Steiermark, mit AI
Von David Schahinian
Sicher, im Vergleich zu den USA oder zu China sind die meisten europäischen Staaten beim Thema KI ins Hintertreffen geraten. Strengere Datenschutzvorgaben sind nur ein Grund dafür, und in den Augen vieler Bürger wohl auch gar kein schlechter. Glaubt man aktuellen Studien, hat Österreich aber besonders viel Nachholbedarf. Das Land habe „offenbar weniger experimentierfreudige Unternehmen als andere europäische Länder“, heißt es zum Artificial Intelligence Report von EY. Auch wenn viele Unternehmen einen hohen KI-Einfluss auf ihr Kerngeschäft erwarten, sei Österreichs KI-Expertise im Europavergleich unterdurchschnittlich. Die Studie „The road to AI“ von Roland Berger zeigt, dass in Großbritannien zwischen 2015 und 2019 insgesamt 623 KI-Patente registriert wurden. In Deutschland waren es 530, in Österreich 38.
Hype und Herausforderung
Das heißt nicht, dass das ganze Land im Dornröschenschlaf läge. Mittlerweile haben viele Unternehmen erkannt, dass ihnen die Zeit davonläuft, wenn sie im internationalen Wettbewerb nicht abgehängt werden wollen. Es gibt gute Beispiele dafür – aber auch etwas vorauszuschicken: KI klingt modern und wirkt verkaufsfördernd, lässt sich aber nur schwer definieren. Nicht überall, wo mit künstlicher Intelligenz geworben wird, handelt es sich tatsächlich um Verfahren, die versuchen, die menschliche Intelligenz zu simulieren. Machine Learning etwa setzt auf wachsendes Wissen durch Erfahrung aus unzähligen Beispielen, mit denen die Systeme trainiert werden. Damit gelingt es ihnen schnell, einen Hund von einer Katze zu unterscheiden. „Intelligent“ sind sie deswegen noch lange nicht. Das sollte man beim Begriff KI immer im Hinterkopf behalten.
Der österreichische KI-Reifegrad im Vergleich mit dem europäischen Durchschnitt: Die überwiegende Mehrheit der von EY befragten Unternehmen experimentiert derzeit mit KI. Das ist der Studie zufolge auch Absicht: Die Firmen warten ab, bis die Technologie so weit ist, dass sich ein praktikabler Use Case ergibt. Die Qualität der eigenen Daten ist dann oft die Hauptschwierigkeit bei der Umsetzung. (Bild: EY LLP Limited)
Die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unterstützt derzeit sechs Projekte mit insgesamt 1,2 Millionen Euro. SafeSign ist eines davon. Es blickt in die Zukunft des Straßenverkehrs. Mit der Zunahme automatischer Systeme ändern sich nämlich auch die Anforderungen an die Verkehrszeichen: Sie müssen für Menschen und Maschinen gleichermaßen gut und sicher zu lesen sein. Ziel ist es daher, eine Datenbank aufzubauen, auf die österreichische Unternehmen im Bereich Mobilität, Straßeninfrastruktur und autonomes Fahren zugreifen und die sie für ihre eigenen Entwicklungen nutzen können. Projektkoordinator ist Risc Software, Partner sind die Universität Linz sowie die Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft (ASFINAG).
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT-Unternehmen aus Österreich stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Cleveres Marketing mit KI
Von der Straße zu Tunnel23: Die Werbeagentur setzt konsequent auf Digitalisierung – und tut sich naturgemäß leicht damit, ihre KI-Aktionen gut zu vermarkten. Das muss nicht immer Raketentechnik sein, sondern ist vor allem nutzerorientiert. Für Mazda hat das Team eine Software programmiert, mit der potenzielle Kunden das Bild ihres aktuellen Autos hochladen konnten. Mithilfe von TensorFlow von Google erkennt die KI in Echtzeit, um welches Fahrzeug es sich handelt. Anschließend wird ein passendes Modell des Auftraggebers vorgeschlagen. Clever kam auch die Kampagne zur Eröffnung eines neuen Autismuszentrums rüber. „Aufgrund fehlender Reizfilterung nehmen Autisten ihre Umwelt viel intensiver wahr und reagieren dementsprechend sensibel auf äußere Einflüsse“, notiert die Agentur. Ein mit einer Kamera ausgestatteter Werbescreen an einem Bahnhof maß Körpernähe und Aktivität vorübergehender Passanten mittels KI. Je unruhiger und hektischer die Umgebung war, desto ängstlicher wurde das auf dem Screen gezeigte Kind. Werbung mit Aha-Effekt: Über einen QR-Code konnten weitere Informationen abgerufen werden.
Jaroona ist nicht nur – wie Star-Wars-Fans wissen – der zweite Planet des Eriadu-Systems, sondern auch ein Wiener Start-up. Mit JEAS (Jaroona Enterprise Application Security) widmet es sich der Cybersicherheit bei der Programmierung von Applikationen. Mittels Machine und Deep Learning werden unter anderem weltweit Informationen aus Datenbanken über bekannte Schwachstellen analysiert. Die Software scannt den Quellcode des Entwicklers, kann so auf Anfälligkeiten hinweisen und liefert auch noch Lösungsvorschläge zu ihrer Behebung mit. „Denn je später im Prozess die Fehler erkannt werden, desto teurer wird die Korrektur für das Unternehmen – von den Folgekosten eines erfolgreichen Angriffs ganz abgesehen“, zitiert das IT-Newsportal der brutkasten den CEO Christian Bacher.
Momentan dreht sich alles um ChatGTP. Für die Zeit davor gibt eine Einführung einen ersten Überblick über den Stand der Technologien, die Fortsetzungen skizzieren praktische Einsatzgebiete für KI, insbesondere in der Industrie. Für den Lebenslauf könnten die Ratgeber zur KI-Studienstrategie bzw. zum KI-Studium (auch in Kombination mit Robotik) sowie zum Berufsbild Machine Learning Engineer und zum KI-Manager nützlich sein – aber auch die Übersicht zu den Jobs, die KI wohl ersetzen wird.
Extrabeiträge untersuchen, wie erfolgreich Computer Computer hacken, ob und wann Vorbehalte gegen KI begründet sind und warum deshalb die Erklärbarkeit der Ergebnisse (Stichwort: Explainable AI bzw. Erklärbare KI) so wichtig ist. Hierher gehört außerdem der Seitenblick auf Maschinenethik und Münchhausen-Maschinen. Als weitere Aspekte beleuchten wir das Verhältnis von KI und Vorratsdatenspeicherung sowie die Rolle von KI in der IT-Sicherheit (KI-Security), fragen nach, wie Versicherungen mit künstlicher Intelligenz funktionieren, hören uns bei den Münchner KI-Start-ups um und sehen nach, was das AIR-Projekt in Regensburg vorhat. Ein Abstecher führt außerdem zu KI-Unternehmen in Österreich.
Auf der rein technischen Seite gibt es Berichte zu den speziellen Anforderungen an AI Storage und Speicherkonzepte bzw. generell an die IT-Infrastruktur für KI-Anwendungen. Außerdem erklären wir, was es mit AIOps auf sich hat, und im Pressezentrum des MittelstandsWiki gibt es außerdem die komplette KI-Strecke aus dem Heise-Sonderheft c’t innovate 2020 als freies PDF zum Download.
Skills mit Gewissen
Der Grazer Software-Entwickler Leftshift One hat ein ganzes Betriebssystem für KI auf die Beine gestellt: das Artificial Intelligence Operating System (AIOS). Es dient als Basis für die Konzeption und Programmierung weiterer KI-Lösungen, unabhängig von der Branche. Der ethische Aspekt der Lösung, der bei KI in Europa eine besonders große Rolle spielt, wird als „internationales Abgrenzungsmerkmal“ besonders hervorgehoben. AIOS sei „Europas erstes KI-System mit Gewissen“, heißt es beim Hersteller. Begründet wird das unter anderem mit modernster Verschlüsselung sowie Algorithmen, die Ethik und Moral sicherstellen sollen. Ziel sei die Entwicklung sicherer, verifizierbarer und erklärbarer KI, die gleichzeitig die Privatsphäre schützt. Gelingt das, wäre es in der Tat ein großer Schritt: KI und Machine Learning können zwar sehr mächtig werden. Warum sie welche Entscheidungen treffen, ist – auch wenn sie richtig sind – für den Menschen bei den meisten Systemen aber nicht mehr oder nur sehr schwer nachvollziehbar. Ein Problem wird das etwa, wenn eine Personalsoftware bestimmte Bewerber aussortiert.
Jüngst hat Leftshift One zudem eine Kooperation mit dem Know-Center an der TU Graz, einer Forschungseinrichtung für AI und Data-driven Business, angekündigt. Spätestens damit soll die Steiermark „zum Zentrum für künstliche Intelligenz“ avancieren. „Das heißt im Kontext der KI konkret: Auf dem von Leftshift One entwickelten Betriebssystem laufen künftig nicht nur die bereits bestehenden hauseigenen Fähigkeiten (Skills), sondern auch komplexe KI-Funktionalitäten des Know-Centers“, berichtet das Start-up. Die Einrichtung soll nur der erste von weiteren zertifizierten Drittanbietern sein, für die das Betriebssystem geöffnet wird. Bereits heute können KI-Services wie Textverständnis, Datenanalyse oder Umwandlung von Sprache in Text freigeschaltet werden. Weitere Skills sollen folgen.
„Die Steiermark avanciert zum Zentrum für künstliche Intelligenz“, verkündeten Leftshift One und das Know-Center der TU Graz im Sommer 2020. Stefanie Lindstaedt, CEO des Forschungszentrums (links im Bild) nannte die Kooperation mit den AIOS-Erfindern eine „klassische Win-Win-Situation“. (Bild: Luef – Leftshift One)
Noch einmal zurück zu KI im Jobkontext: Dass nicht alles erlaubt ist, was gefällt, erfuhr u.a. der Arbeitsmarktservice (AMS). Er musste seinen Testbetrieb eines algorithmischen Systems zur Kategorisierung von Jobsuchenden wegen verschiedener Bedenken einstellen, berichtet netzpolitik.org. Der Algorithmus teilt Menschen auf Basis von Daten wie Ausbildung, Alter und Geschlecht in drei Kategorien ein. Wer in die unterste Kategorie fällt, sollte keinen Zugang zu teuren Fortbildungen mehr erhalten – das hat, wie zu erwarten war, zu heftiger Kritik geführt. Wie bei vielen KI-Lösungen im Personalbereich war das System eigentlich lediglich dazu gedacht, die Sachbearbeiter bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen. Die Frage ist dabei jedoch immer, ob sie sich im Zweifelsfall dem KI-Urteil widersetzen würden. Kritiker fürchteten eine weitere Diskriminierung von Menschen mit geringen Jobchancen.
Bevor das System nun am 1. Jänner 2021 wie geplant in den Regelbetrieb gehen konnte, zog die österreichische Datenschutzbehörde die Reißleine. Nicht nur, dass die Einwilligung der Betroffenen für die Auswertung fehle. Diese hätten auch keine Möglichkeit zum Einspruch gegen die Urteile der Maschine. Wie Futurezone.at berichtet, geht der AMS nun rechtlich gegen die Entscheidung der Datenschutzbehörde vor.
Innovationstreiber und Wachstumsfaktor
Zögerlichkeit überwinden, Unklarheiten beseitigen und Initiativen bündeln – das sind einer Accenture-Studie aus dem Jahr 2019 zufolge drei besonders dringende Herausforderungen, denen sich Österreich stellen muss, um eine gute Basis für KI-Innovationen zu schaffen. Die Anstrengungen könnten sich lohnen: Bis 2035 könnte die Wachstumsrate der österreichischen Wirtschaft durch den Einsatz künstlicher Intelligenz der Studie zufolge auf 3 %ansteigen. Bliebe es bei dem bisherigen technologischen Niveau, würde die Bruttowertschöpfung nur um 1,4 % pro Jahr wachsen. Es gibt also viel zu gewinnen, aber auch zu verlieren.
David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.