Wenn Maschinen zu Kunden werden
Von Michael Praschma
2026 kommt voraussichtlich eine Art beschränkt geschäftsfähige Maschine, nach weiteren zehn Jahren wird die Sache dann erwachsen. Die Auswirkungen auf alle Wirtschaftszweige sind, soweit absehbar, gewaltig. Machine Customers, auch Maschinenkunden und manchmal CustoBots genannt, sind vor allem als Bestandteil des Internet of Things (IoT) schon seit Jahren ein Thema, am bekanntesten wohl als der zur Metapher gewordene smarte Kühlschrank, der selbst erkennt, dass bald keine Milch mehr da ist, und diese dann online nachbestellt.
Große Wellen hat nun vor einem Jahr das Buch „When Machines become Customers“ der Marktanalysten von Gartner gemacht. Die landauf, landab zitierten Erkenntnisse besagen im Kern: Maschinenkunden werden 2030 für satte 20 % des Umsatzes sorgen und in einem weiten Spektrum des E-Commerce sowohl im Bereich B2C wie auch B2B eine Rolle spielen.
Maschinen als Zielgruppe für Marketing und Werbung?
Die Auswirkungen auf den Handel beschränken sich nicht einfach auf ein paar erwartbare technische und rechtliche Aspekte – sie stellen vielmehr die Prozesse ganzer Arbeitsbereiche auf den Kopf. Den Algorithmus eines Maschinenkunden werde ich ja z.B. wohl nicht mit einer Hochglanzbroschüre beeindrucken. Wird es so etwas wie eine loyale Maschine geben, werde ich deren „Kundenbindung“ beeinflussen können? Ich kann sie ja nicht zum Geschäftsessen einladen oder mit einem Gutschein vom Premium-Weinhändler beeindrucken. Andersherum: Wenn eine Software autonom für mein Unternehmen einkauft, Preise und Lieferkonditionen verhandelt usw. – wird sie dann so mit meinen langjährigen Geschäftspartnern umgehen, wie ich mir das vorstelle?
In einer Welt der Maschinenkunden, sagt Gartner, wird es unter anderem so sein:
- Kaufprozesse laufen programmgesteuert und automatisiert ab. Dementsprechend müssen Verkäufer Muster und Strukturen im Verhalten von Maschinenkunden möglichst genau kennen.
- Die Software dieser Maschinen wird rational und maximal effizient den Vorgaben des Programms folgen, etwa bei Kostenminimierung, Nachhaltigkeitszielen wie langfristigem ROI, sicheren und ökologisch sowie sozial gut bewerteten Lieferketten etc.
- Vertriebspersonal wird nur noch für Großkunden und meist bei B2B gebraucht – dort, wo man Erfahrung damit haben muss, wie die Entscheider im Einkauf ticken.
Eine konservative Schätzung für die Größenordnung der Entwicklung sind laut Gartner mindestens 15 Milliarden vernetzter Produkte mit dem Potenzial, wirklich als Kunden zu agieren – und zwar bis zum Jahr 2025! Schon jetzt gibt es mehr solcher Geräte als Menschen auf der Erde.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Magazinreihe „IT & Karriere“ erschienen. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Zukunftsszenario in drei Schritten
Die Gegenwart zeigt erste zarte Ansätze von Algorithmen am Gängelband, die unter Aufsicht ihrer Benutzer nach strikten Wenn-dann-Regeln konkrete einzelne Käufe automatisch tätigen. Druckertinte nachbestellen, bevor sie ausgeht, Lagerbestände auffüllen und ähnliche Transaktionen.
Im zweiten Schritt bekommt das Ding, das man nun schon als Maschinenkunden bezeichnen kann, im Rahmen vorgegebener Regeln Entscheidungsspielräume zugeteilt, innerhalb derer selbstständig optimierte Entscheidungen über Kaufoptionen gefällt werden dürfen. Zeithorizont hier laut Gartner: 2026.
In der letzten Phase kann man die Algorithmen endgültig als autonome Kunden bezeichnen. Sie können „intelligente“ Entscheidungen im gesamten Kaufprozess fällen – was zumindest bisher aber nicht bedeutet, dass sie sich über bestehende Regeln hinwegsetzen oder die Unternehmensstrategie hinsichtlich des Einkaufs selbst definieren dürften. Ob sie das dennoch tun werden (bei menschlichen Akteuren soll das ja auch schon vorgekommen sein), darüber lässt sich spekulieren.
Disruption, nicht nur im Online-Handel
Überspringen wir die bereits bestehenden automatisierten Bestellsysteme, die mit Headless-Funktionen – also ohne Bildschirm als Schnittstelle – dafür sorgen, dass Toner für den Kopierer, Spezialschrauben in der Montagehalle und eben die Milch im Supermarktregal rechtzeitig nachbestellt werden. Das gibt es in der Variante mit oder ohne Mensch als Endkontrolle im Entscheidungsprozess und ist heute schon fast wieder Lowtech. Die Algorithmen der dazu erforderlichen Software bewegen sich ja in einem engen Korsett. Das heißt, eine freie Entscheidung, was sie zu welchen Konditionen bei wem bestellen, liegt oberhalb ihrer Gehaltsstufe. Was aber, wenn Machine-Learning– und KI-basierte Algorithmen weitgehend autonom am Markt zu agieren beginnen?
Momentan dreht sich alles um ChatGTP. Für die Zeit davor gibt eine Einführung einen ersten Überblick über den Stand der Technologien, die Fortsetzungen skizzieren praktische Einsatzgebiete für KI, insbesondere in der Industrie. Für den Lebenslauf könnten die Ratgeber zur KI-Studienstrategie bzw. zum KI-Studium (auch in Kombination mit Robotik) sowie zum Berufsbild Machine Learning Engineer und zum KI-Manager nützlich sein – aber auch die Übersicht zu den Jobs, die KI wohl ersetzen wird.
Extrabeiträge untersuchen, wie erfolgreich Computer Computer hacken, ob und wann Vorbehalte gegen KI begründet sind und warum deshalb die Erklärbarkeit der Ergebnisse (Stichwort: Explainable AI bzw. Erklärbare KI) so wichtig ist. Hierher gehört außerdem der Seitenblick auf Maschinenethik und Münchhausen-Maschinen. Als weitere Aspekte beleuchten wir das Verhältnis von KI und Vorratsdatenspeicherung sowie die Rolle von KI in der IT-Sicherheit (KI-Security), fragen nach, wie Versicherungen mit künstlicher Intelligenz funktionieren, hören uns bei den Münchner KI-Start-ups um und sehen nach, was das AIR-Projekt in Regensburg vorhat. Ein Abstecher führt außerdem zu KI-Unternehmen in Österreich.
Auf der rein technischen Seite gibt es Berichte zu den speziellen Anforderungen an AI Storage und Speicherkonzepte bzw. generell an die IT-Infrastruktur für KI-Anwendungen. Außerdem erklären wir, was es mit AIOps auf sich hat, und im Pressezentrum des MittelstandsWiki gibt es außerdem die komplette KI-Strecke aus dem Heise-Sonderheft c’t innovate 2020 als freies PDF zum Download.
Zunächst müssen Anbieter die Online-Präsentation ihrer Produkte bzw. Dienste an die Bedürfnisse von Maschinenkunden anpassen. Das bedeutet voraussichtlich, eine spezielle Datenqualität und ‑architektur rund um das Angebot einzuführen. Die Verstärkung von Sicherheitsprotokollen wird hier ein weiterer Punkt im Pflichtenheft sein, um überall da, wo Algorithmen zum Einsatz kommen, sensible Daten zu schützen.
Außerdem werden Marketing und Preispolitik eine neue Dynamik erfahren. Nicht nur verlagern sich Kaufentscheidungen ja wie erwähnt weg von eher psychologischen, hin zu strikt rationalen und ökonomischen Kriterien – Angebot und Nachfrage und damit die Preisbildung bekommen mit Maschinenkunden einen digitalen Akteur auf der Nachfrageseite hinzu, wo bisher ganz überwiegend ein Mensch das Sagen hatte. Die Maschine ist ja bei dynamischen Angeboten (z. B. Flug- und Bahnticketpreise in Abhängigkeit von der Auslastung) zu viel hartnäckigerer „Schnäppchenjagd“ in der Lage – mit schwer absehbaren Effekten auf das gesamte Preisgefüge. Wahrscheinlich ist, dass der menschliche Akteur dabei nicht mithalten kann und schließlich das Nachsehen haben wird.
Für die Produkt- und Serviceentwicklung kann ein verbreiteter Einsatz von Maschinenkunden – eben wegen deren extrem rationaler Kaufentscheidungen – belastbarere Daten für künftige Marktentwicklungen liefern. Einfacher gesagt: Der Maschinenkunde kalkuliert „vernünftiger“ als ein Mensch und deswegen ist sein zukünftiges Kaufverhalten berechenbarer. Denn er kauft eben nicht aus einem unerwarteten Bauchgefühl heraus.
Bei B2B könnte es durchaus passieren, dass bestimmte Kunden „ausgemustert“ werden, z.B. jene, deren Kaufverhalten (aufwendige und langwierige Verhandlungen, häufige Reklamationen etc.) so viele Ressourcen bindet, dass nur noch geringfügige Gewinnmargen bleiben – zumindest dann, wenn dem ausreichend lukrative Maschinenkunden gegenüberstehen, die eben keinen „Ärger“ machen.
Recht, Ordnung und viel unkartiertes Gelände
Die kniffligen Urheberrechtsfragen bei künstlichen Intelligenzen wie ChatGPT oder die Haftungsprobleme bei autonomen Fahrassistenten im Straßenverkehr lassen unschwer erahnen, welche Herausforderungen beim E-Commerce zu erwarten sind, wenn CustoBots ins Spiel kommen. Das betrifft Gesetzgeber und Regulierungsbehörden, aber auch die Justiziare in großen Unternehmen und die Versicherungsbranche. Kleinere Unternehmen und Endkunden schließlich können nur hoffen, dass die ganze Entwicklung nicht wieder so überfordernd auf sie herunterprasselt wie die Datenschutz-Grundverordnung.
Was z.B. ins Haus steht, aber noch weitgehend offen ist:
- Die Befugnisreichweite von Maschinenkunden – was dürfen sie, was nicht? – ist sowohl vertragsrechtlich zwischen den Marktteilnehmern als auch gesetzlich zu regeln.
- In Fällen, wo Maschinenkunden bereits über selbstlernende Algorithmen verfügen, ist ihr konkretes Handeln menschlicher Kontrolle mindestens teilweise entzogen. Hier stellt sich dann die Frage: Wer ist Vertragspartner? Wer haftet für Fehler? Juristen verweisen hier unter anderem auf die Möglichkeit sogenannter Vorweg-Vereinbarungen, in denen der Umgang mit Konsequenzen aus autonomem KI-Handeln geregelt werden kann.
- Eine weitere Möglichkeit, Rechtssicherheit bei Transaktionen mit Maschinenkunden herzustellen, wäre ein Verfahren, in dem die KI offenlegt, dass sie eine KI ist, und die Fortsetzung des Kaufprozesses von einer Zustimmung der Gegenseite abhängig gemacht wird.
- Technisch ist zu gewährleisten, dass die verwendete KI vorgegebene Regeln auch dann einhält, wenn ihr diese dabei hinderlich erscheinen, den vorteilhaftesten Deal abzuschließen.
Wo der CustoBot fehl am Platz ist
Immerhin kursieren auch schon überraschende Visionen, wie etwa die von Thilo Koslowski, Ex-CEO von Porsche Digital: Warum soll nicht ein Auto unterwegs auf Basis des Reiseziels, der aktuellen Tankreichweite und der Treibstoffpreise entlang der Strecke den optimalen Tankstopp und die erforderliche Benzinmenge errechnen und kontaktlos mit der Zapfsäule die Bezahlung abwickeln?
Dass es jedoch Bereiche gibt, in denen CustoBots nicht oder zumindest nicht so schnell das Ruder in die Hand nehmen, lässt sich ebenfalls erahnen. Im Endkundenbereich und im Einzelhandel sind das etwa die Spontankäufe, von momentanen Reizen gesteuerte Entscheidungen, beispielsweise beim Shopping-Bummel oder bereits in einem Geschäft, wo das begehrte Produkt in Griffweite ist. Und wie steht es mit den Käufen, bei denen man sich etwas denken und in Ruhe überlegen – oder etwas erleben! – will: die Auswahl eines edlen Whiskys, die Entscheidung für einen teuren neuen Fernseher, die Anprobe von wirklich zuverlässiger und exakt passender Outdoor-Kleidung?
Und nicht zuletzt gibt es schon jetzt Maschinenkunden, die so gut sind, dass sie verboten wurden. Etwa jene, die bei großen Sport- und Show-Veranstaltungen in der Sekunde, wenn der Ticketverkauf beginnt, für Wiederverkäufer alles abräumen, was sie bekommen können. Nachdem zuvor schon einzelne US-Bundesstaaten aktiv wurden, hat Präsident Barack Obama 2016 solchen Manipulationen mit dem Better Online Ticket Sales (BOTS) Act in den gesamten USA einen Riegel vorgeschoben.
Alexa – meine Akkus sind alle!
Also bleibt das Ganze doch nur etwas für das Big Business? – Weit gefehlt! Auf einer Amazon-Seite wird ein Maschinenkunden-Modell beschrieben für praktisch alle vernetzten Geräte, die irgendeine Art von Nachschub brauchen. Denen soll man dann eben sogenanntes „Dash Replenishment“ einbauen. Vereinfacht dargestellt ist dieses Tool in der Lage, über die Alexa-App mit Gerät und Nutzer zu kommunizieren und bei Bedarf umgehend für diesen Nachschub zu sorgen.
Ob das nun die schöne neue Welt wird, lässt sich diskutieren. Eigentlich haben wir uns ja schon längst auf den Weg gemacht. Auf jeden Fall ist unabweisbar, dass Maschinenkunden mächtig auf den Markt drängen.
Michael Praschma ist Texter, Lektor und Redakteur. Er beherrscht so unterschiedliche Gattungen wie Werbetext, Direct Marketing, Claims, Webtext, Ghostwriting, Manuals oder PR. Außerdem treibt er sich – schreibend und anderweitig engagiert – in Journalistik, Non-profit-Organisationen und Kulturwesen herum. Seine Kunden kommen aus verschiedensten Branchen. Am MittelstandsWiki schätzt er die Möglichkeit, mit eigenen Recherchen auf den Punkt zu bringen, was Verantwortliche in Unternehmen interessiert. → https://praschma.com/