MINT-Berufe: Was Absolventen der MINT-Fächer erwartet

Der Bedarf an gut aus­gebildeten Spe­zialisten aus technischen und natur­wissen­schaftlichen Fach­gebieten ist und bleibt groß. Förder­projekte gibt es genügend. Ob es aller­dings tat­säch­lich einen Fach­kräfte­mangel im MINT-Bereich gibt, darüber gehen die Meinungen aus­einander. Die klare Antwort lautet: Jein.

Fehlanzeige im MINT-Bereich?

Von David Schahinian

Initiativen zur Förderung der Berufe in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik (MINT) gab und gibt es viele. Die Wirtschaft ist auf gut geschulte Fachkräfte angewiesen. Dass ohne IT-Fachleute kaum mehr etwas geht, ist in Zeiten der digitalen Transformation ohnehin klar. 2017 entstehen nach Angaben des Brachenverbandes Bitkom voraussichtlich 21.000 zusätzliche Jobs in diesem Sektor. „Wachstumstreiber sind die Software-Häuser und IT-Dienstleister, die sich am dynamischsten entwickeln und viele neue Jobs schaffen“, sagt Bitkom-Präsident Thorsten Dirks.

Meist taucht in MINT-Berichten aber auch das Wort „Fachkräftemangel“ auf. 51.000 offene Stellen für IT-Experten gab es laut Bitkom Ende 2016, im Vorjahr waren es noch 43.000. Dirks mahnt: „Die schwierige Fachkräftesituation hemmt die Entwicklung der Digitalwirtschaft und gefährdet die digitale Transformation.“ Der Fachkräftebedarf sei zuletzt schneller als die Zahl neuer Informatikstudenten gewachsen. 2015 begannen rund 37.000 Erstsemester ein Informatikstudium, 5 % mehr als im Vorjahr. Der Verband will noch früher ansetzen: bei der Vermittlung von Digital- und Medienkompetenz in Schule, Aus- und Weiterbildung. Informatik solle ab der fünften Klasse zum Pflichtfach werden, Englisch „als Lingua franca der Digitalwirtschaft“ ab der ersten Klasse. Debatten darüber, dass die Digitalisierung an anderer Stelle zu Massenarbeitslosigkeit führen könnte, hält der Bitkom für verfehlt: „Die digitale Transformation schafft weltweit Millionen neuer Jobs.“ Der Prozess müsse aber so gestaltet werden, dass die Arbeitsplätze auch in Deutschland entstehen.

Großer Fachkräftemangel

Der MINT-Herbstreport 2016 des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln verstärkt die Sorgen noch: Insgesamt 400.300 Stellen seien Ende Oktober in den MINT-Berufen zu besetzen gewesen. Gleichzeitig waren bundesweit 197.377 Personen arbeitslos gemeldet, die gerne einem MINT-Erwerbsberuf nachgehen würden. Damit ergebe sich unter Berücksichtigung des qualifikatorischen Mismatches eine über sämtliche 36 MINT-Berufskategorien aggregierte Arbeitskräftelücke von 212.000 – ein neuer Rekord seit Beginn der Aufzeichnungen 2011.

Die Engpässe in diesen Bereichen würden dem Report zufolge noch größer ausfallen, wenn das MINT-Beschäftigungswachstum von ausländischen Arbeitnehmern in den vergangenen Jahren nicht überproportional hoch ausgefallen wäre: „Die Beschäftigungsdynamik ausländischer MINT-Arbeitskräfte lag im Vergleich zu ihren deutschen Pendants in sämtlichen MINT-Berufsaggregaten um ein Vielfaches höher – bei den MINT-Akademikerberufen mehr als dreimal und bei Meistern/Technikern siebenmal so hoch.“ Eine Ausbildung oder ein Studium in diesen Bereichen scheint lohnenswert: Die Arbeitsbedingungen von MINT-Kräften sind generell sehr gut, urteilen die Wissenschaftler vom IW Köln. Lediglich 10,4 % der MINT-Akademiker seien befristet beschäftigt gewesen, bei den sonstigen Akademikern waren es 12,1 %. Sie sind zudem häufiger Vollzeit und in leitender Position tätig. Auch das Gehalt kann sich sehen lassen: Der durchschnittliche Bruttomonatslohn vollzeiterwerbstätiger MINT-Akademiker stieg seit der Jahrtausendwende von 3600 Euro auf 5100 Euro im Jahr 2014.

Oder doch nicht?

In der Statistik der Bundesagentur für Arbeit (BA) liest sich die Situation weniger dramatisch: „Einen generellen Fachkräftemangel in MINT-Berufen gibt es derzeit nicht“, heißt es dort. Von Entwarnung ist man jedoch auch bei der BA weit entfernt. In einzelnen Berufen zeige sich ein Mangel, und: „Bei Fachkräften mit beruflicher Ausbildung könnte sich der Fachkräftemangel zukünftig verstärken und ausweiten.“ Dazu trägt unter anderem bei, dass in den nächsten Jahren zahlreiche Erwerbstätige, die einen MINT-Beruf ausüben, in den Ruhestand gehen. Nach Angaben der BA war 2015 fast jede dritte sozialversicherungspflichtig beschäftigte MINT-Fachkraft 50 Jahre oder älter: „Das weist auf einen hohen Bedarf an qualifizierten Nachwuchskräften hin.“ Zudem geht man auch bei der Arbeitsagentur davon aus, dass dieser durch den technologischen Fortschritt weiter steigen wird.

IT-Karriere-0117.jpg

Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazin­reihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Über­blick mit Down­load-Links zu sämt­lichen Einzel­heften be­kommen Sie online im Presse­zentrum des MittelstandsWiki.

Die Daten der BA sprechen allerdings nicht dafür, dass es derzeit flächendeckend an MINT-Fachkräften fehle. Ihren Zahlen zufolge gibt es deutlich mehr Arbeitslose als gemeldete Stellenangebote in MINT-Berufen. 166.000 Stellenangeboten für MINT-Berufe standen 2015 demnach 343.000 Arbeitslose gegenüber, die einen MINT-Beruf suchten. Die Auswahl der Betriebe sei sogar noch größer: Über die arbeitslosen Fachkräfte hinaus traten etwa 160.000 MINT-Ausbildungs- und 90.000 Studienabsolventen neu in den Arbeitsmarkt ein. Freilich muss dabei berücksichtigt werden, dass der BA nur ein Teil der offenen Stellen gemeldet wird. Ein guter Indikator ist zudem die sogenannte Vakanzzeit – der Zeitraum vom gewünschten Besetzungstermin bis zur Abmeldung eines Stellenangebots bei der BA. Im MINT-Bereich lag er 2015 bei durchschnittlich 101 Tagen und damit zwar 17 % über dem Durchschnitt aller Berufe. Von Engpässen wird aber unter anderem erst ausgegangen, wenn die Quote 40 % übersteigt.

Sonderfall MINT-Berufe

„Berufe im Bereich Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik zählen zumeist zu den hochspezialisierten Einzelberufen, sodass hier immer Engpässe auftreten können, auch wenn eine grobe Betrachtung dieser Berufsfelder auf keinen Engpass hindeutet“, differenziert das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB). Das liege vor allem daran, dass solche Spezialistentätigkeiten eine längere Schulungszeit benötigen und dementsprechend nur von qualifiziertem Personal ausgeführt werden können. Und weiter: „Die Substitutionsmöglichkeit durch anderweitig qualifizierte Personen von Seiten der Betriebe ist in diesem Fall nicht sehr groß.“ Dies führe zu der Wahrnehmung, dass Deutschland auf einen Fachkräftemangel im hochqualifizierten MINT-Bereich zusteuere, da es bereits jetzt Besetzungsprobleme innerhalb dieser Berufsfelder gebe.

Tatsächlich erlebe Deutschland aber neben einem demografischen Wandlungsprozess auch einen starken Trend zur Höherqualifizierung, heißt es bei den Forschern weiter. Dieser wirke im Bereich der akademischen Berufe dem demografischen Wandel entgegen, weil das Neuangebot an Berufen höher qualifiziert sei als die aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Personen. Unter Berücksichtigung zahlreicher weiterer Aspekte kommt das BIBB mit Blick in die Zukunft zu dem Schluss: „Das potentielle Arbeitskräfteangebot für die MINT-Berufe wird auch im Jahre 2035 über dem entsprechenden Bedarf liegen, wenngleich auch nur knapp.“

Verstärkte Förderung

In kaum einem anderen Bereich der Arbeitswelt werden so viele Initiativen angestoßen wie zur Förderung von MINT-Berufen. So werden z.B. über MINTerAKTIV – Mit Erfolg zum MINT-Abschluss in Bayern 14 Projekte mit rund 1,7 Millionen Euro gefördert. Der „nationale Pakt für Frauen“ Komm, mach MINT vernetzt mehr als 220 Partner aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien. Und mit mintzukunftschaffen.de betreiben die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ein bundesweites Netzwerk, das die einzelnen Initiativen von Verbänden und Unternehmen bündeln soll.

Die Wirtschaft versucht daneben, sich über verschiedene Wege neue Potenziale auf dem Arbeitsmarkt zu erschließen. Eines davon sind ausländische Fachkräfte: Bereits seit Ende 2012 erfolge die Fachkräftesicherung durch eine höhere Beschäftigungsdynamik bei ausländischen Arbeitnehmern, heißt es im Herbstreport des IW Köln. Im Zeitraum bis zum 1. Quartal 2016 sei das Beschäftigungswachstum von ausländischen Arbeitnehmern überproportional hoch ausgefallen: „Der Beitrag ausländischer MINT-Arbeitskräfte zur Fachkräftesicherung in Deutschland reicht vom Elektriker bis zum Ingenieur.“

Eine andere, bereits seit längerer Zeit verfolgte Strategie ist es, mehr Frauen für MINT-Berufe zu interessieren – mit gemischten Erfolgen. So stieg die Erwerbstätigkeit von MINT-Akademikerinnen von 2011 bis 2013 von 477.000 auf 548.000. Die der weiblichen MINT-Fachkräfte sank allerdings im selben Zeitraum von 1.064.000 auf 1.018.000: „Der Frauenanteil unter den erwerbstätigen MINT-Fachkräften ging dadurch von 9,2 auf 8,7 % zurück, während er unter MINT-Akademikern von 20,2 auf 21,5 % zunahm.“ Auffällig sei auch, dass der Frauenanteil unter jüngeren erwerbstätigen MINT-Akademikern deutlich höher als unter älteren ist, während er unter den MINT-Fachkräften in jüngeren Kohorten deutlich niedriger als in älteren liegt.

Ulrike Struwe, Leiterin der Geschäftsstelle Nationaler Pakt für Frauen in MINT-Berufen, gibt zu bedenken, dass interessierte Mädchen zu oft Entmutigungserfahrungen machen würden. Dabei sei Deutschland auf das Potenzial gut ausgebildeter Frauen auch in MINT-Fächern „dringend angewiesen“. Auch Prof. Dr. Heike Wiesner, die an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin den Lehrstuhl für Betriebliche Informations- und Kommunikationssysteme innehat, betont, dass laut einer europäischen Studie durch die Beschäftigung von mehr Frauen im IT-Bereich das Bruttoinlandsprodukt für Europa um 9 Milliarden Euro steigen könnte. Derzeit würden aber lediglich 17,8 % der Frauen in Deutschland im IT-Bereich arbeiten – die Quote liegt unter dem EU-Durchschnitt.

Abbruch vermeiden

Ein weiterer Ansatzpunkt ist die Qualifikation und Motivation derjenigen, die eine MINT-Karriere starten wollen. Trotz gestiegener guter Schulabschlüsse wachse die Anzahl der jungen Menschen, die gleich zu Beginn einer Berufsqualifikation in Unternehmen oder Hörsälen mit fehlenden Grundlagenkompetenzen hinsichtlich Sprache und Mathematik zu kämpfen haben, konstatierte die Konrad-Adenauer-Stiftung 2016 in der Studie „Ausbildungsreife und Studierfähigkeit“.

„Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben nur 79 % derjenigen, die 2006 ein Studium aufgenommen haben, auch einen Abschluss erworben“, schrieb die Welt anlässlich der Veröffentlichung der Studie. „Besonders hoch ist die Abbrecherquote in den Fächern Mathematik und den Naturwissenschaften, wo fast jeder Dritte aufgibt.“ In den Ingenieurwissenschaften bleibe immerhin ein Viertel der Studenten auf der Strecke. Für die Wirtschaft, die vor allem über Personalmangel in den MINT-Fächern klage, seien „die hohen Abbruchquoten gerade auf diesen Feldern alarmierend“.

Helfen können Projekte wie MINTroduce an der Universität Duisburg-Essen, das den hohen Abbrecherquoten entgegenwirken will. Das spezielle Trainings- und Betreuungsprogramm soll alle Voraussetzungen für ein zügiges, erfolgreiches Studium schaffen. Angehende Studenten der MINT-Fächer können beispielsweise vor ihrer Einschreibung einen freiwilligen, anonymen Online-Test machen, der Auskunft darüber gibt, in welchen Bereichen sie noch Schwächen aufweisen. Auf dieser Basis werden ihnen nach Angaben der Universität dann individuell Vorkursmodule empfohlen wie zum Beispiel Oberstufen-Mathematik oder Basiswissen der Chemie. Die Fachbereiche arbeiten eng zusammen, sodass auch ein eventueller früher Fachwechsel unproblematisch sein soll.

Mit IT bin ich MINT-Gewinner

Gibt es also einen Fachkräftemangel im MINT-Bereich? Angebot und Nachfrage hängen nicht zuletzt stark von der Branche und der Region ab. Wer sich für eine Karriere in diesen Berufsfeldern interessiert, sollte vorher die zitierten und weitere Quellen zu Rate ziehen, um sich ein realistisches Bild zu verschaffen. IT-Adepten müssen sich hier keine Sorgen machen. Nahezu alle Erhebungen zeigen eine nach wie vor große Nachfrage, die aller Voraussicht nach auch in den kommenden Jahren nicht abebbt. „Der Bedarf an Fachkräften ist derzeit enorm“, schreibt etwa das Statistik-Portal Statista. Derzeit gebe es in der IT weitaus mehr Stellen als Bewerber.

David Schahinian neu.JPG

David Schahinian arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen, Fachverlage, Verbände und Unternehmen. Nach Banklehre und Studium der Germanistik und Anglistik war er zunächst in der Software-Branche und der Medienanalyse tätig. Seit 2010 ist er Freiberufler und schätzt daran besonders, Themen unvoreingenommen, en détail und aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen zu können. Schwerpunkte im IT-Bereich sind Personalthemen und Zukunftstechnologien.

Nützliche Links