Der IBM-Ausbildungspakt
Von Frank Zscheile
Es ist ein eigenartiger Dualismus. Auf der einen Seite wird der Mainframe schon seit 25 Jahren für tot erklärt. Doch ein Blick in die Praxis zeigt dann, dass die Technologie durchaus noch genutzt und sogar weiterentwickelt wird. Vor allem Großunternehmen setzen in ihren Rechenzentren auf die Host-Technologie als wichtigstes Arbeitsmittel ihrer IT. In den nächsten Jahren wird nun ein Großteil der altgedienten Mainframe-Experten in den Ruhestand gehen. Was dann? Wie wird sich dieses Marktsegment in den nächsten fünf Jahren entwickeln? Spannend wird diese Frage gerade im Hinblick auf die jüngsten disruptiven Veränderungen der IT-Welt: Touch-Oberflächen, Cloud Computing als Standard, fortschreitende Virtualisierung etc.
Finanzierbare Hochleistungstechnologie
IBM will die anstehenden Herausforderungen durch Partnerschaften bewältigen und hat daher Anfang 2015 ein Technologieabkommen mit dem Halbleiterhersteller GlobalFoundries geschlossen. 2,5 Mrd. US$ kostete das Investment – im Gegenzug wird GlobalFoundries eine speziell für den Mainframe abgestimmte Technologie liefern. Dr. Wolfgang Maier ist sich der Schwierigkeiten bewusst: „Die Halbleiterindustrie steht in der nächsten Dekade vor großen Herausforderungen. Es geht darum, Spitzentechnologie zu schaffen, die trotzdem finanzierbar ist – auch vor dem Hintergrund, dass man mit dem Mainframe in der Regel nie in die ganz großen Stückzahlen kommt.“
Podiumsdiskussion mit Dr. Wolfgang Maier (IBM), Prof. Dr. Martin Bogdan (Universität Leipzig) und Wolfram Greis (European Mainframe Academy) im Rahmen einer Kundenveranstaltung der Beta Systems Software AG. (Bild: Beta Systems Software AG)
Mit der Technologie von GlobalFoundries will IBM künftige Produkte wettbewerbsfähig machen und neue Performance-Steigerungen erreichen. Erstes Ergebnis ist ein neuer 22-nm-Prozessor, der vor Kurzem auf den Markt kam. Derzeit wird bereits der nächste Prozessor entwickelt und zur Marktreife gebracht. „Allgemein wandelt sich das bisherige Muster, bei dem man stark auf Single-Thread-Performance achtete, hin zu parallelen Strukturen“, so Maier. „Diesen Parallelismus gilt es im Mainframe, wie auch in anderen Plattformen, voll ausnutzen“, sagte er Ende 2015 auf einer Podiumsdiskussion der Beta Systems Software AG.
User Experience eines Dinosauriers
Leistung bei der Hardware scheint im Rechenzentrumsumfeld heute kein Thema mehr zu sein. Doch reicht dies aus? Was den Mainframe-Markt in den kommenden Jahren prägen wird, ist die Verbindung zu mobilen Devices und vor allem die Big-Data-Thematik. Angesichts sehr großer und meist unstrukturierter Datenmengen wird es notwendig, Funktionen für die intelligente Suche und die Analyse zu integrieren. „Ausgebremst wird der Mainframe derzeit von drei wesentlichen Faktoren: den Kosten für Softwarelizenzen, der mangelnden Ausbildung und dem Dinosaurier-Image“, glaubt Wolfram Greis von der European Mainframe Academy (EMA). In Wirklichkeit nämlich stecke im Mainframe die neueste und beste Technologie, die es gebe, aber viele wüssten dies überhaupt nicht. Vor allem in den Köpfen vieler junger Manager habe sich das Dinosaurier-Image festgesetzt.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Magazinreihe „Rechenzentren und Infrastruktur“. Einen Überblick mit Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Einig sind sich die Experten, dass es langfristig einer anderen User Experience bedarf. Die klassischen grün-schwarzen Bildschirme schrecken jeden Neuling ab, der von ansprechenden GUIs und intuitiver Bedienung inzwischen ganz andere Standards gewöhnt ist. IBM kooperiert im Rahmen seiner Design-Thinking-Initiative deshalb seit einiger Zeit mit Apple. Big Blue bringt in diese Partnerschaft sein Wissen im Enterprise-Geschäft und beim Betrieb großer Datacenter mit, Apple seine Erfahrungen mit User Experience im Consumer-Markt. In weltweiten „Design-Centern“ rollen Industriedesigner das Problem nun IBM-untypisch von der anderen Seite auf und stellen die Anwendersicht in den Vordergrund. Über 1000 neue Mitarbeiter wurden nur hierfür neu eingestellt. „Dies wird sich mittelfristig in ganz neuen Oberflächen ausdrücken“, prophezeit Dr. Wolfgang Maier.
Für den Nachwuchs Terra incognita
Glaubt man Prof. Martin Bogdan, sind es nicht grüne Bildschirme und 3270-Terminals, die seine Studierenden abschrecken. Das Problem sei eher, dass der Nachwuchs die Mainframes und deren Technologie oft gar nicht kenne, weil dies an anderen Hochschulen oder Berufsakademien zu stiefmütterlich behandelt werde. Hier müsse ein viel breiteres Interesse geweckt werden. Auch aus Sicht der U30-Community innerhalb der IBM-Benutzervereinigung Guide-Share Europe wird bemängelt, dass junge Leute keine Möglichkeit hätten, außerhalb ihres Unternehmens mit dem Mainframe in Berührung zu kommen. In der Tat: Wer Linux kennenlernen will, kann dies einfach per Webdownload, mit dem Mainframe ist dies deutlich schwieriger. Hier gilt es folglich, die bestehenden vereinzelten Initiativen von IBM und Hochschulen besser zu koordinieren und zu publizieren.
Geht es um die Architekturen in den Unternehmensrechenzentren, fällt oft das Buzzword „Migration“, und das heißt in diesem Zusammenhang stets „weg vom Mainframe“. Nach Ansicht von Wolfram Greis ist das falsch. Man müsse die Unternehmen eher vom Vorteil einer plattformunabhängigen Anwendungsarchitektur überzeugen. Dann nämlich könnten Anwendungen dort entwickelt werden, wo es am sinnvollsten ist. Gerade für die neuen Workloads sei der Mainframe oft eine ökonomisch günstigere Plattform – diese Einsicht müsse sich in den Köpfen verankern.
Die Workloads der Zukunft
Mobile Transaktionen sind, davon ist auszugehen, einer der Treiber für die derzeit starken z13-Hardware-Verkäufe. Doch in den nächsten Jahren – darin sind sich die Experten einig – sind noch weitere Veränderungen in den Workloads zu erwarten. Sie werden auf der Analyse von Daten liegen, beispielsweise der sinnvollen Zusammenführung von unstrukturierten Daten aus verschiedensten Quellen wie sozialen Netzwerken zur Extraktion von Informationen etc. Je mehr man sich für mobile Anwendungen öffnet, desto größer wird außerdem das Thema Sicherheit. Gewiss, der Mainframe ist die Plattform, die am besten abzusichern ist, so heißt es. Dies bedeutet aber nicht, dass sie zu 100 % sicher ist. „Die Herausforderung wird es deshalb sein, zu garantieren, dass nicht über den Umweg mobiler Plattformen wiederum Hintertüren geöffnet werden. Die Kryptologie-Hardware der neuen z13 eröffnet Möglichkeiten, dies abzufangen“, so Prof. Martin Bogdan.
Muss sich generell an der Mainframe-Software etwas ändern, damit sie den neuen Anforderungen genügt? Dies wohl weniger, wenn man sich ansieht, wie aktiv IBM hier bereits ist. Ein Problem ist eher die Ausbildung, besteht also darin, das Personal zu finden, das die Software nutzt und weiß, wie man damit umgeht. Academy-Leiter Wolfram Greis: „Wir treffen immer wieder Manager, die in der Vergangenheit kaum Berührung mit dem Mainframe hatten und dann bei uns im Workshop sehen, wie modern die Technologie ist. Hier setzen wir mit der Ausbildung an, weil wir von der Zukunftsfähigkeit der Plattform überzeugt sind.“
IBM selbst nimmt das Thema ernst und steckt viel Energie in die Ausbildung. Des Weiteren bietet das Entwicklungslabor in Böblingen Unterstützung, um technische Fragen zum Mainframe en détail zu diskutieren – etwa über ein Briefing Center, das regelmäßige Weiterbildungsveranstaltungen anbietet. Dort steht auch ein TCO-Team zur Verfügung, das gemeinsam mit dem Kunden Anschaffung und Einsatz einer Mainframe-Plattform durchkalkuliert.
Universitäten ohne Mainframes
Wissenschaftler wie Prof. Bogdan sehen das grundlegende Problem darin, dass die Ausbildung schlichtweg nicht weiträumig genug aufgestellt, dass sie auf zu wenig Hochschulen verteilt ist. „Der Mainframe ist eine hochinteressante Rechnerarchitektur, die eine technologische Spitzenposition einnimmt“, betont der Leipziger. Dass dies viele nicht so wahrnähmen, sei ein Versäumnis in der Selbstdarstellung und, damit zusammenhängend, der bislang mangelnden Ausbildung. Dabei gibt es an der Universität Leipzig nicht nur Informatiker, sondern auch Wirtschaftsinformatiker, also potenzielle künftige Manager. Auch diese besuchen Prof. Bogdans Vorlesungen, und damit ist der Mainframe für sie keine Unbekannte.
An der Universität Leipzig hat man sogar, gemeinsam mit der European Mainframe Academy und einigen akademischen Partnern ein Academic Mainframe Consortium (AMC) gegründet. Mit Unterstützung aus der Wirtschaft soll es Lehrmaterialien für den leichten Einstieg auf allen Bildungsebenen erarbeiten, um sie Bildungseinrichtungen zur Verfügung zu stellen und beispielsweise Systemspezialisten auszubilden.
Die European Mainframe Academy sucht ihrerseits die Nähe zu den Universitäten und anderen akademischen Einrichtungen, um in Kontakt mit jungen Menschen zu kommen, die Interesse für den Mainframe zeigen. Auf der anderen Seite spricht sie Unternehmen an, die Nachwuchs brauchen, und sieht sich hier in einer Art Vermittlerrolle. Ein praktisches Problem beim geplanten Academic Mainframe Consortium könnte sein, dass die Mainframes an deutschen Hochschulen noch an einer Hand abzuzählen sind: Leipzig, Tübingen, Frankfurt am Main, Karlsruhe und Luzern. Diese Maschinen stehen bereit und können genutzt werden. Nur müssen eben die Zugänge für junge Studierende anderer Hochschulen ermöglicht werden. „Bislang geschieht das noch zu wenig, weil es kaum Fachpersonal gibt, das die Administration übernimmt, die Einrichtung von Benutzerkennungen etc. übernimmt. Das wollen wir ändern“, ist Academy-Geschäftsführer Wolfram Greis entschlossen.
Kosten, Ausbildung und Image
Geht es an ein Fazit, wie der Mainframe im Jahre 2020 aussehen wird, sind die Experten tendenziell hoffnungsvoll: „Für IBM ist der Mainframe ein überaus wichtiges, auch künftig nicht wegzudenkendes Marktsegment. Er wird im Jahr 2020 deshalb auf dem neuesten Stand der Technik und zentraler Bestandteil der modernen Unternehmens-IT sein“, zeigt sich Dr. Wolfgang Maier überzeugt. Für Prof. Martin Bogdan steht der Mainframe „immer noch ganz vorne“, und auch Wolfram Greis glaubt an die Lebendigkeit der IBM-Plattform, „wenn wir die drei Herausforderungen in den Griff bekommen: Kosten, Ausbildung und Image-Wandel.“