Kundenbedürfnisse

Wünsche werden wahr

Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group

Als der Mobilfunk Anfang der 1990er-Jahre kurze Textnachrichten übers Handy möglich machte, schien das den Entwicklern nicht der Rede wert. Offenbar bediente die SMS-Lösung jedoch ein unerwartet starkes Kundenbedürfnis: Ein Jahrzehnt später gingen pro Jahr bereits Kurzmitteilungen in dreistelligen Milliardenzahlen durchs Netz.

Zwar ist das Potenzial nicht immer so gigantisch, doch wer weiß, was Kunden wünschen, hat stets die Nase vorn. Eine realistische Analyse der Kundenbedürfnisse gehört daher zum Pflichtprogramm beim Product Launch – aber auch für Produkte, die bereits auf dem Markt sind, lässt sich der Marketing-Mix meist noch optimieren.

Kundenbedürfnisse bilden die Grundlage für die Kundenorientierung jedes mittelständischen Unternehmens. Ihre Identifikation, korrekte Beschreibung und richtige Interpretation spielt eine entscheidende Rolle. Kundenbedürfnisse und Produktnutzen schaffen die Grundlage für die Erstellung von verkaufsfördernden Unterlagen (VKF) und die Vertriebsargumentation. Entscheidend sind sie nicht zuletzt auch für die Neukundengewinnung.

Anforderungen im Marketing-Mix

Wenn man in Zusammenhang mit einem Produkt von Kundenbedürfnissen spricht, so denkt man meist an Anforderungen, die die physikalische Gestaltung des Produktes und den Produktnutzen betreffen. Vernachlässigt wird dabei häufig die Tatsache, dass Kundenbedürfnisse sich nicht nur auf das Produkt selbst beziehen, sondern auf alle Marketing-Mix-Faktoren – also auf Produkt, Preis, Distribution einschließlich Service und Kommunikation – und den gesamten Nutzungsprozess bzw. die gesamte Nutzungsdauer eines Produktes einschließen.

Die Betrachtung aller Marketing-Mix-Faktoren ist umso wichtiger, je später man beginnt, sich mit dem Thema Kundenorientierung zu beschäftigen; in der Praxis ist das Produkt zu diesem Zeitpunkt in vielen Fällen bereits auf dem Markt, so dass Änderungen meist schwierig und sehr teuer sind. Eine Anpassung der übrigen Marketing-Mix-Faktoren ist da oft einfacher.

Ein Beispiel soll verdeutlichen, welche Bedeutung die Betrachtung des gesamten Nutzungsprozesses eines Produktes hat.

Musterfragebogen: Das Muster­beispiel eines Frage­bogens zur Kunden­zufrieden­heit zeigt, wie knap­pe und ver­ständ­liche Vor­gaben am besten zum Ziel führen.

Bedürfnisse erkennen und einstufen

Kundenbedürfnisse werden häufig mit der Beschreibung von Lösungen verwechselt. Fragt man einen Kunden z.B. nach seinen Anforderungen an einen Farbfernseher, so bekommt man oft zu hören: „70  cm Bildschirmdiagonale“, „Trinitron-Bildröhre“ oder „Plasmabildschirm“. Bildröhre, Display oder Diagonale sind jedoch keine Kundenbedürfnisse, sondern beschreiben bekannte technische Lösungen. Die tatsächlichen Bedürfnisse verbergen sich hinter den Aussagen – sie lauten hier also eher: „scharfe Bildwiedergabe“, „Details gut zu erkennen“, „großes Bild“, „Bildschirm kann wie ein Bild an der Wand aufgehängt werden“ oder „angenehm für die Augen“.

Es ist wichtig, dass man die tatsächlichen Kundenbedürfnisse erfasst, statt bereits bestehende Lösungen – nur so bleibt der Blick offen für neue Ideen zur Gestaltung von Produkten oder des gesamten Marketing-Mix. Bestimmte Bedürfnisgruppen können dabei leichter geäußert werden als andere, da sie bewusst, bekannt oder selbstverständlich sind. Solche Bedürfnisse werden daher auch viel häufiger explizit als andere, weniger offensichtliche, aber vielleicht genauso wichtige. Die folgende Einteilung, die von der bekannten Bedürfnishierarchie von Maslow abweicht, hat sich in der Praxis bewährt:

  • Basisbedürfnisse sind Bedürfnisse, die ein Kunde als selbstverständlich voraussetzt. Von einem Taschenrechner z.B. wird in jedem Fall erwartet, dass er die Grundrechenarten beherrscht und fehlerfrei arbeitet, von einem Fernsehgerät, dass es die Programme der Sender in Bild und Ton wiedergibt. Von einer Fluggesellschaft wird die Erfüllung des Basisbedürfnisses „schneller Transport von A nach B“ erwartet.
  • Beschreibbare Bedürfnisse sind Bedürfnisse, die einfach umschrieben werden können. Sie werden zumindest von einer angebotenen oder bereits beschriebenen Lösung erfüllt. Ein Kunde wünscht sich z.B., dass ein Computermonitor nicht flimmert oder er kennt bereits nicht flimmernde Monitore. Beschreibbare Bedürfnisse gibt es natürlich auch im Bereich der Dienstleistungsprodukte.
  • Unbewusste Bedürfnisse überraschen einen Kunden positiv, wenn sie erfüllt werden. Sie werden von bekannten Lösungen normalerweise nicht erfüllt oder sie werden nicht kommuniziert, sie sind möglicherweise schwierig zu beschreiben oder werden nicht genannt, weil die Erfüllung die Kaufentscheidung nicht signifikant beeinflusst.

Lösungen und Markterfolg

Im Laufe der Zeit verändern Bedürfnisse normalerweise ihre Bedeutung und damit die Gruppe, der sie zugeordnet werden müssen; wenn z.B unbewusste Bedürfnisse von einigen am Markt verfügbaren Lösungen erfüllt werden, werden sie bald von einer immer größeren Zahl von Kunden konkret geäußert und beschrieben; dann gehören sie in die Gruppe der beschreibbaren Bedürfnisse. Erfüllen nahezu alle Lösungen ein bestimmtes Bedürfnis ständig, so gehört dieses Bedürfnis schließlich zur Gruppe der Basisbedürfnisse. Gerade aus der Unterhaltungselektronik kennt man viele Beispiele hierzu. Farbfähigkeit und flache Bildschirme sind für Fernsehgeräte heute schon Basisbedürfnisse geworden. Auch die Miniaturisierung von Mobiltelefonen und Digitalkameras belegt eine solche Veränderung durch technologische Entwicklung und Verbreitung.

In der Praxis ist es jedenfalls wichtig, dass man alle drei Gruppen von Bedürfnissen erfasst. Ihre Bedeutung lässt sich in folgende Regeln fassen:

  • Ein Produkt wird dann am Markt nicht erfolgreich sein, wenn es die Basisbedürfnisse nicht vollständig erfüllt.
  • Durch die Erfüllung der beschreibbaren Bedürfnisse wird in der Regel eine ausreichende Wettbewerbsfähigkeit sichergestellt.
  • Die unbewussten Bedürfnisse bieten Chancen, sich positiv vom Wettbewerb zu differenzieren und neue Kunden zu gewinnen.

Fazit: Zielgruppen ausforschen

Zur Analyse und Nutzung von Kundenbedürfnissen braucht man in vielen Fällen eine Zielgruppensegmentierung und eine Zielgruppenanalyse; nur im Großkunden- und Projektgeschäft ist es oft erforderlich, sich mit den individuellen Kunden zu beschäftigen. Die Ermittelung von Kundenbedürfnissen kann neben der Auswertung von Sekundärmaterial (Studien, Veröffentlichungen, Berichten von Verbänden) aus Kundenbefragungen, Focus-Gruppen oder Face-to-Face-Interviews gewonnen werden.

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