Die Wissenschaft aller Dinge
Von David Schahinian
20 Milliarden? 50 Milliarden? Diverse Prognosen überbieten einander mit Zahlenangaben, wie viele Geräte in wenigen Jahren bereits weltweit im Internet der Dinge miteinander vernetzt sein werden. Spätestens wenn der ultraschnelle Mobilfunkstandard 5G eingeführt wird, dürfte das Internet of Things (IoT) einen weiteren massiven Schub erfahren. Allerdings braucht man dafür auch Menschen, die sich mit den Technologien und der Infrastruktur auskennen. Wer an Rhein und Ruhr spezialisierte Studiengänge zum Thema sucht, muss genauer hinschauen.
Ingenieur mit Digital-Know-how
Zum Beispiel auf die Hochschule Trier. Sie hat zum Sommersemester 2018 den neuen Bachelor-Studiengang Internet of Things – Digitale Automation eingeführt. „Die durch die Digitalisierung bereits geschaffenen und auch in Zukunft weiter entstehenden Potenziale erfordern in den Unternehmen neue, disziplinübergreifende Denkweisen bei der Produktentwicklung“, sagt Studiengangleiter Prof. Dr. Ernst Georg Haffner. Dies setze Fachkräfte mit entsprechenden Kenntnissen im Bereich der Entwicklung digitalelektronischer Komponenten, des Entwurfs komplexer Algorithmen für die Verarbeitung aufgenommener Daten und für deren programmiertechnische Umsetzung voraus. Mit dem Studiengang reagiere die Hochschule auf diesen wachsenden Bedarf.
Das IoT-Sudium in Trier kombiniert Module aus den Fachbereichen Elektrotechnik, Informationstechnik, Maschinenbau, Mathematik und Naturwissenschaften sowie genuine Unterrichtseinheiten zur digitalen Automation. (Bild: Hochschule Trier)
Der Trierer IoT-Studiengang baut auf einem breiten ingenieurwissenschaftlichen Basisstudium auf, in dem Grundlagen der Elektrotechnik, Elektronik, Mathematik, Physik und Informationstechnik vermittelt werden. Für eine Zwischenbilanz sei es noch zu früh, sagt Haffner, ein allgemeiner Trend zeichne sich aber bereits ab: „Die Nachfrage vonseiten der Industrie ist enorm. Dies gilt sowohl für regional ansässige Unternehmen als auch für überregionale.“ Die aktuell Studierenden seien „überaus motiviert“ und hätten lediglich mit den üblichen Anfangsschwierigkeiten beim Übergang von der Schule zum Studium zu kämpfen.
Allerdings hebt er auch hervor, dass die Resonanz auf Schülerseite eher verhalten ist: „In zahlreichen Vorträgen und Veranstaltungen stelle ich derzeit noch fest, dass das Internet der Dinge bei vielen Schülern kein geläufiger Begriff ist.“ Hier sei noch viel Arbeit zu leisten, um entsprechende Informationen in die Schule zu tragen. Auch plädiert er dafür, das Internet der Dinge nicht allein als Disziplin der Informatiker zu verstehen: „Unser Studiengang ist im Fachbereich Technik, Fachrichtung Elektrotechnik angesiedelt. Generell halte ich IoT für so umfassend, dass er nicht allein auf Informatik reduziert werden kann – insbesondere nicht, wenn es um digitale Automation geht. Automatisierungstechnik ist typischerweise ein Feld der Elektrotechnik.“
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT-Unternehmen aus der Region stellen sich vor“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen bereits verfügbaren Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Das IoT ist interdisziplinär
Das mag vielleicht auch ein Grund dafür sein, dass IoT-Studiengänge nicht leicht zu finden sind. Es gibt zwar schon einige, doch werden sie oft nicht so bezeichnet oder sie sind in ganz unterschiedlichen Fachbereichen angesiedelt. An der Ruhr-Universität Bochum beispielsweise besteht die Möglichkeit, den Studienschwerpunkt Eingebettete Systeme im Master-Studiengang Elektrotechnik und Informationstechnik zu wählen. Mit dem Internet der Dinge werde die Bedeutung solcher Systeme weiter steigen, heißt es dort. Gelehrt wird der Entwurf komplexer Systeme aus Hard- und Software sowie deren Programmierung. Dieser Studienschwerpunkt wird allerdings nicht durchgehend angeboten.
An der TH Köln sind digitale Kommunikationstechnik und IoT in einem eigenen Bereich angesiedelt. Das Studienangebot soll ausgebaut bzw. spezialisiert werden, berichtet Prof. Dr. Uwe Dettmar: „Mit der Reakkreditierung unserer BA- und MA-Studiengänge in der Elektrotechnik planen wir ab 2020 in den Bachelor-Studiengängen Technische Informatik und Elektrotechnik jeweils ein Profil IoT.“ In der technischen Informatik werde der Schwerpunkt voraussichtlich eher auf Big Data und Data Mining liegen, in der Elektrotechnik im Bereich Embedded/Connecting Things.
Diese Studiengänge richteten sich eher an Praktiker, doch würden auch theoretische Grundlagen behandelt, die zum Verständnis notwendig sind. Prof. Dettmar hebt ebenso hervor: „Der interdisziplinäre Austausch mit anderen Fakultäten, die die Dinge nutzen könnten, spielt eine wichtige Rolle.“ Das IoT-Studienangebot an der TH Köln wird zudem von Cisco-Kursen zur freiwilligen Zusatzausbildung flankiert. Hier stehen Themen wie IoT-Security oder Big Data and Analysis im Mittelpunkt.
Gefragte Datenspezialisten
IoT und Big Data verhalten sich zueinander wie Ursache und Wirkung: Das Internet der Dinge ist einer der maßgeblichen Treiber des unablässigen Datenwachstums. Beide Disziplinen sind daher kaum zu trennen. Auch im Markt zeigen sich Überschneidungen und Parallelen. Gemeinsam ist beiden der Mangel an entsprechenden Fachleuten, was wiederum gute Karrierechancen für Studierende bedeutet. Das zeigt beispielsweise ein Blick in die Automobilbranche. Die Beratung Bearing Point hat dieses Segment genauer unter die Lupe genommen: 72 % der 50 befragten Führungskräfte von Herstellern und Zulieferern sagen mittlerweile, dass es an internen Datenspezialisten mangele; in der Vorgängerstudie aus dem Jahr 2016 waren es erst 44 %. Zudem geben 88 % an, dass sie auf externe Dienstleister zurückgriffen. Dieser Fachkräftemangel zeigt den Beratern zufolge, dass Big Data kein Bereich ist, der von Laien betreut werden kann: „Es werden Experten gebraucht, die den Unternehmen allerdings fehlen.“
Der Mangel an qualifizierten Kräften bremst die Digitalisierung aus: Datentechnisch quält die Automobilindustrie derzeit vor allem die fehlende Expertise im eigenen Unternehmen. (Bild: BearingPoint: Big Data & Analytics in der Automobilindustrie, 2019)
Big Data scheint jedoch schon eher als das IoT im Bewusstsein der Allgemeinheit angekommen zu sein, was sich unter anderem am größeren Studienangebot zeigt. Seit dem Wintersemester 2018 kann man beispielsweise an der FOM Hochschule für Ökonomie und Management mit Sitz in Essen den neuen Master-Studiengang Big Data und Business Analytics belegen. Die Einrichtung ist mit Hochschulzentren in 29 deutschen Städten sowie in Wien präsent und wendet sich an Beschäftigte, die sich berufsbegleitend weiterbilden wollen. Die Gesamtkosten (Studiengebühren etc.) betragen insgesamt 13.780 Euro.
„Die Nachfrage nach Experten im Bereich Big Data ist deutlich größer als das Angebot an Fachkräften“, bestätigt Thomas Kirschmeier vom BildungsCentrum der Wirtschaft, dem Träger der FOM. Der neue Master-Studiengang sei damit nur eine logische Konsequenz. In dem fünfsemestrigen Studiengang wird zentrales Wissen der Wirtschaftsinformatik vermittelt. In Modulen wie Big Data Analytics geht es beispielsweise um Knowledge Discovery und Data Mining sowie um KI-Methoden wie Machine Learning; mit dabei sind aber auch Einheiten zu Ethik und Recht. Das Programm richtet sich vor allem an (Wirtschafts-)Informatiker, Ingenieure und Naturwissenschaftler.
Die erste Bilanz falle positiv aus, so Kirschmeier weiter: „Der Master-Studiengang ist mit rund 100 Studierenden solide gestartet und läuft unter anderem an unseren FOM-Hochschulzentren in Bonn, Düsseldorf, Köln und Münster.“ Für ein solch spezialisiertes Master-Programm sei das eine gute erste Zwischenbilanz, findet er. Für die Zukunft gehe man von weiterhin deutlichen Steigerungen in dem Studiengang aus.
Einen Vorteil der FOM sieht Kirschmeier darin, dass bei der Auswahl der Lehrkräfte die Verbindung von Theorie und Praxis eine große Rolle spiele. Die hauptberuflichen Professoren würden durch Lehrbeauftragte aus Unternehmen unterstützt. „Diese Zusammensetzung aus qualifizierten Wissenschaftlern und erfahrenen Führungskräften gewährleistet, dass die Studierenden ein theoretisches Fundament auf Hochschulniveau erhalten und gleichzeitig auf die Anforderungen betrieblicher Praxis vorbereitet werden.“
Studienpfade zu Big Data
Wer ein Big-Data-Studium als Investition in die Zukunft begreift, für den könnte auch die private und staatlich anerkannte IUBH Internationale Hochschule in die engere Auswahl kommen. Der dreisemestrige Master-Studiengang Big Data Management am Standort Bad Honnef richtet sich an Bachelor-Absolventen mit erster Berufserfahrung. „Als Big Data Manager koordinieren Sie Projekte und arbeiten an der Schnittstelle zwischen Top Management, Data Engineer und Data Analyst“, heißt es auf der Website der Hochschule. Gefragt sind weniger reine Informatiker, sondern Diplomaten, die zwischen den Prinzipien des Informationsmanagements und den Bedürfnissen der Geschäftsführung vermitteln können. Unterrichtet wird in englischer Sprache, die Studiengebühren betragen „ab 5790 Euro pro Semester“.
Einen wieder anderen Ansatz hat die Universität Witten/Herdecke gefunden. Der neue und international ausgerichtete Master-Studiengang Digital Transformation & Social Responsibility behandelt Bereiche wie Big Data Analysis, Blockchain Management und Digital Health, hat aber gleichzeitig das große Ganze im Blick. Er sei eine direkte Reaktion auf die aktuellen gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Transformationen durch die Digitalisierung sowie auf deren soziale und ethische Probleme. Als Beispiele werden Automatisierung und Globalisierung genannt. Der Studiengang sei fakultätsübergreifend konzipiert, da auch die Anforderungen der Digitalisierung transdisziplinär seien.
Der Master-Studiengang Digital Transformation & Social Responsibility in Witten bildet Change Manager der Digitalisierung aus. (Bild: Universität Witten/Herdecke)
Wer sich dagegen allein für die informationstechnischen Seiten von Big Data interessiert, wird in zahlreichen Studiengängen bei Hochschulen und Universitäten in der Region fündig. An der FH Münster beispielsweise ist das Thema Bestandteil des Masters in Wirtschaftsinformatik. Die Regelstudienzeit beträgt vier Semester im Vollzeit- und sechs Semester im Teilzeitstudium. Bereits im ersten Semester steht Big Data unter anderem neben Mobile Engineering und Scientific Computing auf der Agenda.
Pioniere müssen mehr leisten
Mit der Entscheidung, seinen Studienschwerpunkt auf IoT oder Big Data zu legen, kann man karrieretechnisch derzeit wohl kaum etwas falsch machen. Allerdings sollte man sich nicht von Buzzwords verleiten lassen und die Inhalte auf die leichte Schulter nehmen: In der Wirtschaft sind hochqualifizierte Kräfte gefragt, die die Architektur der digitalen Welt von morgen mitbestimmen. Die derzeitigen IoT- und Big-Data-Studiengänge sind entsprechend dicht gepackt; sie erfordern rasche Auffassungsgabe und ein breites Interessenspektrum.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.