Mehlsäcke muss keiner mehr schleppen
Günther Kremer ist Obermeister der Bäckerinnung Borken, stellvertretender Kreishandwerksmeister und in der zehnten Generation Bäcker. 1980 übernahm Kremer den Familienbetrieb im münsterländischen Velen, der kürzlich das 175-jährige Firmenjubiläum feierte und den er zusammen mit seiner Frau Hildegard leitet. Der 53 Jahre alte Vater von zwei erwachsenen Töchtern und einem Sohn ist aktives Gemeinderatsmitglied, liebt seinen Beruf und gibt sein Wissen sehr gerne an Lehrlinge weiter – auch an Azubis mit einer Lernschwäche. Wenn im Betrieb alle mitziehen, sagt er, „dann packen wir das auch.“
MittelstandsWiki: Sie bilden viel und gerne aus. Warum?
Günther Kremer: Zum einen, um den Nachwuchs für unseren Berufsstand zu generieren. Zum anderen, weil Jugendliche eine sinnhafte Ausbildung brauchen. Was sollen sie machen, wenn sich alle Betriebe gegen eine Ausbildung sperren? Nicht alle können Akademiker werden. Wo sollen sie sonst arbeiten lernen, wenn nicht im Handwerk?
MittelstandsWiki: Aber finden Sie eigentlich noch Jugendliche, denen Sie etwas beibringen können? Man liest doch überall, dass sich der Nachwuchs kaum noch für das Handwerk interessiert. Und dass die wenigen Jugendlichen, die eine Handwerkslehre überhaupt in Betracht ziehen, nicht ausbildungsfähig sind.
Günther Kremer: Der letztere Punkt stimmt so nicht mehr. Früher war das allgemeine Bildungsniveau tatsächlich nicht so dolle. Aber seit den letzten drei, vier Jahren muss ich ehrlicherweise sagen, dass es etwas besser geworden ist. Es stimmt aber, dass sich immer weniger Jugendliche für den Beruf des Bäckers interessieren.
MittelstandsWiki: Warum eigentlich? Weil man früh aufstehen muss?
Günther Kremer: Das hat verschiedene Gründe. Der eine ist das frühe Aufstehen. Viele haben ein Problem damit, dass sie zu Zeiten arbeiten müssen, in denen andere frei haben. Das schränkt natürlich die Möglichkeiten in der Freizeitgestaltung ein wenig ein. Die wenigsten sehen aber, dass sie nach der Arbeit den ganzen Tag vor sich haben. Natürlich müssen sie irgendwo ihren Schlaf nachholen, aber im Grunde können sie den Tag so gestalten, wie sie möchten.
Dann ist für viele ein Problem, dass man sich ein wenig dreckig macht, und viele glauben noch immer, dass es sich um eine körperlich sehr schwere Arbeit handelt. Aber so schlimm ist das nicht mehr. Mehlsäcke muss keiner mehr schleppen. Wir haben hier sogar zierliche Frauen, die den Job gut machen können.
MittelstandsWiki: Wie finden Sie trotzdem Ihre Azubis?
Günther Kremer: Wir sind häufig auf Berufsorientierungsveranstaltungen vertreten. Ich möchte an die Schüler herantreten, bevor sie sich einen festen Platz für das Betriebspraktikum in Klasse 8 und 9 suchen. Die Zusammenarbeit mit den Schulen ist sehr gut. Dabei gibt es Unterstützung von der NRW Bank, die einen Ausbildungslotsen an der Hauptschule implementiert hat. Das hilft natürlich ungemein.
MittelstandsWiki: Und wie ist die Zusammenarbeit mit der Berufsschule? Ich habe gehört, dass häufig so einiges im Argen liegt?
Günther Kremer: Ja, seit es eine Änderung im Ausbildungsrahmenplan gab, ist die Anzahl auf 144 Jahresstunden heraufgesetzt worden. Folglich wurde die betriebliche Arbeitszeit kürzer. Man hat das damit begründet, dass die Schüler mehr Stoff lernen müssen. Aber wenn ich mir ansehe, was die da machen, nämlich Religions- und Sportunterricht, habe ich oft Zweifel an der Sinnhaftigkeit. Und dann kommt noch ein Hammer nach dem nächsten: Einen Tag vor einem Feiertag, wo wirklich jede Hand gebraucht wird, sind unsere Verkäuferinnen im Deutschunterricht nach Köln gefahren und haben sich die Schaufenster angeguckt. Für mich ist so etwas schwer nachvollziehbar. Da bin ich zu sehr Praktiker.
MittelstandsWiki: Sie bilden auch lernbehinderte Azubis aus. Nehmen Sie hier Hilfen in Anspruch?
Günther Kremer: Nein. Wir sind selbst Manns genug und können das regeln. Die jungen Leute waren ja nicht im Verkauf tätig, wo sich das Ganze etwas schwierig gestaltet hätte, sondern alle in der Produktion, wo wir unter uns sind. Ich habe dann die ganze Mannschaft zusammengetrommelt und gesagt: „Passt mal auf, wir haben hier einen etwas schwierigen Fall, der uns drei, dreieinhalb oder vielleicht sogar vier Jahre lang beschäftigen wird. Aber wir sind willens, diesen Menschen auszubilden und ihm unser Wissen zu vermitteln. Und dann packen wir das auch. Auch wenn wir alles dreimal, viermal oder fünfmal erklären müssen. Aber das funktioniert nur, wenn wir alle mitziehen.“ Wenn wir wissen, mit welchen Themen die Leute ihre Schwierigkeiten haben, dann arbeiten wir das Ganze mit betriebsinternen Gesprächen eben einfach noch einmal auf. Das heißt ja nicht, dass man mit der Arbeit aufhören muss. Wir arbeiten mit den Händen und haben folglich noch immer unsere Schnute frei.
MittelstandsWiki: Wie ist die Erfolgsquote?
Günther Kremer: Bis auf eine Dame haben alle die theoretische und die praktische Prüfung bestanden. Sie können heute ihren Unterhalt selbst bestreiten und einen Beitrag für die Allgemeinheit leisten.
MittelstandsWiki: Wie sieht es eigentlich mit den eigenen Kindern aus. Möchte überhaupt noch einer das Bäckerhandwerk lernen?
Günther Kremer: Mein Sohn hat in zwei Wochen Gesellenprüfung und bildet dann die elfte Bäckergeneration hier im Haus.
Das Gespräch führte Sabine Philipp.