Logistik 4.0: Wie auto­matisierte Liefer­ketten laufen

Transport und Logistik haben früh damit be­gon­nen, ihre Liefer­ketten zu straf­fen und sich nach digi­talen Pro­zess­vor­teilen um­zu­sehen. Was heute In­dustrie 4.0 heißt, hat seine An­fänge oft ge­nug in hand­festen Ver­lade­vor­gängen oder in der Lager­organisation.

Container auf dem Tracking-Radar

Von Friedrich List

Zur Logistik 4.0 gehört eine breite Palette intelligenter Gerätschaften, die miteinander vernetzt sind – Paletten und Behälter mit RFID-Chips, Warehouse-Management-Systeme oder auch fahrerlose Transportsysteme (FTS). Die Industrie bietet bereits Lösungen an, mit denen sich Betriebshöfe auf der Basis autonomer Fahrzeuge betreiben lassen. In vielen Werkhallen kommunizieren Waren und Behälter miteinander. Den Mitarbeitern helfen Datenbrillen, intelligente Regale oder PDAs dabei, Waren schnell und vor allem sicher im Lager unterzubringen oder für den Transport zum Kunden vorzubereiten.

Pioniere der Digitalisierung

Eine entscheidende Rolle spielt dabei die Sensortechnologie: Sensoren melden den aktuellen Bestand, verfolgen die Position einzelner Stücke und machen auf Fehlbestände aufmerksam, wenn eine bestimmte Grenze unterschritten wird. Durch das Internet der Dinge werden außerdem Daten wie Lichteinfall, Temperaturen, die aktuelle Position in der Lieferroute oder die unmittelbare physische Umgebung übermittelt. Wer Lieferungen überwachen muss, weiß also jederzeit ziemlich präzise, wo diese sich gerade befinden, und kann schnell auf Probleme reagieren. Und im Lager oder auf dem Betriebshof kann ein autonomes Transportfahrzeug sich selbst die beste Route suchen.

Relativ neu in der Logistik ist die Blockchain. Bis vor Kurzem war sie auf den Bereich von Kryptowährungen beschränkt und sorgte dafür, dass etwa das Bitcoin-System funktioniert. Inzwischen findet sie Anwendung auch in der Logistik, weil die Technologie als dezentrale Datenbank dort für lückenlose Nachvollziehbarkeit der Transaktionen sorgen kann.

Allerdings ist die IoT-Readiness in der Logistik noch sehr ungleich verteilt. Es gibt ambitionierte Projekte und Vorreiter wie DHL, aber in vielen anderen Unternehmen scheinen die Verantwortlichen noch unschlüssig. Dem Hermes-Barometer zum Thema „Trends im Supply Chain Management“ zufolge haben erst zwei von zehn deutschen Firmen damit begonnen, ihre Lieferketten auf die Logistik 4.0 umzustellen. 42 % der befragten Unternehmen haben zwar die Notwendigkeit erkennt, aber die Umstellung erfolgreich bewältigt haben erst 8 %.

Dabei scheinen vielen Unternehmen die wirtschaftlichen Vorteile nicht wirklich klar zu sein. So ist die Cloud ein großes Thema, aber bei der Hälfte der Entscheider spielt sie in der Praxis kaum eine Rolle. Außerdem hielten 46 % der Befragten selbstlernende Systeme für sehr wichtig, 43 % waren vom Nutzen mobiler Anwendungen für die Intralogistik und 40 % vom Potenzial der Blockchain überzeugt. In der Tendenz findet sich in größeren Unternehmen, also mit 250 Mitarbeitern und mehr, eher ein Bewusstsein für die Wichtigkeit dieser Technologien. In diesen Unternehmen messen 53 % der Entscheider selbstlernenden Systemen eine große Bedeutung zu, und 47 % sehen in der Blockchain-Technologie ein großes Potenzial etwa zur Prozessoptimierung.

Serie: Cloud Computing für die Logistik
Teil 1 sichtet den Be­darf und be­gleitet den Start des Fraun­hofer-Projekts Logistics Mall. Teil 2 sagt, welche Sicher­heits­fragen im Ver­trag aus­drücklich ge­regelt sein müssen.

Intelligente Transportbörsen

Dabei dürfte die Entwicklung kaum noch aufzuhalten sein. Große Technologiekonzerne, sei es aus der Fahrzeugbranche oder aus der ITK-Industrie, bieten bereits ein breites Spektrum von Lösungen an. Zudem treiben auch in der Logistik junge Start-up-Unternehmen die Entwicklung voran. Eine ganze Reihe von ihnen arbeiten an Transportbörsen, die den Straßengüterverkehr möglichst effizient machen sollen. Nicht nur Unternehmen versprechen sich von diesen Transportbörsen Vorteile, auch die Verkehrspolitik hofft, so das Verkehrsaufkommen auf der Straße senken zu können. Zurzeit fährt zum Beispiel fast ein Drittel aller Lkw leer über Deutschlands Straßen. Cargonexx, ein 2016 gegründetes Hamburger Start-up, nutzt künstliche Intelligenz, um mithilfe der über seine Transportbörse gewonnenen Daten Transportrouten in Echtzeit zu planen. Das Ziel ist, lange Wartezeiten und Leerfahrten nach Möglichkeit zu vermeiden. Die Cargonexx-Plattform hat inzwischen um die 5000 Transportunternehmen als Kunden; zudem konnte das Unternehmen bereits in sechs europäische Länder expandieren.

Der Gründer Rolf Dieter Lafrenz will mit seinem Ansatz die Organisation von Lkw-Frachten deutlich vereinfachen. Denn auch heute ist es noch sehr aufwendig, einen Transport zu organisieren. Ein Auftrag läuft durch viele Hände, wird in verschiedenen IT-Systemen erfasst und bearbeitet, und oft werden Faxe hin- und hergeschickt. Das ist auf der Cargonexx-Plattform anders, nämlich nach dem Prinzip „One-Click-Trucking“, wie Lafrenz es nennt. Nach und nach sollen spezialisierte Algorithmen Prognosen über den möglichen Transportweg und über zueinander passende Teilladungen ermitteln und dann nicht nur alternative Routen und Ladezeiten vorschlagen, sondern auch dabei helfen, geeignete Teillieferungen miteinander zu einer Komplettladung zu kombinieren. Bislang obliegt diese Arbeit allein den Disponenten.

Aber nicht nur bei der Disposition finden sich Flaschenhälse, die für unerwartete Verzögerungen sorgen können. Transportgut wird entlang der Lieferkette immer wieder umgeschlagen – zum Beispiel auf Bahnhöfen, in den entsprechenden Bereichen von See- oder Flughäfen und auf den Betriebshöfen von Speditionen. Dabei kostet das Manövrieren beim Ab- oder Umsetzen von Containern oder der Zusammenstellung von Ladung nicht nur Zeit und Arbeitskraft des Personals. Es ist außerdem unfallträchtig und führt immer wieder zu teuren Schäden und Verzögerungen.

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TradeLens, die Blockchain-Plattform von Maersk und IBM konnte in der Early-Adopter-Phase schon 94 Partner gewinnen, darunter mehr als 20 Häfen. (Bild: The Maersk Group)

Blockchain und Smart Contracts

Die Blockchain-Technologie, die ursprünglich für Finanztransaktionen entwickelt wurde, bietet neue Möglichkeiten, digitale Lieferketten zu knüpfen und zu steuern. Und die Zahl der Unternehmen, die diesen Weg gehen, wächst. So gab der koreanische Technologiekonzern Samsung Mitte April 2018 bekannt, sein globales Transportnetz für Waren und Rohstoffe mit der Blockchain neu strukturieren zu wollen. Wie Samsungs Verantwortlicher für die Blockchain, Song Kwang-woo gegenüber dem Wirtschaftsnachrichtendienst Bloomberg sagte, soll als Erstes die Elektroniksparte auf die Blockchain umgestellt werden. SDS, die Logistiksparte des Unternehmens bewegt 2018 insgesamt 448.000 t Luftfracht und 1 Million 20-Fuß-ISO-Container an Seefracht. Die Verantwortlichen erhoffen sich davon eine Kosteneinsparung von 20 % und eine kürzere Zeitspanne zwischen Vorstellung eines neuen Produkts und dessen Auslieferung.

Auch Maersk, der Weltmarktführer in Sachen Containerlogistik will seine Lieferketten digitalisieren. Dazu will das Unternehmen mit IBM ein Joint Venture bilden, um zusammen mit dem US-Konzern eine digitale Plattform für den globalen Handel und speziell die Seefracht entwickeln. Auch dieses Vorhaben zielt darauf ab, Kosten zu senken und Prozesse zu vereinfachen. Maersk hat vor zwei Jahren untersucht, wie komplex die einzelnen Lieferungen wirklich sind und wie teuer allein die Abwicklung ist. Dabei fanden die Verantwortlichen heraus, dass eine Lieferung von Kühlprodukten aus Ostafrika nach Europa über eine Kette von fast 30 Personen und Organisationen abgewickelt wird. Dabei fallen mehr als 200 unterschiedliche Kommunikationsschritte zwischen allen Beteiligten an, die vielfach noch auf Papier dokumentiert werden. Das zeigt sich in den Kosten: Die erforderlichen Dokumente können bis zu einem Fünftel der Transportkosten ausmachen.

Nun erlaubt es die Blockchain, solche weltweit gespannten Lieferketten mit vielen Partnern zu organisieren. Im Prinzip ist sie ein Peer-to-peer-Netzwerk. Sie funktioniert wie ein gemeinsames Kassenbuch für alle Partner, in dem alle Transaktionen verzeichnet werden. Dabei sind identische Kopien bei allen Partnern des Netzwerks abgelegt. Die Einträge selbst sind nicht veränderbar und erlauben den dazu berechtigten Partnern in Echtzeit Zugriff. Weil alle Beteiligten an einer Transaktion auf demselben Informationsstand sind, gibt es eine einheitliche Version dessen, was alle als korrekt ansehen. Die Blockchain bietet also nicht nur mehr Transparenz. Durch sie lassen sich auch viele Verwaltungsschritte und Übermittler einsparen. So können Frachtbriefe als Smart Contracts über eine Datensammlung in der Blockchain abgebildet werden und müssten nicht mehr in Papierform übermittelt werden.

Auch andere Bereiche der Logistik ziehen nach. Die beiden größten Häfen Europas, Rotterdam und Antwerpen, haben bereits Blockchain-Pilotprojekte aufgelegt, um die Containerlogistik im Hafen selbst zu automatisieren und zu rationalisieren. Bis 2020 will auch Dubai alle Dokumente für den Im- und Export durch Smart Contracts ersetzen. Diese Verträge würden in der Blockchain abgelegt und könnten autonom Routinevorgänge ausführen. So könnte die Software Zahlungen automatisch anweisen, wenn alle Vereinbarungen erfüllt sind – oder eben eine Konventionalstrafe einbehalten, falls die Vereinbarung nicht termingemäß erfüllt wurde.

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