Kolokation mit Energieausweis
Von Ariane Rüdiger
Vor einem Vierteljahrhundert entstand DE-CIX aus dem Zusammenschluss der drei Internet-Service-Provider MAZ (Hamburg), EUnet (Dortmund) und XLink (Karlsruhe). Man wollte beim E-Mail-Versand innerhalb Deutschlands den Umweg über US-Rechenzentren einsparen. Mittlerweile kann DE-CIX seinen 1000. Kunden begrüßen. Aus einem einzigen Standort in einer ausgedienten Postfiliale sind inzwischen 25 in Europa, im Nahen Osten, in Asien und in Nordamerika geworden. Mehr als 2100 Netzbetreiber, ISPs oder Content-Anbieter können über die DE-CIX-Infrastruktur ihre Daten austauschen.
Der Frankfurter DE-CIX befindet sich im Kolokationsrechenzentrum von Interxion. Internet-Austauschknoten wie der DE-CIX sind der kürzeste Weg zwischen Providern: Wollen zwei DE-CIX-Kunden Daten austauschen, können sie das direkt über den Knoten tun, ohne dafür öffentliche Netze zu bemühen. Man spricht hier von Interconnect.
In der Corona-Pandemie, also über das gesamte Jahr 2020 hinweg, ist die Zahl der DE-CIX-Kunden um 7,5 % gestiegen. Im Oktober wurde in Frankfurt ein Rekorddatendurchsatz von 10 TBit/s gemessen. Die Servicequalität hat darunter im Großen und Ganzen nicht gelitten. Solche Leistungen sind das Ergebnis einer durchprofessionalisierten RZ-Branche: Statt alte Bürogebäude umzubauen, errichtet sie inzwischen nagelneue Spezialgebäude, wo schnelle Leitungen möglichst vieler Provider nahe sind und ausreichend Energie verfügbar ist.
Kein Strom mehr für Rechenzentren
Während die Internet-Wirtschaft in der Pandemie boomt, müssen sich die Betreiber mit neuen Herausforderungen auseinandersetzen: Der für den RZ-Betrieb notwendige Strom wird lokal bereits knapp, etwa in Frankfurt oder London. Deutsche Rechenzentren verbrauchten 2019 nach aktuellen Daten des Borderstep-Instituts 15 Milliarden kWh Strom, Tendenz weiter steigend. Frankfurt am Main hat deshalb den Neubau von Rechenzentren, für die nicht schon Flächen und Energiekontingente garantiert wurden, gestoppt. Mehr als die derzeit verbrauchten 20 % des Gesamtstromverbrauchs will man den Datacentern nicht zugestehen – schließlich gibt es noch andere Verbraucher.
Nachhaltigkeit war ein zentrales Thema auf der Herbsttagung des Open Compute Projects (OCP), das Hardware-Architekturen für die Rechenzentren der Zukunft entwickelt. Man müsse dringend effizienter werden, hieß es allenthalben. Ein wichtiger Schwerpunkt der OCP ist deshalb die Neu- und Weiterentwicklung innovativer Flüssigkühltechnologien sowie dafür tauglicher Infrastrukturelemente. Um solche Konzepte an Unternehmensrechenzentren anzupassen, wurde jetzt eine Arbeitsgruppe gebildet.
Auch die internationale RZ-Tagung Datacenter Dynamics befasste sich intensiv mit der Energieversorgung von Rechenzentren. Es sei falsch, die grünen Label viele RZ-Betreiber hierzulande für bare Münze zu nehmen, hieß es in einer Podiumsdiskussion. Meist stamme der Grünstrom dafür aus Schweden, das im eigenen Land 25 % Atomstrom ausweist, weil ein Großteil des grünen Stroms aus Schwedens Wasserkraftwerken nach Deutschland exportiert und dort verbraucht wird. Sinnvoller sei es, Rechenzentren dort zu bauen, wo die Energie billig und nachhaltig in ausreichender Menge verfügbar ist und besser Daten zu verschicken, statt teure Stromleitungen zu bauen. Schließlich brauche nicht jede Anwendung Verzögerungsfreiheit.
Relative Verteilung der Umweltwirkungen der Rechenzentren nach Subsystemen: Die KPI4DCE-Studie zeigt, dass Server immer die meisten Ressourcen beanspruchen. Bei Gebäudetechnik und Storage liegt die Sache anders – hier kommt es sehr auf das RZ und die Wirkungsbetrachtung an. (Bild: Umweltbundesamt)
Neue Effizienzmaße und Label
Derzeit fehlen für die Umweltverbräuche von Rechenzentren noch verbindliche Maßstäbe über die PUE (Power Usage Effectiveness) hinaus. Es gibt jedoch Ansätze. 2018 hat das Umweltbundesamt die Ergebnisse des Projekts KPI4DCE (Key Performance Indicators for Data Center Effectiveness) vor. Die Studie schlägt neue Metriken und Label zum RZ-Leistungsvergleich vor. Letztlich geht es dabei um „Leistung pro Input“. Die Metriken könnten in eine Zertifizierung einfließen, die dann zum Beispiel Vorteile bei staatlichen Ausschreibungen bringt: Der abiotische Rohstoffverbrauch (ADP/Abiotic Depletion Potential) erfasst den Verbrauch von Mineralien und fossilen Rohstoffen in Kilogramm Antimonäquivalenten pro Jahr (kg Sb eq/a); das Treibhausgaspotenzial (GWP/Global Warming Potential) beziffert den Beitrag zur Erderwärmung in Kohlendioxidäquivalenten pro Jahr (kg CO₂ eq/a); der kumulierte Energieaufwand (CED/Cumulative Energy Demand) entspricht der Summe verbrauchter erneuerbarer und nicht erneuerbarer Energieressourcen in Megajoule pro Jahr (MJ/a); hinzu kommt noch der Wasserverbrauch, gemessen in Kubikmeter pro Jahr (m³/a).
Gäbe es diese Werte fürs gesamte Rechenzentrum, ließen sie sich auf bestimmte Leistungen, also etwa Storage oder Server und dann auf die definierte Leistungseinheit (zum Beispiel Transaktionen pro Sekunde) umrechnen. Weiß man, wie viele Leistungseinheiten ein Kunde verbraucht hat, könnte man genau ermitteln, wie viel Kohlendioxid dadurch entstanden ist und dafür etwas in Rechnung stellen. Das Folgeprojekt KPI4DCE 2.0 soll dieses Kennzahlensystem weiterentwickeln und um solche ökonomischen Aspekte erweitern.
Schwarz auf Weiß
Dieser Beitrag erschien zuerst in unserer Heise-Beilage „IT- und Technologieunternehmen stellen sich vor“. Einen Überblick mit freien Download-Links zu sämtlichen Einzelheften bekommen Sie online im Pressezentrum des MittelstandsWiki.
Öffentlich einsehbare Zertifizierungen oder Label – wie der Energieausweis bei Mietangeboten – helfen durchaus, die Umweltfreundlichkeit von RZ- oder Cloud-Services zu erkennen. Bislang sind das alles allerdings nur Vorschläge. Doch wenn Branche und Regierung ihre Nachhaltigkeitspläne ernst nehmen, werden diesen Vorschlägen wohl Taten folgen.
In Schweden hat Node Pole, eine Entwicklungsgesellschaft für energieintensive Projekte, bereits das Label Fossil Free Data kreiert. Zur Zertifizierung darf die RZ-PUE des Rechenzentrums nicht höher als 1,4 sein, und die Versorgung muss komplett aus erneuerbaren Energien erfolgen; verlangt wird außerdem eine Kohlenstoffintensität von 190 g Kohlendioxid pro verbrauchter Kilowattstunde für die IT oder weniger.
Rechenzentren aus Holz?
Patrik Öhlund, CEO von Node Pole, hat zur Einsparung von Emissionen darüber hinaus vorgeschlagen, Rechenzentren mit tragenden Strukturen aus Holz zu bauen: „Holz spart gegenüber Stahlbeton Unmengen an eingebetteter Energie, wächst nach und ist brandbeständiger.“ Und er regt an, in die auf dem Umweltverbrauch basierende Preiskomponente auch die Emissionen der RZ-Lieferkette in Rechnung zu stellen. Nur so entstehe ein ehrlicher Preis.
Zum Hintergrund: Im Rahmen des Global Compact der UN, dem sich bereits die meisten der Fortune-500-Firmen angeschlossen haben, versteht man unter Scope 1 diejenigen Emissionen, die direkt vom Kerngeschäft erzeugt werden, also in diesem Fall vom Rechenzentrum selbst. Scope 2 umfasst Nebenaktivitäten wie Geschäftsreisen, Büros, den Fuhrpark etc. Scope 3 integriert schließlich die gesamte Lieferkette. Das erfordert zwar einige Rechnerei und gelegentlich komplexe Recherchen, kann aber, wenn Nachhaltigkeit zum Wettbewerbsfaktor wird, von großem Vorteil sein.
„Nachhaltigkeit ist gut für das Geschäft“, kommentiert 451 Research die Kundenanforderungen an Colocation-Anbieter. Vor allem große Kunden brauchen den Nachweis hoher Effizienz- und Nachhaltigkeitsstandards für den eigenen Sustainability Report. (Bild: 451 Research)
Darauf deuten aktuelle Daten hin: Kolokationskunden achten immer öfter auf die Nachhaltigkeit auch ihrer RZ-Betreiber, so eine im Herbst 2020 publizierte Studie von 451Research im Auftrag von Schneider Electric mit 800 Kolokateuren aus 19 Ländern. Fazit: Die Kunden dieser Anbieter verlangen Nachhaltigkeits- und Effizienzklauseln in den Verträgen. Schon in drei Jahren, so glauben knapp 90 % der Befragten, könnte größere Nachhaltigkeit im Kolokationsmarkt zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal werden. Die Nachhaltigkeitsbemühungen der RZ-Betreiber betreffen bislang vor allem Energieversorgung und Kühlung.
Doch obwohl sich besonders Hyperscaler durchaus erfolgreich bemühen, „grün“ zu werden – das gilt längst nicht für alle RZ-Betreiber. Gern argumentieren Repräsentanten auch, die Branche werde ungerecht behandelt: Sie müsse trotz extremer Stromabhängigkeit EEG-Umlage zahlen, stoße aber nur in etwa so viel Kohlendioxid aus wie die Luftfahrt.
Ungehobene Effizienzschätze
Warum das so ist, zeigten auf diversen Tagungen in der letzten Zeit gleich mehrere Experten: Die Luftfahrt habe bei den Turbinen bereits 80 % des Effizienzpotenzials ausgeschöpft, Rechenzentren dagegen längst nicht. Die Datacenter bringen zwar immer höhere Leistungen und steigern die Energieverbräuche längst nicht proportional zur steigenden Leistung, aber absolut eben doch. Die Effizienzgewinne werden bisher durch mehr Transaktionen, Operationen oder Daten überkompensiert, während die Einspareffekte in anderen Bereichen der IT sich erst sehr zögerlich zeigen.
Nicht wirklich angegangen wurden beispielsweise eine höhere Auslastung der Server (sie liegt aufgrund oft mehrfacher Redundanzen auch bei Virtualisierung oft bei etwa 20 oder 30 %), Modularisierung, andere RZ-Baumaterialien (siehe oben), eine längere Nutzung der Systeme, die Aufarbeitung und Sekundärnutzung (um Materialien zu sparen) sowie modulare Software, die auf eine sparsame Nutzung der Hardwareressourcen und auf langfristige Verwendbarkeit dank Rückwärtskompatibilität und Hardwareneutralität ausgelegt ist.
Auch die intelligente Abwärmenutzung und die Sekundärnutzung von Resilienzeinrichtungen als Stromreserve fürs öffentliche Netz sind solche ungehobenen Schätze. Für Letzteres gibt es inzwischen ein funktionierendes Beispiel: das sogenannte Energiewende-Rechenzentrum von KSG/ISG, zwei Gesellschaften, an denen der Energienetzbetreiber RWE beteiligt ist. Hier funktioniert die 500-kW-Batteriebank der RZ-Notstromversorgung (USV) als Primärreserve, der Dieselgenerator als Sekundärreserve fürs Stromnetz.
Der Standort könnte entscheiden
Allerdings erschweren Regelungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes und die Technik das Verfahren. Die aktive Rückspeisung ins Netz beherrscht derzeit kaum eine USV. Und nach §61 EEG müssen KSG/ISG für den rückgespeisten Energiestrom EEG-Abgabe zahlen, weil USV ihren Verluststrom nicht in Echtzeit messen können. An entsprechenden technischen Änderungen wird gearbeitet.
Für die RZ-Abwärmenutzung wiederum fehlen Abnehmer und Anreize, die entsprechende Überlegungen schon bei der Standortwahl motivieren könnten. Zudem würde Abwärmenutzung besser mit höheren RZ-Temperaturen harmonieren – und damit mit Wasser- oder Immersionskühlung, die höhere Abwärmetemperaturen garantiert; Alternative wäre eine Wärmepumpe. Derzeit scheut die RZ-Branche aber alle drei Alternativen: die Wasserkühlung, weil man Probleme mit Feuchtigkeit an der IT fürchtet, die Immersionskühlung, weil das Verfahren neu ist und von den bisherigen Technologiekonzepten gravierend abweicht, und Wärmepumpen, weil man zusätzlich investieren muss und die Technik relativ komplex anmutet. Doch wenigstens bei der abwärmenutzungsfreundlichen Standortwahl könnte es in Zukunft durch entsprechende Regulierung oder vorausschauende Planung auch seitens der Gebietskörperschaften vorangehen.
Mit diesem Thema beschäftigt sich das gerade angekündigte Projekt DC-HEAT (Data Centre Heat Exchange with AI-Technologies) des Borderstep Instituts: Der Berliner Nachhaltigkeits-Think-Tank untersucht damit, wie man mittels künstlicher Intelligenz die RZ-Abwärme besser nutzen kann, vor allem zur Heizung von Gebäuden. Dabei arbeitet das Institut mit dem Energieversorger der Stadt Frankfurt, der Initiative Digitales Hessen, der WestfalenWind IT, der Universität Paderborn, dem Netzwerk energieeffizienter Rechenzentren und mit dem Internet-Branchenverband Eco zusammen.