Der Spitzenplatz kostet oft mehr, als er bringt
Von Dr. rer. nat. Jürgen Kaack, STZ-Consulting Group
Marktführerschaft ist ein Wachstumsziel, das von vielen Unternehmen angestrebt wird. Mitunter gehören dazu noch weitere Ziele wie z.B. die Kostenführerschaft. Allerdings garantiert Marktführerschaft an sich keine wirtschaftlichen Vorteile. Sie garantiert auch nicht die nachhaltige Wirtschaftskraft eines Unternehmens.
Oft ist das Schlagwort nicht mehr als eine Werbeaussage, die dem Kunden suggerieren soll, dass er hier die richtige Kaufentscheidung trifft. Da „Marktführerschaft“ so ein griffiger Begriff ist und sich werblich gut umsetzen lässt, erstaunt es nicht, dass es viele Marktführer gibt.
Um Marktanteile vernünftig ermitteln zu können, ist zunächst die Klärung des „relevanten Marktes“ erforderlich. Da diese Definition zunächst beliebig gewählt werden kann, ist es letztlich für jedes Unternehmen möglich, den Markt so zu schneiden, dass man der größte Anbieter ist.
Marktabgrenzung und Wettbewerb
Willkürliche Marktabgrenzungen sind aber sinnlos und wirken eher unseriös. Wie bei vielen marktorientierten Themen sollte auch der relevante Markt aus der Segmentierung und Analyse der Zielgruppen und unter Berücksichtigung der Wettbewerbssituation abgeleitet werden. Es lässt sich nicht generell sagen, ob der relevante Markt ein internationaler, nationaler oder sogar regionaler Markt ist. In der Halbleiterherstellung ist es in der Regel der internationale Markt; in der Tourismusindustrie kann es eine Urlaubsregion sein und für einen Softwarehersteller vielleicht mittelständische Unternehmen aus einer speziellen Branche.
Oft hilft ein Vergleich mit der Marktausrichtung der wesentlichen Wettbewerber. Sollte die Marktabgrenzung (die sich dann in der Marktbearbeitung widerspiegelt) ergeben, dass die wichtigsten Wettbewerber den Markt wesentlich größer definieren, dann kann vielleicht an der eigenen Ausrichtung etwas falsch sein. Bei innovativen Produkten kann die Marktabgrenzung anfangs schwierig sein. Andererseits sollte diese Frage schon bei der Planung der Produkteinführung beantwortet sein.
Marktanteil nach Umsatz und Absatz
Das Marktvolumen des relevanten Markts ist die Grundlage zur Ermittlung der Marktanteile. Der prozentuale Anteil des eigenen Umsatzes (oder auch Absatzes) mit dem ausgewählten Produkt im Verhältnis zum Marktvolumen beschreibt den Marktanteil. Derjenige Anbieter mit dem höchsten Marktanteil ist der Marktführer. Dabei muss ein Unternehmen, das Marktführer nach Umsatzgrößen ist, nicht zwangsläufig auch Marktführer nach Absatz sein. Es wird auch nur in Ausnahmefällen mit allen seinen Produkten Marktführer sein – es sei denn, es handelt sich um Produktvarianten, die den gleichen Markt bedienen.
Spitzenstellung und Ertragskraft
Die Orientierung am Ziel der Marktführerschaft sollte immer mit der Absicherung der nachhaltigen Ertragskraft einhergehen. Wenn die Position des Marktführers keine signifikanten und quantifizierbaren wirtschaftlichen Vorteile bringt – dies können z.B. eine bessere Präsenz im Vertrieb sein, günstigere Einkaufsbedingungen durch höhere Stückzahlen oder mehr Einfluss bei Verbänden –, sollte die Zielsetzung kritisch hinterfragt werden. Wenn für die Marktführerschaft Preisnachlässe und somit sinkende Margen notwendig werden, kann das Erreichen des angestrebten Ziels die Wirtschaftlichkeit erheblich beeinträchtigen. Außerdem werden gleichzeitige oft steigende Werbe- und Kommunikationskosten erforderlich.
Nicht umsonst ist manchmal der Zweite wirtschaftlich erfolgreicher als der Marktführer. Eine solche Strategie wird auch als Follower-Strategie bezeichnet. Natürlich fehlt dem Follower der Glanz des Marktführers. Aber die Unternehmensführung sollte nicht von Eitelkeiten geprägt sein.
Fazit: Wirtschaftlich sinnvolle Ziele setzen
Marktführerschaft ist also – für sich gesehen – kein erstrebenswertes Ziel. Bei der Umsetzung einer darauf ausgerichteten Wachstumsstrategie kann leicht der Fokus auf die nachhaltige Wirtschaftlichkeit des Unternehmens verloren gehen. Wenn Marktführerschaft notwendig ist, um andere, quantifizierbare Ziele zu erreichen, die die Ertragskraft des Unternehmens dauerhaft stärken, dann ist die Verfolgung dieses Ziels sinnvoll. In diesem Fall ist der Aspekt der Nachhaltigkeit von besonderer Bedeutung: Wenn nämlich die Ressourcen nicht ausreichen, um die Marktführerschaft über einen längeren Zeitraum zu halten, können meist auch die angestrebten Ziele nicht erreicht werden.
Bevor ein Unternehmen dem Ziel der Marktführerschaft nachläuft, ist im Rahmen einer distanzierten Analyse zu prüfen, ob diese Strategie tatsächlich auf dem Weg zu gesundem Wachstum die optimale ist und ob die Voraussetzungen für die Umsetzung gegeben sind.