Bei Engeln entscheiden Bauchgefühl und Erfahrung
Dr. Roland Kirchhof ist Volljurist und Vorstand des Business Angels Netzwerk Deutschland e.V. (BAND). Business Angels sind erfahrene Unternehmer, die sich an jungen, innovativen Firmen beteiligen und die Gründer mit Geld und Wissen unterstützen. Den neuen Investitionszuschuss Wagniskapital des BMWi begrüßt der ehemalige Oberstadtdirektor von Herne sehr. Denn „privates Kapital ist mehr als reichlich vorhanden. Jetzt kann es besser genutzt werden.“
MittelstandsWiki: Bei den Schützlingen handelt es sich meist um unerfahrene Start-up-Unternehmer. Besteht da nicht die Gefahr, dass sie von dem viel erfahreneren Business Angel übervorteilt werden?
Dr. Roland Kirchhof: Es gibt natürlich auch in diesem Bereich skrupellose Geschäftemacher. Die Gründer sollten sich ganz genau informieren, sie sollten nach Referenzen fragen und mit den Unternehmen sprechen, die er als Business Angel begleitet hat. Und sie sollten nicht irgendwo suchen, sondern in Business-Angel-Netzwerken. Dort findet nämlich eine gewisse Vorauswahl statt. Die Netzwerke kontrollieren z.B., ob die Business Angels genug Geld haben und ob sie sich gegenüber den jungen Unternehmern fair verhalten. Wenn jemand negativ auffällt, spricht sich das ganz schnell herum. Vor allem sollten sich Gründer eines klarmachen: Ein Business Angel verlangt kein Geld für seine Leistung. Er möchte natürlich Geld verdienen, aber das macht er, wenn er seine Beteiligung mit Gewinn veräußert.
MittelstandsWiki: Können Sie das näher erläutern?
Dr. Roland Kirchhof: Der Business Angel beteiligt sich mit einem bestimmten Anteil an dem Unternehmen. In der Regel sind es 10 %. Wenn es z.B. mit 1 Mio. Euro bewertet wurde, wären das 100.000 Euro. In zehn Jahren, wenn das Unternehmen an Wert gewonnen hat, wird es vielleicht für 5 Mio. Euro verkauft. Sein Anteil ist dann 500.000 Euro wert.
MittelstandsWiki: Wenn das so eine tolle Sache ist, warum beteiligt er sich nur mit 10 %?
Dr. Roland Kirchhof: Weil das ein sehr riskantes Geschäft ist. Sie müssen bedenken, dass sich der Business Angel in einem sehr frühen Stadium engagiert. Oft ist noch nicht einmal klar, ob es überhaupt einen Markt für das Produkt gibt. Im Durchschnitt realisiert er nur mit jeder zweiten oder dritten Investition einen so hohen Gewinn. Deshalb raten wir, nur 10 % zu investieren.
MittelstandsWiki: Wie will man denn den Wert eines Start-ups richtig bewerten, wenn es noch keinen Markt gibt?
Dr. Roland Kirchhof: Das ist natürlich die Herausforderung. Es gibt verschiedene Methoden. Alle haben einen ähnlichen Nachteil, dass letztlich die Annahmen, die man in die Berechnung eingibt, das Ergebnis bestimmen. Ohne vorhandenen Markt sind diese Annahmen aber sehr willkürlich, so dass auch die Ergebnisse der Wertberechnung zwar exakt sein mögen, aber nur eine Scheingenauigkeit bieten. Bei den meisten Engeln entscheiden daher Bauchgefühl, Erfahrung und Verhandlungsgeschick über die Bewertung. Die absolute Sicherheit gibt es also nicht. Weder für den Business Angel noch für das Start-up.
MittelstandsWiki: Bei einem so hohen Risiko will der Business Angel doch sicher ein Wörtchen mitreden. Besteht da nicht die Gefahr, dass es zu Konflikten kommt?
Dr. Roland Kirchhof: Wenn es um den Markt oder um den Organisationsaufbau geht, wird er sicher ein Wörtchen mitreden wollen. Darin besitzt er ja auch die höhere Expertise. Er ist aber nicht erfahrener, was das Produkt als solches angeht. Er wird sich sicher nicht ins operative Geschäft einmischen, weil ihm dazu schlicht die Zeit fehlt. Aber er hat natürlich ein Interesse daran, dass die Geschäfte gut laufen. Sonst verliert er seinen Anteil.
MittelstandsWiki: Kommt es häufiger zu Konflikten?
Dr. Roland Kirchhof: Ich habe keine Beteiligung erlebt, bei der es keine Krise gab. Das Wichtigste ist, dass man Vertrauen zueinander hat und sich gut riechen kann. Dann überwindet man auch Krisen.
MittelstandsWiki: Was halten Sie eigentlich von Crowdfunding? Wie Sie sicher wissen, erhalten Gründer dabei ebenfalls Venture-Kapital und Unterstützung, müssen den Investoren aber kein Mitspracherecht einräumen. Ist das eine Konkurrenz für Sie?
Dr. Roland Kirchhof: Crowdfunding ist eine sehr interessante Sache, wenn Sie das Vorhaben damit ausfinanzieren können. Das Problem stellt sich meines Erachtens, wenn Sie weiteres Kapital benötigen. Nach meiner Erfahrung wird sich ein Business Angel eher nicht auf ein solches Vorhaben einlassen, weil es zu viele Mitgesellschafter gibt. Die haben zwar kein Mitspracherecht. Aber sie haben Einblick in die Geschäfte. Theoretisch könnte sich auch ein Mitbewerber beteiligen und Wissen abschöpfen. Ich möchte Crowdfunding aber nicht schlechtreden. Es hat auch seine Vorteile. Sie bekommen z.B. kostenlose Werbung durch die Crowd-Investoren. Als Konkurrenz zu den Business Angels würde ich es nicht sehen, weil Sie die beiden Modelle nicht vergleichen können.
MittelstandsWiki: Können Sie am Ende noch etwas zu dem neuen Investitionszuschuss Wagniskapital des BMWi sagen, bei dem Business Angels einen 20-prozentigen Zuschuss erhalten, wenn sie sich an einem jungen innovativen Unternehmen beteiligen. Meinen Sie, dass das dem Business-Angel-Modell wirklich Auftrieb geben wird?
Dr. Roland Kirchhof: Das denke ich schon. Als wir im Mai in Berlin mit dem BMWi eine Informationsveranstaltung zu dem Thema ausgerichtet haben, haben sich spontan 55 Start-ups und 15 Business Angels gemeldet und ihr Interesse daran bekundet. Das Wesentliche ist, dass schon am Anfang der Investition die Spielregeln und die Förderhöhe feststehen. Bei früheren Versuchen von Fördermaßnahmen, sollte es eine Steuerbefreiung nach der Veräußerung der Anteile durch den Business Angel geben, was erheblichen Kontrollaufwand ausgelöst hätte. Jetzt können sich die Unternehmen ihre Förderfähigkeit von der BAFA bestätigen lassen und der Investor hat Sicherheit. Wir werden demnächst eine App veröffentlichen, auf der sich Unternehmen präsentieren können, sobald sie die Zustimmung von der BAFA haben. Außerdem sind eine Fragefunktion und eine FAQ-Liste vorgesehen. Ich begrüße den Zuschuss sehr. Privates Kapital ist mehr als reichlich vorhanden. Jetzt kann es besser genutzt werden.
Das Interview führte Sabine Philipp.