Talentscouts im Schullabor
Von Dirk Bongardt
Vom Jugend-forscht-Sieger zum Milliardär, eine solche Karriere hat bislang nur ein einziger Teilnehmer an Deutschlands bekanntestem MINT-Wettbewerb vorzuweisen, Andreas von Bechtolsheim, der unter anderem das heute zu Oracle gehörende Unternehmen Sun Microsystems gründete. Doch Talente, die Kenntnisse auf ihrem Fachgebiet mit Kreativität und Ehrgeiz kombinieren, bringt fast jedes MINT-Projekt zum Vorschein. Unternehmen können hier die Führungsspieler für die Mannschaft der Zukunft rekrutieren – wenn sie genau hinsehen.
Das Akronym MINT steht für die Disziplinen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. Fachkräfte auf diesen Gebieten sind rar, und viele verlassen Deutschland nach ihrem Studium, um internationale Erfahrung zu sammeln. Unternehmer sind deshalb gut beraten, sich nicht mehr nur auf eingehende Bewerbungen zu verlassen, sondern aktiv nach geeigneten Kandidaten Ausschau zu halten und diese, vielleicht über ein Angebot für ein duales Studium, an das Unternehmen zu binden.
Big Player suchen junge Talente
Wer in jungen Jahren auf einem Gebiet Außergewöhnliches leistet, fällt nicht selten den ganz großen der Branche auf: So hatte Mark Zuckerberg zu Highschool-Zeiten einen Mediaplayer namens Synapse entwickelt, der sich mithilfe von maschinellem Lernen die Hörgewohnheiten des Nutzers antrainieren konnte. Darüber war Microsoft auf ihn aufmerksam geworden und bot ihm einen Vertrag an – den er allerdings ausschlug, um in Harvard zu studieren.
Auch Google und andere Big Player sind immer auf der Suche nach Talenten, die sie mitunter schon von der Schule weg verpflichten können. Auf der Website zum Bundeswettbewerb Informatik beispielsweise findet sich ein Interview mit Dominic Battré, Felix Arends, Jochen Eisinger und Christoph Flake, die allesamt zwei Dinge gemeinsam haben: Jeder von ihnen war Preisträger in diesem Wettbewerb, und jeder von ihnen arbeitet heute bei Google.
MINT-Projekte deutschlandweit
Eine umfassende Übersicht über MINT-Projekte und -Wettbewerbe für Schülerinnen, Studentinnen und MINT-Berufstätige liefert die Projektlandkarte von Komm, mach MINT. Interessierte können die Liste nach verschiedenen Kriterien filtern und auf diese Weise schnell MINT-Angebote aufspüren, von denen sie sich jeweils besonderen Nutzen versprechen. Die Initiative selbst richtet sich in erster Linie an junge Frauen, die meisten der aufgeführten MINT-Angebote sind aber geschlechterübergreifend.
Unter der Projektlandkarte auf www.komm-mach-mint.de gibt es die Informationen auch als Projektliste, die man nach Titel, Ort, Veranstalter etc. sortieren kann. (Bild: Komm, mach MINT – Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V.)
Etliche Unternehmen warten die Ausgänge solcher Wettbewerbe gar nicht erst ab, sondern engagieren sich schon vorher in den Schulen. Drei Beispiele: Siemens etwa kooperiert mit derzeit 94 Schulen in ganz Deutschland. Zum Angebot des Unternehmens gehören Förderpreise, eine Lehrerfortbildung, Experten, die zu speziellen Unterrichtsthemen Fachvorträge halten, und sogar ergänzende Unterrichtsmaterialien. Samsung hat seit 2013 im Rahmen des Wettbewerbs „Ideen bewegen“ nach eigenen Angaben Projekte mit 217 Schulen realisiert und über 600 Lehrer für die Umsetzung und den Umgang mit der Technologie geschult. Für den Projektzeitraum stellte die Initiative den teilnehmenden Schulen ein komplettes digitales Klassenzimmer in Form der Samsung School Solution zur Verfügung. Und Lego (richtig, der Hersteller der zusammensteckbaren Kunststoffsteinchen) engagiert sich in der Lehrerfortbildung, um Pädagogen zu vermitteln, wie sie die Lehrplaninhalte der MINT-Fächer oder des Sachunterrichts mithilfe von Lego-Baukästen greifbar machen können.
Jugend forscht – seit mehr als 50 Jahren
1965 vom damaligen Stern-Chefredakteur Henri Nannen ins Leben gerufen, ist Jugend forscht inzwischen der größte europäische Jugendwettbewerb im MINT-Spektrum. Die mehrstufige Auslese beginnt mit Regionalwettbewerben, deren Sieger an den Landeswettbewerben teilnehmen. Die siegreichen Landesteilnehmer treten abschließend im Bundeswettbewerb gegeneinander an. Jedes eingereichte Projekt muss in eines der folgenden Fachgebiete passen: Arbeitswelt, Biologie, Chemie, Geo- und Raumwissenschaften, Mathematik/Informatik, Physik und Technik. Jedes Jahr nehmen über 10.000 einzelne Schüler oder Teams an dem Wettbewerb teil. Die Zeitschrift Junge Wissenschaft veröffentlicht seit 1986 viermal im Jahr Arbeiten von Jugend-forscht-Teilnehmern. Die eingereichten Arbeiten durchlaufen dabei ein Peer-Review-Verfahren und gelten damit als anerkannte wissenschaftliche Veröffentlichungen.
Jugend forscht ist der größte deutsche Schüler- und Jugendwettbewerb im MINT-Bereich. Am Bundeswettbewerb 2018 nahmen 182 Jungforscher mit 105 Projekten teil.(Bild: Stiftung Jugend forscht e.V.)
Für viele der bisherigen Preisträger war die Teilnahme an Jugend forscht der Startschuss für eine Karriere auf dem jeweiligen Gebiet. Der oben bereits erwähnte Sun-Microsystems-Mitgründer Andreas von Bechtolsheim mag das herausragendste Beispiel sein, das einzige ist er nicht: Stefan Mörsdorf, im Jahr 1981 Sonderpreisträger Umweltschutz, war von 1999 bis 2009 saarländischer Umweltminister. Vladimir Danila, Bundessieger im Fachgebiet Mathematik/Informatik 2017, gründete schon mit 17 sein erstes Unternehmen, über das er gemeinsam mit Co-Gründer Marc Zacherl die selbst entwickelte Vektorgrafik-App Vectornator Pro vermarktet. Auch Daniel Gurdan, Bundessieger Arbeitswelt von 1999, hat sich mit seinen Ideen selbstständig gemacht. Im Jahr 2007 gründete er zusammen mit den Jugend-forscht-Alumni Klaus-Michael Doth, Jan Stumpf und Michael Achtelik die Firma Ascending Technologies, die 2016 zu Intel kam.
Die Wettbewerbspyramide
Die bundesweiten Informatikwettbewerbe unter der Trägerschaft der Gesellschaft für Informatik, des Fraunhofer-Verbunds IUK-Technologie und des Max-Planck-Instituts für Informatik haben sich zweierlei zum Ziel gesetzt: das Interesse an Informatik im Allgemeinen und am Programmieren im Speziellen zu fördern sowie Talente aufzuspüren und zu unterstützen. Dazu richtet die Organisation jährlich drei Wettbewerbe aus, die aufeinander aufbauen und deren Teilnehmerzahl von Stufe zu Stufe abnimmt. In der Reihenfolge ihres Schwierigkeitsgrades sind das der Informatik-Biber, der Jugendwettbewerb Informatik und der Bundeswettbewerb Informatik. Die besten Teilnehmer und Teilnehmerinnen können sich darüber hinaus dazu qualifizieren, Deutschland in Teams bei den internationalen Informatik-Olympiaden zu vertreten.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Der Bundeswettbewerb Informatik richtet sich an Jugendliche bis zum 21. Lebensjahr, die sich noch in der Ausbildung an einer deutschen Schule befinden. Der Wettbewerb beginnt jährlich am 1. September, dauert etwa ein Jahr und besteht aus drei Runden. Der Schwierigkeitsgrad steigt mit jeder Runde. Bundessieger werden in der Regel ohne weitere Prüfung in die Studienstiftung des deutschen Volkes aufgenommen, Deutschlands größtes und ältestes Begabtenförderwerk. Wer sich um eine solche Förderung bemüht, muss in jedem Fall Außergewöhnliches zu bieten haben: Weniger als 0,5 % aller deutschen Studenten werden von der Studienstiftung aufgenommen.
Bildungsprojekte im Wettstreit
MINT-EC beschreibt sich selbst als „das nationale Excellence-Netzwerk von Schulen mit Sekundarstufe II und hervorragendem mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Schulprofil“. Das Netzwerk wird vor allem vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall, der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. (vbw) und den Bayerischen M+E-Arbeitgebern (bayme vbm) sowie der Ingenieurnachwuchsinitiative des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall (think ING.) und der Siemens Stiftung gefördert. Angeschlossen sind deutschlandweit 316 Gymnasien und Schulen mit gymnasialer Oberstufe, an denen 336.000 Schülerinnen und Schüler von 27.000 Lehrkräften unterrichtet werden.
Das Netzwerk hat es sich unter anderem zum Ziel gesetzt, Netzwerkschulen mit Partnern und Förderern aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammenzubringen und den digitalen Wandel in der Bildung voranzutreiben. Zu seinen wichtigsten Wettbewerben gehört der MINT-EC-Schulwettbewerb der Dr. Hans Riegel-Stiftung. Bei diesem Wettbewerb treten Schulleitungen gegeneinander an, die Projekte auf den Weg gebracht haben, die das Interesse von Schülerinnen und Schülern für MINT-Fächer und -Themen stärken sollen. Dabei können neue Unterrichts- und Lehrmethoden genauso im Vordergrund stehen wie die Arbeit an Schulkultur und Wertevermittlung im MINT-Zusammenhang. Im Netzwerk von think ING. sind Unternehmen und Forschungseinrichtungen vertreten, die sich mit Schnupper- und Einstiegsangeboten an MINT-Talente wenden – vom Schülerpraktikum über den dualen Studienplatz bis zum Traineeprogramm.
So macht mir Schule Spaß!
In MINT-Projekten für Schüler und Schulen werden Talente schon früh sichtbar. Die Big Player der IT haben das längst erkannt. Recruiter von Microsoft, Google etc. sehen genau hin und versuchen, sich heute die Mitarbeiter von morgen zu sichern. Außergewöhnliche MINT-Talente haben derzeit beste Aussichten – besonders, wenn sie ihre Begabung in die Öffentlichkeit tragen.
Dirk Bongardt hat vor Beginn seiner journalistischen Laufbahn zehn Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in Vertriebsabteilungen industrieller und mittelständischer Unternehmen gesammelt. Seit 2000 arbeitet er als freier Autor. Sein thematischer Schwerpunkt liegt auf praxisnahen Informationen rund um Gegenwarts- und Zukunftstechnologien, vorwiegend in den Bereichen Mobile und IT.
Dirk Bongardt, Tel.: 05262-6400216, mail@dirk-bongardt.de, netknowhow.de