Mit 40 noch einmal durchstarten
Von Friedrich List
Allerorts werden IT-Fachkräfte händeringend gesucht. Laut dem letzten DEKRA-Arbeitsmarktreport entfällt das zweithöchste Stellenangebot auf IT-Berufe. Etwa 30 % aller Jobangebote richten sich an Software-Entwickler, und auch die Nachfrage nach Wirtschaftsinformatikern hat angezogen – für jede zehnte Stelle brauchen Bewerber gleichermaßen IT- wie Wirtschaftskompetenzen. Unter diesen Vorzeichen mag so mancher altgediente IT-Experte überlegen, ob er sich nicht beruflich verbessern könnte, vor allem wenn er in der eigenen Firma keine echten Aufstiegschancen sieht.
Die IT-Branche gilt zwar nach wie vor als sicherer Arbeitgeber. Doch wer in der Karrieremitte aufsteigen will, muss feststellen, dass Jobs in den höheren Etagen rar und begehrt sind. Unternehmen werden verkauft, umstrukturiert, ganze Abteilungen plötzlich abgewickelt. Vertraute Vorgesetzte wechseln häufiger als früher, weil auch im gehobenen Management immer mehr Zeitverträge abgeschlossen werden. Und wer zwischen vierzig und fünfzig seinen Job verliert, muss damit rechnen, dass sein Know-how inzwischen nicht mehr gefragt ist.
Wer stillsteht, fällt zurück
Um noch einmal durchzustarten, sollte man sich nicht unbedingt auf die eigene Firma verlassen. Nicht alle Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Jobkonditionen wie etwa der Elektronikkonzern Philips. Der Branchenriese sieht auch bei langjährigen Mitarbeitern noch Potenzial für neue Aufgaben und ermöglicht es ihnen, sich weiter zu qualifizieren. Doch damit bildet Philips eher die Ausnahme. In vielen Firmen gibt es zwar Mentorenprogramme, doch im Alltagsgeschäft gehen sie oft unter. Am anderen Ende des Spektrums stehen Unternehmen, die jedes Jahr kräftig aussieben.
Deshalb ist es auch in der IT-Welt unverzichtbar, Netzwerke und individuelle Fähigkeiten auszubauen. So bietet zum Beispiel die IT-Sicherheit ein rasch expandierendes Arbeitsfeld, und wer im SAP-Bereich Kompetenz aufweist, hat auf jeden Fall gute Karten. Doch nicht nur im eigenen Fachgebiet sollte man auf dem Laufenden bleiben, denn Kenntnisse im Ingenieurswesen und in der Produktionstechnik sind für Jobs in der Industrie 4.0 von entscheidendem Vorteil.
Mut zum Branchenwechsel
Der Megatrend Industrie 4.0 sorgt dafür, dass gerade auch in Wirtschaftssparten, die bislang mit Informationstechnologie eher wenig zu schaffen hatten, zunehmend IT-Spezialisten gefragt sind. „Entwicklungen wie Industrie 4.0 werden die Arbeitswelt in einem Maße und einer Geschwindigkeit stärker verändern, als es sich viele heute vorstellen können“, prophezeit Jörg Mannsperger, Geschäftsführer der DEKRA-Akademie. „Dabei ist eines sicher: Der Wandel wird Fachkräfte quer durch alle Hierarchie- und Qualifikationsebenen treffen.“
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilagenreihe „IT und Karriere“. Einen Überblick mit Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Die Digitalisierung der Industrie erzeugt u.a. einen hohen Bedarf an Sicherheitsspezialisten und schon heute ist klar, dass es für die Auswertung der gigantischen Datenmengen von Anlagen und Sensoren keinesfalls genügend talentierte Statistiker geben wird. Zum anderen bedeutet Industrie 4.0, dass das Zeitfenster für den Um- und Einstieg jetzt geöffnet ist – noch bevor neue Ausbildungsberufe und Studiengänge greifen, wie sie zuletzt der Mittelstandsbeirat am BMWi gefordert hat. Sobald die ersten Fach- und Industrieinformatiker auf dem Markt sind, werden die Human Resources der Fertigung sich zuerst aus diesem Pool bedienen.
Ambitionierte Spezialisten, die ihre berufliche Erfüllung nicht unbedingt in den gewohnten Abläufen der eigenen Softwareschmiede sehen, sollten sich also ruhig einmal in Nachbars Garten umsehen. Manche Unternehmen aus anderen Wirtschaftsbereichen können mit durchaus attraktiven Angeboten aufwarten, wie etwa geregelten Arbeitszeiten, einem familienfreundlichen Betriebsklima, mehr Urlaubsgeld, vielfältigen Einsatzgebieten oder einfach einer sympathischen Unternehmenskultur.
Fit bleiben lohnt sich
Bietet das eigene Unternehmen Fortbildungsprogramme an, darf man das nicht ignorieren. Ebenso wichtig ist es, den Arbeitsmarkt und seine Anforderungen im Auge zu behalten. „Man sollte sich auch im Laufe einer Anstellung am Markt orientieren, sich die Frage stellen: Was wären meine Fähigkeiten auf dem Arbeitsmarkt wert“, sagt der Karriereberater und Buchautor Christoph Burger.
Ausgerechnet Fremdsprachenkenntnisse können da zum Stolperstein werden. Burger stellt bei seinen Klienten nicht selten Schulungsbedarf im Englischen fest, obwohl verhandlungssicheres Englisch eigentlich unverzichtbar ist. Viele lassen ihre Kenntnisse verkümmern oder verwenden die Sprache nur im Rahmen ihres Fachgebietes. Nicht zuletzt nennt Burger neben der notwendigen geistigen Beweglichkeit auch die körperliche Fitness als einen häufig unterschätzten Erfolgsfaktor: „Das Thema wird oft nicht angesprochen, aber es ist natürlich Realität – wie jemand im Bewerbungsgespräch auftritt.“
Freelancer rollen den Markt auf
Steht der bisherige Job auf der Kippe, dann hilft nur eine nüchterne Standortbestimmung. Selbst für besonders erfolgreiche Menschen kann es da schwierig werden. Es ist beileibe nicht sicher, dass man kurzfristig eine vergleichbare oder sogar besser bezahlte Stelle bekommt. Nicht selten steht eine längere Jobsuche an.
Eine Alternative bietet die Selbständigkeit. Rund 80.000 Freelancer gibt es in Deutschland, und viele haben gut zu tun: Das Vermittlerportal für IT- und Engineering-Freiberufler Gulp verzeichnete 93.490 Projektanfragen im ersten Halbjahr 2015 – das beste Ergebnis seit 1996. Auch die Stundensätze stiegen leicht an: von 77 auf 79 Euro, wobei Freelancer mit SAP-Kenntnissen derzeit bei etwa 90 Euro liegen.
Fazit: Jobkrise? Ohne mich!
Der schnelle Wandel im IT-Berufsfeld hält für Aufsteiger und Umsteiger gleichermaßen Chancen bereit, birgt aber auch Risiken. Wer sich nicht hinterm Schreibtisch versteckt, sich überlegt weiterbildet und vor allem für neue Beschäftigungsformen offen ist, kennt keine Krise im Lebenslauf und behält die Hoheit über seine weitere Karriere.
Friedrich List ist Journalist und Buchautor in Hamburg. Seit Anfang des Jahrhunderts schreibt er über Themen aus Computerwelt und IT, aber auch aus Forschung, Fliegerei und Raumfahrt, u.a. für Heise-Print- und Online-Publikationen. Für ihn ist SEO genauso interessant wie Alexander Gersts nächster Flug zur Internationalen Raumstation. Außerdem erzählt er auch gerne Geschichten aus seiner Heimatstadt.