Mobilfunk für Aufsteiger
Von Dirk Bongardt
Nachdem die Deutsche Telekom, Telefónica, Vodafone und Drillisch zusammen rund 6,6 Milliarden Euro für die Zuteilung von 5G-Frequenzen ausgegeben hatten, begann der Ausbau: Bis Ende 2022 sollen nun in jedem deutschen Bundesland 98 % der Haushalte mit mindestens 100 MBit/s ins mobile Netz gehen können; bundesweit müssen bis dahin die ersten 1000 Basisstationen für den 5G-Mobilfunkstandard stehen. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek hatte infrage gestellt, ob es nötig sei, 5G flächendeckend „an jeder Milchkanne“ verfügbar zu machen. Tatsächlich werden noch etliche weitere Jahre ins Land gehen, bis es soweit ist. Wer also heute einen Job im Netzausbau antritt, muss so schnell nicht um seinen Arbeitsplatz fürchten.
Grenzenlose Perspektiven
Nach einer Auftragsstudie des Chipherstellers Qualcomm wird speziell der neue Mobilfunkstandard 5G in Deutschland bis 2035 rund 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Weltweit soll 5G demzufolge 22 Millionen neue Jobs generieren und Umsätze von bis zu 12,3 Billionen US-Dollar erwirtschaften. Wahre Wunderdinge soll der neue Mobilfunkstandard möglich machen – irgendjemand muss diese Wunderdinge aber herbeizaubern.
Die hohen Übertragungsraten, die 5G ermöglicht, sind nur ein Aspekt, der diese Technologie auszeichnet. Für viele Anwendungen noch wichtiger sind die kurzen Latenzzeiten. Zum Vergleich: Bei 3G beträgt die mittlere Latenzzeit 100 ms, bei 4G sind es 50 ms. Der 5G-Standard verspricht eine Latenzzeit von nur noch 1 ms – eine Reaktion quasi in Echtzeit also. Motion Sickness in VR-Anwendungen (Virtual Reality) würde damit der Vergangenheit angehören, autonome Fahrzeuge könnten in Echtzeit auf brenzlige Situationen im Straßenverkehr reagieren, und Cobots in Fertigungsstraßen wären in der Lage, einem Zusammenstoß mit unachtsamen menschlichen Kollegen auszuweichen, bevor jemand verletzt wird. Auch in der Medizin, auf dem Milliardenmarkt Gaming und in AR-Anwendungen (Augmented Reality) könnte 5G sich als bahnbrechend erweisen.
Vor allem im industriellen Sektor werden 5G-Netze auf vielen Feldern völlig neue Anwendungen ermöglichen. Smart Factories und das Internet der Dinge basieren auf einer technologieübergreifenden Vernetzung, die keinen Eingriff menschlicher Mitarbeiter erfordert. 5G bietet, kombiniert mit einer Industrial Cloud, außerdem die Möglichkeit, die eigentliche Rechenleistung an einer Stelle zu konzentrieren. Clients können dadurch günstiger konzipiert werden, und bestehende Systeme lassen sich einfacher skalieren.
Von Telefónica Deutschland und Ericsson stammt u.a. das 5G-Campusnetz der Factory 56 von Mercedes-Benz in Sindelfingen. Die Industrie-4.0-Modellfabrik ist komplett papierlos und setzt klar auf VR und andere Virtualisierungstechnologien. (Bild: Daimler)
Auch Logistikzentren werden Arbeitsplätze für 5G-Experten sein. Kleine 5G-Sender bieten die Möglichkeit, den Warenstrom in Echtzeit zu beobachten und zu steuern. Eine Automatisierung dieser Prozesse ist damit einfacher realisierbar. Bei der Automatisierung von Fertigungsstraßen sind 5G-Spezialisten ebenfalls gefragt: 5G-Systeme können Störungen in der Produktion unmittelbar beheben. Dank der Kommunikation von Maschine zu Maschine reduzieren solche Systeme Ausschuss und Produktionsaufwand, da einzelne Geräte und Anlagen in der Lage sind, mit anderen Robotern selbstständig zu kommunizieren.
Jobs für Schwindelfreie
Als die Vergaberichtlinien für 5G-Frequenzen erarbeitet wurden, rechnete Bitkom-Präsident Achim Berg vor, dass bei der Nutzung der Frequenzen im 3,6-GHz-Spektrum rund 800.000 Funkmasten benötigt würden, um 98 % der Haushalte mit 5G zu versorgen. Um diese Sendemasten zu errichten, braucht man hochspezialisierte Fachkräfte: Industriekletterer. Auch wenn der Netzausbau in Deutschland irgendwann abgeschlossen sein sollte, wird die Nachfrage nach diesen Höhenarbeitern nicht wirklich einbrechen. Die Sendemasten müssen schließlich regelmäßig gewartet und bei Bedarf repariert werden; auch das geht letztlich nicht ohne sie.
Wer so schwindelfrei ist, dass er in großen Höhen und mit freiem Blick nach unten konzentriert arbeiten kann, und außerdem bereit dazu, häufig zu reisen, hat gute Chancen auf eine Karriere als Industriekletterer. In Deutschland ist dafür grundsätzlich keine handwerkliche Berufsausbildung vorgeschrieben, aber de facto hat sich eine entsprechende Ausbildung in Seilzugangstechnik etabliert, die das Bestehen einer Prüfung und die Ausbildung in Arbeits- und Rettungsverfahren verlangt. Außerdem setzt der Einsatz als Höhenarbeiter einen Grundlehrgang in Erster Hilfe und eine arbeitsmedizinische Untersuchung voraus. Ingenieure und Techniker, die ihre Arbeit adrenalinreicher gestalten wollen, können sich über Ausbildungsmöglichkeiten detaillierter auf der Website des Berufskletterzentrums informieren.
Im Juni 2020 zündete die Telekom den „5G-Boost“ und gab 5G-Verfügbarkeit für 16 Millionen Menschen in Deutschland an. (Bild: Deutsche Telekom)
Ingenieure landen ganz oben
Dass die Digitaliserung allgemein und 5G im Besonderen auch über den Ausbau hinaus Einfluss auf die Nachfrage nach Fachkräften haben, liegt auf der Hand. Welche Studienabschlüsse genau gefragt sind, hat der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) anhand einer Analyse von 1,1 Millionen Stellenangeboten ermittelt. Dabei zeigte sich, dass mit einem Anteil von rund 8 % Ingenieure verschiedener Fachrichtungen zu den meistgesuchten Fachkräften gehören. Die besten Chancen haben Ingenieure mit den Schwerpunkten Elektro- und Energietechnik, Maschinen- und Anlagenbau, Konstruktionstechnik sowie Fahrzeug- und Antriebstechnik.
Ganz vorn bei den gesuchten Fachkräften rangieren mithin unter anderem Entwicklungsingenieure, Software-Entwickler und wissenschaftliche Mitarbeiter mit einer Spezialisierung auf Mobilfunk- und insbesondere 5G-Technologien. Als Voraussetzungen nennen die Unternehmen häufig ein abgeschlossenes wissenschaftliches Hochschulstudium in der Fachrichtung Informatik oder technische Informatik sowie fundierte Netzwerkkenntnisse, außerdem natürlich Kenntnisse der aktuellen Mobilfunktechnik und anderer Funksysteme.
5G-Netzpolitik als Jobkiller?
Die 5G-Technologie wird aller Voraussicht nach eine Menge Jobs generieren, wohl aber nicht die Forderungen aus der Politik, lokales Roaming bei unzureichender Netzversorgung zu erzwingen. Zumindest halten die Betriebsräte der drei großen TK-Unternehmen dies für eine reale Bedrohung ihrer Klientel. „Die Pläne zum lokalen Roaming gefährden eine fünfstellige Zahl an Arbeitsplätzen“, schrieben die Betriebsratschefs von Vodafone, Telefónica und Deutscher Telekom Medienberichten zufolge an die Fraktionsspitzen von Union und SPD.
Bei der angedachten Roaming-Pflicht könnten Provider, die vor Ort nicht die erforderliche Infrastruktur bereithalten, ihren Kunden einen 5G-Netzzugang über die Infrastruktur ihrer Wettbewerber zur Verfügung stellen und müssten – so zumindest die bisherigen Gedankenspiele – keinen oder einen sehr geringen Preis dafür an den eigentlichen Netzbetreiber zahlen. Damit sehen sich die drei großen Netzbetreiber Vodafone, Telekom und Telefónica gegenüber dem Neuling Drillisch deutlich im Nachteil. Der war bislang unter anderem mit seiner Marke 1&1 nur als Wiederverkäufer auf dem Markt tätig, hat aber mit dem Zuschlag bei der Frequenzauktion ebenfalls den Status eines Netzbetreibers. Da Drillisch aber auf absehbare Zeit den großen Netzbetreibern keine ebenbürtige Infrastruktur entgegensetzen können wird, wären die Maintaler gerade deshalb durch eine Roaming-Pflicht in einer bevorzugten Position.
IT-Experten heben ab
Fast gleichauf mit diesen Bildungsabschlüssen liegt die Nachfrage nach IT-Fachkräften. Vor allem Software-Entwickler und Systemadministratoren gehören zu den gesuchten Mitarbeitern. Das deckt sich mit einer Analyse der Bundesagentur für Arbeit: Oft dauere es Monate – im Schnitt 132 Tage –, bis eine freie Stelle mit einem geeigneten Bewerber besetzt sei, so die Nürnberger Bundesbehörde. Im vergangenen Jahr habe die Zahl der gemeldeten freien Informatikerstellen mit 54.000 einen neuen Höchststand erreicht. Noch 2009 sei die Zahl etwa halb so groß gewesen. Seitdem sei sie mit einer leichten Delle in den Jahren 2013 und 2014 kontinuierlich gestiegen, in den vergangenen drei Jahren sogar recht stark.
Je nach konkreter Ausrichtung der angepeilten Entwicklungen sind für die suchenden Unternehmen noch weitere Kenntnisse unabdingbar: „Erfahrungen in der Konzeption und Implementierung FPGA-basierter Signalverarbeitung“ etwa nennt das Fraunhofer Institut für Integrierte Schaltungen IIS in seiner Suche nach einem Entwicklungsingenieur SDR-Plattformen für 5G-Mobilfunk. Und in vielen Unternehmen spielen auch die Bereitschaft, international zu reisen, sowie einschlägige Kompetenzen in der Zusammenarbeit mit internationalen Teams eine wichtige Rolle.
Teil 1 setzt beim Bandbreitenbedarf an, der durch die Decke schießt. WLAN und Mobilfunk liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen auf der Zielgeraden zu 10 GBit/s. Teil 2 schildert den Stand der Standards und interessiert sich eingehend für die Konsortien der Entwicklung. Teil 3 begibt sich auf die technische Seite. Es geht um die Grundlagen der 5G-Netze, um Ping-Zeiten und Frequenzen. Teil 4 schließlich erläutert den Stand der Dinge kurz vor der Frequenzversteigerung 2019. Drei Sonderberichte widmen sich der Möglichkeit von 5G-Campus-Netzen, berichten vom letzten Stand der 5G-Frequenzauktion und untersuchen, welche Berufe für den Netzaufbau gebraucht werden. Zum Schluss lohnt noch ein Blick nach Österreich: Dort gibt es 5G schon.
Take-off für Wirtschaftsprofis
Die Stellenangebote rund um 5G beschränken sich aber nicht allein auf Informatiker, Entwicklungsingenieure und Industriekletterer. Wirtschaftswissenschaftliche, vor allem betriebswirtschaftliche Abschlüsse sind ebenfalls Jobgaranten, und Absolventen profitieren von den neuen Chancen: „Contracts Manager“, „Client Partner Sales“, „Projektleiter“, „Client Sales Executive“ sind einige der ausgeschriebenen Jobtitel, wie sie in den Stellenbörsen zu finden sind. Neben betriebswirtschaftlichen Kenntnissen sind in diesen Jobs vor allem auch Soft Skills gefragt, wie etwa Verhandlungsstärke, Stressresistenz und Führungsstärke.
Stellen dieser Art sind aber nur selten auf BWL-Absolventen beschränkt. Sehr häufig richten sich die Jobangebote alternativ auch an Kandidaten mit naturwissenschaftlichen Abschlüssen, und fast immer sind Branchenkenntnisse in den jeweiligen Industriezweigen klar von Vorteil.
Freelancer im Aufwind
Freie IT-Profis profitieren vom Netzausbau mindestens ebenso wie ihre festangestellten Kollegen und Kolleginnen. Nicht nur die Nachfrage nach Experten für die entsprechenden Technologien, auch die künftige technische Infrastruktur selbst wird die Arbeitsbedingungen von Freelancern demnächst bereichern. So sind hohe Übertragungsraten schon heute in der Regel unverzichtbar. Wer nicht für jede kleine Anpassung eine Reise zum Kunden antreten will, wird künftig dank des 5G-Standards wesentlich flexibler remote arbeiten können.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Anwendungen sind sehr datenintensiv. Als mobile Anwendungen wie beispielsweise zur Wartung und Reparatur von Maschinen on site oder zu Bildungszwecken galt der praktische Einsatz dieser Technologien deswegen bisher als unrealistisch. Auch hier erschließt sich Freelancern ein Einsatzgebiet, das es so bislang nicht gab. Ein weiteres Feld: Mit der Einführung von 5G wird der Bereich Automation maßgeblich vorangetrieben. Freelancer können langfristig mehr Digitalisierungsprojekte auf diesem Gebiet erwarten. Auch einzelne Standorte wie Smart Factories zur automatisierten Produktion werden dauerhaft auf die Expertise von Fachleuten angewiesen sein.
5G bringt mich nach oben
Der flächendeckende Ausbau von 5G soll, glaubt man den euphorischsten unter den Experten, das Leben ähnlich verändern wie der elektrische Strom oder das Internet. Diese Auswirkungen werden sich auch auf den Arbeitsmarkt erstrecken. Wenn die Technologie hält, was sie verspricht, werden Entwicklungen möglich sein, die bislang als unrealistisch bzw. technisch ausgeschlossen galten. Eine gute Zeit für Ingenieure und Informatiker, die hoch hinauswollen – ob nun als Industriekletterer oder als technologische Bahnbrecher.
Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.
Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de