start-ups oder Spin-offs, die für ihre Ideen brennen und ihre Tätigkeit nicht primär als Arbeit empfinden. Zum anderen bieten sich heute viel mehr Möglichkeiten, seine eigenen Vorstellungen von einem kreativen Umfeld in die Realität umzusetzen. Das geht weit über das Klischee von Sitzsäcken im Meeting-Raum hinaus, wenngleich sie unbestritten bequem und beliebt sind.
Abzulesen ist das beispielsweise an einer Untersuchung des Immobilien-Dienstleisters Savills. Danach gibt es mittlerweile mehr als 500 Coworking Spaces in Deutschland. Dominierend sind Business Center, die hochwertig ausgestattete Einzel- und Teambüros inklusive Büroservices vermieten, sowie die klassischen Coworking Spaces mit offenen Arbeitsplätzen in einer Gemeinschaftsimmobilie. Zudem gibt es Hybridvarianten, die beide Konzepte miteinander verbinden.
IoT-Campus im Ullsteinhaus
Es geht aber auch in größerem Stil: Kreativquartiere, Technologie- und Gründerzentren oder auf eine Branche spezialisierte Campusse bieten Refugien, in denen Jungunternehmen sowohl formelle als auch informelle Unterstützung erhalten. Gerade die ersten Schritte sind schwierig. Umso besser, wenn man Tür an Tür mit Experten und anderen Kreativen arbeitet und Hilfe nur wenige Schritte entfernt ist.
Initiiert werden sie von Städten und Kommunen, von Universitäten und Forschungseinrichtungen, von Entrepreneuren und Unternehmen. Engagieren sich Letztere, haben sie den Vorteil, direkt an der Entstehung von Innovationen beteiligt zu sein, die ihnen später nützen könnten. Bosch etwa hat Anfang 2018 einen IoT-Campus für den Zukunftsmarkt Internet der Dinge (Internet of Things) in Berlin eingeweiht. Mehr als 250 Experten können seitdem im Kreativquartier Ullsteinhaus am Tempelhofer Hafen an vernetzten Lösungen forschen. Ein klares Ziel ist der Austausch über Unternehmensgrenzen hinweg, sagte Bosch-Chef Dr. Volkmar Denner: „Mit unserem neuen Domizil bauen wir Brücken zwischen unseren eigenen und weiteren IoT-Experten der Kreativ- und Digitalszene Berlins.“
Mit dem IoT-Campus im Kreativquartier Ullsteinhaus am Tempelhofer Hafen sucht Bosch gezielt die Nähe zu Software- und Hardwareanbietern, Technologiepartnern und Start-ups. (Bild: Robert Bosch GmbH)
Das Konzept der Offenheit soll sich auch im Interieur des dreigeschossigen Gebäudes widerspiegeln. Es gibt Wohnwagen, Werkstätten und Workshopräume mit Waldambiente. Natürlich besteht insbesondere bei Start-ups die Gefahr, dass anfangs überdreht wird und das herbeigesehnte Bällebad im ersten eigenen Firmensitz unbenutzt bleibt. Bosch aber ist ein alteingesessener Konzern, an dem Campus-Umfeld haben die Mitarbeiter mitgewirkt. Zugleich ist es selbst integraler Bestandteil des Ganzen: So kann beispielsweise der Weg zum nächsten freien Besprechungsraum geodatenbasiert über eine App angezeigt werden.
Der Einführungsbeitrag gibt eine erste Übersicht für Gründer und Start-ups. Dabei interessiert auch die Frage, wie sich die Locations auf den eigenen Erfolg und die Karriere auswirken. Teil 1 stellt dann konkrete Beispiele aus Berlin, Hamburg und anderen Orten im deutschen Norden und Osten vor. Teil 2 reist nach Köln, Dortmund, Mainz und Gummersbach, um die Technologiezentren an Rhein und Ruhr zu sichten. Überraschungen hat auch der Südwesten parat, von dem Teil 3 berichtet – aus Darmstadt und Stuttgart ebenso wie aus dem beschaulich-umtriebigen Bad Orb. Teil 4 geht schließlich in den Postleitzahlenbereich 8 und 9 nach Bayern und Thüringen: Auch außerhalb von München bekommen Gründer gute Unterstützung. Sonderbeiträge geben außerdem Auskunft über die Innovations- und Gründerzentren in Österreich und die dortige Start-up-Szene.
Gründen im Offiziershotel
Bleiben wir noch ein wenig in Berlin: Im Flughafen Tempelhof entsteht dort sicherlich eines der derzeit spannendsten Kreativzentren der Republik. Das Ensemble soll nach Angaben der Betreiber zu einem „Experimentierort und neuem Stadtquartier für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft“ werden. Das klingt zunächst ein wenig so, als ob ITler außen vor sind. Ganz im Gegenteil, sagt Irina Dähne, Leiterin Öffentlichkeitsarbeit bei der Tempelhof Projekt GmbH: „Die IT-Branche zählt für uns zur Kreativwirtschaft. Man denke nur an die Bereiche Neue Medien und Digitalisierung.“ Wer in den vergangenen Jahren schon einmal dort war, weiß: Hier entsteht eine Stadt in der Stadt, wenngleich mit fließenden Grenzen und einer einzigartigen historischen Architektur.
Mehr als 100 Firmen und Institutionen haben sich bereits in dem größten Baudenkmal Europas angesiedelt. Darunter ist beispielsweise Exozet, eine Agentur für digitale Transformation. Von den sieben Hangars sollen mittel- bis langfristig mehrere vermietet werden, berichtet Dähne. Mindestens ebenso verlockend hört sich das Projekt H2rund an: Das alte Offiziershotel steht derzeit noch leer und entkernt da. Es wird von diesem Jahr an zu einem Digital- und Innovationszentrum ausgebaut, das besonders Start-ups aus dem IT-, dem Kreativ- und dem Kommunikationsbereich ansprechen will. „Wir werden einzelne Bauteile in Flächen für modernes Arbeiten umwandeln“, erklärt Dähne. Man kann es sich aber bereits heute vorstellen: Wer Kunden oder Investoren etwa auf den „Platz der Luftbrücke“ einlädt, hat von Beginn an Gesprächsstoff.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazinreihe „IT-Unternehmen stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
98 Prozent Erfolgsquote
Die Idee, innovative Gründer in entsprechenden Zentren oder Parks alles, was sie brauchen, aus einer Hand zu bieten, ist nicht neu. Aktuell gibt es nach Angaben des Bundesverbands Deutscher Innovations-, Technologie- und Gründerzentren (BVIZ) mehr als 350 solcher Orte. Allein im vergangenen Jahr gab es mehr als 4420 durch die Zentren erfolgreich betreute Unternehmensneugründungen. Die Erfolgsquote solcher Start-ups beträgt nach Verbandsangaben über 98 %.
Das liegt vermutlich unter anderem daran, dass ihnen die Einrichtungen in der Regel viele Vorteile bieten. Angebote reichen von Beratungen und Coachings über Hilfe bei der Suche nach Investoren bis hin zu idealen Bedingungen, um Netzwerke zu knüpfen. Zu den Nachteilen zählt, dass sie dort meist nur für eine begrenzte Zeit Unterschlupf finden. Eine Garantie, in dem Wohlfühlumfeld adäquat auf den harten Wettbewerb vorbereitet zu werden, gibt es zudem nicht. Besonders bei ausgefallenen oder großen Zentren ist außerdem zu berücksichtigen, dass die Vielzahl an Möglichkeiten vom eigenen Geschäft ablenken kann. Das ist menschlich, sollte aber von Anfang an mit bedacht werden.
Im 67.000 m² großen Hamburger Oberhafenquartier kann das zum Beispiel auch passieren. Seit 2011 haben sich rund um die früher als Logistikzentrum genutzten Lagerhallen vorwiegend Menschen aus dem künstlerischen Bereich angesiedelt, aber auch Start-ups, die die Vernetzung auf eigene Faust angegangen sind. Noys VR, Spice VR, Spherie und VR Nerds haben sich dieses Jahr im historischen Speicher M28 zum Virtual Reality Head Quarter (VRHQ) zusammengefunden. Nach Angaben der Tageszeitung Die Welt richten sie dort eine gemeinsame Arbeits- und Ausstellungsfläche ein, auf der sie neue Anwendungsgebiete für VR erschließen und der Öffentlichkeit zugänglich machen wollen. Das Wissenszentrum entstand eher zufällig: „Als wir sahen, dass sich mehrere Unternehmen aus diesem Feld für die Räume interessieren, lag diese räumliche Bündelung auf der Hand“, sagte Egbert Rühl, Geschäftsführer der Hamburg Kreativ Gesellschaft.
Nordzentren ohne Schnickschnack
Sind die formalen Bande in Kreativzentren oftmals locker, richten sich spezialisierte Gründer- und Technologiezentren eher konzentriert und konkret auf die Unterstützung der Geschäftsentwicklung von Start-ups. Ähnlich wie ein Inkubator versuchen sie gemeinsam mit den Gründern, Projekte in begrenzter Zeit zum Fliegen zu bringen.
Bei den Nordzentren etwa, dem Landesverband Schleswig-Holsteinische Innovations-, Technologie- und Gründerzentren, ist von „gewollter Fluktuation“ die Rede. Durchschnittlich 123 Einzüge und 95 Auszüge pro Jahr sind in den derzeit insgesamt 16 Standorten im Bundesland zu verzeichnen. Das Konzept ist trotzdem – oder gerade deshalb – beliebt, die Auslastung aller Zentren beträgt im Jahresmittel 92 %. Das erste wurde bereits 1986 mit dem Ziel in Betrieb genommen, junge Unternehmen zu fördern und für den Markt fit zu machen. Der Staat hilft mit: Fast alle der Nordzentren sind zum Start öffentlich gefördert worden, während die Erweiterungen meist privatwirtschaftlich gestemmt wurden.
Das IZET ist ein Gründerzentrum mit Büro-, Labor- und Werkstattflächen auf rund 3.500 m² – und zugleich eine gut bewährte Plattform für Kooperationen und Förderprojekte. (Bild: Gesellschaft für Technologieförderung Itzehoe mbH)
Die einzelnen Zentren sind teilweise auf bestimmte Branchen spezialisiert und bieten Gründern entsprechend passende Leistungen an. Das Technologienzentrum Flensburg etwa wirbt unter anderem mit Fördermittelberatung, Unterstützung bei der Öffentlichkeitsarbeit, einem Post-, Paket- und Telefonservice, flexiblen Büroflächen, Lounge-Zonen zum Netzwerken und, nicht zu unterschätzen, einer repräsentativen Geschäftsadresse. Das Innovationszentrum Itzehoe bietet ebenfalls einige dieser Services, daneben auch eine Zutrittskontrolle zum Gelände und zum Gebäude, die Prüfung von Businessplänen, eine Beratung zur Existenzgründung sowie einen Veranstaltungs- und Bewirtungsservice.
Das mag zwar weniger hip klingen als ein Büro mit Blick auf das Tempelhofer Feld, ist für das eine oder andere Jungunternehmen aber vielleicht genau das, was es braucht, um einen erfolgreichen Start hinzulegen. Grundsätzlich empfiehlt es sich für sie, zunächst einmal herauszufinden, wo Unterstützung benötigt wird und in welchem Umfeld es arbeiten will. Für die einen sind praktische Hilfestellungen wichtig, für die anderen können es repräsentative Standorte oder ein möglichst lebendiges Umfeld sein. Es lohnt sich, die Angebote zu vergleichen, denn mitunter können angebotene Dienstleistungen sehr sinnvoll sein, wenngleich man selbst erst einmal nicht auf die Idee gekommen wäre, sie an das Zentrum auszulagern. Arbeit gibt es für Gründer ohnehin immer mehr als genug.
„Wir sorgen für Kaffee, Telefon und Internet. Technologieprodukte verkaufen können wir nicht, das muss der Unternehmer schon selbst machen“, sagt Klaus Seehase, Geschäftsführer des Technologie- und Gewerbezentrums Schwerin/Wismar (TGZ). Wie die Nordzentren ist das TGZ schon länger, genauer: seit 1990, am Markt. Für Start-ups kann eine solche gewachsene Struktur von Vorteil sein, da die Prozesse eingespielt sind und die Erfahrung groß ist. Unter anderem stehen zwölf Büro-, Labor- und Produktionsgebäude mit insgesamt 23.000 m² vermietbarer Fläche zur Verfügung. „Einige Unternehmen siedeln sich nach den Gründungsjahren mit eigenen Gebäuden in einem der Technologieparks in Schwerin oder Wismar an“, so Seehase weiter. Eine ideale Ausgangsposition, die es nicht überall gibt: Die Unternehmen können sowohl direkten Kontakt zu ihrer ersten Wirkungsstätte halten als auch lernen, unabhängig auf eigenen Füßen zu stehen.
Heißer Draht nach China
Wer als Gründer oder Erfinder lieber den Duft frischer Farbe an den Wänden riechen will, sollte Augen und Ohren offenhalten. Beflügelt vom digitalen Wandel springen immer mehr Städte und Gemeinden auf den Zug auf, um Start-ups (und damit Steuerzahler) anzulocken. Auch Investoren haben den Markt längst für sich entdeckt. Der Fantasie bezüglich der Standorte oder Kooperationen sind dabei keine Grenzen gesetzt, wie zwei weitere aktuelle Beispiele zeigen.
In Cottbus etwa wird eine alte Schwimmhalle am Campus der Brandenburgischen Technischen Universität abgerissen, um Platz für ein Gründerzentrum zu machen. „Noch in diesem Jahr [2018] soll der Neubau mit einem ersten Spatenstich beginnen“, berichtet die Sächsische Zeitung. Als Vorteil wird unter anderem die Nähe zu den Lehrstühlen gesehen. Bereits 2017 wurde unterdessen in Potsdam ein 350 m² großes Gründerzentrum eröffnet – vom chinesischen Inkubator Techcode. Er siedelt sich vor allem in Hochtechnologieregionen an und richtet sich in Brandenburg zuerst an Start-ups aus der Gesundheitswirtschaft. Das kann für manchen Gründer buchstäblich neue Welten eröffnen: Dank strategischer Partnerschaften ermöglicht Techcode den Zugriff auf ein Netzwerk von mehr als 40 Hightech- und Industrieparks in der Volksrepublik China.
Natürlich sind die Angebote allesamt (meistens) nicht umsonst zu haben. Manche der Vorteile solcher Zentren aber können für Gründer unbezahlbar sein. Zudem verbindet letztlich alle Beteiligten der Wunsch nach wirtschaftlichem Erfolg: die Start-ups sowieso, die fördernden Städte und Gemeinden auch – und privatwirtschaftliche Unternehmen oder Inkubatoren erst recht. Ziehen sie alle an einem Strang, ist das eine formidable Ausgangsposition.