Ulrich Schlobinski

Die Politik plant abseits der kommunalen Wirklichkeit

Ulrich Schlobinski ist Gründer und erster Vorsitzender des DATABUND – Bundesverband der mittelständischen IT-Dienstleister und Softwarehersteller für den öffentlichen Sektor e.V. Der studierte Mathematiklehrer und Geschäftsführer der naviga GmbH hat 2006 mit 14 weiteren Unternehmen den Verband gegründet, weil sie vieles im Argen liegen sahen. Das ist noch heute so. Kritik übt er namentlich am Vorgehen bei der Entwicklung von Standards: „Das halte ich für Flickschusterei.“

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Ulrich Schlobinski gründete 2006 mit 14 Partner­unternehmen den DATABUND – Bundes­verband der mittel­ständischen IT-Dienst­leister und Software­hersteller für den öffent­lichen Sektor e.V., dessen Vorstands­vorsitzender er ist. (Bild: U. Schlobinski)

MittelstandsWiki: Sie kritisieren, dass bei der Vergabe von kommunaler Software die Spielregeln nicht immer fair seien. Übertreiben Sie da nicht? Schließlich müssen sich Behörden doch an das Vergaberecht halten.

Ulrich Schlobinski: Die Sache ist ein wenig kompliziert und hat zum Teil historische Hintergründe. Vor etwa 30 Jahren wurde IT im größeren Maßstab eigentlich nur von den großen Städten, dem Bund und den Ländern eingesetzt. Dabei handelte es sich meist um große Rechenzentren, die IT-Massendatenverarbeitung betrieben, und weniger um individuelle Fallbearbeitung. Diese IT-Abteilungen wurden personell stark aufgestockt, aber mit dem rasanten Fortschritt der IT wurden diese Mitarbeiter zunehmend unnötig. Da das öffentliche Dienstrecht aber besagt, dass man diese Mitarbeiter weiter beschäftigen muss, wurden öffentlich-rechtliche Unternehmen gegründet.

MittelstandsWiki: Das klingt doch nach einer vernünftigen Lösung.

Ulrich Schlobinski: Sie hat nur ein paar Schönheitsfehler. Der IT-Leiter einer größeren Kommune hat mir vor zehn Jahren einmal gesagt, dass er meine Software sehr gerne einsetzen würde, weil sie wesentlich besser sei als seine bisherige Lösung. Das Problem war aber, dass er seinen Zweckverband trotzdem bezahlen musste. Wenn nicht für die Software, dann im Rahmen einer Umlage. Teilweise existieren Regelungen, die Kommunen nach einem Ausstieg aus dem Zweckverband dazu verpflichten, noch weitere fünf Jahre die Umlage zu bezahlen.
Ein anderes Problem ist, dass diese Unternehmen – wie früher die Landesbanken – insolvenzunfähig sind, weil sie von dem jeweiligen Träger wie z.B. der Stadt unterstützt werden, was nach unserer Auffassung allein schon eine Wettbewerbsverzerrung darstellt. Ich habe erlebt, dass ein öffentlich-rechtlicher Mitbewerber ein Nullangebot abgegeben hat, weil der Geschäftsführer aus persönlichen Gründen den Auftrag unbedingt haben wollte. Glücklicherweise hatte die Erfüllung der Qualitätskriterien eine höhere Priorität als der Preis.
Es gibt aber auch das andere Extrem: Der zentrale Betrieb eines Personenstandsregisters wurde per Landtagsbeschluss an ein öffentlich-rechtliches Unternehmen übertragen – zu einem Preis von 40 Cent pro Einwohner und Jahr. Entschuldigung, aber da müssen die Server von innen vergoldet sein.

MittelstandsWiki: Aber Kommunen müssen doch wirtschaftlich handeln. Einmal ganz davon abgesehen, dass viele Kommunen gar nicht die Mittel haben, um überteuerte Software anzuschaffen.

Ulrich Schlobinski: Interessanterweise wird diese Art der Vergabe mit dem Argument der Wirtschaftlichkeit protegiert. Natürlich verfügen viele Kommunen über zu wenig Mittel. Aber sie müssen letztendlich den Betrieb aufrechterhalten und z.B. ein Einwohnermeldewesen betreiben oder Personalausweise ausstellen. Dafür haben sie ein Mindestbudget, im schlimmsten Fall einen Nothaushalt. Gleichzeitig werden sie dazu angehalten, ihre Prozesse zu optimieren und die Organisationen zu verschlanken. Dazu benötigen sie IT. Und da fehlt dann das Geld für die richtig wirksamen Lösungen. Glauben Sie mir: Für diese Kommunen ist es besonders schlimm, wenn sie erleben, dass Gelder an anderen Ecken verschwendet werden.

MittelstandsWiki: Und was sollte die Politik Ihrer Meinung nach tun?

Ulrich Schlobinski: Politik sollte sich auf das Schaffen eines schlüssigen und vollständigen Handlungsrahmens beschränken. Den Rest erledigt ein konsequentes und dramatisches Privatisieren dieser Strukturen und Organisationen.

MittelstandsWiki: Und warum sagen Sie das nicht den Politikern?

Ulrich Schlobinski: Naja, als wir uns gegründet haben, dachten wir noch, wir könnten der Politik begreifbar machen, wie die Lage in den Kommunen wirklich ist und was da schiefläuft. Wir waren an den verschiedensten Stellen bis auf Staatssekretärsebene vorstellig. Mit sehr wenig Erfolg. Uns fehlt natürlich ein Budget von mehreren Millionen und mehreren hauptberuflichen Lobbyisten in Berlin. Außerdem habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Verantwortlichen auf Bundes- oder Landesebene sehr weit von der kommunalen Wirklichkeit entfernt sind. Wir haben daraus gelernt und setzen eher auf kleinteilige Umsetzung von innovativen Strukturen vor Ort. Aber die staatliche Lobby ist sehr massiv. So wurde in einem BGH-Urteil der größte Wettbewerbsvorteil unserer öffentlich-rechtlichen Konkurrenten, die Befreiung von der Umsatzsteuerpflicht, kassiert. Was macht das BMF? Es verkündet öffentlich, dieses Urteil ignorieren zu lassen. Man nennt das einen Nichtanwendungserlass.

MittelstandsWiki: Dann sind Sie auch noch gegen Standardisierung, oder verstehe ich da etwas falsch?

Ulrich Schlobinski: Wir haben natürlich nichts gegen Standards im klassischen technischen Sinn. Sie sind absolut notwendig und natürlich halten wir uns alle an diese gängigen und üblichen Standards. Das Problem sehen wir im Vorgehen bei der Schaffung von Standards.

MittelstandsWiki: Wie kann ich das verstehen?

Ulrich Schlobinski: In den vergangenen Jahren hat sich eine Standardisierungsindustrie entwickelt, die eine Vielzahl von Standards entwickelte. Diese Standards wurden aber weniger durch die unmittelbare Notwendigkeit der Prozessbeteiligten initiiert, sondern durch politische Direktive von verschiedenen Interessengruppen. Die Umsetzung der Standards verursachte so zum Teil immense Kosten, ohne die notwendigen Einsparungseffekte erzielen zu können. Nach unserer Auffassung fehlt der übergreifende Rahmen, der Standards hervorbringt, die sich gegenseitig ergänzen und die garantieren, dass die einzelnen Fachverfahren durch eine API miteinander verbunden werden können. Stattdessen werden einzelne Prozesse mit ganz speziellen Standards standardisiert. Das halte ich für Flickschusterei.

MittelstandsWiki: Warum wird das dann so umgesetzt?

Ulrich Schlobinski: Die Materie ist sehr komplex. Es gibt einen Rechtsrahmen, der sich je nach Landespezifika unterscheidet und der noch von zusätzlichen Verordnungen beeinflusst wird. Deshalb sind auch schon mal Fehler passiert, die mit viel Geld und Aufwand wieder korrigiert werden mussten. Sie müssen sehen: Eine Kommune hat im Durchschnitt 500 hoheitliche Aufgaben, die sogenannten Wesen, wie z.B. das Personenstandswesen. Wir vertreten die Ansicht, dass ein Standard, der die Kommunikation auf allen Ebenen beinhaltet, über diese Fachbereiche hinausgehen muss. Es gibt z.B. noch immer keinen Standard, der eine Person umfassend für alle Fachverfahren beschreibt. Der Standard für Meldungen unterscheidet sich von dem Standard für die Kfz-Anmeldung. Wir wollen eine Lösung, die all das kommunizieren kann. Eines unserer Mitgliedsunternehmen hat z.B. kurz vor der CeBIT eine Musteranwendung entwickelt und andere Fachverfahrenshersteller dazu eingeladen, Feedback zu geben. Ziel ist es, eine fachübergreifende zentrale API zu entwickeln, an die andere Fachverfahren andocken können.

MittelstandsWiki: Wenn es so einfach ist, warum wurde das nicht schon längst umgesetzt?

Ulrich Schlobinski: Zunächst klingt das einfacher, als es tatsächlich ist. Man braucht sehr viel Erfahrung, um solch ein Projekt erfolgreich gestalten zu können. Darüber hinaus leben wir auch mit einem völlig veralteten Datenschutzverständnis. Verstehen Sie mich nicht falsch. Datenschutz ist wichtig und muss beachtet werden. Aber wir brauchen endlich eine Novellierung, die der Lebensrealität gerecht wird. Wenn das Einwohnermeldeamt Ihre Daten erhebt, darf heute die Kasse der Kommunen diese Daten nicht automatisch benutzen, weil es im Datenschutzgesetz einen Ämterbezug und die Zweckbindung gibt. Aber ich bin optimistisch. Aktuell arbeiten verschiedene Stellen an dem Problem. Deshalb ich bin zuversichtlich, dass eine Lösung gefunden wird, die allen gerecht wird.

Das Interview führte Sabine Philipp.
Bitte beachten Sie: Die nationalen Datenschutzgesetze in der EU, also auch das BDSG, wurden zum 25. Mai 2018 durch die Bestimmungen der EU-Datenschutz-Grundverordnung ersetzt.