Was vor der letzten Meile liegt
Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
Deutschland braucht Innovationskraft. Ein schneller Breitbandzugang ist dafür heute eine notwendige Voraussetzung. Die Entkoppelung von Zugangsnetz und Diensten fördert den Wettbewerb und verhindert die Wiederholung der Fehler bei der Privatisierung der Deutschen Telekom.
Das Transportnetz sollte ein öffentliches oder zumindest leicht zugängliches Gut sein. Der MVNO könnte sich als Modell leichter durchsetzen, Unternehmen und Privatkunden würden von innovativen Diensten profitieren.
Klassische Privatisierungsfehler
Bei der Privatisierung der Deutschen Telekom wurden alle mit der Telekommunikation zusammenhängenden Güter und Kundenbeziehungen in die neue AG übertragen; nur Post und Postbank wurden herausgelöst. Die Kabelverteilnetze zur Rundfunk- und Fernsehübertragung in die Haushalte wurden in der Folge aufgrund der Forderung der damaligen Regulierungsbehörde verkauft.
Das Ergebnis: Heute verfügt die Deutsche Telekom AG mit einem Marktanteil von ca. 97 % bei den Teilnehmeranschlussleitungen (TAL) über eine marktbeherrschende Stellung. Außerdem gehören alle Übertragungs- und Vermittlungseinrichtungen zum Anlagevermögen hinzu. Nicht zuletzt verfügt die Deutsche Telekom über alle Einrichtungen zur Erzeugung, Administration und Abrechnung von Telekommunikationsdiensten. Auch der Vertrieb und die Kundenbetreuung sind integrale Aufgaben der Deutschen Telekom. Mit anderen Worten: Die komplette vertikale Wertschöpfung befindet sich in einer Hand.
Dies ist einer der Gründe, warum der Wettbewerb im Breitbandmarkt in Deutschland nur bei der Vermarktung stattfindet. Bis auf wenige Anbieter mit eigener Infrastruktur tritt die überwiegende Mehrzahl der Anbieter als Reseller des Telekom-Angebots auf. Zu den bekannteren Vertretern dieser Reseller-Gruppe gehören 1&1 und freenet.
In der Vergangenheit haben viele Unternehmen aus dem Kreis der Telekommunikationsanbieter versucht, z.B. auf dem Wege des Line Sharing eigene Dienste zu gestalten und über das Netz der Deutschen Telekom an den Kunden zu bringen. Diese Versuche sind letztlich alle mehr oder weniger gescheitert: in der Umsetzung aufwändig und unwirtschaftlich.
DSL als Breitbandzugang zum Internet ist in Deutschland zwar erfolgreicher als in anderen Ländern, aber alternative Zugänge, insbesondere per Kabelmodem über die Kabelverteilnetze, wie man sich in anderen Ländern häufig antrifft, spielen in Deutschland kaum eine Rolle. Da ein Wettbewerb auf der Infrastrukturebene in aller Regel auch den Wettbewerb auf der Diensteebene stimuliert, ist es eigentlich kein Wunder, dass Deutschland bei Penetration und Nutzung im Breitbandbereich international gesehen fast noch ein Entwicklungsland ist: Nur Polen und Zypern haben in Europa weniger Wettbewerb im Infrastrukturbereich als Deutschland.
Geschäftsmodelle trennen
Wenn man über Trennungen in der vertikalen Wertschöpfungskette nachdenkt, ist es sinnvoll, die Abschreibungsdauern bzw. die Zyklen der Reinvestition heranzuziehen. Dabei ergeben sich drei sehr deutlich unterscheidbare Ebenen:
- Leitungs- und Anschlussnetz: 30 bis 40 Jahre
- Vermittlungs- und Übertragungstechnik: 10 bis 15 Jahre
- Diensteentwicklung: 2 bis 5 Jahre
Die Realisierung aller drei Ebenen innerhalb eines Unternehmens hat Konsequenzen für die Gestaltung des Geschäftes. Die erforderliche Schnelligkeit in der Entwicklung und Umsetzung neuer Dienste leidet genauso wie die Schaffung von Diensten für Nischenmärkte. Da Reseller häufig nur die Möglichkeit eines veränderten Brandings oder einer eigenen Preisgestaltung haben, aber ansonsten auf die „fertigen“ Dienste der Netzbetreiber angewiesen sind, ändert sich durch sie wenig.
Dabei ist die vertikale Integration aller Funktionen in einem Unternehmen keineswegs zwingend erforderlich. Auch ein Logistikunternehmen baut ja weder eigene Straßen noch Lkws, um seine Dienstleistung zu erbringen. Bei einer strikten Trennung der Wertschöpfungsebenen kann die Zusammenarbeit auf der Basis von vereinbarten Service Levels und Großkundenkonditionen erfolgen; jeder Bereich kann seine Organisation und die Prozesse optimal ausrichten. Da das Netzunternehmen im Sinne einer optimalen Auslastung nach möglichst vielen Kunden im Bereich der Übertragungs- und Vermittlungsdienstleistung suchen wird, kann ein gesunder Wettbewerb auf der Basis gleicher Ausgangsbedingungen entstehen. Dies gilt in gleichem Maße bei der Geschäftsbeziehung zwischen der Übertragungs- und der Diensteebene. Insbesondere wird das heutige Dilemma aufgelöst, das die Gestaltungsmöglichkeit der Diensteanbieter so stark einschränkt.
Bei einer Vermeidung einer marktbeherrschenden Position einzelner Anbieter wäre es unter Wettbewerbsgesichtspunkten kaum schädlich, wenn einige Unternehmen Wertschöpfungselemente aus den anderen Ebenen mit erbringen. Für den MVNO (Mobile Virtual Network Operator) kann es sogar zwingend notwendig sein, neben der Infrastruktur für die Dienste auch Vermittlungs- und Übertragungstechnik selber zu betreiben, um auf diesem Wege unterschiedliche Access-Netze anzubinden.
Kupfer und die Kosten
Beim heute in Deutschland überwiegend genutzten Zugangsnetz auf der Basis von Kupferleitungen wird die Wertschöpfungskette bei den Anbietern weitgehend geschlossen gehalten. Selbst auf der Vertriebsebene sind Wiederverkäufer eher ungern gesehene oder gar ungeliebte Geschäftspartner, wie das teilweise gespaltene Verhältnis der Mobilfunknetzbetreiber und der Service Provider zeigt.
Nun sind in diesem Segment bereits Fakten geschaffen. Die damaligen Entscheidungen zur Privatisierung sind ohne Verhandlungen über Entschädigungen und Wertausgleich nicht mehr rückgängig zu machen. Eine solche Diskussion würde jedoch vermutlich volkswirtschaftlich mehr Schaden als Nutzen stiften. Am Status quo ist bei den bestehenden Netzen also wohl kaum etwas Grundlegendes zu ändern. Hier bleibt es Aufgabe der Bundesnetzagentur, dafür zu sorgen, dass alle Marktteilnehmer faire Chancen zur Umsetzung ihres Geschäftsmodells haben. In diesem Fall handelt es sich um den Zugang zu den Schnittstellen im Netz und um die Kosten für Vorprodukte und Netzzusammenschaltung. Diese Betrachtung gilt in gleichem Maße für die Teilnehmeranschlussnetze wie für die Kabelverteilnetze.
Die in den vergangenen Jahren auf Zulassung als Carrier geführten Rechtsstreitigkeiten belegen die nicht zufrieden stellende Situation genauso wie die Auseinandersetzung über Preise für Vorprodukte und für ein Line Sharing auf der Anschlussleitung. Da die Marktanteile bei Teilnehmeranschlussleitungen bis auf weiteres sehr ungleich verteilt sind, wird auch die Regulierung noch für längere Zeit benötigt.
Im Mobilfunk ist die Wettbewerbssituation zwar grundsätzlich ausgeglichener als im Festnetz. Aber auch hier ist die vertikale Integration über alle Wertschöpfungsstufen die Regel und ein Aufbrechen erst in Ansätzen und offensichtlich eher widerwillig zu erkennen. Auch hier ist ein Herauslösen der Wertschöpfungsstufe des Anschlussnetzes bei bestehenden Funknetzen kaum vorstellbar.
Alternative Zugangstechnologien
Bei alternativen Zugangstechniken wie z.B. breitbandigen Funknetzen ist es eher wahrscheinlich, dass sich spezialisierte Betreiber von Anschlussnetzen herausbilden, die die „letzte Meile“ anderen Telco-Anbietern wie Stadtnetzbetreibern oder Internet Service Providern anbieten, die dann das eigentliche Kundenprodukt entwickeln und vermarkten. Hierbei ist auch zu erwarten, dass ein Access-Netzbetreiber mehrere Telekommunikationsanbieter bedient, die im Wettbewerb miteinander stehen. Da der Kunde sich letztlich für den angebotenen Dienst entscheidet, stellt das verwendete Anschlussnetz hierbei keine entscheidende Rolle. Einige Interessenten für WiMAX-Lizenzen verfolgen ähnliche Modelle.
Auch im Internet-Bereich ist eine ähnliche Art der Zusammenarbeit üblich, allerdings nicht auf der Seite der Anbindung des Kunden (dies erfolgt in der weit überwiegenden Zahl über die Teilnehmeranschlussleitung der Deutschen Telekom) sondern bei der Anbindung der Server der Internet Service Provider (ISP) an das nationale und internationale Backbone-Netz.
Wenn jetzt über die nächste Generation von Breitbandzugängen diskutiert wird, so ist die heutige Kupferdoppelader für die Umsetzung nicht mehr ausreichend und kann bei den in Betracht kommenden Bandbreiten von 100 MBit/s und mehr nicht mehr mithalten. Für den Aufbau eines solchen Netzes sind also Baumaßnahmen und die Verlegung einer neuen Infrastruktur auf der Basis von Glasfaserleitungen erforderlich.
Hier kann nun kein Unternehmen einen Bestandsschutz beanspruchen, der bei einer Herauslösung des Anschlussnetzes aus einem heutigen Unternehmen gegeben wäre. Volkswirtschaftlich unsinnig wäre sicher die Verlegung von mehreren Glasfaseranschlussnetzen parallel zueinander oder zeitlich nacheinander. Auch bei der leider etwas verunglückten Ausschreibung der Lizenzen zum Betrieb von Breitbandfunknetzen nach dem WiMAX-Standard wurde eine ähnliche Vorgehensweise gewählt, wie sie im Bereich der Funknetze durchaus gebräuchlich ist. Daher spricht auch nichts dagegen, für das Breitbandzugangsnetz der Zukunft nach diesem bekannten Schema zu verfahren.
Es ist aber auf jeden Fall vor Beginn der Baumaßnahmen zu entscheiden, ob die Wertschöpfungsketten an diesem Punkt aufgebrochen werden sollen. Hierfür wäre in der Ausschreibung festzulegen, dass die zukünftigen Betreiber des Anschlussnetzes vom Betrieb eigener Vermittlungseinrichtungen und von der Vermarktung an Endverbraucher ausgeschlossen sind. Natürlich muss es nicht nur ein Unternehmen geben, das das Anschlussnetz baut und betreibt. Genau wie bei Funkfrequenzen, die auch nicht in unbegrenzter Zahl zur Verfügung stehen, könnte der Anschlussnetzbetreiber nach einer Ausschreibung durch die Bundesnetzagentur die Lizenz für den Netzbetrieb bekommen. Wenn dies gleichzeitig mit Auflagen und Meilensteinen zum Ausbaugrad verbunden ist, könnte die spätere Verfügbarkeit abgesichert werden.
Die Vergabe einer langfristigen Lizenz zum Betrieb eines Breitbandzugangsnetzes zum Verbraucher gewährt dem potenziellen Betreiber eine Absicherung seiner nicht unerheblichen Investitionen. Wie sich schon bei anderen Vorhaben gezeigt hat, brauchen Investoren Planungssicherheit, damit sie in derartige Projekte einsteigen. Dies gilt natürlich ganz besonders in diesem Fall, bei dem die Payback-Zeiten vergleichbar mit dem Immobiliengeschäft anzusetzen sind.
Investoren mit Geduld
Die langen Amortisationszeiten für ein neues Breitbandzugangsnetz mit Glasfaserleitungen schränken den Kreis der möglichen Investoren ein. Grundsätzlich wäre es überlegenswert und volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn dieses Zugangsnetz der Zukunft genau wie das Straßennetz von öffentlichen Organen errichtet und betrieben wird. Allerdings: Die Finanzlage der öffentlichen Hand spricht gegen diesen nahe liegenden Weg, und es wäre auch nicht sinnvoll, diese Investitionen in die Zukunft zu verschieben, während andere Länder bereits mit dem Netzaufbau beginnen.
Damit ist es erforderlich nach anderen Investoren zu suchen. Dies können einerseits Telekommunikationsunternehmen sein, wie z.B. Betreiber von heutigen Backbone-Netzen, die auch heute schon ihr Geschäft als „Carrier’s Carrier“ oder im Großkundensegment betreiben. Andererseits könnten hier Investoren einsteigen, die heute Immobilienvorhaben oder Industrieinfrastrukturen mit ähnlich hohen Investitionsvolumina und Laufzeiten finanzieren. Damit können ganz neue Anbieter entstehen und die in Deutschland schwache Wettbewerbsstruktur im Infrastrukturbereich beleben. Insbesondere könnte eine solche Vorgehensweise den Aufbau eines Glasfaserzugangsnetzes beschleunigen und gleichzeitig neue Geschäftsmöglichkeiten für Dienstebetreiber und -anbieter schaffen.
Es besteht durchaus eine reale Chance, dass sich Investoren für Großvorhaben wie den Aufbau und Betrieb von Glasfaseranschlussnetzen finden. Voraussetzung hierfür ist allerdings die bereits geforderte Schaffung von Planungssicherheit und Investitionsschutz, z.B. in Form von entsprechend lang laufenden Lizenzen.
Trennung nach Wertschöpfungsstufen
Die Abtrennung der Wertschöpfungsstufe Anschlussnetz von den anderen Wertschöpfungsstufen der Übertragung und der Dienste löst die heute bestehenden Barrieren bei der Ausbildung von stärkerem Wettbewerb mit innovativen Diensten auf. Die Anbieter können sich bei der Leistungserbringung auf ihre jeweiligen Schwerpunkte konzentrieren und die Geschäftsprozesse hierauf auslegen.
Bei gleichen Einkaufsbedingungen können in einem solchen Szenario Investitionen in die Entwicklung und Vermarktung neuer Dienste einfacher erfolgen, als dies heute der Fall ist. Da die Anbieter von Diensten zwar nach wie vor mit Wettbewerb durch andere Dienstebetreiber rechnen müssen, ist dieses Geschäft, wie jedes andere auch, einem unternehmerischen Risiko unterworfen. Aber es ist in diesem Szenario nicht zu befürchten, dass ein großer Netzbetreiber, der alle Wertschöpfungsstufen selber kontrolliert, einem Dienstebetreiber die Geschäftsgrundlage entziehen bzw. den Markteintritt erschweren kann. Dies ist derzeit umso wahrscheinlicher, je eher es einem Anbieter gelingt, ein zunächst für eine Marktnische ausgelegten Dienst erfolgreich auszuweiten. Steigender Wettbewerb muss dabei nicht unbedingt in einen Preiskampf und einen Verdrängungswettbewerb münden. Auf jeden Fall stimuliert steigender Wettbewerb das Angebot innovativer Dienste und die Nutzungsrate bei den Kunden.
Mit höherer Planungssicherheit für alle Geschäftsteilnehmer ist die Voraussetzung geschaffen, dass mehr Kapital bereitgestellt wird und unterschiedliche Geschäftsmodelle umgesetzt werden. Der steigende Wettbewerb wird zu einer Belebung der Nutzung und einer schneller steigenden Marktdurchdringung führen.
Fazit: Rasche Entscheidung tut not
Allerdings müsste die Entscheidung für ein solches Vorgehen und die Einleitung eines Lizenzvergabeverfahrens bald erfolgen. Erste Unternehmen starten bereits mit der Planung von eigenen Glasfaseranschlussnetzen. Wenn man sich zu lange Zeit nimmt, werden Tatsachen geschaffen und die normative Kraft des Faktischen wird dafür sorgen, dass alles beim Status quo bleibt. Ohne eine schnelle und eindeutige Entscheidung durch die Politik und die Umsetzung dieser Entscheidung durch die Bundesnetzagentur wird sich allerdings nichts ändern, da die etablierten Netzbetreiber selber kein Interesse an einer Änderung der heutigen Struktur haben.